Interview mit Angelo Gaja, Barbaresco-Urgestein

«Wir wollen vini snelli, schlanke Weine!»

Interview: Christian Eder, Fotos: z.V.g., Sabine Jackson

Seit einigen Jahren wechseln in den Langhe Weingüter und Rebberge zu astronomischen Preisen den Besitzer: Viele Winzer lamentieren bereits über einen Ausverkauf und darüber, dass sie es sich nicht mehr leisten könnten, zu erweitern. Wir sprachen mit der Winzerlegende Angelo Gaja über den Immobilien-Boom im Barolo-Gebiet und über das Investitionspotenzial im Piemont und im Rest Italiens.

Angelo Gaja, in den vergangenen Jahren hört man immer wieder von grossen Investments in den Langhe, das Gut Vietti wurde von der amerikanischen Unternehmerfamilie Krause gekauft, Kleinstparzellen wechseln für viel Geld die Besitzer, ein halber Hektar kostet auch schon mal eine Million Euro oder mehr. Sehen Sie diesen Investitionsboom positiv oder negativ?
Weder positiv noch negativ. In anderen renommierten Weinbaugebieten ist das nur schon viel eher passiert als hier bei uns: In Nappa Valley, in Bordeaux, aber auch in Bolgheri oder Montalcino haben sich nicht nur andere Kellereien, sondern Industrielle und Hedgefonds an Kellereien beteiligt oder sie gekauft. Zum Teil zu Unsummen. Durch dieses frische Blut hat sich jedoch nichts verschlechtert, ganz im Gegenteil: Der Wein und das Gebiet werden durch Unternehmen aus anderen Sektoren viel besser und aggressiver vermarktet, und das wirkt sich auch für die alteingesessenen Betriebe positiv aus. Sie sind gefordert, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Das ist in den Langhe nicht viel anders. Ausserdem ist es kein Ausverkauf: Wir sprechen vielleicht von einem Prozent der Rebberge, die hier in den vergangenen Jahren den Besitzer gewechselt haben.

Lohnt sich ein Investment in Rebberge?
Nein, nicht wirklich. Bis die Investitionen Rendite bringen, dauert es Jahre, Jahrzehnte. Ich glaube eher, dass Investoren den Wunsch haben, ihr Geld in etwas Konkretes zu investieren, in Grund und Boden, ohne allzu viel Risiko. Man kann diese Investitionen auch als Credo an ein Gebiet sehen, in eine gewachsene Kultur. Aber das ist nicht nur konservatives Denken: Viele dieser Neo-Winzer haben Visionen, Ideen, wollen neue Wege beschreiten. Und das ist gut für ein Gebiet, in dem die Tradition so stark ist wie im Piemont. Man muss natürlich beobachten, wie das in Zukunft weitergeht. Wenn es zu viele Investments gibt und die Preise noch weiter steigen, könnte das zu einer Blase führen – was bislang nicht der Fall ist. Aber selbst wenn es dazu kommt, kann man sich kaum wehren.

Stichwort steigende Preise: Vor allem junge Winzer in den Langhe lamentieren darüber, dass ein kleiner Betrieb es sich nicht mehr leisten kann, zu wachsen, neue Rebberge zu erwerben…
Das ist ein äusserst verständlicher Vorbehalt. Dem kann man aber als kleiner Betrieb entgehen, indem man neue Wege beschreitet. Für mich ist der aufkommende Weintourismus ein positives Beispiel: Durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 gingen in der Region viele Arbeitsplätze in allen wirtschaftlichen Sektoren verloren, die Leute haben begonnen zu sparen, weniger auszugehen und viele Restaurants, die immer schon auf lokale Klientel fixiert waren, haben zum ersten Mal entdeckt, dass sie eine Alternative brauchen. Und haben, wie auch die Winzer, die bislang diese Restaurants mit Weinen belieferten, den Tourismus für sich entdeckt. Hier im Piemont haben wir glücklicherweise rund um die berühmten Trüffel von Alba oder die Museen und Kunstschätze in Turin eine hervorragende und spannende touristische Infrastruktur. Dazu kommen nun die zahlreichen Winzer, die verstanden haben, dass man auf dem Markt nur bestehen kann, indem man Qualität produziert. Sie haben begonnen, Touristen und Weinliebhaber zu empfangen, manche haben gleich einen Agriturismo eröffnet, wo die Gäste in einem perfekten Ambiente übernachten können. Wir haben inzwischen einige Kellereien, die sich auf den Weintourismus spezialisiert haben, und das bringt viel Leben in die Region. Und nur ein paar Kilometer weiter, in den Alta Langa, findet man als Alternative zum Weinbau noch Bergweiden, Nussbäume, viel Natur. Alle diese Komponenten machen gemeinsam mit einer hochklassigen Gastronomie das Besondere dieses Teils des Piemont aus. Unter hochklassiger Gastronomie verstehe ich nicht nur Michelinstern-Lokale, sondern auch kleine Trattorien mit gewachsener lokaler Küche. All das zusammen hat dem Tourismus in den vergangenen zehn Jahren zu einem richtigen Boom verholfen, und für die Winzer ist das eine wichtige Ergänzung zum Weinbau geworden.

Stichwort Alta Langa (das Hinterland der Langhe; höhere Lagen im Süden und Südosten von Alba, in denen aktuell viele Rebberge für die Schaumweinproduktion gepflanzt werden, Anm. d. Red.): Der Tourismus ist nicht die einzige Alternative für Langhe-Winzer…
Durch den Klimawandel haben Höhenlagen in 400, 500 Metern, nicht nur in der Alta Langa, grosses Potenzial: Das ist die zweite Alternative für junge Winzer, die den Betrieb vergrössern wollen. In der Alta Langa findet man tolle Lagen, auch für vergleichsweise wenig Geld.

Liegt in der Alta Langa die Zukunft des Piemont?
Da bin ich mir sicher, aber nicht nur für Schaumwein, den momentan fast jeder dort produzieren will. Die Alta Langa ist nach meiner Erfahrung ein Gebiet, in dem man hervorragende stille Weine aus weissen Sorten keltern kann. Wir haben in unserer Kellerei bereits Versuche mit Chardonnay und Sauvignon Blanc angestellt, die sehr interessante Ergebnisse gebracht haben. Daher werden wir unsere Erfahrungen mit diesen Rebsorten auch in den Alta Langa weiterführen. Wir würden natürlich gerne mit italienischen Varietäten experimentieren, die sich der Alta Langa anpassen, aber bislang sind dort noch nicht sehr viele Rebsorten zur Pflanzung zugelassen.

Ich habe mich schon in den Ätna verliebt, als ich ihn vor vielen Jahren zum ersten Mal besuchte. Es ist ein herrliches Gebiet mit einem besonderen Charisma.

Sie besitzen bereits Rebberge in der Alta Langa?
In Trezzo Tinella, einem Dorf, rund zehn Kilometer von Barbaresco entfernt, haben wir in 700 Meter Meereshöhe 40 Hektar gekauft, die mit Haselnussbäumen bepflanzt waren. Wir haben einen Teil der Bäume gerodet und drei Hektar Sauvignon Blanc und Chardonnay ausgepflanzt. Nächstes Jahr pflanzen wir wiederum drei Hektar, dann sehen wir weiter. Aber die Nüsse bleiben, weil sie ein Teil der Tradition sind und wir glauben, dass das Potenzial der traditionellen Sorte Nocciola Tonda Gentile delle Langhe noch nicht ausgeschöpft ist. Meine Kinder können entscheiden, ob sie dort mehr machen wollen. Vielleicht entsteht eines Tages sogar eine Kellerei nur für Weissweine…

Keine Schaumweine?
Schaumweine? Ich? Niemals!

Andere Hoffnungszonen des Piemont wie Alto Piemonte oder Monferrato interessieren Sie nicht?
Ich habe da ein lehrreiches Beispiel: Einer der absoluten Pioniere des Qualitätsweinbaus im Piemont, Bruno Giacosa, war seit 1946 Broker – er suchte und kaufte Trauben für seine Kunden, die daraus dann Wein produzierten.
Giacosa war ein hervorragender Verkoster und kannte sich bei allen Rebsorten in allen Reblagen aus. 1960 begann er dann in seiner eigenen Kellerei grossartige Baroli und Barbareschi zu produzieren, herausragende Dolcetti, er hat wunderbare Arneis geschaffen, grosse Barbera und einen tollen Schaumwein. Er war ein Meister aller Klassen, bewundernswert. Doch der Markt hat das nicht anerkannt, das war einfach zu viel des Guten. Daher ist meine Devise: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Barbera oder Grignolino können andere besser. Daher achten wir sehr darauf, in welchen Regionen wir beginnen, welchen Wein zu produzieren. Wir sollten uns schon auskennen bei dem, was wir tun.

Wie am Ätna bei dem gemeinsamen Projekt mit dem Ätna-Winzer Alberto Graci?
Ja, das Projekt war wohlüberlegt. Die Rebberge liegen im Südwesten des Ätna, einem traditionellen Weissweingebiet. Als wir die Rebberge gekauft haben, waren neun Hektar mit der roten Nerello Mascalese bepflanzt und nur einer mit der weissen Carricante. Bis wir eine eigene Kellerei gebaut haben werden, dauert das noch drei Jahre. Zwei weitere Jahre werden vergehen, bis wir den ersten Wein aus der eigenen Kellerei verkaufen können. Daher vinifizieren wir noch in anderen Kellereien und haben nicht die hundertprozentige Kontrolle. Trotzdem erscheinen wir schon um den Jahreswechsel mit dem ersten Wein unseres Ätna-Projekts, einem roten Nerello Mascalese aus unseren Rebbergen.

Warum geht Gaja auf den Vulkan?
Überall werden durch die Klimaerwärmung die Weine immer besser strukturiert, körperreicher und alkoholischer. Diese Weine gefallen immer noch vielen Konsumenten, das sieht man auch am Beispiel mancher Weine aus Bolgheri. Aber das ist nicht das, was wir vorhaben: Wir wollen Weine von mittlerem Körper mit guter Säure produzieren. Ich will dafür nicht das Wort elegant verwenden, das heute sehr inflationär verwendet wird. Sagen wir lieber, wir wollen vini snelli, schlanke Weine! Wie die aus Barolo und Barbaresco. Am Ätna kann man solche Weine produzieren. Vor allem in Biancavilla im Südwesten, wo unsere Rebberge liegen. In einem heissen Jahrgang wie 2017 dort einen Rotwein mit 13,5 Prozent Alkohol und mit hoher Säure zu produzieren, ist schon vielversprechend, deshalb denke ich, dass der Ätna sehr gut zur Philosophie von Gaja passt. Und ausserdem: Ich habe mich schon in den Vulkan verliebt, als ich ihn vor vielen Jahren zum ersten Mal mit Giacomo Tachis (einer der renommiertesten italienischen Weinmacher, Anm.d.Red.) besuchte. Ich erinnere mich, als wir auf Catania zuflogen, sahen wir ihn durch die Kabinenfenster in seiner ganzen Pracht: schneebedeckt, eine Rauchfahne über der Spitze, darunter abgekühlte Lavaströme und grüne Wälder. Ein herrliches Gebiet mit einem besonderen Charisma.

Wie sieht das Projekt in der Endausbaustufe aus?
Im Jahr 2018 haben wir vier Hektar Carricante gepflanzt, 2019 werden wir nochmals drei pflanzen. Das Ziel sind 30 Hektar Rebberge, 20 mit weissen und 10 mit roten Varietäten. Pflanzrechte zu erhalten, ist momentan äusserst schwierig, das dauert eine ganze Weile. Aber als Winzer muss man warten können, das bringt der Beruf mit sich. Die Kellerei wird IDDA heissen, der etneische Name des Vulkans Ätna. Auf jeden Fall sind es wieder einmal vier Buchstaben – wie bei Gaja – das ist ein gutes Omen. Ziel ist es, 200 000 bis 220 000 Flaschen zu produzieren.

Sie haben sich in früheren Jahren immer gegen Investments in anderen Regionen als dem Piemont und der Toskana gewehrt. Warum ist das jetzt anders?
Wegen meiner drei Kinder, die jetzt alle in der Kellerei arbeiten. Jedes davon soll sich in einem eigenen Bereich entwickeln können. Es müssen allerdings Projekte sein, die Emotionen schaffen, Ideen, die originell sind. Letztendlich müssen aber die Kinder entscheiden, was sie machen wollen.

Auch ausserhalb von Italien?
Warum nicht? Ich bevorzuge es allerdings, mit Partnern zu arbeiten – wie mit Alberto Graci am Ätna. Daher warten wir ab, wer noch mit welchem Projekt auf uns zukommt.

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