Schaumweinwunder in Südengland

A Bubbly, please!

Text: Eva Dülligen, Fotos: iStock/Alessandro Biascioli, Anthony Rose

Vom Ladenhüter zum gefragten Nischenprodukt baut sich englischer Schaumwein seit einigen Jahren auf. Das liegt nicht nur daran, dass das Klima in den Anbaugebieten jenseits des Ärmelkanals immer milder wird. Auf Weinvisiten, die uns sowohl zu Flaggschiffen wie Nyetimber als auch zu unbekannten Grössen wie Exton Park führten, fanden wir heraus, was ausserdem zur Erfolgsstory von Sparkling Wine beisteuert.

Wären die Engländer nicht so verdammt höflich, hätten sie uns hin und wieder sicher die Kehlen durchgebissen. Doch die Vermutung, dass man hier dem Champagner-Stil hinterherjagt wie der Adel zu Pferd einst dem Fuchs in einer britischen Grafschaft, muss ebenso erlaubt sein, wie die Frage nach vermuteten Auswirkungen des Brexits auf die hiesige Wein-Industrie. Und freilich nach dem Phänomen des Klimawandels, der die Durchschnittstemperatur in den Rebfeldern der Insel steigen und parallel das Interesse potenter Investoren aus der Champagne an südenglischen Flächen wachsen lässt: Zwischen den Kreidefelsen in Dover und der Champagne liegen nur knapp 300 Kilometer, das Terroir ähnelt sich, insbesondere die kalkhaltigen Böden. Angebaut werden in Hampshire, Sussex und Kent vorwiegend die klassischen Champagnersorten Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier. Die werden meist auf Champagner-Hefe vergoren und reifen vor der Flaschengärung manchmal in burgundischer Eiche. Zur Seite stehen den Weingutsbesitzern nicht selten Önologen aus der Grande Nation und vinifiziert wird selbstverständlich nach der «traditional method». Was ist sonst noch geschehen, seit ein britischer Weinkritiker lästerte, englische Weinberge seien wie kornische Teeplantagen und für das Vereinte Königreich und auch für den Rest der Welt ähnlich bedeutungsvoll wie die Falklandinseln für die Autoindustrie? Viele Weinkenner wissen mittlerweile, dass englische Sparklings bei internationalen Blindverkostungen teils mehr Punkte einsammeln als italienischer Franciacorta, französischer Crémant und eben Champagner. Auf Staatsempfängen in No. 10 Downing Street wird englischer Schaumwein heute so selbstverständlich ausgeschenkt wie in der First Class von British Airways. Nicht nur Prince William und Kate Middleton liessen die Bubbles eines Schaumweins aus Kent auf ihrer Hochzeit über die Zungen kullern. Auch in der Luxus-Gastronomie von Japan, Skandinavien und Hongkong heisst man die Prickler aus dem Königreich – vor allem im Magnum-Format – immer willkommener. Wir haben auf Weingütern in Sussex und Hampshire nach Gründen für den Aufstieg des «Bubblys» gejagt.



 

Exton Park, Exton/Hampshire

Coco Chanel des englischen Weins

Im Gegensatz zu Emma Rice schwört die immigrierte Grande Dame aus Beauvais dem malolaktischen Säureabbau ab. Nur wenige Meilen von Hattingley entfernt treffen wir Corinne Seely, Chef-Önologin des Weinguts Exton Park: «Wir wollen die volle Authentizität im Glas.» Auch die Reben kauft sie nicht – wie bei Hattingley – aus dem gesamten Süden, von North Summerset bis Dorset, verarbeitet stattdessen nur eigenes Traubengut, das 60 Prozent Pinot Noir und 40 Prozent Chardonnay hervorbringt. Mit ihren zu Sicheln gerupften Augenbrauen und den schmalen Lippen wirkt sie wie die Coco Chanel des Schaumweins – nur auf der falschen Seite des Ärmelkanals. Wehmütig erinnert sie sich an ihre Jahre in Paris, wo sie als Geologie-Studentin von Baguette, billigem Rotwein und Camembert lebte. Als graduierte Önolgin verdingte sie sich zunächst auf der Domaine de Chevalier in Bordeaux, arbeitete als Flying Winemaker und landete 2011 schliesslich auf Malcom Isaacs Exton Park. Zu regionalem Hart- und Weichkäse wird an diesem verregneten Märztag ein stark moussierender Rosé eingeschenkt. Die Verspieltheit des Lachsroten komme von dem Pinot Meunier, der Madame Seelys Ansicht nach am besten auf die kalkhaltigen Böden Hampshires passt. «Das Säurerückgrat speist sich aus dem Chardonnay. Die Sanftheit aus dem Pinot Noir», sagt sie, während wir die leicht spürbare Meersalzigkeit des Rosé mit dem geschmeidigen Edelschimmelkäse im Mund vermengen. Corinne Seely grinst, stellt ihr Glas ab und schwört: «Bei allem Respekt, ich bin trotzdem nicht hier, um eine billige Kopie von Champagner zu machen.»

www.extonparkvineyard.com


 

«Die Sparklings des Jahrgangs 2018 werden mit zu den besten der englischen Schaumwein-Geschichte gehören.»

Corinne Seely

 


 

 

Hattingley Valley, Arlesford/Hampshire

Das Leben ist kein Ponyhof

Das hier ist kein Ponyhof. Es ist das Weingut Hattingley Valley, das Navi hat sich nicht geirrt. Auch, wenn die Gebäude an Gehöfte erinnern und Emma Rice mit Lehm verklebten Stiefeln in den Verkostungsraum bittet, in dem Kolonialstil-Möbel eher vornehme Stimmung verströmen. Passend zu Emmas Antwort auf die Frage, was sie zum Schaumwein brachte: «Mit achtzehn war ich auf einer Party. Als Aperitif gab es einen 1979er Krug aus einer Doppel-Magnum. Ich habe den Champagner immer noch auf der Zunge.» Der enorme Gaumeneindruck hat sie zum Bordelaiser Weinhandel Domaine Direct gebracht, sie arbeitete danach als Weinautorin für Hugh Johnson und erlangte schliesslich den Grad einer Önologin im Plumpton College. Zwischendurch erkundete sie die Weinwelt auf Weingütern in Kalifornien und Australien. Dort habe sie unter anderem gelernt, wie man ein Weingut nicht führen sollte, zum Beispiel mit chaotischem Holzmanagement oder «mitten in der Ernte zu expandieren». Seit 2008 kreiert sie deshalb ihre eigenen Weine im Osten der Grafschaft Hampshire, in einer Region, die jahrzehntelang für den Anbau «germanischer» Sorten wie Reichensteiner oder Bacchus für saure Stillweine herhalten musste. Heute fliesst mehr als Zweidrittel aller englischer Ernten in die Schaumweinproduktion. Wie bei Emma, die aus 25 Hektar jährlich über eine halbe Million Blancs de Blancs und Blancs de Noirs herausholt, offenbar derart elegant, dass sie für Vranken-Pommery gleich mitproduziert: namentlich die Marke «Louis Pommery». Speziell für die beiden Pinot-Sorten werden mehrfach belegte Burgundfässer eingesetzt. «Was uns generell von der Champagne unterscheidet, ist, dass wir an keine Regeln gebunden sind. Wir machen unsere eigenen.» Klingt irgendwie vertraut.

www.hattingleyvalley.com


 

«Es ist schwer, aus englischem Stillwein Profit herauszuholen. Er ist zu teuer in der Produktion. Sparkling Wine dagegen ist günstiger herzustellen und hat vor allem mehr Sex-Appeal.»

Emma Rice

 


 

 

Hambledon Vineyard, Hambledon/Hampshire

Non Dosage auf Englisch

Auch der Fingerprint der Hambledon-Schaumweine entspringt den Händen eines Franzosen. Önologe Felix Gabillet trägt viel dazu bei, dass das Weingut qualitativ und imagemässig immer näher ans internationale Sparkling-Flagship «Nyetimber» in Sussex heranrückt. Vom Volumen her befindet man sich auf halbem Weg, die 100 000-Flaschen-Marke jährlich auf 500 000 zu pushen. «Die Preise für die Böden hier liegen etwa bei 50 000 Euro pro Hektar, das ist in der Champagne ab einer Million zu haben», so der junge Mann, der sein Handwerk unter anderem im Loire-Tal auf Schaumweine zuschnitt. Die Schnäppchenpreise verleiteten Vranken-Pommery, Weinberge in Pinglestone/Hampshire zu kaufen. Pierre-Emmanuel Taittinger bepflanzt rund 40 Hektar in Canterbury/Kent mit Trauben für die Schaumweine der dortigen Domaine Evremond. In fünf bis sechs Jahren sollen die ersten «Champagner» von südenglischen Kalkböden auf dem Markt sein. Chardonnay- und Pinot-Noir-Trauben reifen aufgrund zunehmender Erwärmung besser aus. 2018 mit dem Hitze-Rekord-Sommer hat die gesamte Sparkling-Branche tüchtig profitiert, weil alle drei klassischen Champagner-Sorten weniger Säure ausbildeten und so grössere Balance ins Glas bringen. 

Reims kauft Kent

Die Strippenzieher der verschworenen Gemeinde von der Marne schmunzeln nicht schlecht über Hektarpreis und zunehmende Reife auf verwandtem Terroir. Sie nehmen auch den «Kannibalismus» in Kauf, weil ihnen die jüngere Klientel wegbricht und man glaubt, dass man mit elegantem Fizz zu günstigeren Preisen (verglichen mit denen der Top-Champagnerhäuser) eine neue Verwenderschicht erreicht. Hambledon indes nutzt neues Klima und die Hinwendung der Insulaner zu lokalen Produkten für sich.

Hambledon zählt zu den ältesten kommerziellen Vineyards Englands, namentlich an den Ort gekoppelt, der wie kein anderer mit dem Nationalsport Cricket verbunden ist (deshalb auch die Insignien der kafkaesken Sportart auf den stahlblauen Flaschenhals-Labels). Major General Sir Guy Salisbury-Jones gründete das Weingut anno 1952. In der Hoffnung, dem Riesling von der Mosel mit Siegerrebe und Reichensteiner einzuheizen. Vergeblich. Selbst die Briten zogen deutsche Liebfrauenmilch den Sodbrennen erregenden Stillweinen ihrer Insel vor. Einheizen kann man hier heute mit Schaumweinen von der Classic-Cuvée bis zum Non-Dosage. Es sei denn, Väterchen Frost droht im Frühjahr. Unter minus zwei Grad Celsius wird es kritisch, dann wirft man riesige Heizöfen in den Rebzeilen an, damit die Blüte nicht erfriert. Andererseits wieder ein Mega-Sommer wie 2018, der so manchen, wenn es so weitergeht, vom künftigen Chardonnay-Anbau in Schottland juxen lässt. «Fast alle südenglischen Weingüter haben bei der letzten Ernte statt Anfang Oktober schon Mitte September gelesen. 2018 wird ein fantastischer Jahrgang», räumt Felix ein und giesst seinen 2018er Dosage Zero in die Gläser. Eine packende Süsse-Säure-Balance verteilt der prickelnde Blanc de Blancs über den Gaumen. Daneben: zarte Perlage, Spuren von süsser Creme, Lagerfeuer und Brioche. Leider sei der Blassgoldene ein Dummy. 2500 Exemplare, nur für ein paar ausgewählte Abnehmer, um zu sehen, ob der Traum des Exilfranzosen vom Non-Dosage in England eine Zukunft hat. «Seit ungefähr fünf Jahren muss niemand in UK mehr erröten, wenn er zum Essen einen Sparkling ordert. Für Foodies geht vor allem die Classic-Cuvée: von der Auster bis zum Luxus-Hamburger.» Umso ärgerlicher für Felix, dass seine Prickler noch keinen Platz auf der Weinkarte von Londons Champagner-Szene-Laden Bubbledogs hat.

www.hambledonvineyard.co.uk

 

Nyetimber, West Chiltington / West Sussex

Säure ist kein Privileg

«Die englische Säure ist anders als die in der Champagne», sagt Cherie Spriggs. Auch die Gartenanlage, auf die man vom Verkostungsraum aus durch die riesigen Glastüren blickt, könnte englischer nicht sein. «Die spitzere Säure kommt daher, dass wir hier nördlicher liegen, also ein kühleres Klima herrscht, und dann ist der Kalk in den Böden von Hampshire und Kent anders zusammengesetzt.» Unter den Sparkling-Herstellern sorgt das Thema Säure immer wieder für Zündstoff. So auch bei Nyetimber, Galionsweingut mit 170 Hektar, verteilt über Hampshire und Sussex. Der Kauf weiterer Flächen in Kent steht bevor. 

Vor elf Jahren stellte der niederländische Besitzer Eric Heerema die blonde Kanadierin als Head-Winemaker ein und ihr war schnell klar, dass kein Weg am malolaktischen Säureabbau vorbeiführen würde. Zwar seien die regionalen Reben mit einer herrlich knackigen und klaren Säure gesegnet, aber man solle diesen Hut nicht zu hoch aufhängen. «Malolaktischer Säureabbau ist ein natürlicher Weg, um die Balance im Wein sicherzustellen.» Dass Cherie, die erste Frau, die zum «IWC Sparkling Winemaker of the Year» gekrönt wurde, diesen Balanceakt beherrscht, belegen kristallines Rückgrat, Cassis-Akzente und Himbeermousse im Jahrgangs-Rosé aus 2010. Ein Drittel Chardonnay und zwei Drittel Pinot Noir hat Cherie für den edlen Fizz assembliert. Im weissen Pendant hat sie die beiden Sorten zu gleichen Teilen mit zehn Prozent Pinot Meunier verschnitten. Darin transportieren die winzigen, regelmässig aufsteigenden Perlen Akkorde von gerösteten Mandeln und Hefe-Noten an die Glasoberfläche. Es riecht, als würde man eine Pâtisserie betreten. Für Brad Greatrix, Ehemann und Kollege von Cherie, bringt der Pinot Meunier subtile Frucht, rundet den Schaumwein ab. Auch Brad ist Kanadier, die beiden gelten als das Nachfolge-Paar der mittlerweile pensionierten Nyetimber-Gründer Stuart und Sandy Moss. Mitte der Achtziger machten die Chicagoer auf einem Trip durch UK Bekanntschaft mit einem Einheimischen. Er erzählte vom Potenzial der Greensand-Böden in Sussex. Angefeuert kauften sie ein Anwesen, das Henry VIII. anno 1536 seiner Gattin Anne of Cleves zum Geschenk gemacht hatte, und machten daraus ein Weingut, dessen Sparklings von Starkoch Heston Blumenthal im New Yorker «Dinner» als Aperitif angeboten und von Norwegen bis nach Japan exportiert werden. 

Für den Markt in Kontinentaleuropa sieht man auf Nyetimber mittlerweile weniger rosé. Der anstehende Brexit hat das britische Pfund so sehr gedrückt, dass der Import für das Festland günstiger und die Taschen der Sparkling-Macher nicht eben praller werden. Die geschrumpfte Kaufkraft der Briten wiederum lässt sie vermehrt auf einheimische Produkte zugreifen. Als grösster Champagner-Konsument nach Frankreich wird sich vor allem die Feinschmeckerliga der Upperclass freuen, wenn englischer Schaumwein der Konkurrenz in Reims und Epernay qualitativ weiter auf die Pelle rückt. Für die Weingüter selbst würden etwa die rumänischen Ernte-helfer nach einem harten Brexit unbezahlbar wegen der Visa. «Seit Jahren teilen wir uns mit anderen Weingütern ein Ernte-Team aus Osteuropa. Die haben feste Unterkünfte, sind routinierte Pflücker und arbeiten zu moderaten Preisen», so Ben Kantsler, Kellermeister bei Nyetimber. Dass sich viele Engländer für diesen Lohn morgens auf die Weinfelder quälen würden, kann sich Ben bei allem britischen Humor schwer vorstellen.

www.nyetimber.com


 

«Wir wollen keine Revolution, aber clevere Reformen in Weinfeld und Keller.»

Brad Greatrix

 


 

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