Mourvèdre vom Mittelmeer
Fabelhaftes Bandol
Text: Birte Jantzen, Fotos: Birte Jantzen, GettyImages / Jose Nicolas, HERVEFABREPHOTOGRAPHY

Er ist dunkelbeerig, charakterstark, mag es im Sommer heiss und liebt es, seine Blätter der Sonne und seine Wurzeln dem Grundwasser entgegenzustrecken. Ursprünglich aus dem spanischen Katalonien stammend, hat der Mourvèdre im südfranzösischen Bandol ein zweites Zuhause gefunden, das sich magischerweise als sein Lieblings-Terroir entpuppte.
Grummelnd stand der Winzer im Halbdunkel des Kellers vor einem seiner Eichenfuder. Journalisten waren ganz klar nicht seine Lieblingsmenschen. Das dunkle Holz der alten Fässer schien das dämmrige Licht förmlich aufzusaugen. Vorsichtig drehte er mit seinen grossen, kräftigen Händen am winzig kleinen Hahn des Fuders, und schon floss ein Strahl von dunkelrotem Jungwein ins Glas. Es duftete herrlich nach Brom- und Blaubeeren, Schwarzkirsche und wilden Kräutern. Aber da war dieser prüfende Blick von der Seite, noch unterstrichen von buschigen Augenbrauen und einer kritisch gerunzelten Stirn. Ich wurde nervös. Eine Sekunde lang fragte ich mich, ob mein Schicksal nun besiegelt und dies mein letztes Glas Wein auf Erden sein würde.
Der Duft des Weins war jedoch einfach zu unwiderstehlich, und so überwand ich meinen Fluchtreflex und probierte einen Schluck. Was für eine Überraschung! Der Jungwein war schon jetzt perfekt: Die seidigen, dicht gewebten Tannine tanzten sensibel mit der Frucht Flamenco, die Frische brachte willkommene Leichtigkeit, und das jugendliche Gleichgewicht des Weins versprach Jahrzehnte voller Gaumenfreuden. Ich strahlte – der Winzer auch. Er fing an zu erzählen, und plötzlich stand vor mir einer der sensibelsten und begabtesten Winzer von Bandol: Alain Pascal vom Weingut Gros Noré.
Diese Anekdote liegt zwar schon einige Jahre zurück, aber sie steht sinnbildlich für die Appellation. Noch immer gehören die Weine von Alain Pascal zu meinen absoluten Lieblingen, denn hinter seiner brummigen Fassade trägt der Winzer – wie man so schön auf Französisch sagt – sein Herz in seinen Händen. Hände, oder eher gesagt raue Pranken, die dem charakterstarken Mourvèdre im Keller den notwendigen Schliff zu geben wissen.
Und er ist bei Weitem nicht der einzige Winzer aus Bandol, dessen Seele man dank des Rotweins ziemlich gut erraten kann. Da ist zum Beispiel die sportliche Eleganz der Weine von Eric de Saint-Victor (Château Pibarnon), der rustikal- aristokratische Stil von Etienne Portalis (Château Pradeaux), die zurückhaltende Finesse von Reynald Delille (Domaine de Terrebrune), die geerdete und dennoch moderne Ursprünglichkeit von Daniel Ravier (Domaine Tempier). Die Rebsorte Mourvèdre ist ein derart begabter Seeleninterpret, dass man sich fragt: Wer ist sie eigentlich?
Von Spanien nach Bandol

Der Steckbrief zeigt: Geburtsort spanisches Katalonien, seit dem Mittelalter auch an der französischen Mittelmeerküste und darüber hinaus unterwegs. Hauptsächlich bekannt unter den Namen Mourvèdre, Mataró und Monastrell, gibt es zusätzlich über 90 Synonyme, wie zum Beispiel Balzac Noir (amüsant, hat Honoré de Balzac doch wie kaum ein anderer in die menschliche Seele geschaut), Bon Avis (= guter Ratschlag), Reina (= Königin), aber kurioserweise auch Estrangle-Chien (Hund-Erwürger). Dieses Synonym ist wohl auf die soliden Tannine der Rebsorte zurückzuführen, die, wenn sie nicht sanft extrahiert weren, eine ziemlich kräftige Struktur am Gaumen bilden.
Ebenso selbstbewusst wie ihr Charakter ist übrigens auch ihr aufrechter Wuchs, was die Rebsorte empfindlich und anspruchsvoll macht und im Weinberg einen kurzen Rebschnitt erfordert (traditionell als Gobelet oder Kordon). Auch ihr eher lichtes Blätterwerk erfordert eine konsequente Einschränkung des Ertrages, denn es sind die Blätter, die entscheidend zum Reifeprozess der Trauben beitragen. Die meisten Winzer von Bandol setzen also auf die Faustregel: eine Flasche Wein pro Rebstock.
Hinzu kommt, dass der Mourvèdre spät reifend ist und südliche Gefilde bevorzugt, denn um einen guten Reifeverlauf und eine ausreichende Zuckeranreicherung in den Beeren zu gewährleisten, braucht er während seiner Vegetationsperiode Wärme und Sonne, gepaart mit kalkhaltigen, tiefgründigen Böden, die eine begrenzte, aber regelmässige Wasserversorgung. Ist dies nicht der Fall, zeigt er schnell einen unwirschen Charakter und macht dem Winzer im Keller das Leben schwer. Allein schon deshalb war er lange Zeit nicht gerade die populärste Rotwein-Rebsorte Südfrankreichs.
Das Blatt hat sich mittlerweile etwas gewendet. Gab es 1958 in Frankreich lediglich 658 Hektar Mourvèdre, sind es heute insgesamt um die 9200 Hektar, hauptsächlich entlang der Mittelmeerküste und im südlichen Rhône-Tal.
«Der Mourvèdre ist wie ein Gentleman im Tweed- Anzug – kratzig, schick und liebenswert zugleich. »
Aber nirgendwo, auch nicht auf ihrem Ursprungsterroir im spanischen Katalonien, fühlt sich die Rebsorte so wohl wie in Bandol. Der Reblauskrise zum Trotz und bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde hier aus ihr hauptsächlich Rotwein produziert. Bandol wurde geschätzt für seine temperamentvollen, äusserst lagerfähigen Weine, die durchaus mehrere Jahrzehnte im Keller reifen können.
Über die letzten 30 Jahre gab es jedoch einen grundlegenden Wandel: Heute produziert Bandol zu fast drei Vierteln Rosé. Der Grund dafür ist einfach: Die Appellation ist zwar unabhängig, liegt aber mitten in der Provence und diese hat, leider, wortwörtlich auf Bandol «abgefärbt». Die gute Nachricht: Der charakterstarke Mourvèdre verwandelt den Rosé in vielen Fällen geschickt in eine lagerfähige Variante, die eigentlich erst nach zwei bis drei Jahren auf der Flasche zur Hochform aufläuft. Seit Kurzem steigt die Rotweinproduktion langsam wieder an. Auch die Weissweine rücken vermehrt in den Vordergrund. Diese Entwicklung ist wohl der Entdeckung einer weissen Variante der Mourvèdre- Traube zu verdanken – eine spontane Mutation im Weinberg. 2023 hielt sie nach gründlicher Prüfung Einzug in den französischen Rebsortenkatalog.

Das Meer am Horizont
Seit mehr als 2000 Jahren prägt der Anbau von Weinreben und Olivenbäumen die Landschaft von Bandol. Im Norden wird sie durch das Sainte-Baume-Massiv begrenzt, im Süden durch das Mittelmeer, im Westen durch das Cap Canaille und im Osten durch das Gros-Cerveau-Massiv. Die Rebberge liegen in einem natürlichen Amphitheater mit Blick auf das Mittelmeer.
Es ist eine der wenigen Zonen der Provence, in der der Küstenstreifen zum Grossteil noch in ursprünglicher Schönheit erstrahlt. Auch sind die kleinen, meist auf Hügeln thronenden Dörfer noch nicht komplett von Touristen überrannt. Weinberge und Besucher profitieren im Sommer gleichermassen vom mildernden Einfluss des Meeres, und die umliegenden Bergmassive schützen vor dem kräftigen, zum Teil stürmischen Mistral aus dem Norden.
«Hier gedeihen das silberne Grün der Olivenbäume und die wechselnden Farbtöne der Weinreben.»
In diesem natürlichen Paradies zähmen rund 70 kleine Weingüter und drei Winzergenossenschaften den Mourvèdre jedes Jahr aufs Neue. Der Weg dorthin ist nicht immer ganz einfach. Um Gerbstoffe, Struktur, Frische, Vertikalität und Frucht zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen zu lassen, braucht es viel Fingerspitzengefühl im Keller und einen langen Ausbau in Holzfässern oder Holzfudern – mindestens 18 Monate. Manch einer füllt, wenn es der Wein in dem Jahrgang erfordert, deshalb gerne auch erst nach 24 Monaten ab.
Der lange Ausbau hatte in der Vergangenheit allerdings auch Nachteile. Bis in die 1990er Jahre hinein wurden die Fässer nicht immer einwandfrei gepflegt, was dem Wein so manches Mal einen unerwünschten Gast bescherte – Brettanomyces, Spitzname «Brett» (leider nicht Brad, auch wenn es im Englischen gleich ausgesprochen wird). Er verlieh dem Wein wahlweise Noten von Fuchsfell, Bauernhof oder verschwitztem Pferd.
Heute ist dies glücklicherweise Schnee von gestern. Die Weine strahlen in überwältigender Mehrheit eine wunderbare, aromatische Vielfalt und Reinheit aus. Und falls «Brett» doch noch einmal in den Wein geraten sollte, gibt es ein passendes französisches Winzersprichwort dafür: «Ein bisschen ‹Brett› ist nett! Die Betonung liegt auf ‹bisschen›.»
Acht Jahre Geduld

Im Laufe der Jahrhunderte haben Bauern und Winzer es verstanden, die Hanglagen optimal zu nutzen. Um die Böden vor Erosion zu schützen, die Begrünung zu erhalten und die Felder von Steinen zu befreien, errichteten sie unzählige, meist von Trockenmauern abgestützte Terrassen, auf Provenzalisch «Restanques» genannt. So schufen sie die für Bandol charakteristischen Terrassenlagen, die es erlauben, auch die steilsten Reliefs zu bearbeiten. Mechanisierung bleibt schwierig, und die Weinernte wird noch immer per Hand gemacht.
Jedoch gibt es noch andere Herausforderungen. Bandol ist wohl die einzige Appellation in ganz Frankreich, und vielleicht weltweit, die dem Winzer bei Neupflanzung einer Rebsorte – in diesem Fall Mourvèdre – auferlegt, erst ab dem achten Jahr den Rotwein als AOP-Wein auszeichnen zu dürfen. Dafür gibt es allerdings einen guten Grund: Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Trauben zu junger Reben bis zum achten Jahr schlichtweg nicht das richtige Gleichgewicht mitbringen, um Qualitätswein zu produzieren.
«Bandol ist der Grand Cru der Mittelmeerküste, auf Augenhöhe mit Châteauneuf-du-Pape. »
So gibt es viele alte, tief verwurzelte Reben in den hiesigen Rebbergen. In Zeiten des Klimawandels und der Trockenperioden ist das von Vorteil, denn Bewässerung wird nur in Ausnahmen erlaubt. Auch haben es die Winzer gelernt, beim Weinbergsmanagement langfristig zu planen, denn sowohl beim Rosé als auch beim Rotwein gehört der Mourvèdre fest zur Assemblage: 50 bis 95 Prozent beim Rotwein, 20 bis 95 Prozent beim Rosé. Bisher spielte beim Weisswein die Rebsorte Clairette die erste Geige, aber die Entdeckung des weissen Mourvèdre könnte die Karten neu sortieren. Wunderbar ist, dass der Mourvèdre nicht nur dem Rotwein, sondern auch dem Rosé ein aussergewöhnliches Lagerpotenzial verleiht. Die Besten glänzen auch nach zehn Jahren noch im Glas, mit charakteristischen Noten von Safran, eingelegter Quitte, rosa Pfeffer und einem Hauch von gelbem Curry. Sie sind wundervolle Essensbegleiter und passen besonders gut zu Bouillabaisse, gegrilltem Fisch und Ceviche. Da kommt kaum ein anderer Provence- Rosé hinterher.

Sympathisch und langlebig
Eine gute Gelegenheit dazu gibt es übrigens auf dem jährlichen Weinfest der Appellation Bandol, welches immer im Dezember im gleichnamigen Dorf stattfindet, direkt am Kai des kleinen Fischerhafens. Hier liegen noch immer die malerischen, traditionellen Fischerboote aus Holz, auch «Pointu » genannt. So kann man die Boote bewundern oder durch das alte Stadtzentrum schlendern und dabei junge und ältere Jahrgänge der Weine von Bandol probieren. Die Winzer sind meist persönlich anwesend, und die entspannte Atmosphäre lädt zum Austausch ein. Ohnehin ist die Appellation dynamisch. Es gibt immer etwas zu entdecken: Viele Winzer öffnen den Besuchern die Türen. Auf der Domaine de l’Olivette gibt es regelmässig Kunstausstellungen, Château de Pibarnon organisiert im Sommer ab und an Jazz-Konzerte unter freiem Himmel, inklusive des besten Ausblicks der Welt. Die junge Generation kommt im Weingut Minjaud auf ihre Kosten, denn der Winzer legt leidenschaftlich gerne Musik auf. Auf dem Weingut La Font des Pères kann man wunderbar lokale Küche geniessen und auf der Domaine de La Bégude in die Fussstapfen von Gaspard de Besse treten, dem berühmten Robin Hood der Provence, der dort im 18. Jahrhundert die Reichen beraubte, das Diebesgut mit den Armen teilte und fatalerweise ein Frauenheld war.

Es gibt viele gute Gründe, sich für die Weine von Bandol zu interessieren, denn auch Sammler kommen auf ihre Kosten. Die Rotweine gehören zu den besten Lagerweinen Frankreichs, wie auch die vergleichende Verkostung zweier Jahrgänge zeigt. Was für ein Glück, dass der katalanische Mourvèdre dieses wundervolle Terroir eroberte. Olé!