Neue Winzer Vully

Die Wein-Rebellen vom Mont Vully

Text und Fotos: Kaspar Keller

Ein Berg, aufgeteilt zwischen zwei Kantonen, gelegen im Land der drei Seen. Die Rebberge am Mont Vully machen mit ihren 160 Hektar zwar gerade einmal etwas mehr als ein Prozent der Schweizer Rebfläche aus, das Renommee dieser kleinen helvetischen Weinregion strahlt jedoch weit über die Winzerdörfer am Murtensee hinaus. Dafür verantwortlich sind innovative Winzer, die an einem Strang ziehen, um ihre Region gemeinsam weiterzubringen.

Es ist Mittag in Môtier. Christian Vessaz serviert Vully- Kuchen und Chasselas. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden und einem Lohnunternehmen vom Genfersee hat er an diesem Aprilmorgen eine seiner höheren Parzellen mit Chasselas bestockt. Wie in der restlichen Westschweiz ist die Rebsorte auch am Mont Vully ein sicherer Wert. Im Unterschied zu den kalkhaltigen Böden am Bieler- und Neuenburgersee zeichnet sich der Grossteil des Terroirs am Fusse des Vully durch mehrere Sandstein- Schichten aus, die rund 400 Meter tief sein können, je nach Standort überwiegt Mergel, bei dem der Kalkanteil etwas höher ist. «Précis sur les arômes» sind die Weine dadurch, sagt Christian Vessaz.

«Über zwei Drittel der 160 Hektaren Rebfläche liegen auf freiburgischem, der Rest auf waadtländischem Boden.»

Präzise ist auch das Profil der Weinbau-Region Vully. Und das liegt nicht nur am Logo, das auf Vessaz’ T-Shirt, als Schild im Rebberg oder auf Internetseiten prangt und von den Vignerons ebenso genutzt wird wie auch von der Tourismusorganisation. Nur 24 Betriebe arbeiten im AOC-Gebiet. Über zwei Drittel der 160 Hektar Rebfläche befinden sich auf freiburgischem Grund, der Rest liegt auf waadtländischem Boden. Über ein Drittel der Betriebe arbeitet nach den Grundsätzen der biologischen oder gar biodynamischen Landwirtschaft. Demeter-zertifiziert ist auch das Weingut Cru de l’Hôpital. Wie viele andere in der Schweiz blickt Vessaz auf ein anspruchsvolles Jahr 2024 zurück: Frost, Hagel und Falscher Mehltau haben die Ernte halbiert. Der Klimawandel bringt mehr Feuchtigkeit, dadurch steigt der Schädlingsdruck. Betroffen sind besonders die niedrigeren Parzellen, deshalb liess Vessaz am selben Tag unten am See eine Parzelle mit Souvigner Gris bestocken. Eine Reihe von Bäumen, welche die Hauptstrasse hier von den Villen am See trennt, wirkt wie eine Wand, wo die feuchte Luft nicht abfliessen kann. «Ich habe die Nachbarn gefragt, aber sie wollten die Bäume nicht fällen», sagt der Winzer.

Am Piwi-Graben

Die Region um den Mont Vully ist geprägt durch die unsichtbaren Grenzen von Sprache und Kultur. Es ist ein Ort, an dem die Geschichte über die Jahrtausende ihre Spuren hinterlassen hat. Oben auf dem Berg thront das Oppidum der alten Helvetier, die das Gebiet vor der Zeitenwende von Norden her besiedelt hatten. Etwas weiter unten finden sich die Bunkeranlagen, die im Zuge des Ersten Weltkriegs errichtet und im Zweiten Weltkrieg ausgebaut wurden. Gegenüber dem See liegt das mittelalterliche Murten, wo der Burgunderherzog Karl der Kühne im Krieg gegen die alten Eidgenossen den Mut verlor. Drei Jahrhunderte lang teilten sich die Kantone Freiburg und Bern die Herrschaft über das mehrheitlich deutschsprachige Murten und den französischsprachigen Vully, wobei die Berner im Zuge der Reformation den Protestantismus verbreiteten. Nach dem Einmarsch der Franzosen unter Napoleon wurde die Waadt eigenständig, das Gebiet um Murten ging an Freiburg. Im Kanton gehörten die Winzerdörfer des Vully fortan zur reformierten und im See-Bezirk des Kantons zur französischsprachigen Minderheit. In der Kantonshauptstadt war Vully- Wein lange Zeit alles andere als ein Selbstläufer. Für die Freiburger Stadtbevölkerung war Vully ein Name wie das Wallis oder die Waadt. Anders zeigt sich die Situation in Murten, wo sich – zu Recht – nur wenige Restaurants trauen, keinen Offenwein vom Seeufer vis-à-vis zu servieren. «Die Freiburger produzieren ihren Staatswein hauptsächlich am Genfersee», sagt Christian Vessaz. Nur 2,2 von insgesamt 17,6 Hektar staatlicher Rebfläche befinden sich auf Kantonsgebiet. Bewirtschaftet wird es von Vessaz und seinem Team.

Während neuere, gegen Pilzkrankheiten resistentere Rebsorten wie Souvigner Gris in der Deutschschweiz akzeptiert sind, stossen sie in der Romandie – sowohl im Rebberg als auch im Weinglas – doch eher auf Skepsis. Über 90 Prozent der mit Souvignier Gris bestockten Flächen befinden sich in Kantonen der Deutschschweiz. Zu den Skeptikern gehörte auch Christian Vessaz. «Wegen der Bitterkeit, die viele Piwi- Sorten haben», sagt er. Zwar wird es noch einige Jahre dauern, bis die neue Lage eine Ernte abwirft. Doch wie er diese verarbeiten wird, weiss er bereits. «Wenn ich eine Traube esse, weiss ich, welchen Wein ich produzieren will», sagt Vessaz. «Meine Weine entstehen im Kopf.» Dennoch überlässt er wenig dem Zufall. Mit zugekauftem Souvignier Gris hat der Winzer bereits Versuche durchgeführt. In drei Drittel wird er den Most einteilen: Den Teil, der als Erstes aus der Presse fliesst, wird er mit Sauerstoff versetzen, um oxidative Noten zu erhalten. Der zweite Teil des Mosts, der etwas mehr Tannine enthält, wird in der Barrique fermentiert. Der dritte Teil mit den meisten Gerbstoffen wandert in die Amphore. Experimentierfreudigkeit bewies Vessaz bereits mit seiner ungeschwefelten und unfiltrierten Nature-Wine- Serie – vor vier Jahren wurde die Domaine Cru de l’Hôpital Gründungsmitglied des Vereins Schweizer Naturwein.

Mit aussergewöhnlichen Weinen ist Vessaz am Vully nicht alleine. Im Innenhof von Château de Praz sind zwei Tonamphoren vergraben, in denen Marylène Bovard- Chervet ihre Orange Wines herstellt. Die beiden Qvevri mit einem Volumen von je tausend Litern füllt sie jeweils randvoll, damit die Weine nicht oxidieren. Nach der Fermentation und einer Lagerung von sechs Monaten auf der Schale, die dem Wein seine orangene Farbe verleiht, werden die Trauben gepresst. Anschliessend reift der Wein bis zur Abfüllung weitere fünf Monate im Keller. Marylène setzt dabei auf eine lange Maischestandzeit. «Andere lassen die Schale nur während der Gärung drin. Bei uns bleibt sie bis zum Frühling, wenn wir die Trauben pressen», sagt die Önologin. Entstanden sei die Idee im Jahr 2018 bei einer Reise nach Georgien. Ein georgischer Mitarbeiter habe in seiner Heimat Marylène und ihrem Ehemann Louis die Qvevri-Tradition nähergebracht. Den ersten Orange Wine produzierte das Paar im Jahr 2022, den Quevri bauten sie jedoch erst 2023 aus. «Mit Chasselas habe ich es noch nicht probiert. Vor allem die aromatischen Sorten ergeben etwas Spannendes», ist Marylène überzeugt. Erst Anfang August hat sie den neuesten Versuch abgefüllt: ein Orange Wine aus der Piwi-Sorte Sauvignac. «Die Reben sind noch sehr jung, daher ist er erwartungsgemäss leichter, dafür zugänglicher », sagt sie. Im Jahr 2023 wählte sie dafür Traminer und im Jahr zuvor Freiburger.

Die Vully-Charta und der Versuch einer AOP Vully

Freiburger und Traminer, wie der Gewürztraminer am Vully genannt wird, kamen beide in den 1950er-Jahren an den Murtensee. Die Bedeutung der beiden Sorten für die Region wurde 2013 in der sogenannten «Vully-Charta», welche die Vignerons du Vully unterzeichneten, niedergeschrieben. Diese beinhaltet Bestimmungen, die über die Mindeststandards der Appellation d’Origine Contrôlée hinausgehen. Freiburger ist eine Kreuzung zwischen Sylvaner und Pinot Gris; benannt ist die Traube nicht nach dem schweizerischen Freiburg im Üechtland, sondern jenem im Breisgau. Eingeführt wurde die Sorte von Marylènes Grossonkel Louis Chervet. Während sie mittlerweile in Freisamer umbenannt wurde, trägt sie im Kanton Freiburg, wo 60 Prozent der Sorte wachsen, noch ihren ursprünglichen Namen. Und mit 4,7 Hektar liegt hier auch die grösste Anbaufläche der Schweiz, über ein Fünftel davon befindet sich in den Rebbergen des Château de Praz. Weil die Nachfrage in den letzten Jahren gestiegen ist, haben Marylène und Louis die Fläche auf ein Hektar erhöht. Letztes Jahr war die Ernte jedoch gering, der Freiburger 2024 ist bereits ausverkauft.

Die AOC Vully ist insofern aussergewöhnlich, da sich das Gebiet über zwei Kantone erstreckt. Dies war indes nicht immer so: Bis vor 15 Jahren gab es am Vully zwei Appellationen, eine für den Freiburger Vully und eine für den Waadtländer. Da dies gegen die Bestimmungen der EU verstiess, einigte man sich 2011 auf eine kantonsübergreifende AOC.

Laut Etienne Javet, der mit Javet & Javet in und um Lugnorre vier Hektar betreibt, wurde vor einigen Jahren auch die Schaffung einer Appellation d’Origine Protégée (AOP) diskutiert. Eine Vully-AOP hätte deutlich strengere Bestimmungen für die Produzierenden, aber auch ein höheres Renommee bedeuten können. «Die Weinbauern im Wallis und in der Waadt waren gar nicht begeistert von der Idee», sagt Javet.

Dass man es trotzdem versucht hat, sagt einiges über das Selbstverständnis der Winzer am Vully aus. Trotz oder gerade wegen der überschaubaren Grösse werden die 24 Vully- Winzer laut Etienne Javet, der während 15 Jahren Direktor der Vermarktungsorganisation Vignerons de Vully war, teilweise von Berufskollegen beneidet. «Die Kollegen aus Lavaux und Féchy sagen immer: ‹Euch kennt man, uns kennt man nicht.› Dabei sind diese Regionen viel bekannter als Vully», sagt Javet. Die Schwierigkeit in grossen Wein-Regionen sei, dass ein einzelner Produzent häufig einfach einer unter vielen ist. «Und dass es in diesen Regionen oft auch sehr viel mittelmässigen Wein gibt», sagt Javet.

Für einen Berg mit einer Höhe von gerade einmal 653 Metern über Meer reicht der gute Ruf des Vully, den sich seine Winzer erarbeitet haben, hingegen weit über die Region hinaus.

Javet & Javet in Lugnorre

«Vielleicht höre ich in zehn Jahren auf.» Etienne Javet ist erst 40 Jahre alt, doch hat er bereits einiges an Wein produziert. Der 2025er wird sein 21. Jahrgang. Gerade mal 19 Jahre alt war er, als er mit dem Önologie- Diplom in der Tasche bei seinem Vater eingestiegen ist. «Mein Vater hatte einen gemischten Betrieb mit Gemüse und Reben. Wein machte er nicht», sagt Javet. Seither hat er vieles bewegt – im Betrieb wie am Vully generell. Dennoch hat sich die Rebfläche von Javet & Javet in dieser Zeit bloss von 3,7 auf 4 Hektar erhöht. «Ich bin kein Kapitalist. Ich will arbeiten können, ohne immer mehr Wein zu verkaufen», sagt Javet. Mit dem Sortenspiegel ist das Weingut am Vully mittlerweile jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Vor zwei Jahrzehnten bestand dieser primär aus Chasselas (70 Prozent) und Pinot Noir (20 Prozent) sowie etwas Pinot Gris und Traminer. Heute ist Pinot Noir mit 55 Prozent die wichtigste Sorte, gefolgt von Chasselas mit 15 Prozent. Neu dazugekommen sind Sauvignon Blanc, Savagnin Blanc, Räuschling und Completer bei den weissen Sorten, Trousseau und Mondeuse bei den roten. «Leider haben wir auch noch etwas Gamaret», sagt Javet und lacht. Nicht wegen der Qualität des Weins, sondern weil er ihm beim Anbau Probleme mache. «Die Reben sterben, und ich weiss nicht mal, weshalb. Ich vermute wegen der Holzkrankheit Esca», sagt er. Die Sortenvielfalt ist Teil der Philosophie, die dem Winzer in den Reben ebenso zugutekommt wie im Keller. 15 bis 20 verschiedene Weine produziert er jährlich, viel für eine Jahresproduktion von gerade mal 25 000 Flaschen. 2011 füllte er seinen ersten Nature Wine ab. 2015 folgte ein zweiter Versuch, und ab 2018 sind sie fixer Bestandteil des Sortiments. «Letztes Jahr verzichteten wir darauf. Zwei Drittel der Ernte fielen dem Hagel, dem Frost und dem Falschen Mehltau zum Opfer», sagt Javet.

«Ich hätte mir gewünscht, dass die Appellation zu 100 Prozent bio wird.»

Seit 2010 bewirtschaftet er seine Reben nach den Grundsätzen der biodynamischen Landwirtschaft, zertifiziert ist der Betrieb indessen erst seit 2019. «In der Romandie ist den Leuten das Label egal. In der Deutschschweiz will die Kundschaft jedoch einen Beweis für die Produktionsweise», sagt Javet. Weil ihm das neue Demeter-Logo nicht gefällt, verwendet er das alte. Den Grossteil seiner Produktion setzt er in der Gastronomie und über den Webshop ab, den ihm sein Bruder schon 2004 eingerichtet hatte. Auch das Design der Etiketten ist von ihm. «Er hat auch das Vully-Logo designt, das nun auch die Gemeinden und die Tourismus-Organisation nutzen», sagt Javet, der während 15 Jahren Direktor der Vereinigung der Vully-Winzer war. Als solcher war er an der Schaffung der interkantonalen AOC Vully beteiligt. «Ich hätte mir gewünscht, dass die Appellation zu hundert Prozent bio wird», sagt Javet. Im freiburgischen Teil des Vully werden schon jetzt 51 Prozent der Rebfläche bio-zertifiziert bewirtschaftet.

javet.ch

Javet & Javet, Vin Nature Orange, 2021 

Traminer! Savagnin Rose Aromatique

93 Punkte

Sehr trüb und ziegelrot. Erinnert in der Nase an roten Apfel, Rose sowie getrocknete Feigen und rote Steinfrucht. Präsente, aber elegante und reife Säure, die an Pflaumen erinnert. Die Aromatik des Gewürztraminers ist präsent, aber nicht im Vordergrund. Würzig und etwas herb, wie wenn man auf Traubenkerne beisst. Anfangs speicheltreibend; im langen, komplexen Abgang trocknen die Tannine. Ein sehr gelungener Orange Wine.

Javet & Javet, Vin Nature, 2022

Aime Terre, Pinot Noir

94 Punkte

Kirschrot. Überreife dunkle Steinfrüchte und Kakao in der Nase. Die leichte Säure und Gerbstoffe sorgen für einen sehr eleganten, voluminösen Körper. Waldbrombeeren, dunkle Kirschen, Schlehen, im Abgang vor allem würzige Noten von Pfeffer und dunkler Schokolade. Ein aussergewöhnlicher, charaktervoller Pinot für spezielle Momente.

Château de Praz in Praz

Neue Weine aus dem historischen Château

Marylène Bovard-Chervet gehört nicht zu jenen Önologinnen, die etwas nur aus Mode tun. Hinter ihren Entscheidungen steht eine langfristige Vision. Gemeinsam mit ihrem Mann Louis hat sie 2011 den Betrieb ihrer Eltern übernommen. Die Ideen, die die beiden damals hatten, haben sie in Etappen umgesetzt. «Wenn man einen Betrieb übernimmt, kann man nicht alles gleichzeitig angehen», sagt sie im neuen Verkaufsraum von Château de Praz. Bereits 2014 haben sie den Weinkeller, das Reich von Marylène, umgebaut. Unter demselben Dach befinden sich sowohl der Empfang mit dem Shop als auch der angrenzende Degustationsraum; beide wurden 2020 eingeweiht. Das verbindende Element der drei Gebäudeteile ist das alte Gebälk aus Massivholz. «Das Alter haben wir bestimmen lassen. Das älteste Holz stammt aus dem Jahr 1623», sagt Marylène. Vor einem Jahr haben sie die ersten Bio-Suisse-zertifizierten Trauben gekeltert – ausgerechnet in einem äusserst regenreichen Jahr mit sehr hohem Krankheitsdruck. Die Philosophie hinter dem Label interessiert sie indessen mehr als das Label. Sechs Piktogramme finden sich auf den Weinflaschen des Weinguts, die auf eine zugängliche Weise auf Aromatik, Mundgefühl und Speisebegleitung hinweisen. «Ich mag das Kreative und die Vielseitigkeit an meinem Beruf», sagt Marylène. Dazu gehört die Betreuung der Kundschaft: «Etwa 70 Prozent verkaufen wir ab Hof oder über den Online-Shop», sagt die bilinguale Önologin. Durch die Nähe zur Kundschaft erhalten sie viele Rückmeldungen, doch nicht nur. «Wir wurden kürzlich von einem Paar zum Abendessen eingeladen, das seit 50 Jahren unsere Weine trinkt und mit uns anstossen wollte», sagt Marylène. Die Weine des Château de Praz sind ohne Holz ausgebaut – mit Ausnahme des Gamaret. In den allermeisten Fällen sind die Abfüllungen sortenrein. «Ich liebe die Herausforderung, aus jedem Jahrgang die beste Balance herauszuholen», sagt Marylène. Den Lead im Rebberg hat Louis, Sprössling der Winzerfamilie Bovard aus Cully. Kennengelernt haben sich die beiden 2001 bei einem Praktikum während ihrer Ausbildung in Changins. Was hat er von Lavaux mitgenommen? «Den Perfektionismus», meint Louis. Am Vully schätzt er die Vielfalt bei den weissen Sorten und die Fortschritte der letzten zwei Jahrzehnte. Den Generationenwandel könne man, so Louis, durchaus auch in den Reben beobachten. Diese gedeihen in Praz auf eher leichten und sandigen, dafür tiefen Böden. «Die Wurzeln wachsen drei bis vier Meter in die Tiefe», sagt der Winzer.

chateaudepraz.ch

Château de Praz

Vully 2024, Chasselas 2024

91 Punkte

Helles Gelb. In der Nase harmonieren die Noten von Steinfrucht mit der Frische von Zitrusfrüchten. Am Gaumen leicht und speicheltreibend, fruchtbetont mit Mirabelle und Quitte sowie etwas Heublume. Frisch und jung mit wenig Kohlensäure und der Säure von unreifem Steinobst. Eher kurz, aber sauber im Abgang. Gute Wahl beim Apéro oder zu Tommes oder weissem Fisch.

Château de Praz

სოვინიაკი 2024

93 Punkte

Helles Gold und ein bisschen trüb. In der Nase etwas überreife Aprikose, Stroh und Hefe. Angenehmer Antrunk mit kräftig-robustem Körper, etwas Kohlensäure und einer trocknenden Textur von Traubenschalen. Präzise Aromatik von reifer Traube, weisser Mandel, Lindenblüten-Honig und etwas Bitterkeit. Ein komplexer Orange Wine, ideal zu Kürbisgerichten.

Cru de l’Hôpital in Môtier

Lagenwein vom Murtensee, den man nicht nur bei einem Staatsbesuch öffnen darf

Fast sein halbes Leben hat Christian Vessaz als Betriebsleiter von Cru de l’Hôpital verbracht. Das historische Weingut geht auf das 15. Jahrhundert zurück; mit dem Verkauf der Weine wurde seinerzeit das Spital in Murten finanziert. Gerade mal 24 Jahre alt war der Sohn einer Bauern- und Winzerfamilie, als ihm die Burgergemeinde von Murten das Weingut anvertraute. Heute bewirtschaften Vessaz und sein Team 13 Hektar Reben, der Grossteil davon im Weiler Fichillien in der Ortschaft Môtier. Der Name Cru de l’Hôpital fällt noch fast jedes Mal, wenn über die Weine des Vully gesprochen wird. Als im November 2023 der französische Präsident Emmanuel Macron und dessen Ehefrau Brigitte in Bern zum Staatsbesuch empfangen wurden, wurden zum Abendessen die Weine der Cru de l’Hôpital serviert. Wie der Wein Macron gefallen hat? «Ich weiss es nicht», sagt Vessaz. «Aber Alain Berset mag sie sehr. Er gehört zu meinen Stammkunden.» Als «Ausnahmewinzer » wird er im aktuellen VINUM-Weinguide bezeichnet. Vessaz selbst orientiert sich – mit Ausnahme der Flaschenform – am Burgund, wo er selbst noch an einem Weingut beteiligt ist. Neben den Burgunder-Sorten Pinot Noir und Chardonnay gehört dazu auch ein tiefes Verständnis der Böden seiner verschiedenen Parzellen. Diese sind fast auf dem gesamten Vully verteilt – von Sugiez im Osten bis ins waadtländische Vallamand im Westen. 30 Prozent der Fläche sind mit Chasselas bestockt, 25 Prozent mit Pinot Noir. Weiter setzt er auf die Sorten Traminer, Pinot Gris, Malbec, Chardonnay, Diolinoir und Merlot. In diesem Jahr hat er zudem einen halben Hektar mit der Piwi-Sorte Souvignier Gris bepflanzt – ein Novum für den eher Piwikritischen Vessaz. Einige Parzellen am Waadtländer Vully gehören ihm persönlich, die meisten sind jedoch im Besitz der Burgergemeinde von Murten. Trotzdem hat er im Rebberg und im Keller freie Hand. «Ich kann alles so machen, als wäre ich bei mir», sagt er. Dazu gehört beispielsweise die Umstellung auf biodynamischen Rebbau, seit 2013 tragen die Weine das Demeter-Label. Auch die Schafe, die zwischen den Reben grasen, waren seine Idee. Hinter dem modernen Weinkeller stapeln sich Kisten mit gebrauchten Weinflaschen, die demnächst im zürcherischen Wettswil gewaschen werden. Ein Viertel der Flaschen kann so wiederverwertet werden. Im Keller lautet Vessaz’ Devise rien faire: keine Interventionen nach dem Pressen. Die meisten Weine von Cru de l’Hôpital werden sortenrein abgefüllt, nicht selten sogar nach Lage. Chasselas aus Fichillien, Pinot Noir aus Mur oder Chardonnay aus Champerbou – die Unterregionen des Vully lassen sich auch von der Sonnenterrasse aus entdecken.

cru-hopital.ch

Cru de l’Hôpital, 2021

Naturé, Traminer

94 Punkte

Gold, etwas trüb. Komplexes Aroma mit typischen Noten des Gewürztraminers – Rose, weisse Mandel, leichter Blütenhonig – aber auch Mirabelle und weisser Pfeffer. Rund und weich mit saftiger Mirabelle und Honig. Im Abgang würzige Noten, etwas Tannine und Säure von fermentierten Früchten. Mit jedem Schluck entdeckt man etwas Neues. Ein hochkomplexer Wein, der es auch mit scharfem koreanischem Essen aufnehmen kann.

Cru de l’Hôpital, 2022

Pinot Noir de Mur

93 Punkte

Rubinrot. In der Nase Walderdbeeren, Cassis, schwarzer Pfeffer und vielversprechendes Holz. Eleganter, gut strukturierter Körper. Tannine und Säure halten sich die Waage. Am Gaumen würzig mit Noten von Pfeffer, Zimt und Vanille. Getrocknete Zwetschgen, Schwarzer Holunder und dunkle Kirschen, im Abgang komplex.

Weingut Hämmerli in Mur/Ins

Erst seit 2018 bewirtschaften Lorenz und Andrea Hämmerli die 3,2 Hektar in Mur. «Hurti schnäu» ein Drittel der Ernte habe hier der Hagel letztes Jahr den beiden genommen. Während es bei den fünf Hektar, die die Hämmerlis seit 2024 auf der St. Petersinsel bewirtschaften, kaum je zu Problemen mit Frost kommt, kann dieser am Vully durchaus gefährlich werden. Noch kritischer ist die Situation in Ins, wo Hämmerlis sieben Hektar und ihren 2018 umgebauten Weinkeller haben. In Ins haben sie deshalb kürzlich in ein fix installiertes elektrisches Frostschutzsystem investiert. Kostenpunkt: 60 000 Franken für anderthalb Hektar. So unterschiedlich das Mikroklima der drei Standorte, so ähnlich ist die Bodenbeschaffenheit. «Es wäre schön, wenn wir etwas Kalk vom Jura hätten», sagt Lorenz Hämmerli. Doch gibt es feine Unterschiede: Auf der St. Petersinsel ist der Boden humusreicher, in Ins gibt es mehr Kies, und die Reben am Vully wachsen auf sandigem Schluff. Im Rebberg am Vully wachsen Pinot Noir – die ältesten Reben sind aus dem Jahr 1964 – und Galotta. «In der Deutschschweiz kennt man diese Sorte praktisch nicht», sagt Andrea Hämmerli. «Wenn die Leute ihn probieren, sind sie positiv überrascht.» Der grösste Teil der Vully-Parzelle ist jedoch mit Chasselas bestockt, aus dessen Früchten drei Weine entstehen: ein klassischer, ein in der Barrique ausgebauter und ein Orange Wine. «Es ist ein Einsteiger-Orange», sagt Lorenz Hämmerli «klar, zugänglich und sauber.» Nach der Ernte gibt er die Trauben über Nacht in den Kühler, damit es bei der Gärung nicht «zu gäi» abgeht. Danach werden sie «dem kontrollierten Zufall» überlassen: Nur zwei Wochen lang bleibt der Chasselas auf der Maische.

«Vully ist ein schöner Name. Er klingt gut.»

Den Wein aus Ins verkaufen sie unter dem Namen Hämmerli, auf den Etiketten der Parzellen in Mur steht in grossen Lettern «Vully.». «Er kommt sehr gut an», sagt Andrea, und Lorenz ergänzt: «Vully ist einfach ein schöner Name. Er klingt gut.» Kennengelernt haben sich die beiden in der Sekundarschule auf dem Pausenhof. Kurz nach der Bauernlehre und der RS lernt Lorenz das Winzerhandwerk in Wädenswil, Andrea arbeitet im Verkauf. 1999 steigen die beiden im Betrieb von Lorenz’ Eltern ein, zwei Jahre später ziehen sie auf den Hof. Viel Zeit fürs Experimentieren bleibt den beiden nicht: Sehr jung werden sie Eltern – und Grosseltern. Noch keine 50 Jahre alt sind die beiden, und die nächste Generation arbeitet bereits seit zehn Jahren im Betrieb in Ins mit. Zwischen Neuenburger- und Bielersee sowie den Rebbergen des Vully wird oft vergessen, dass Ins noch im vorletzten Jahrhundert ein bedeutendes Winzerdorf war. «Die Rebfläche war seinerzeit gleich gross wie heute in Ligerz», sagt Lorenz Hämmerli.

weingut-haemmerli.swiss

Weingut Hämmerli 2024

Vully. Chasselas

89 Punkte

Helles Gelb. In der Nase mit Noten von süss-saurem Apfel, etwas gedörrter Aprikose und Blütenhonig. Diese finden sich auch am Gaumen, im Antrunk mit saftiger Säure von reifer Stachelbeere und etwas Salz. Filigraner Körper, im Abgang eher kurz. Zu weissem Meerfisch und halbhartem Käse.

Weingut Hämmerli 2021

Vully. Orange Wine

90 Punkte

Gold und klar im Glas. Gedörrte Früchte (Apfel und Aprikose), Stroh und etwas Brioche in der Nase. Schönes Zusammenspiel von reifer Säure und Bitterkeit. Noten von gelben, unreifen Steinfrüchten und jungem Holz. Eher lang, mehrschichtig und sauber im Abgang. Ein Weisswein mit Tiefe oder ein zugänglicher Orange Wine

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