Interview mit Simon Towns

Es ist kompliziert

Text: Harald Scholl, Foto: Aimee Glucina

Wein ist ein internationales Produkt, das wird einem schnell wieder bewusst, wenn man sich zum Interview mit Simon Towns verabredet. Er lebt auf der anderen Seite der Welt, in Neuseeland, und bereitet sich langsam auf ein abendliches Pool-Barbecue vor. Während Europa in grauem Spätwinter versinkt, geniesst er den Sommer im südlichen Pazifik. Die Einladung zum Barbecue bei ihm musste aus terminlichen Gründen ausgeschlagen werden. Leider.

Simon Towns, wenn man jemanden zum Status quo der Weinbranche befragen sollte, dann sicher Sie. Schliesslich ist Con-stellation Brands das grösste Weinunternehmen der Welt. In Europa wird aktuell zu viel Wein angebaut, in Deutschland sind aktuell acht Millionen Liter Rotwein zum Destillieren freigegeben worden, in Frankreich wird über die Rodung von 100 000 Hektar Rebfläche diskutiert, die USA sind immer noch Weinmarkt Nummer eins weltweit und China ist von der Rebfläche her die Nummer zwei weltweit – wie geht es denn aus Ihrer Sicht der Branche?

Ich glaube, die Situation in Europa ist nicht ganz so dramatisch, einfach weil der Konsum auf einem ganz anderen – höheren – Level gestartet ist. Wenn wir uns die langfristigen demographischen Trends anschauen, dann geht der Konsum tatsächlich leicht zurück. Das ist kein europäisches Phänomen, das sehen wir weltweit. Wir haben uns schon vor fünf Jahren darüber Gedanken gemacht und unsere Strategie geändert. In der Produktionsmenge sind wir tatsächlich geschrumpft, vor allem im Preisbereich unter 10 US-Dollar. Die Menschen trinken weniger, also quantitativ, dafür aber zu einem höheren Preis, sprich: bessere Qualitäten. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Er wird weiter anhalten. Darauf muss sich die Weinindustrie einstellen: weniger, aber dafür anspruchsvollere Weine zu produzieren.

Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die grössten Herausforderungen für die Weinbranche? Wo sehen Sie Hebel, um anzusetzen?

Es gibt zwei Ansätze. Zum einen werden wir uns noch stärker auf hochklassige Weinregionen und erstklassige Weinberge konzentrieren, einfach weil es dafür beim Konsumenten eine Nachfrage gibt. Und wir werden neue Märkte erschliessen. Latein- und Zentralamerika, die asiatischen Märkte… Wir schauen sehr genau auf die Entwicklung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo sich das Verhältnis zum Thema Alkohol verändert. Es gibt positive Zeichen, wenn man sich die globalen Märkte anschaut – davon sind wir überzeugt.

Welcher Teil des Portfolios bereitet Ihnen im Moment die grösste Freude?

Unser wichtigster Unternehmenszweig ist immer noch kalifornischer Wein, vor allem die Napa-Weine, mit denen wir einen erheblichen Teil unseres Umsatzes erwirtschaften. Besonders die Robert Mondavi Winery läuft hervorragend, auch Schrader Cellars oder die Double Diamond Weine. Wir haben ein hochpreisiges Napa-Sortiment, mit durchschnittlichen Preisen von 70 US-Dollar pro Flasche, und das verkauft sich wirklich gut. Aus Oregon kommen grossartige Weine, die Lingua Franca Winery entwickelt sich prächtig. Paso Robles entwickelt sich auch gut. Unser Sortiment mit Weinen über 50 US-Dollar läuft also. Auch Neuseeland macht uns viel Freude. Hier führen wir auch einen überdurchschnittlichen Preis pro Flasche und wachsen weiter. Da haben wir Rückenwind, das Land profitiert davon, im weltweiten Massstab relativ klein zu sein. Und dann ist da noch Sparkling Wine, Prosecco funktioniert wunderbar. Ein Land, das erstaunlich gut läuft, ist die Türkei. Wir haben da ein paar erfolgreiche Jahre hinter uns, vor allem mit Prosecco. In Europa haben Schaumweine eine lange Tradition, auch als Alltagsweine. Das war im Rest der Welt nicht so und hat sich in den letzten fünf bis sieben Jahren komplett geändert. Wir haben zwar kein Champagnerhaus im Portfolio, aber unsere Proseccos von Ruffino verkaufen sich wirklich gut.

In Europa ist Weisswein in letzter Zeit deutlich im Aufwind, rote Weine tun sich deutlich schwerer. Wenn man sich das Portfolio von Constellation Brands ansieht, ist da immer noch ein Schwerpunkt bei den roten Weinen. Wie kann man sich auf diese Veränderungen einstellen?

Da stimme ich zu, auch bei meinen Reisen in Asien bemerke ich, dass sich die Trinkgewohnheiten geändert haben. Vor fünf Jahren hat man in Südkorea oder Japan kaum ein Glas Weisswein gesehen. Da war praktisch alles rot. Das hat sich definitiv geändert. Für uns stecken viele Möglichkeiten drin. Doch im Moment sind wir da nicht derart aufgestellt, dass wir sofort reagieren könnten. Zudem lieben unsere Kunden kalifornische Rotweine noch zu sehr, diese sind weltweit sehr konkurrenzfähig. Vielleicht sollten wir im Weissweinbereich die eine oder andere Akquisition tätigen oder bestehende Marken in Richtung Weisswein entwickeln. Auf jeden Fall stecken sehr viele Chancen in diesem veränderten Konsumentenverhalten.

Bei Rotwein schaut der Konsument immer häufiger wegen des Alkoholgrads auf das Etikett. Je höher der Alkoholgrad, desto eher lässt er die Finger davon. Wie kann man auf solche Veränderungen reagieren?

Marken spielen eine bestimmte Rolle. Auf unser Portfolio übertragen: Ich kann mir nicht vorstellen einen Robert Mondavi Cabernet Sauvignon mit 12,5 Volumenprozent Alkohol auf den Markt zu bringen. Wenn ich mir aber Lingua Franca aus Oregon anschaue, dann erfüllt dieser Brand genau diese Rolle: eher alpin, eher kühl, in Form von Pinot Noir oder Chardonnay. Unser Portfolio hat einige Vorteile, um schnell und umfassend reagieren zu können. Aber wir behalten die bekannten Weine und Weingüter weiter im Programm, auch wenn sie vielleicht nicht mehr ganz so wichtig sind wie früher.

«Ich denke, die Prowein ist nach wie vor ein tolles Event, bisweilen sogar überwältigend und hat eine faszinierende Geschichte. Es ist und bleibt eine grossartige Gelegenheit Wein in allen seinen Facetten zu entdecken und kennen zu lernen.»

Das Thema Alkohol, das ist aus Wein kaum wegzudiskutieren, den Erfolgen von alkoholfreien oder reduzierten Weinen zum Trotz. Wie geht Constellation Brands mit diesem Thema um? Bereitet Ihnen «Straight edge» Sorgen?

Es ist definitiv ein Thema, auch für uns. Wir sprechen bei uns intern von «mittelstarken» Weinen. Wir haben mit dem Kim-Crawford-Sauvignon-Blanc «Illuminate» einen alkoholreduzierten Wein mit rund sieben Prozent, der sich gut verkauft. Wir haben aber noch Arbeit vor uns. Es gibt noch zu viele Produkte, die weder aromatisch noch technisch wirklich das bieten, was der Weintrinker sich wünscht oder sucht. Wenn ich mir die Entwicklung beim Bier ansehe – auch so etwas haben wir bei Constellation Brands im Programm – hat es auch einige Zeit gebraucht, bis es gut war, schmeckte und sich verkaufte. Ich persönlich finde diese Entwicklung grossartig. Wenn ich vom Sport komme und ein alkoholfreies Bier trinken kann, das auch wie ein Bier schmeckt, und trotzdem keinen Alkohol konsumieren muss, ist das super. Doch beim Wein haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Einfach nur einen alkoholfreien oder alkoholreduzierten Wein zu machen, das ist keine Lösung. Es muss schmecken und dir das Gefühl geben, richtigen Wein zu trinken. Der Weingenuss ist ein einmaliges Erlebnis, das kann man nicht runterbrechen auf «…aber es ist alkoholfrei!». Die gesamte Geschmackspalette von Wein mit allen Rebsorten, Anbaugebieten und Geschmacksvarianten muss erhalten bleiben, gerade auch in der Verbindung mit dem Essen, um diesen Produkten zum Durchbruch zu verhelfen. Und unser Job ist es, dieses Genusserlebnis auch mit mittelstarken oder alkoholfreien Weinen hinzubekommen. Im Moment ist es ja so: Wenn es um weniger Alkohol geht, verlassen die Konsumenten die Weinwelt und sehen sich nach Alternativen um. Da müssen wir kreativ sein und gegensteuern.

Die ProWein liegt gerade hinter uns, auch Constellation Brands war wieder sehr präsent auf der Messe vertreten. Was ist für Sie wichtig an einer solchen Beteiligung, wie relevant ist «Messe» für Sie?

Es ist einfach: Wir können das Erlebnis unserer vielen Marken, die Weingüter, die Weinmacher und die Weinberge nicht allen und jedem zugänglich machen. Kalifornien, Neuseeland, Argentinien, Italien, Mexiko – es sind zu viele Orte überall auf der Welt, um alle Händler, Journalisten oder sonstige Weininteressierte dorthin zu fahren. Auf der Messe haben wir die Chance, all diese Menschen mit unseren Weinen in Kontakt zu bringen, sie die Weine verstehen zu lassen, mit den Machern zu sprechen. Die ProWein ist nach wie vor ein tolles Event – bisweilen sogar überwältigend – und hat eine faszinierende Geschichte. Es ist und bleibt eine grossartige Gelegenheit, Wein in allen seinen Facetten zu entdecken und kennen zu lernen.

Bei all der Bewegung im Weinmarkt – und bei den Spirituosen insgesamt – womit entspannt sich der Privatmensch Simon Towns am Ende des Tages?

Lassen Sie uns ganz konkret über heute sprechen. Es ist Samstag, und mein Sohn ist vor wenigen Tagen neun Jahre alt geworden. Drei befreundete Familien besuchen uns heute, die Kinder werden hier übernachten. Wir Erwachsenen werden die eine oder andere Flasche köpfen. Mit etwas Sprudelndem, wahrscheinlich Champagner, eröffnen wir das Ganze, dann kommt ein kühler neuseeländischer Sauvignon Blanc ins Glas, weil es einfach zu schön und ziemlich warm ist. Und da es zum Barbecue ein schönes Filet geben wird, sollte sich mindestens eine Flasche Robert Mondavi Estate Cabernet finden lassen.

Das klingt wirklich grossartig… 

Sie sind herzlich willkommen!

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