Weingut Gastronomie

Essen wie Gott im Weingut

Text: Eva Dülligen, Foto: Arvid Müller, MELHUBACH PHOTOGRAPHIE, z.V.g., Enrico Markx

«Treffen sich eine Winzerin und ein Koch»: Das könnte der Anfang eines Witzes sein. Aber die genussreichen Recherchen auf Weingütern mit eigener Gaststube haben gezeigt, wie viel ernstzunehmende Power dahintersteht. Und wie sehr die Weine davon profitieren.

«Die Gaststube wurde damals eröffnet, um unseren Wein zu verkaufen», sagt Markus Spindler. «Ich erinnere mich gut, wie das Essen über den Hof in den Schankraum getragen wurde», fügt der Pfälzer Bio-Winzer schmunzelnd hinzu. Aus der volkstümlichen Gaststätte, in der man vor 90 Jahren Handkäs und Dosenwurst zum Forster Riesling verspeiste, ist mittlerweile ein Feinschmeckerlokal geworden. Wo Grossvater Joseph noch mit einem «Weinkarussell» für acht Gläser im Keller abtauchte, um Fassproben auf die Tische zu bringen, wird heute ein «Weinbrettchen» bestellt: drei Rieslinge à 0,05 Liter vom Ortswein bis zur Grossen Lage. Markus Spindlers Bruder Florian kocht entsprechend der Wein-Stilistik des 20-Hektar-Familien-Weinguts. Seine frankophile Handschrift hat sich der 41-Jährige unter anderem im dreifach Michelin besternten «Barreis» – einer Schmiede klassischer Haute Cuisine – abgeholt.

Wir starten mit einer Lachs-Zander-Terrine, der ein Chicorée-Orangen-Ragout zur Seite gelegt wurde. Die schonend gegarte Fisch-Pastete bringt am Gaumen, vermischt mit dem Ragout, jodig-exotische Aspekte hervor. Abgeholt wird das Aromen-Spielchen von der leicht meersalzigen Maracuja-Frucht im Gutsriesling. Butterzart folgt die gebratene Kalbsleber, die verschlankt wird von der feinen Säure im Riesling der Grossen Lage Ungeheuer. Symbolisch steht diese Harmonie von Wein und Speise für die Teamarbeit der Spindler-Brüder. Markus hat früh entschieden, den önologischen Werdegang in Geisenheim abzuschliessen. Florian, der das elterliche Weingut in Forst ebenso gut hätte übernehmen können, erfüllte seine Leidenschaft für pfälzischen Hochgenuss mit einer Ausbildung zum Küchenmeister. «Wenn Weinfreaks da sind, rufe ich meinen Bruder an, und er kommt rüber, um mit ihnen über den aktuellen Jahrgang zu diskutieren», sagt er.

Wir haben tatsächlich einen Tisch ergattert in der kulinarischen Dependance des Weinguts Knipser. Die Bouillabaisse in «Knipsers Halbstück» soll sich auf Weltklasse-Niveau bewegen. Aber langsam. Wie hat sich der Aufstieg des Schoppenwein-Lokals zur Gourmet-Adresse gestaltet? «Das Anwesen stand 2014 zur Versteigerung, und da habe ich es aus einer Laune heraus gekauft», verrät Winzerlegende Werner Knipser. «Als Sternekoch Christian Rubert dann im ‹Karlbacher› aufhörte, hatten wir endlich den passenden Maître.»

Elsässisch-pfälzische Brasserieküche serviert der 57-jährige Franzose in dem barocken Anwesen, das nach dem klassischen 600-Liter-Holzfass benannt ist. À la minute am Tisch tranchierter Elsässer Junghahn und die bereits erwähnte Façon Bouillabaisse erzeugen einen Hauch von Ehrfurcht. «Ein Privileg ist der unkomplizierte Zugang zu Schatzkammer und Jahrgangstiefe der Knipser-Gewächse», sagt Rubert. «Knipser repräsentiert uns angemessen und umgekehrt.» Die Ambition, gut gereifte Pfälzer Weine mit verspielten High-End-Gerichten zu harmonisieren, geht bei der Vermählung vom medium rare gegarten Entrecôte mit dem Syrah Reserve 2018 auf. Kein Wein, der satt macht und dankbar ist für die Flaschengärung. Parallel zu seinen Wildblutnuancen übergibt der Syrah ein Pfefferl an das marmorierte Entrecôte.

Sternekoch meets Winzerin

Der Trend «anzustückeln», also sich architektonisch zu vergrössern, ging bisher vorbei an der «Winzerstube Mußbach». Hinter Fachwerkfassade, in betont traditioneller Einrichtung hat man abgespeckt. «Weg mit den ausufernden Speisekarten, den Schnitzeln, die in 20 verschiedenen Saucen ersaufen», erklärt Bastian Klohr, Geschäftsführer der Weinbiet Manufaktur in Neustadt. Die mehrfach ausgezeichnete Genossenschaftskellerei in Spuckweite zur verpachteten Gaststube ist exklusiv auf deren Weinkarte gelistet. Zu Mundwässerndem wie Lasagne von Blut- und Leberwurst vermengt sich elegant der pfirsich-duftige Chardonnay Grosses Gewächs 2021. «Unsere Gäste nehmen das übersichtliche Weinangebot dankbar an», freut sich Küchenchef Stefan Schaich. «Wenn es zu sehr in Jahrgangstiefe und -breite geht, bestellen sie am Ende ein Bier.» Geschäftsleute von BASF, Handwerker im Blaumann und Touristen frönen den Riesenportionen. Hier gäbe es das beste Rumpsteak der Region, lässt der Herr am Nebentisch verlauten. Doch wir müssen weiter an die Mosel.

Gäste lieben die Küche von Walter Curman. Weil sie profundes Handwerk und Respekt vor dem Produkt in Hochgenuss verwandelt. «Ich würd’ das net mehr machen woll’n ohne Wein», begrüsst uns der gebürtige Steirer, der in das Wein-Domizil an der Obermosel eingeheiratet hat. Gelernt hat der ehemalige Sternekoch bei seinem Landsmann Johann Lafer, geheiratet hat er die deutsche Weinkönigin a.D. Carina Dostert, Kellermeisterin im elterlichen Weingut. Und Curmans Partnerin im «Culinarium». «Früher wurden hier Brote geschmiert», erzählt Carina, «es herrschte Eiche rustikal, so hässlich, dass die Gäste vom Essen abgehalten wurden.»

«Für Spitzenweingüter ist die angehängte Gastronomie oft ein subventionierter Kulturbetrieb.» 

Sternekoch Wolfgang Becker

Heute dagegen, in der reduzierten Optik mit klug gesetzten Farb- und Kunstakzenten, könnte man sich die Speisekarte rauf und runter futtern. Zum Elbling Brut, der 24 Monate auf der Feinhefe lag, kommen Tomaten-Tatar und Gänseleber. Mit moderater Säure schneidet der Schaumwein das Fett aus der Foie gras. «Bei Rotem Elbling denken viele an einen profillosen Massenträger. In Nittel hat er allein wegen der Sektindustrie seine Berechtigung.» Und läuft auch als Stillwein zu Hochtouren auf. Wie zum Tascherl vom Flusskrebs und zur lauwarm geräucherten Entenbrust, die der 2021er mit seiner klaren Struktur präzisiert. Beim Krustentier das Nussige und bei der Entenbrust das Wildaroma. Dass sich das Gros der Gäste aus dem nahen Luxemburg speist, freut die Curmans. Echte Feinschmecker seien sie, eben frankophil: «Die bestellen immer das ganze Menü, zur Vorspeise unbedingt einen Schaumwein. Auch wenn sie als Paar kommen: Unter zwei Flaschen Wein gehen Luxemburger nicht nach Hause.» Curman serviert zum süssen Abschluss Bratapfel-Sorbet mit Baiser von der Mandel und Macaron von der Erdnuss. Er liebe es, mit dem Traktor über die Weinberge zu fahren oder Reben zu schneiden, verrät der Meisterkoch: «Ich bin komplett ins Weingut reingewachsen.»

Beim Weinberg raus dagegen ist Wolfgang Becker. Der Sternekoch unserer letzten Test-Adresse überlässt es Ehefrau, Sommelière und Winzerin Christine, seine 3,5 Hektar in Trier zu managen. Statt das elterliche Weingut in fünfter Generation zu leiten, sieht Becker seinen Platz vor dem Gasherd. Auf dem bereitet er wilden Atlantik-Steinbutt zu, bretonische Jakobsmuschel und Barbarie-Ente – für sein Gourmet-Restaurant in der Beletage. Im Parterre seines Hotels wird man dagegen mit verschlankter Haute Cuisine verhätschelt. «Gut bürgerlich aufgemotzt», wie Becker das Speisenangebot im «Weinhaus» nennt: «Durch die Zweigleisigkeit werden die Wareneinsätze verbessert, und ich kann die Gerichte im ‹Weinhaus› zu einem fairen Kurs anbieten.»

Becker, der sowohl eine Koch- als auch eine Winzerausbildung absolvierte, sieht sich mit seinem Konzept als progressiven Lückenfüller in einer Moselaner Gastro-Landschaft, wo – abgesehen von Trier – immer noch der starke Mittelbau fehle. «Entweder Hummer mit Trüffelbutter oder Schnitzel mit Pommes», lacht der 55-Jährige.


Sechs Genuss-Adressen auf deutschen Weingütern

Exzellente Gaststuben auf Weingütern verteilen sich über alle deutschen Weinbaugebiete. Einen Querschnitt aus bürgerlicher Finesse bis Michelin-Stern-prämiert haben wir getestet. Alle waren übrigens mit mustergültigen Weinkarten ausgestattet.

Schloss Wackerbarth

Allein der Kontrast zwischen Barockschloss und hochmodernem Erlebnisweingut prickelt. Chefkoch Karsten Häusler lässt es weiter prickeln, wenn er zum Sekt-Menü in die Radebeuler Weinberge lädt. Den Lachs umspült Schloss Wackerbarths 2020 Riesling Brut. Kalbsrücken mit Kräuterseitlingen wird vom Bussard Royal Reserve geadelt.

www.schloss-wackerbarth.de

Weingut Brogsitter
Sanct Peter

Im «Guide Michelin» lobt man die «besonders interessante Weinkarte». Na, dann schauen wir mal, was im his-torischen Gasthaus zum hausgebeizten Label-Rouge-Lachs und zum Limousin-Lamm von Brogsitters Spitzenlagen empfohlen wird. Schmelz und Aromenfülle des Rieslings Hommage umschmeicheln den Lachs, die à point gegarte Lammschulter profitiert von der Kräuterwürze des Spätburgunders Alte Lay.

www.sanct-peter.de

Weingut Michael Borchert
Springiersbacher Hof

Das denkmalgeschützte Gebäude in der Moselgemeinde Ediger-Eller birgt saugut gemachte Winzerkost. Saftige Sülze mit Omas Bratkartoffeln wird zu einem Steillagen-Riesling von Borcherts 2,4 Hektar serviert. Als Slow-Food-Anhänger favorisiert die Winzerfamilie Zander, Schweinebäckchen und Ziegenkäse aus regionalen Betrieben der Eifel und Winzersteak vom Eifel-Schwein.

www.ediger-mosel.de

Weingut Franz Keller
Schwarzer Adler

Eine Weinkarte mit 2700 Positionen ist kein Kindergeburtstag. Es sei denn, Ihnen springt Sommelière Melanie Wagner zur Seite. Sie empfiehlt Ihnen zu klassisch-französischem Hedonismus auf Tellern gern das passende Gewächs: einen Deidesheimer Riesling 2020 zu gegrilltem Kaisergranat etwa oder einen Vougeot 1er Cru 2014 aus dem Burgund zum Kalbsfilet mit Pommes Dauphine.

www.franz-keller.de

Weingut Friedrich Bastian
Zum Grünen Baum

Simpel, aber nicht profan: Ob hausgemachte Riesling-Kartoffelsuppe und Soonwald-Wildsülze oder Flammkuchen mit Lachs, alle Gerichte werden von gut gereiften Rieslingen begleitet – und entweder in den Gemäuern des historischen Erbhofs oder im romantischen Innenhof serviert. Zur strahlend schieferwürzigen Riesling Spätlese des Bacharacher-Weinguts gibt es dann nach Eventkalender Hofkonzerte oder eine Prise Rock oder Rhythm’n Blues.

www.weingut-bastian-bacharach.de

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