So wohnt Wein heute

Text: Harald Scholl und Thomas Vaterlaus. Fotos: z.V.g.

Hier futuristische Gebilde, die schon aus der Ferne genauso um Aufmerksamkeit buhlen wie einst Sakralbauten oder die grellen Neonreklamen entlang der amerikanischen Highways. Dort eine schlichte, nachhaltig durchdachte Wein- Architektur, die Winzern und Besuchern fast schon behutsam emotionale Mehrwerte beschert. Auch in Deutschland und der Schweiz wurden in den letzten Jahren wegweisende Kellerneubauten realisiert. Hier eine Auswahl.

Wer im Auto die deutsche Weinstraße entlangfährt, kommt in Höhe Deidesheim an einem Bauwerk vorbei, das augenblicklich ins Auge fällt. Das Weinwerk der Familie Reinhardt ist deutlich zu erkennen, ein lichter Bau aus grossen asymmetrischen Holzträgern und weiten Fensterflächen. Die familieninternen Planungen für den Bau wurden 2017 begonnen, 2018 wurden die Pläne eingereicht, Baubeginn war im Jahr danach, 2021 wurde das Gebäude fertig gestellt. Den aufkommenden Rohstoffproblemen war es geschuldet, dass die Terrasse erst im April 2022 fertig wurde. Heute wäre dieser Bau aus finanzieller und bautechnischer Sicht so nicht mehr umzusetzen, sind sich Lukas Reinhardt und seine Schwester Anna einig. Der Neubau ist ein echtes Familienprodukt, die Eltern haben das Projekt von Anfang an in vollem Umfang mitgetragen. Es war nicht zuletzt deshalb notwendig geworden, weil Sohn Lukas mit seinen Weinen überaus erfolgreich ist. Der Titel als «Aufsteiger des Jahres in der Pfalz» im «VINUM Weinguide 2024» ist das deutlichste Zeichen dafür. Um sich weiterzuentwickeln brauchte er mehr Platz, strukturelles Wachstum nennt das der Betriebswirt. Dieser Schritt war zwingend, die Rüstzeiten vor und nach der Ernte etwa waren nicht mehr wirtschaftlich. Den nötigen Platz hat der aufstrebende Winzer nun in Form des Weinwerks gefunden. Und es wurden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Der Erfolg als Winzer braucht auch einen entsprechenden Verkauf, dafür hat Schwester Anna jetzt die nötige repräsentative Fläche. «Eine Präsentationsfläche mitten an der Weinstraße», wie sie es selber nennt.

Der Architekt Norbert Grabensteiner hat im Zusammenspiel mit der Familie das Gebäude geplant, die Firma Spitzbart und Partner hat es umgesetzt. Eine Teamleistung. Denn es braucht mindestens zwei Personen, um einen solchen Neubau zu stemmen, sagt Lukas. «Ohne Anna wäre das nicht gelaufen.» Denn trotz stattlichen Neubaus sind die Reinhardts ein kleines Familienweingut, der Vater hat erst Ende der 1980er Jahre mit der Flaschenvermarktung angefangen. Das Weinwerk läuft familienintern in erster Linie als Weingenussort, das Jahr wird von Anna in verschiedene Saisons gegliedert und mit speziellen Angeboten bespielt. «Unsere Gäste sind weinsensibel», sagt sie, «aber das Weinwerk schafft ein besonderes Weinerlebnis, das hilft beim Verkauf.»

Start in schwarzer Hülle

Ein weiteres Beispiel für einen jungen Winzer, der mit einem Neubau auch optisch ein Zeichen setzt, ist Jonas Kurek. Er ist eine der Neuentdeckungen in der dynamischen Winzerszene am bayerischen Bodensee rund um Nonnenhorn. Die Planungen für seinen Neubau begannen 2019, direkt nach seinem Studium in Geisenheim. Ihm ging es nicht zuletzt darum, eine gute Flasche Wein ohne Sternerestaurant drumherum trinken zu können. Das kannte er aus dem Rheingau oder der Pfalz, aber nicht vom Bodensee. Und einen attraktiven Platz, um seine Weine verkaufen zu können, wollte er zudem. Gemeinsam mit dem Architekten Thomas Stoppel hat er sich auf den Weg gemacht, ist für drei Tage in die Südsteiermark gefahren und hat sich umgesehen. Das Ergebnis: Sein Weingut sollte ein Ort der Begegnung werden, ein Ort zum Wohlfühlen. Also genau das, was er bei Christoph Neumeister in Straden gesehen und erlebt hatte. Besonders angetan hatte es Kurek die warme Wohlfühlatmosphäre im Weingut, vor allem der grosszügig dimensionierte Eichentisch im Verkaufsbereich. So einen zentralen Tisch, einen Ort, um mit Kunden und Gästen zu plaudern und zu probieren, hat er jetzt auch bei sich stehen.

Überhaupt sollte der Holzausbau als zentrales Element zu erkennen sein, schliesslich wird im Betrieb viel im Holzfass ausgebaut. Der schwarze, runde Turm soll mit seiner Stabästhetik eine Korbpresse symbolisieren, um die Holzlatten schwarz zu färben, wurde eine japanische Technik mit gezieltem Verkohlen des Holzes eingesetzt – eine Entsprechung zum Toasting von Barriquefässern. Von der Einreichung der Entwürfe 2020, der Erteilung der Baugenehmigung im November 2021 bis zum Baubeginn im Frühjahr 2022 verging einige Zeit, die aber beim Bau aufgeholt wurde. Die Fertigstellung im Dezember 2022 wurde gekrönt vom Weihnachtsgeschäft schon in den neuen Räumen. Dabei wurde komplett mit lokalen Firmen gearbeitet. «Mit jedem Handwerker wurde geredet, kleine Probleme konnten umgehend gelöst werden», sagt Jonas Kurek. Er ist überzeugt, dass durch den Kontakt die Motivation auch ganz anders war, jeder Handwerker im Ort wollte bei diesem besonderen Bau dabei sein. Entstanden ist ein bemerkenswerter Bau, mit Aussenbereichen auf verschiedenen Ebenen. Auf dem Dach hat man einen 360-Grad-Blick über die Reben von Nonnenhorn bis zum Bodensee. Und die Weinbar darunter bringt mehr als nur die eigenen Weine ins Glas, Ausgesuchtes aus dem Rest von Deutschland oder dem Burgund ist auch dabei.

Geschichtsträchtiger Neuanfang

Kleine Brötchen sind seine Sache wirklich nicht. Der Winzer Markus Molitor hat seit Mitte der 1980er Jahre einen Dauersprint hingelegt, der bei vielen Kollegen nur noch Kopfschütteln auslöst. Er hat seine Rebflächen kontinuierlich ausgebaut, zum Teil überragende Qualitäten in die Flasche gebracht. Der Weinhändler Heiner Lobenberg hat es in der ihm eigenen Flapsigkeit so formuliert: «Dem Typen hat man den Docht der Lebenskerze an beiden Seiten angezündet.» Aktuelles Beispiel für dieses «Brennen» ist die Domäne Serrig an der Saar, die Molitor mit enormem Aufwand restauriert und sanft modernisiert hat. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. liess 1904 die ehemalige Staatsdomäne Serrig als Zeichen für Glanz und Gloria des Kaiserreichs errichten. 25 Hektar Land liegen rund um die Domäne, die nach dem Vorbild eines Bordelaiser Châteaus erbaut wurde. Allerdings ist Serrig ein spektakulärer Steilhang, der sich bis auf 340 Meter Höhe erstreckt. Das ganze Anwesen verlor in den Jahrzehnten an Bedeutung, die Gebäude wurden vernachlässigt, die Weinberge verwilderten. In den 1980er Jahren wurden Gebäude und Weinberge privatisiert, 2016 wurde das Anwesen von Markus Molitor übernommen. Seitdem wurde an der Renovierung der Gebäude und der Rekultivierung der Weinberge gearbeitet, wohlgemerkt, alles zusätzlich zum 80 Hektar Hauptweingut. Die ersten Weine aus dem Jahrgang 2020 sind vor kurzem in den Handel gekommen, die Rezeption der Weinkritiker ist überwältigend. Es scheint, als hätte Molitor einfach für alles ein Händchen. Denn auch die Gebäude sind wieder in einem aussergewöhnlichen Zustand, im Frühjahr 2024 soll offiziell eröffnet werden. Und der Winzer mit den zwei Flammen an der Lebenskerze ist schon wieder einen Schritt weiter: Er plant einen kompletten Neubau auf der Moselhöhe, mit 12 000 Quadratmetern für Produktion und Lagerung sowie Veranstaltungsflächen, alles perfekt in die Landschaft eingebunden. Besonders spektakulär dürfte die Vinothek mit breiter Fensterfront direkt an der Hangkante werden. Die örtlichen Verantwortlichen haben grünes Licht für die Planungsphase gegeben.

«Form follows function»...

…lautet einer der zentralen Leitsätze aus dem Produktdesign und der Architektur. Er soll verdeutlichen, dass die äussere Form von Gegenständen sich aus ihrer Funktion oder ihrem Zweck ableitet. Das ist beim Neubau der Cantina Bolzano in geradezu vorbildlicher Art gelungen. Der Neubau wurde mehr als notwendig, nachdem die 1908 in Bozen-Gries gegründete Genossenschaftskellerei mit der Kellerei St. Magdalena (Gründung 1930) im Jahr 2001 fusionierte. Logistisch kam man schnell an den Anschlag, das Gebäude war für die neuen Mengen an Wein nicht ausgelegt, die umgebende Infrastruktur völlig überlastet. Schliesslich waren die Gebäude mehr als hundert Jahre alt und lagen einst am Rand der Stadt – heute sind sie mittendrin. Die einzig praktikable Lösung war ein Neubau an einem neuen Standort. Klingt einfacher, als es war, denn Bozen ist eine boomende Stadt mit Bodenpreisen, die man eher in München, London oder Paris vermuten würde. Platz fand man am südlichen Stadtrand, im Stadtteil Moritzing in relativer Nähe zu einem Krankenhaus. Die Finanzierung des Ganzen wurde möglich durch den lukrativen Landverkauf der alten Betriebsgebäude in der Stadt und einen EU-Beitrag von unter zehn Prozent der Gesamtsumme von 37 Millionen Euro. Die Erdarbeiten begannen 2015, mit dem eigentlichen Bau wurde 2016 begonnen. Nach etwas mehr als einem (!!) Jahr Bauzeit war der Neubau bezugsfertig, der Jahrgang 2018 wurde bereits am neuen Standort gekeltert. Das Gebäude ist ein Niedrigenergiehaus, die im Berghang liegende Kellerei arbeitet nach dem Prinzip der Schwerkraft. Die Trauben werden an höchster Stelle angenommen und bis zur Abfüllung im Keller nur mittels Schwerkraft transportiert. Was beim Blick auf das Ensemble kaum auffällt, aber von zentraler Bedeutung ist: Die Anlieferung erfolgt über die Rampe an der rechten Seite, dann wird gewogen, abgeladen und links wieder herausgefahren. Es gibt auch in der Hochzeit der Ernte keinen «Stau» für die anliefernden 224 Genossenschaftsmitglieder. Ein unschlagbarer Vorteil, denn in der Hitze stehende Traktoren nebst Hänger lassen die Trauben in der Herbstsonne schnell gären, ein Prozess, den der Kellermeister sehr viel lieber in geordneten Bahnen innerhalb seiner Tanks wissen möchte. Der Neubau macht es möglich

Schweiz

Wenig Pomp, viel Klasse!

Glockentürme im spanischen Missionsstil und Neo-Kykladendörfer im Napa Valley, die Kellerpaläste der Rioja-Produzenten im alten Bahnhofsviertel in Haro, Glaspyramiden und Maya-Tempel-Interpretationen im argentinischen Mendoza: Wenn Schweizer Weinfreaks von ihren Auslandstrips nach Hause kommen, empfinden sie nach dem Wein-Architektur-Spektakel in der Ferne den schweizerischen Weinproduktionsstätten-Alltag oft als reichlich bieder. Tatsächlich hat die Schweizer Weinszene vergleichsweise wenig vordergründiges Architekturspektakel zu bieten. Für Spektakel sorgen hier die Rebberge, etwa die monumentalen Terrassen-Rebgärten mit ihren hunderten Kilometern an Trockensteinmauern im Wallis oder das UNESCO-Welterbe Lavaux am Genfersee. Das Fehlen von überdimensionierten Kellerprunkbauten hat mit der kleinräumigen Struktur des Schweizer Weinbaus zu tun, aber auch mit der Geschichte. In der Rioja floss viel Geld in den Weinbau, nachdem die aus Amerika eingeschleppte Reblaus nach Mitte des 19. Jahrhunderts die Rebberge von Bordeaux zerstört hatte und die Rioja als Weinlieferant in die Bresche sprang. Der plötzliche Reichtum wurde auch in Prestige- Architektur investiert. Auch im Napa Valley und später in Mendoza erzählen die Kellerneubauten vom Aufschwung des Weinbaus, der in Napa nach den 1970er und in Mendoza nach den 1980er Jahren einsetzte.

Kein Spektakel bitte!

In der Schweiz verlief die Entwicklung der Weinbranche hingegen kontinuierlich, ohne grössere Zäsuren. Und doch gab es auch hier Projekte für zeitgenössisch moderne Prestigebauten, die wie Wein-Wahrzeichen in der Landschaft thronen sollten. Der Luzerner Winzer Toni Ottiger wollte ab 2008 in Kastanienbaum, am unteren Ende eines Rebbergs am See ein neues Kellergebäude errichten. Das kühn geschwungene Gebäude bekam rasch den Übernamen «Bumerang». Es handelt sich um einen monolithartigen Baukörper, der ähnlich einem Findling selbstbewusst in der Landschaft thronen, dabei aber auch jene Ruhe symbolisieren soll, die der Wein benötigt, um in den Fässern im Keller zu reifen. Wäre sein Projekt im ursprünglichen Sinne realisiert worden, wäre es womöglich der mutigste und innovativste Kellerneubau in der Schweiz geworden. Doch Einsprachen blockierten das Vorhaben selbst nach einer Redimensionierung jahrelang, bis Ottiger schliesslich entnervt aufgab und ein paar Jahre danach sein Weingut verkaufte. Für noch mehr Furore sorgte das Neubauprojekt des bekannten Winzers Georg Fromm und seines Sohnes Marco in Malans, das sie mit dem international überaus renommierten Bündner Architekten Peter Zumthor entwickelt haben. Vorgesehen war ein schlichter und doch kühner, länglich freistehender Kubus, der sich im Areal der Fromms quasi aus dem Hang heraus schwingen sollte. Doch auch dieses Projekt wurde jahrelang durch Einsprachen blockiert. Schliesslich entschied das Bundesgericht im Jahr 2021 mit einem richtungsweisenden Leiturteil, dass der geplante Torkel in der betreffenden Grünzone nicht gebaut werden kann. Die Fromms nahmen den Entscheid sportlich: «Es bringt nichts, darüber zu hadern. Besser ist es, selbstkritisch die Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen und darauf aufbauend mittelfristig einen neuen Anlauf zu wagen», sagt Marco.

Weniger ist mehr

Doch trotz strenger Bauvorschriften und dem beträchtlichen Platzbedarf für ein Weingut, das alle Aspekte, vom Anbau über den Ausbau bis zur Bewirtung von Gästen umfasst (der Verein Graubünden Wein hat für einen Betrieb von acht Hektar einen Platzbedarf von rund 1110 Quadratmetern errechnet), werden in der Schweiz immer wieder Kellerneubauten realisiert, auch auf der grünen Wiese. Nur wenige Kilometer von Malans entfernt, konnten in Fläsch sowohl Martha und Daniel Gantenbein als auch die Familie Davaz im Rebgebiet neue Kellereigebäude realisieren, die heute von Reisenden durchaus als Zeichen des Aufbruchs in der Bündner Herrschaft gesehen werden, auch wenn sie nicht das Volumen und die plakative Formensprache aufweisen wie entsprechende Prestigebauten in der Rioja, im Napa Valley oder auch im benachbarten Österreich. Die neue Weingutsarchitektur der Schweiz zeichnet sich durch eine zurückhaltende, moderne Schlichtheit aus. Die bestmögliche Funktionalität der Gebäude scheint dabei zum Glück wichtiger zu sein, als mit theatralischer Architektur-Exzentrik um Aufmerksamkeit zu buhlen. Mustergültig zeigt sich diese moderne Schlichtheit beim Neubau des Weingutes Nadine Saxer, den sie 2016 zusammen mit ihrem Mann, dem Winzer Stefan Gysel realisieren konnte. Der 700 Quadratmeter grosse Neubau befindet sich fast ausschliesslich unter der Erde, im Hügel hinter den bestehenden Gebäuden. Eine warme Farbgebung prägt sowohl den Degustations- als auch den Lounge- Bereich mit seiner nordisch schlicht anmutenden Ausstattung, als auch den Fasskeller. Und obwohl sich die Räume «unter Tag» befinden, korrespondieren sie doch durch grosszügige, lukenartig verglaste Öffnungen mit der von Reben dominierten Umgebung. Vor kurzem hat Stefan Gysel am zweiten Produktionsstandort, dem Weingut Aagne im schaffhausischen Hallau, ein zweites Bauprojekt gestartet. Am Fusse des Hallauerberges konnte dafür inmitten der Rebberge ein historisches Haus aus dem 16. Jahrhundert erworben werden, das gegenwärtig renoviert und mit einem Neubau erweitert wird. Das Ziel: Das Bestehende und das Neue sollen in einen animierenden architektonischen Dialog treten. Man darf gespannt sein! Zu den überzeugendsten Kellerneubauten der letzten 20 Jahre gehört zweifellos die neue Trotte des Weinguts zum Sternen in Würenlingen. Was Patron Andreas Meier da 2012 im Dorfzentrum realisieren konnte, erscheint von der Form und der Materialwahl, etwa der Brettschalung aus schwarz geölter Tanne, als grosse klassische, dörfliche Scheune. Und doch verkörpert dieser «Urbau» gleichzeitig auch eine schlichte Kühnheit, die ihn modern und zukunftsgerichtet erscheinen lässt. Besonders die markante Giebelfassade und die weit ausladenden Vordächer verleihen dem Keller eine beschwingte Leichtigkeit.

Neue Wege gehen

Bleibt die Frage, ob das Weingut der Zukunft tatsächlich alle Aspekte, von den Gerätehallen für die Rebarbeit über die Vinifikation und den Fasskeller bis zur Betreuung von Besuchern (Vinothek, Restaurant), an einem Standort vereinen soll oder ob auch dezentrale Lösungen interessant sein könnten. Der Genfer Spitzenwinzer Jean-Pierre Pellegrin hat sich für letzteren Weg entschieden. Der Winzer keltert seine Weine in der Domaine Grand Cour im Weiler Peissy. Der Ursprung des Hofes geht wohl auf das 9. Jahrhundert zurück. Weil der Platz in der historischen Liegenschaft knapp ist, ist Pellegrin nun in einer zweite Location im Stadtzentrum in der Nähe des Bahnhofs von Genf präsent. Der Name «La Corne à Vin» stammt wahrscheinlich von einem gleichnamigen Gasthaus, in dem einst jene nächtlichen Nachzügler abstiegen, die es nach der Verriegelung der Tore nicht mehr in die Stadt hinein schafften. Ab 2016 wurde das Gebäude mit den drei Gewölbekellern renoviert. In einem der drei Gewölbe reifen nun Weine der Domaine Grand Cour in Fässern, in den beiden anderen finden in einem historischen, aber urban interpretierten Ambiente sowohl Weinproben, Konzerte, After-Work-Partys und andere Kulturveranstaltungen statt. Verantwortlich für das Programm ist Chloé Pellegrin, die Tochter von Jean-Pierre. Das Projekt steht gewissermassen für die Umkehr der klassischen Winzer-Konsument-Beziehung, bei der die Weinfreaks hinaus zu den Weingütern fahren. Die Pellegrins haben nun einen «Aussenposten » dort, wo der grösste Teil ihrer Weine konsumiert wird: in der Stadt Genf.

Wer die Schweizer Wein-Architektur-Geschichte der letzten 20 Jahre analysiert, kommt zu einem positiven Fazit: Die langwierigen Bewilligungsprozesse für sensible Bauwerke haben auch ihr Gutes. So sind gerade in Österreich, aber auch in Spanien während der Weinbau-Euphorie der letzten Jahrzehnte eine Reihe von Kellereibauten entstanden, die zwar mit ihren Effekten kurzfristig begeisterten, letztlich aber doch nicht die Qualität und die Ästhetik haben, um langfristig bestehen zu können. Die Kellerneubauten, die in der Schweiz realisiert werden, sind zwar weniger plakativ, dafür grundsolide und im besten Sinne zeitlos – und inspirieren so die Besucher auch noch viele Jahre nach ihrer Fertigstellung.

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