Klartext von Thomas Vaterlaus

Das Gleiche wie immer, bitte!

Text: Thomas Vaterlaus

Die weinaktive Zeit eines gesunden Menschen dauert so ungefähr 23 000 Tage. Das eröffnet mannigfaltige Möglichkeiten. So wäre es aufgrund des unglaublich breiten Angebotes ohne weiteres möglich, jeden Tag einen anderen Wein zu geniessen. Von A wie Aligoté bis Z wie Zinfandel… Aber wollen wir das wirklich?

Da sitzt man also irgendwo auf dieser Welt, beispielsweise in einem Pub nahe Exeter im Südwesten von England, hat gerade etwas Deftiges wie einen Shepherd’s Pie bestellt und freut sich auf ein schönes Glas Wein dazu. Nur auf der Karte steht nichts, was man kennt. Was tun? Die Cuvée aus dem Languedoc könnte eine gute Wahl sein, entpuppt sich aber als überreife, alkoholisch-brandige Pfütze. Vielleicht stand er ja ein paar Jahre neben der Ölheizung… Weil dieser Wein, der einem den Abend echt versauen würde, eh nicht viel kostet, nimmt man einen zweiten Anlauf, fragt aber den Patron vorsichtshalber um Rat. Dieser empfiehlt einen Carménère aus Chile, doch auch dieses eukalyptusduftende Gewächs schmeckt nicht besser als der Südfranzose… Was soll man machen, einen dritten Wein bestellen? Nein, das wäre dekadent. Also trinkt man halt diesen verunglückten Chilenen doch, im Wissen, dass es grössere Probleme auf dieser Erde gibt. Und hadert doch mit seinem Schicksal. Hätte der gute Mann doch wenigstens einen Mouton Cadet oder einen Bourgogne Village von Drouhin auf der Karte gehabt. Einen sicheren Wert eben. Es wäre ein gelungener Abend geworden…

Je älter ich werde, umso mehr liebe ich beim Weingenuss die sicheren Werte. Denn sie schützen vor Verdruss und Enttäuschung. Ich schätze es, wenn ich genau weiss, was mich erwartet, positiv ausgedrückt, worauf ich mich freuen kann. Es gab in der Altstadt von Zürich mal ein Lokal, das ein sagenhaftes Kaeng Phanaeng mit Rindsfilet servierte. Eines Abends bestellten wir dazu den Sauvignon Blanc von Weingut Umathum im Burgenland. Und der harmonierte mit seinem zarten Fruchtschmelz so vorzüglich zu diesem Curry, dass wir fortan nie mehr einen anderen Wein bestellten. Wir freuten uns schon Tage zuvor auf diese Mariage. Genau so wie auf den einfachen, knackigen Chablis in einer Zürcher Brasserie zu Meeresfrüchten. Oder auf einen guten, weil fast holzfreien Pinot Noir aus der Ostschweiz zu einem Klassiker wie Zürcher Geschnetzeltes in einem Zunfthaus. Auch zuhause wiederhole ich sehr gerne einmal als bewährt empfundene Mariagen. Es sind nicht immer klassische Kombinationen. So mundet ein etwas pikanter, vor allem aber gut gekühlter Vernatsch vorzüglich zu ganzen, gebratenen Eglis.



«The same procedure as every year»

Natürlich weiss ich, dass die unendliche Vielfalt, also die schätzungsweise 40 000 verschiedenen Weine, die in entwickelten Märkten wie der Schweiz erhältlich sind, das Fundament unserer Weinkultur ist. Es ist ein Privileg, immer wieder neue Regionen und neue Weine kennenlernen zu dürfen. Wer unterwegs ist und sich nicht auf die regionalen Weine einlässt, sondern immer nur seinen Bordeaux schlürft, ist ein Banause. Auch zuhause ist es immer wieder verblüffend, was für ein Feuerwerk an Interaktionen gezündet werden kann, einfach nur indem man ein paar Weine entkorkt und auf den Tisch stellt, wenn Gäste da sind. Aber mehrheitlich halte ich mich eben ans Bewährte. Darum bin ich auch vorsichtig bei Diners mit Weinbegleitung. Natürlich habe ich dabei schon geniale Pairings kennen gelernt. Und doch tue ich mich schwer mit diesem Format. Es macht mir Mühe, die Hoheit über die Weinauswahl an jemanden zu delegieren, den ich gar nicht oder kaum kenne. Es macht mich nervös. Und das Ritual, also zu jedem Gang ein Gläschen eines anderen Weins eingeschenkt zu bekommen, empfinde ich oft als ein wenig zu belehrend. Abgesehen davon, dass ich meist auch mit den geringen Mengen zu kämpfen habe. Es ist mir viel lieber, eine ganze Flasche an meinem Tisch zu wissen, und zwar in der «ärmlichen» Reichweite. Dies gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.

Eine meiner Lieblingssendungen ist der TV-Sketch «Dinner for One». Nicht weil Butler James regelmässig über das Tigerfell, beziehungsweise über den am Fell hängenden Kopf des Tigers stolpert, sondern weil sich Miss Sophie auf ein Geburtstagsdiner freut, dass jedes Jahr immer exakt dasselbe ist – «the same procedure as every year» eben, auch beim Wein. Das heisst: Dry Sherry zur Curry-Suppe, Weisswein zum Schellfisch aus der Nordsee, Champagner zum Hühnchen und Portwein zum Obst. Miss Sophie weiss genau, was sie erwartet, und genau das macht sie so glücklich. Stellen Sie sich vor, James würde plötzlich mal mit einem Naturwein aus Neuseeland antanzen. Sophie würde beide, den neuen Wein und den alten James zum Teufel schicken. Und das völlig zu Recht!

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