Prix Ami du Vin
Er küsste Traubensorten und Hefen wach
Text: Charlotte Pauk, Foto: z.V.g.

Er hat die Entdeckung der Hefe 1895 ermöglicht und die Rebsorte Räuschling am Zürichsee gefördert. Dafür – und für seine übrigen Verdienste um qualitativ hochwertigen Weinbau – erhält der Zürcher Hermann «Stikel» Schwarzenbach den Prix Ami du Vin der Schweizerischen Vereinigung der Weinfreunde.
Nicht er, sondern der Weinmikrobiologe Jürg Gafner, habe 2008 die Hefe 1895C entdeckt, meint Hermann Schwarzenbach bescheiden. Seit dem Kindergarten wird Schwarzenbach aufgrund seiner damaligen äusseren Erscheinung auch «Stikel» genannt. Die Begeisterung, mit der er die Eigenschaften und Vorteile der 1895C-Hefe schildert, zeigt, dass ohne sein Zutun die Hefe kaum ihren Siegeszug durch die Weinkeller angetreten hätte. Stikels Vater wollte alten Räuschling degustieren. Weil der Wein in jener Zeit, aus der die Degustationsflaschen stammten, nicht geschönt oder gefiltert wurde, dekantierte Stikel die Weine. Jürg Gafner bat ihn, ihm die Dekantierreste zu überlassen. Im Labor gab Gafner, der ein exzellenter Wissenschaftler im Bereich der Hefen war, die Reste auf Nährboden. 1895 fand er zwei Saccharomyces cerevisiae, Hefen zur Traubenvergärung. Gafner vermehrte die Hefen namens 1895A und 1895C und bat Stikel im Herbst, damit einen Gärversuch zu machen. «Ich machte den ‹Versuch› mit 25 000 Litern. Der Wein war an der Degustation geniessbar, also wusste ich, dass die Hefe funktioniert », lacht er. Heute ist 1895C im Handel erhältlich. Die zweite Hefe, 1895A, habe nur er in seinen Vorräten.
Kleiner, aber kraftvoller
Das Auffallende an der Hefe sei, referiert Stikel mit glänzenden Augen, dass sie etwa halb so gross sei wie normale Hefe. «Das bedeutet mehr Aufwand, um ein Kilogramm Hefe herzustellen», meint er. Gleichzeitig brauche man für die Gärung aber bloss halb so viel, wie von anderen Hefen.
1895C wird auch als «Reparierhefe» bezeichnet, da sie bei Gärstockungen die Fermentation wieder in Schwung bringt – und zwar deshalb, weil sie nicht bloss Glukose in Alkohol umwandelt, sondern auch Fruktose, deren Überhang bei anderen Hefen für Gärstopps verantwortlich sein kann. Weil 1895C ihre Ernährung von der Glukose auf die Fruktose umstellen kann, findet sich in diesen Weinen keine Restsüsse mehr.
Die Biochemie hat es Stikel bereits in frühen Jahren angetan. Nach seiner Winzerlehre im Welschland arbeitete er in Australien. «Zuerst musste ich im Rebberg arbeiten, ein langweiliger Job. Aber anschliessend war ich im Labor und lernte in kürzester Zeit Englisch. Nach drei Monaten hielt ich einen Vortrag bei den Rotariern. Sie verstanden mich, nahmen mich als Guestmember auf, und so war ich mit allen entscheidenden Menschen der Region verknüpft. »
Vielleicht liegt die Liebe zum Labor in Stikels Genen: Sein Urgrossvater, der das heutige Weingut, die 1739 erbaute Reblaube, 1912 kaufte, hatte zuvor an der Königlich Preussischen Forschungs- und Lehranstalt in Geisenheim als Assistent von Hermann Müller-Thurgau gearbeitet, begleitete diesen an die Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein-und Gartenbau in Wädenswil und amtete schliesslich als Direktor der Alkoholfreien Weine AG Meilen.
Gradlinige und schlanke Weine
Doch zurück zur Hefe 1895C: Dass sie mehr als hundert Jahre überdauerte, verdankt sie ihrer Fähigkeit, Apfelsäure in Alkohol umzuwandeln. Sie ernährte sich all die Jahre von kleinsten Mengen Apfelsäure. «Ausserdem hat die Hefe absolut kein Eigenaroma», schwärmt Stikel. «Ich mag mir nicht im Rebberg Mühe geben, und schliesslich wird die Aromatik der Traube von der Hefe überdeckt. Die 1895C macht wunderbar gradlinige, schlanke Weine », stellt Stikel begeistert fest. So ist es kein Wunder, dass die Hefe für die Bereitung vieler Weine verwendet wurde, die Auszeichnungen erhielten.
Stikel auf die Entdeckung der 1895-Hefe zu reduzieren, würde seinem Berufsleben nicht gerecht werden. Seit er 1986 das Weingut von seinem Vater übernommen hatte, setzte er sich für die Traubensorte Räuschling ein. Damals fristete die früher weit verbreitete Sorte am Zürichsee ein Mauerblümchendasein. «Sie ist sicher nicht die einfachste Sorte. Sie verrieselt gerne, wenn es während der Blüte zu kalt ist. Wächst die Rebe auf zu fetten Böden, besteht die Gefahr, dass die Beeren beim Weichwerden platzen. Bei guten klimatischen Bedingungen produziert sie riesige Trauben, deren Beeren im Zentrum nicht reif werden. Damit bleibt der Zuckergehalt zu niedrig, und es gibt keinen rechten Wein», zählt Stikel die Mängel seiner Lieblingssorte auf. «Bei geringerem Ertrag ergibt sie aber einen Wein mit filigraner Aromatik und einem faszinierenden Zitrusfrucht-Veilchen-Aroma», relativiert er sofort und streicht die Ähnlichkeit der Sorte zum Riesling heraus. «Beide haben dieselben Eltern, nämlich Heida und Gwäss, beide sind vielschichtig und altern hervorragend.»
Austausch zwischen Winzern
Seine Begeisterung für den Räuschling hat Stikel auf andere Winzer am Zürichsee übertragen. Inzwischen findet sich die Traubensorte bei fast allen Zürichsee-Winzern. Zusammen mit Rico Lüthi und Monica Hasler Bürgi hat Stikel 2008 den ersten Jahrgang R3 kreiert, einen Räuschling von drei Winzern und drei Böden. «Wir wollten etwas anderes machen, und in Anlehnung an den Quattromani aus dem Tessin entstand die Idee. Wir haben eine positive Selektion gemacht, indem wir die kleinen Trauben aus dem Rebberg holten und jede Lage individuell pressten. Danach wurde der Most assembliert und zusammen vergoren. » Die gemeinsame Arbeit respektive der rege Austausch mit anderen Winzern bietet sich bei Schwarzenbach Weinbau an. Mit dem Ausbau von 2006 sind die Gebäude gross genug, dass mehrere Winzer, die keinen Keller haben, dort ihren Wein herstellen können. Diese Keller-WG hat auch Stikels Sohn Alain übernommen. 2016 hat Stikel nämlich die Leitung des Weinguts abgegeben. «Man muss den Jungen eine Chance geben, deshalb finde ich es gut, früh übergeben zu können», begründet er den Schritt, den er als 60-Jähriger machte. Anfänglich arbeitete er noch als Teilzeitangestellter mit, inzwischen ist er Pensionär. «Ich kümmere mich um den Garten und die Werkstatt und habe immer etwas zu tun», schildert er seinen Alltag und zeigt stolz sein neuestes Werk, eingelegte Bärlauchblütenknospen, sogenannte «Falsche Kapern».