«Wir sind kein Korallenriff»

Professor Dr. Schultz, laut Weltklimarat IPCC beläuft sich die globale Erwärmung heute zwischen 0,8 Grad und 1,2 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Bis 2050 wird erwartet, dass sie auf 1,5 Grad Celsius steigt (Quelle: www.de-ipcc.de).
Ja, das ist ein globaler Durchschnitt. Je weiter man zu den Polen geht, desto extremer wird es; also 5 bis 6 Grad Celsius am Nord- und Südpol und keine Änderung am Äquator. Da wir am 50. Breitengrad sind, werden wir diese Temperaturänderungen auch deutlicher spüren als andere.

Was bedeutet das für den Weinbau?
Wenn man Weinbaugebiete analysiert, dann sieht man eigentlich überall die gleiche Tendenz, ob das in Australien ist, den USA oder Armenien – natürlich auf ganz unterschiedlichem Niveau. Ob ich diese anderthalb Grad hier in Geisenheim oder Athen draufsetze, das macht einen Unterschied. Die Temperatur ist aber das geringere Problem, die Niederschlagsverteilung ist problematischer, weil sie nicht voraussehbar ist. Ein Grad Celsius Temperatursteigerung bedeutet sieben Prozent mehr Verdunstung, und das muss ja auch irgendwann wieder herunterkommen. Wo es runterkommt, wissen wir nicht. Bei einem Steilhang mit 30 Prozent Hangneigung haben wir ungefähr 25 Prozent mehr Verdunstung gegenüber einer Flachanlage. Das heisst, dass diese Lagen einfach noch mehr «Gefahrenpotenzial» mit sich bringen, da sie eine höhere Einstrahlung haben. Das sah man ja 2018 relativ gut. Das aber alles passiert oberirdisch. Der zweite, unterirdische Teil ist noch weniger abschätzbar. Bodentemperaturen sind ja extrem wichtig für die Freisetzung von Stickstoff und organischem Material.

Wissen Sie, welche Weinberge in Deutschland die heissesten sind?
Das ist schwierig, weil man die Hangneigung, Ausrichtung etc. berücksichtigen müsste. Ein Weinberg in einem heissen Ort muss deshalb nicht unbedingt der heisseste sein. Da man Temperaturen für die Wetteraufzeichnung in 2 Meter Höhe misst, ist auch das nicht unbedingt repräsentativ für das Mikroklima eines Weinbergs. Die Bodenreflexion spielt auch eine Rolle.

Es wird gerne behauptet, Deutschland würde zu warm für Riesling werden – wahrscheinlich von Menschen, die noch nie einen Riesling aus Australiens Clare Valley getrunken haben.
Der Unterschied in der Vegetationsperiode zwischen Clare Valley und hier sind 4 Grad Celsius. Wenn also der ganze Klimawandel ins Land geht, dann haben wir diese Verhältnisse hier. Wir sind kein Korallenriff, wir in der Landwirtschaft können uns wehren.

Ihr Rat für Winzer mit heissen Lagen ist die Verzögerung der Reife, beispielsweise durch doppelten Anschnitt, Laubwandregulierung oder andere Unterlagsreben – das sind ja gute Aussichten.
Im Grunde haben uns diese klimatischen Änderungen ja auch geholfen. Solange wir in der Lage sind, uns immer zu hinterfragen; zu fragen: Wenn das heute so ist, wie kriege ich das in den Griff? Muss ich andere Unterlagen nehmen? Brauche ich Bewässerung? Muss man die Naturschutzgesetze ändern, damit wir Reservoirs bauen, wo man Niederschläge auffängt? Und, und, und. Aber es ist machbar, es ist nichts, was man von vorneherein ausschliessen kann. Ich bin da positiv.