Der richtige Moment
Robert Haller, Würzburg, Franken
Text: Harald Scholl, Fotos: VDP / Peter Bender

Er war nie der Lautsprecher, keiner, der sich vordrängte, wenn Kameras liefen oder Preise vergeben wurden. Und doch gehört Robert Haller zu jenen Winzerpersönlichkeiten, die das Bild des fränkischen Weinbaus in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. 41 Jahre lang hat er in der Branche gearbeitet, 19 davon als Direktor des traditionsreichen Bürgerspitals in Würzburg.
Am 31. Juli 2025 endete seine aktive Zeit. Und auch wenn er es selbst wie gewohnt sachlich formuliert – «Jetzt ist der richtige Moment» –, liegt in dieser Entscheidung ein Satz, der hängen bleibt: «Es war die schönste Zeit meines Lebens.» Dass Robert Haller einmal im Weinbau landen würde, war nicht abzusehen. 1961 im schwäbischen Herrenberg geboren, absolvierte er nach dem Schulabschluss zunächst eine Ausbildung bei IBM – als Informationselektroniker, später arbeitete er in der Datenverarbeitung. Parallel dazu arbeitete er gelegentlich in der Weinhandlung seiner Schwester. Ein Nebenjob eigentlich – und doch der Beginn einer neuen Leidenschaft. Während andere Bier tranken, trank Haller Wein. «Ich habe früh gemerkt, dass mir Genuss näherliegt als Routine», sagt er.

Der Gedanke, beruflich in diese Richtung zu gehen, wuchs langsam. Aber er wuchs. 1984 schliesslich das Schlüsselerlebnis: ein Praktikum bei Bassermann-Jordan in der Pfalz. Danach stand für ihn fest: Er würde Weinbau studieren. In Geisenheim trifft er auf Gleichgesinnte, auf Begeisterung, auf ein neues berufliches Selbstverständnis. Seine spätere Frau Christine studiert zur gleichen Zeit Agrarwissenschaften. Gemeinsam gehen sie ein Jahr in die Toskana. Zurück in Deutschland, beginnt Haller beim Weingut Köpfer im Markgräflerland. Christine arbeitet bei Zähringer. Die Region ist offen, der Austausch eng, die Themen klar: biologische Bewirtschaftung, gezielte Lese, saubere Gärung. Es sind prägende Jahre. 1994 dann der Wechsel nach Kreuzwertheim zum Weingut Fürst Löwenstein. Dort beginnt das, was man heute seine gestalterische Phase nennen könnte. Haller bekommt Verantwortung, kann Entscheidungen treffen – und trifft sie. Er bringt neue Ideen, diskutiert über Stil, Struktur, Sorten und Qualität. Die Weine werden präziser, das Team kleiner. Aber irgendwann ist auch hier der Punkt erreicht, an dem Veränderung nur noch in Etappen möglich ist. 2007 bewirbt er sich auf die Direktorenstelle beim Bürgerspital in Würzburg – einem Betrieb mit 120 Hektar Rebfläche, stiftungsgetragen, traditionsbewusst, aber entwicklungsfähig.
Was Haller dort übernimmt, ist kein Reformfall. Aber es ist auch kein moderner Betrieb. Das Sortiment ist breit, die Stilistik uneinheitlich, der Aussenauftritt zurückhaltend. Robert Haller geht die Veränderung nicht mit dem Holzhammer an, sondern mit System. Er vernetzt die Bereiche, führt die VDP-Klassifikation ein, reduziert die Rebsorten auf das Wesentliche: Silvaner, Riesling, Spätburgunder, etwas Scheurebe. Er bringt Struktur in das Portfolio vom Gutswein bis zum Grossen Gewächs. Und er verändert den Stil. Weg von halbtrockenen Kabinetten, hin zu trockenen, glasklaren, herkunftsgeprägten Weinen. Spontangärung, grosse Holzfässer, langes Hefelager. Nicht modisch, sondern ehrlich. Nicht laut, sondern langlebig.

Prägende Entscheidungen
Silvaner stellt für Robert Haller dabei nicht nur eine traditionsreiche fränkische Ikone und ein Aushängeschild des fränkischen Weinbaus dar, sondern er sieht darin in erster Linie einen Spiegel des Hauses – quasi eine charakteristische Handschrift des Weinguts. In der Lage Stein-Harfe – einst Lieferant eines halbtrockenen Kabinetts – entsteht unter seiner Regie ein Grosses Gewächs: selektiv gelesen, spontanvergoren, im grossen Holz ausgebaut. Die Reben dort sind über 40 Jahre alt, der Ertrag gezügelt, die Lesetermine präzise gesetzt. Kein Show-Wein, sondern einer, der Charakter hat. «Der Silvaner erzählt unsere Geschichte», sagt Haller. Und man merkt, dass das kein Marketingsatz ist. Eine zweite Herzenslage: der Teufelskeller. Weniger bekannt, dafür umso markanter. Er liegt karg, steinig und ist schwer zu bearbeiten. Aber er liefert Weine mit Kraft, Spannung, fast salziger Präzision. Kein Publikumsliebling. Aber einer, der sich durchsetzt – über Jahre. Haller mag solche Weine. Keine Effekthascherei, kein Chichi. Sondern Substanz. Stilistisch zieht sich diese Linie durch das ganze Haus: trocken, glasklar, puristisch. Keine restsüssen Kompromisse, keine aromatischen Modeerscheinungen. Stattdessen: Trinkfreude vor Pokalehrgeiz. «Mir war immer wichtig, dass der zweite Schluck Lust auf den dritten macht», sagt er. Und damit meint er nicht nur den Alkoholgehalt, sondern das Mass. Das Bürgerspital funktioniert nicht wie ein Familienweingut, es ist vielmehr ein mittelständisches Unternehmen – mit Strukturen, mit Gremien, mit einem klaren sozialen Auftrag. Als Stiftung trägt es unter anderem zur Finanzierung für Seniorenwohnungen, Pflegeplätzen und sozialen Projekten bei. Jeder Euro, der im Weingut erwirtschaftet wird, fliesst zurück in diese Arbeit.
Jeder Schluck eine gute Tat
Für ihn selbst war Wein nicht einfach ein Produkt, ein Erzeugnis. Wein verstand Robert Haller immer als Ausdruck. Von Herkunft, von Handwerk, von Zeit. Deshalb sucht er auch keine Marketingtricks, sondern klare Linien. Und deshalb hat er nie auf Masse gesetzt, obwohl das Bürgerspital gross genug wäre. Stattdessen hat er auf Präzision gesetzt. Auf Handschrift. Und auf Wiedererkennbarkeit.

Was bleibt, wenn man geht? Robert Haller muss nicht lange überlegen. Struktur, sagt er. Klarheit. Und eine Handschrift, die sich nicht aufdrängt – aber erkennbar ist. «Ich wollte, dass man unsere Weine erkennt, ohne das Etikett zu lesen.» Vielleicht ist das am Ende die grösste Kunst: nicht in lauten Tönen zu sprechen, sondern in klaren. Dass der Abschied nicht schwerfällt, glaubt man ihm. Aber man merkt auch: Er ist vorbereitet. Nichts ist offengeblieben. Kein Prozess, kein Projekt, keine ungelöste Personalie. Karl Brand ist erfolgreich in seine neue Rolle eingearbeitet, das Team stabil und gut aufgestellt, die Ausrichtung klar. «Ich gehe nicht, weil ich muss», sagt Haller. «Ich gehe, weil der Moment stimmt.»
Ob er zurückblickt? Ja. Und zwar mit äusserster Zufriedenheit. Nicht alles sei richtig gewesen, sagt er. Aber der Weg habe gestimmt. Er habe nie bereut, den Sprung von der Industrie in den Weinbau gewagt zu haben. «Ich bin kein Winzersohn. Aber ich bin Winzer geworden – mit Herz und Haltung.» Was ihn dabei geprägt hat? Menschen. Orte. Und Reben. Besonders die alten, tief wurzelnden, unauffälligen. Wie im Leben gehe es auch im Weinbau nicht um oberflächlichen Glanz oder schnelle Wirkung. Entscheidend seien vielmehr innere Substanz, gewachsene Tiefe – und die Bereitschaft, mit Geduld und Sorgfalt zu arbeiten. «Ein Weinberg erzählt nicht gleich alles. Man muss ihm Zeit geben.»
«Mir war immer wichtig, dass der zweite Schluck Lust auf den dritten macht.»
Auch die Region hat ihn geprägt. Franken mit all seiner Eigenwilligkeit, seiner Klarheit, seiner Geschichte. Die Menschen, die Böden, der Silvaner. Ein Wein, der für viele unscheinbar wirkt, aber für Haller zum Inbegriff dessen wurde, was Wein kann: Herkunft zeigen, Charakter haben, nicht gefallen wollen. Die Stiftung? Sie war mehr als nur Rahmen. Sie war Begründung. «Wenn man weiss, dass die eigene Arbeit einen gesellschaftlichen Zweck erfüllt, verändert das den Blick», sagt Haller. Und es verändert auch, wie man führt. Kein Ehrgeiz um seiner selbst willen. Keine Geltungssucht. Sondern Wirksamkeit. Und so wirkt er auch im Rückzug: ruhig, klar, zufrieden. Ohne Wehmut, ohne Dramatisierung. Aber mit einem Satz, der bleibt: «Wenn etwas bleibt – dann vielleicht meine Weine, die ich hinterlasse.» Vielleicht ist genau das die Bilanz eines ganzen Berufslebens. Kein Denkmal. Kein Finale. Sondern ein Fundament. Und ein Glas Silvaner, das nicht laut, aber lange nachhallt.