Interview mit Rudi Bindella

Italianità geht immer

Text: Thomas Vaterlaus, Foto: Tobias Stahel

Der Slogan ist simpel, aber funktioniert: «la vita è bella». Damit ist die Familie Bindella seit vier Generationen erfolgreich. Pizza und Chianti haben das Unternehmen gross gemacht. Vor allem aber sind sie die Paten der grossen Supertuscans wie Tignanello, Sassicaia oder Ornellaia in der Schweiz. Warum ist Italianità auf dem Teller und im Glas ein scheinbar immerwährendes Erfolgs-modell? «Weil sie sich ständig wieder neu erfindet», meint Rudi Bindella.

Wie viele Pizzas verkaufen Sie eigentlich pro Jahr so ungefähr in Ihren 45 Restaurants?

Das dürften schätzungsweise so zwischen 1,5 und 1,8 Millionen sein.

Das sind ganz schön viele. Haben Sie da nicht persönlich längst genug von der Pizza?

Das ist eben das Phänomen. Pizza verleidet einem nie.

Es wurde immer wieder mal das Ende der Pizza-Mania vorausgesagt. Sehen Sie Anzeichen dafür?

Nein, gar nicht. Der Zenit scheint mir noch nicht erreicht. In ganz Europa sind gute Pizzaioli gefragter denn je. Auch die Zahl der Neueröffnungen von Pizzerien ist konstant hoch.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Es gibt eben sonst kaum ein Gericht, das so wandelbar und neu interpretierbar ist wie die Pizza. Selbst den Sprung ins vegane Zeitalter hat sie mit Bravour gemeistert. Auch wir bieten heute zwei komplett verschiedene Pizza-Varianten an, nämlich in den «Santa Lucia»-Restaurants den knusprigen Klassiker und in den «Più»-Lokalen die luftig-weiche Pizza ­Napoletana.

In den USA servieren heute Toplokale auch teure High-End-Pizzas. Ist auch hierzulande die Zeit reif dafür?

Wir haben das in unserem Ristorante ­«Zafferano» versucht, die Resonanz war sehr positiv. Auch im «Più» probieren wir immer wieder neue Varianten aus. Allerdings legen wir den Fokus nicht auf High-End-Pizzas, sondern arbeiten generell an der Qualität der Produkte und optimieren die Herstellung.

Was ist denn Ihre persönliche Lieblingspizza, und welchen Wein trinken Sie am liebsten dazu?

Ich liebe die Pizza Grand Gusto in der «Santa Lucia». Sie ist relativ deftig, mit Spiegelei, Schinken, Champignons und Gorgonzola. Dazu trinke ich am liebsten einen schweren Rotwein aus der Toskana wie beispielsweise den Botrosecco aus dem Hause Antinori.

«Eine kräftige Pizza und ein schwerer Rotwein aus der Toskana. Das ist für mich die beste aller Mariagen.»

Ein Kultwein wie der Masseto wäre zu dieser Grand Gusto wohl auch ein ganz passabler Begleiter, oder?

Auch das passt, ohne Frage – wenn man sich den Masseto zur Pizza denn leisten will.

Wer an Bindella denkt, denkt ziemlich schnell auch an Antinori…

Ja, mit gutem Grund. Die engen Bande zwischen den beiden Familien sind tatsächlich ein wichtiges Rückgrat unseres Unternehmens. Meine Generation, also meine Brüder und ich, sind ja fast schon mit den drei Töchtern von Piero Antinori aufgewachsen. Und wir sehen uns nach wie vor regelmässig. Auch auf Messen, wo wir manchmal gemeinsam Wein ausschenken.

«Eine kräftige Pizza und ein schwerer Rotwein aus der Toskana. Das ist für mich die beste aller Mariagen.»

Wie viel Zeit pro Jahr verbringen Sie in Italien?

Ich schätze mal so an die zwei Monate. Da sind ja nicht nur die Besuche bei unseren Winzern. In der familieneigenen Tenuta Vallocaia in Montepulciano verfügen wir nur hundert Meter neben der Kellerei über eine Wohnung in einem restaurierten Bauernhaus. Der ideale Ort, um auszuspannen und sich gleichzeitig um unsere Tenuta zu kümmern, in die wir in den letzten Jahren viel Geld investiert haben, unter anderem in ein Besucherzentrum mit Bistro, das sehr gut läuft.

Kann es nicht auch Probleme geben, wenn ein Weinhändler plötzlich auch Produzent wird und so von den anderen Kellereien womöglich als Mitbewerber gesehen wird?

Nun, wenn mein Vater im Chianti-Gebiet investiert hätte oder später in Bolgheri, hätte dies vielleicht Irritationen dieser Art ausgelöst. Aber als er vor über 40 Jahren in Montepulciano ein Stück Land kaufte, war dies «out of the map». Viele verwechselten damals den Namen dieses Städtchens mit der gleichnamigen Traubensorte in den Abruzzen. Und noch heute ist diese Region in vielerlei Hinsicht eine «sleeping beauty». Unsere Partner, also die anderen Weinkellereien, betrachteten uns deshalb nicht als Konkurrenz, sondern sahen unser Engagement eher als Bekenntnis zum Weinland Italien.

Die Toskana gibt in Ihrem Sortiment den Ton an, besonders auch im gehobenen Preisbereich, oder?

Ja, Brands wie Tignanello, Solaia, Guada al Tasso, Sassicaia, Ornellaia, Masseto und andere sind eigentlich Bluechips mit einer permanent sehr hohen Zugkraft. Das sind treibende Kräfte in unserem Unternehmen.

Warum haben Barolo und Barbaresco,die traditionellen Paradeweine aus dem Piemont, diese Zugkraft verloren?

Schwer zu sagen, es gab da bestimmt eine Überhitzung in verschiedener Beziehung. Vielleicht hat man sich zu stark auf den amerikanischen Markt verlassen. Andererseits ist für mich schwer verständlich, warum beispielsweise die Nachfrage nach so grandiosen Weinen wie jenen von Bruno Giacosa hierzulande nicht stärker ist.

Sehen Sie die Gefahr einer Überhitzung des Marktes auch in anderen italienischen Weinregionen?

In Bolgheri wäre es sicher nicht schlecht, wenn die Protagonisten etwas Tempo rausnehmen würden. Und wir sehen auch beim Amarone eine leichte Abnahme der Nachfrage.

Die Journalisten prognostizieren schon seit langem das Ende des Booms der hochkonzentrierten Monsterweine.

Die Zeichen des Marktes sind diesbezüglich nicht eindeutig. Der Barbera Bricco dell’Uccellone aus dem Hause Braida – Giacomo Bologna etwa, der immerhin bei rund 16 Volumenprozent Alkohol liegt, läuft hervorragend.

Zu den Vorreitern der nachhaltigen Leichtweine gehört heute etwa das Haus Alois Lageder in Südtirol. Nur wenige Weingüter haben eine solch grundsätzliche, auch weinstilistische Umpositionierung vorgenommen. Gibt das keine Schwierigkeiten im Verkauf?

Was das Haus Lageder macht, ich denke da vor allem an den biodynamischen Anbau, ist aus unserer Sicht richtig, ja notwendig, selbst wenn die heutigen Weine nicht mehr in jeder Beziehung den Vorstellungen der traditionellen Kundschaft entsprechen. Es ist unser Job, diese Weine so zu positionieren und zu kommunizieren, dass sie letztlich im Schweizer Markt erfolgreich sind.

Gastronomie und Weinhandel sind die Säulen Ihres Unternehmens. Beide Branchen sind heute keine Selbstläufer mehr, oder?

Nein, ganz und gar nicht. Wenn mein Vater vor 30 Jahren ein neues Lokal eröffnete, war es voll, wenn er zum ersten Mal die Tür öffnete. Inzwischen ist es ein hartes Stück Arbeit, neue Lokale zu etablieren. Dazu kommt der hohe Margendruck in der Gastronomie. Darum haben wir beschlossen, dieses Jahr mal kein neues Lokal zu eröffnen, wir setzen hier auf Konsolidierung. Beim Wein ist die Situation bezüglich Margen besser, aber der Markt ist extrem gesättigt, auch wenn die italienischen Weine diesbezüglich immer noch eine privilegierte Stellung haben. Unser grosser Vorteil liegt heute mehr denn je in den vielfältigen Synergien zwischen den beiden Sparten. Unsere Lokale sind die Schaufenster für unsere Weine.

Schon Ihr Vater hat vor der Geschäftsübergabe an Sie den Fokus des Weinsortiments noch konsequenter auf Italien ausgerichtet, und Sie setzen diesen Weg fort. Ist das nicht gefährlich? Was, wenn die Schweizerinnen und Schweizer irgendwann mal genug haben von der Italianità?

Dann hätten wir tatsächlich ein sehr grosses Problem. Aber ich kann mir nun wirklich nicht vorstellen, dass so ein Effekt eintritt. Sowohl kulinarisch als auch auf den Wein bezogen ist Italien ein fast unerschöpflicher Kosmos. Da gibt es noch genug zu entdecken für die nächsten Jahrzehnte.

Was sehen Sie denn auf den Wein bezogen für einen italienischen Trend, der in der Schweiz noch nicht ganz angekommen ist?

Für Schweizer Geniesser ist Italien immer noch ein Rotweinland. Doch auch die Weisswein­szene ist immer spannender geworden. Ich beobachte das mit grossem Interesse, und zwar nicht nur, was die von uns vertretenen Winzer diesbezüglich leisten, sondern auch, was Kellereien wie Terlan in Südtirol oder Jermann so auf den Markt bringen.

Wer mit Ihnen spricht, bekommt schnell mal den Eindruck, dass Sie wahrscheinlich auch privat ausschliesslich italienischen Wein geniessen.

Nicht ganz. Klar, Italien dominiert bei mir. Aber die eher schweren Rotweine, die ich liebe, gibt es ja nun auch anderswo. Ich schätze beispielsweise die Cabernets und Cabernet-Blends aus dem Napa Valley.

Die müssen Sie dann aber bei der Konkurrenz kaufen, oder?

Nicht ganz, wir haben beispielsweise den DVO, das Joint Venture von Ornellaia und Dalla Valle, im Sortiment. Wenn sich unsere italienischen Kellereien im Ausland engagieren, ziehen wir durchaus mit. Wir praktizieren so gesehen eine offene Italianità. So verkaufen wir beispielsweise auch die Weine, die Masi im argentinischen Tupungato produziert.

Der klassische italienische Geniesser trinkt noch immer täglich Wein, die Schweizer mehrheitlich nicht mehr. Sind Sie diesbezüglich nun eher Italiener oder Schweizer?

Ich versuche an zwei oder drei Tagen pro Woche keinen Wein zu trinken, das wäre dann also so gesehen eher schweizerisch. Dafür trinke ich durchaus ab und zu gerne auch mal zum Mittagessen ein Glas Wein. Das ist dann schon sehr italienisch, oder?

Vielen Dank für das Gespräch.

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