Cantina Kopp von der Crone Visini, Tessin

Die Grossmeister des Merlot

Text: Ursula Geiger

Anna Barbara von der Crone Kopp und Paolo Visini setzen mit ihren Merlots und roten Cuvées im Tessin starke Akzente. Sie kennen die Eigenheiten ihrer Terroirs aus dem Effeff und lassen ihren Weinen die nötige Zeit zum Reifen.

 

Im Tal brummt der Bär. Alles, was sich in eine Kiste mit vier Rädern setzen kann, fährt zu den Einkaufszentren in der Grancia-Ebene. Die Schnäppchenjagd treibt an. Doch ein paar Kurven den Berg hinauf wird es friedlich. In Barbengo Paese, dem malerischen 300-Seelen-Dörfchen, prägen Reben und Wald die Landschaft. Hier am südlichen Ende der Collina d’Oro liegen Wohnhaus und Arbeitsstätte von Anna Barbara von der Crone Kopp und Paolo Visini vereint in einem schmalen Kubus aus Sichtbeton und Kastanienholz. Das elegante Gebäude schmiegt sich diskret an den bewaldeten Hügel. Es ist ruhig. Einzig das emsige Summen der Bienen dringt aus dem blühenden wilden Wein, der die Sichtbetonwand komplett überwuchert hat.

Im kühlen Inneren stehen drei Trophäen auf der Theke: «Grosses Gold», «Bester Wein des Wettbewerbs» und «Bester Schweizer Merlot». Der Balin 2012 hat beim Mondial du Merlot 2015 mächtig abgeräumt. Bereits im Jahr zuvor wurde der Cantina wegen der konstant hervorragenden Qualität der Balin-Jahrgänge 2009, 2010 und 2011 im gleichen Wettbewerb der Preis «Grand Maestro du Merlot» verliehen. Ein toller Erfolg für die Cantina Kopp von der Crone Visini und die Bestätigung, mit den geradlinigen und komplexen Weinen, die aus Trauben der verschiedenen Tessiner Subregionen gekeltert werden, den richtigen Weg zu gehen. «Das ganze Dorf hat uns gratuliert», strahlt Anna Barbara, «der Postbote, die Kassiererin im Laden und natürlich unsere Kunden im Tessin und in der ganzen Schweiz.»

Anna Barbara wuchs in Zürich auf. Dort studierte sie Agronomie mit Schwerpunkt Obst- und Weinbau, schrieb ihre Dissertation über die Photosynthese und absolvierte Praktika in der Toskana, im Chianti Classico. Das Weinfieber hatte sie gepackt. Doch in der Region Zürich waren damals keine Rebberge zu pachten. Dafür gab es im Tessin zahlreiche verwilderte Parzellen, die nur darauf warteten, wiederbelebt zu werden.

Roccolo und Panettone

1994 zog sie mit ihrem Mann Ueli Kopp, ebenfalls Agronom, ins Tessin. Die beiden adoptierten verwilderte Rebberge. Sie brachten Ordnung ins Chaos, pflegten vernachlässigte Stöcke, pflanzten neue an und verkauften die Trauben an die Cantina Sociale. 1995 kelterten die beiden den ersten Ronco Balino in ihrem Keller in Melide. Der Grundstein war gelegt. Das Engagement sprach sich herum. Die Gemeinde Barbengo fragte, ob sich das Paar vorstellen könne, verödetes Weideland oberhalb des Ortes mit Reben zu bepflanzen. Auch die Möglichkeit, Kelter, Keller und Wohnhaus zu bauen, sei gegeben. Der Traum, Wohnen und Arbeiten an einen Ort zu legen, schien Realität zu werden.

Im Februar 2002 riss eine Lawine Ueli Kopp in den Tod, erschütterte das Leben von Anna Barbara und den vier Kindern in den Grundfesten, legte Träume und Pläne auf Eis. «Die Welle der Solidarität war riesig. Aufgefangen wurden wir von der Familie, viel Hilfe kam von den Nachbarn, der Gemeinde und befreundeten Winzern. Ich bin geblieben. Schon allein der Kinder wegen, die hier verwurzelt waren.» Zu dieser Zeit schlummerte der 2000er Balino noch im Keller und versprach gross zu werden.

Quereinsteiger Paolo Visini, der nach einer Winzerlehre am Zürichsee in Pedrinate seinen ersten Merlot kelterte und dabei noch zu 50 Prozent am Zürichsee arbeitete, gab das Pendeln zwischen Nord und Süd auf und zog ganz ins Tessin. Er half Anna Barbara und beriet sie mit seinem sagenhaften Gespür für die Unterschiede zwischen den Terroirs und das sich daraus ergebende Potenzial für Merlot und die anderen roten Sorten, welche die Cuvées verfeinern. Bereits vor dem Unglück hatte man in der Selbstkelterervereinigung gemeinsam verkostet, verglichen und philosophiert. Die Wellenlänge stimmte, sowohl bei den Weinen als auch privat. 2006 legten sie ihre Betriebe zusammen.

Heute ist das Weideland oberhalb von Barbengo einem mustergültigen Rebberg gewichen. Verpackt in Hagelnetzen stehen hier Viognier, Chardonnay, Merlot und Cabernet Sauvignon. Der Pfad durch den Wald ist gesäumt von Stechapfel und jungen Hanfpalmen. Oben auf dem kahlen Hügel steht ein alter Roccolo, der Vogelfangturm ist ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Der Blick schweift über den Luganer See. Zwischen den Reben erhebt sich ein Hügelchen. «Panettone» nennen Anna Barbara und Paolo ihn liebevoll. Noch ist er nicht mit Reben bepflanzt.

 

«Das Tessin ist besonders. Kleine Parzellen stehen auf verschiedensten Terroirs. Das schafft eine immense Vielfalt.»

Paolo Visini

 

 

Barbengo ist das Herz und der geografische Mittelpunkt der Cantina Kopp von der Crone Visini geworden. Weitere Rebparzellen stehen nördlich in Sementina, hoch über der Magadino-Ebene. Dazu kommen Rebberge im Mendrisiotto. Für Paolo sind diese unterschiedlichen Terroirs prägend für die Güte der Weine. Jede Parzelle und jede darauf stehende Sorte wird einzeln geerntet und vinifiziert. Zudem verteilen die verschiedenen Standorte auch das Risiko. Hagelzüge sind lokal, und trifft es einen, ist, anders als bei arrondierten Flächen, nicht die ganze Ernte verloren.

Im Keller wird nur minimal eingegriffen: schonende Verarbeitung der Trauben, klassische Maischegärung mit Unterstossen und Überschwallen des Tresterhutes, Saftabzug bei den Mosten der Toplagen, um das Exzellente des Lesegutes weiter zu konzentrieren. Alle Rotweine gehen ins Holz. Die Spitzengewächse wie Balin und Irto reifen in neuen und einmal gebrauchten Barriques, die fruchtbetonteren Qualitäten zum Teil auch in 500-und 600-Liter-Fässern. Das Assemblieren findet im Sommer statt. Alle Mitarbeiter verkosten dann mit. Deren Meinungen sind Anna Barbara und Paolo wichtig. Der Jahrgang passiert nochmals Revue. Das Wachsen und Gedeihen in den einzelnen Parzellen ist nun am Gaumen spürbar. Mehr Respekt und Wertschätzung geht nicht.

Nachmittags ist die Sommerhitze im Rebberg von Barbengo gross. Die Mitarbeiter, die seit den frühen Morgenstunden im Rebberg ausgelaubt haben, machen Feierabend. Ein Fiat Panda hält am Wegesrand. Heraus steigen Mann, Frau und Hund. Der Mann hebt ein Transistorradio ans Ohr. Ein italienischer Schlager schmachtet durch die flirrende Luft. Das Summen der Bienen, die Gesellschaft von Frau und Hund genügen ihm wohl nicht an diesem friedvollen Ort.

Weine des Winzers

 

Cantina Kopp von der Crone Visini, Vigoria 2012

Merlot | 2015 bis 2019

Gärung mit kurzer Maischestandzeit in Edelstahltanks, Ausbau in Eichenfässern von 500 bis 600 Litern sowie mehrjährigen Barriques ergeben einen fruchtbetonten, saftigen, unkomplizierten Merlot.

Mariage

Affettato: Aufschnittplatte mit Coppa, Pancetta und Salami, Risotto mit Luganighe, Focaccia mit frischen Tomaten, Rosmarin und Kräutersalz

 

Cantina Kopp von der Crone Visini, Irto 2009

50% Merlot, Arinarnoa, Cabernet Sauvignon und Franc, Petit Verdot | 2015 bis 2022

Gärung und lange Maischestandzeit in Inox-Tanks, Ausbau während 24 Monatenin Barriques, neu und in zweiter Belegung. Kraftvolle, dichtgewobene Cuvée mit Potenzial zum Lagern.

Mariage

Zu kräftigen Fleischgerichten wie Wildschweinbraten, Kaninchen oder einer würzigen Ratatouille mit Auberginen und vielen mediterranen Kräutern

 

Cantina Kopp von der Crone Visini, Balin 2010

95% Merlot, 5% Arinarnoa | 2015 bis 2024

Lange Gärung und Maischestandzeit in Stahltanks. Der Ausbau erfolgt während 18 Monaten hälftig in neuen und einjährigen Barriques. Das Flaggschiff der Cantina mit viel Komplexität.

Mariage

Rindsschmorbraten mit kräftiger Sauce, Tafelspitz, Risotto mit frischen Steinpilzen, reifer Extrahartkäse wie Sbrinz und Parmigiano Reggiano