Mister Dynamite
Winzerlegende Diego Mathier, Salgesch, Wallis
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Bianca Rüttimann

Kein Schweizer Winzer hat in den letzten 20 Jahren bei VINUM-Verkostungen so brilliert wie Diego Mathier aus Salgesch. Der 54-Jährige hat mit seiner Frau Nadia und Kellermeister Cédric Leyat eine Stilistik entwickelt, die Charakter und Balance perfekt in sich vereint. Und die Erfolgsstory geht weiter: Die fünf Mathier-Töchter setzen bereits Akzente im Weingut.
An einem kühlen Abend im November 2016 herrschte in der Simplon- Halle im schmucken Alpenstädtchen Brig eine Stimmung, wie man sie im Oberwallis sonst höchstens bei einem Eishockey-Derby erleben kann. Doch die Sprechchöre galten dabei nicht einem Top-Scorer auf dem Eis, sondern einem im Weinbau, nämlich dem Winzer Diego Mathier aus Salgesch, der wenige Wochen zuvor an dem von VINUM mitorganisierten Grand Prix du Vin Suisse zum «Winzer des Jahrzehnts» gekürt worden war. Zur grossen Siegesfeier hatte Mathier nicht weniger als 1100 Gäste eingeladen, die von 50 Käse-Profis mit Raclette verpflegt wurden. Auch Mathier- Wein floss reichlich. Am Schluss des Abends sollen 1100 leere Weinflaschen gezählt worden sein, darunter viele Topweine aus der «Familie Mathier»-Linie. «Geniesst diese Gewächse ohne zu viel Bescheidenheit, schliesslich brauchen wir im Keller ja auch Platz für die nächsten grossartigen Jahrgänge», hatte der Winzer am Anfang des Abends zugerufen.

Der 54-Jährige ist ein Mann unter Strom. Wenn er über seine aktuellen Aktivitäten berichtet, kommt man mit dem Schreiben kaum nach. Seit längerem feilt er zusammen mit seinem Team an einer Verkaufsstruktur, die den Schweizer Wein noch stärker ins Zentrum setzen soll. Und nebst dem Stammhaus ist er mit dem Aufbau einer zweiten Domäne beschäftigt, dem «Hospices de Salquenen», benannt nach einem ehemaligen Hospiz, das die Johanniter im 13. Jahrhundert in Salgesch gegründet hatten. Zum Unternehmen gehören auch zwei Weinhandlungen in der Deutschschweiz sowie das BnB «Vino Veritas» in Salgesch. Als Beitrag zur Biodiversität baut er von Oktober bis April zwischen den Rebzeilen Safran an, den es in schmucken Dosen in der Vinothek zu kaufen gibt. Und unter der Linie «La Folie» entstehen seit kurzem Topweine von bis zu hundertjährigen Pinot-Noir- und Syrah-Stöcken, die mit ihrer temperamentvollen Art eine etwas andere, puristischere Stilistik vertreten als die Flaggschiff- Weine aus der Ambassadeur-Linie.

Abonniert auf Topbewertungen
Die Erfolge dieses Weingutes beim wichtigsten Weinwettbewerb der Schweiz, dem von VINUM mitorganisierten Grand Prix du Vin Suisse, sind legendär. 16 Mal, mehr als doppelt so oft wie das zweiterfolgreichste Weingut, stand er zwischen 2007 und 2016 auf dem Siegertreppchen. Auch danach ging es im gleichen Stil weiter, nur dass Diego Mathier aufgehört hat, diese Podestplätze zu zählen. Wer in Blindverkostung über so viele Jahre hinweg derart erfolgreich ist, produziert ohne jeden Zweifel in sehr hoher Konstanz Weine von sehr hoher Qualität. Manche Szenen-Insider weisen darauf hin, dass längst nicht alle Topwinzer an solchen Concours teilnähmen, was die Einschätzung der Mathier-Erfolge schwierig mache. Entkräftet wird dieser Einwand durch die Tatsache, dass die Mathier-Weine auch bei den VINUM-Profipanels, bei denen sorgfältig ausgewählte Topweine verkostet werden, stets überaus erfolgreich sind. So zeigte sich etwa der Merlot Nadia Mathier 2015 auf Augenhöhe mit Top-Crus aus Bordeaux, Südafrika und Kalifornien (VINUM Oktober 2017). Auch der Pinot Noir L’Ambassadeur Domaines Diego Mathier 2019 klassierte sich in den «Top 5» der helvetischen Pinot-Elite (VINUM Juni 2022). Die Resultate zeigen: Egal in welcher Konstellation die Mathier-Weine verkostet werden, sie erzielen konstant Höchstnoten. Vor allem aber gehören sie zu jener raren Spezies von Weinen, die Konsumenten und Fachleute gleichermassen begeistern.

Der Patron ist ein Hansdampf in allen Gassen. In der Vinothek im Stammhaus in Salgesch oder während der zehn Tage, in denen er jeweils seine Weine auf der Frühlingsmesse in Bern präsentiert, ist er nicht nur der stets gut gelaunte, joviale Gastgeber, er sondiert auch mit analytischem Geschick, wie der Markt tickt. Wer wie Diego Mathier heute Trauben aus einer Fläche von rund 120 Hektar einkellert und die immens erscheinende Zahl von 65 verschiedenen Weinen abfüllt, muss in allen Qualitätsstufen innovativ sein. «Unsere Topweine sind die Kür, in die wir unsere ganze Passion stecken», aber man darf deswegen nie die «Pflicht» vernachlässigen. Dazu gehören etliche Klassiker des Hauses, aber auch vollfruchtige Spassweine für ein junges Publikum wie etwa der Gigolo rot, der in einer trendig bauchigen Flasche mit auffallendem Künstler-Etikett daherkommt. Der Patron weiss natürlich genau, dass er als Botschafter seiner Weine nur dann brillieren kann, wenn das Ausgangsmaterial stimmt. Und so steht er zur Erntezeit, in seiner Erscheinung einem Feldherrn nicht unähnlich, bei der Traubenannahme, wenn über die Bahnhofstrasse von Salgesch der Tross der rund hundert Winzer anrollt, die ihm ihre Trauben liefern.
«Ich bin streng bezüglich der Qualität der Trauben, denn die Kunden sind auch streng zu mir.»
«Es ist ein wichtiges Zeichen an unsere Vertragsbauern, wenn der Patron selbst die Trauben entgegennimmt. Denn alle wissen, dass ich streng bin. Und ich muss streng sein, denn meine Kunden sind es gegenüber mir auch», sagt er und ergänzt: «Natürlich weiss ich, dass es ein Privileg ist, in der heutigen Zeit hier im Wallis Wein machen zu dürfen.» Sein Vater habe den Pinot noch öfters erst kurz vor Weihnachten gelesen: «Er musste noch kämpfen um die Reife. Heute fühle ich mich dank der Klimaerwärmung manchmal wie ein Langstreckenläufer, der schon 300 Meter vor dem Ziel weiss, dass er gewonnen hat.»

Pinot Noir bleibt die Referenz
Ein weiteres «Heiligtum» in seinem Jahresablauf sind im April die Primeur-Verkostungen in Bordeaux. Dieses Jahr reiste er mit seiner Frau und all seinen fünf Töchtern nach Bordeaux. «Ich wollte, dass wir dieses Primeur- Feeling einmal alle zusammen erleben», meint er. Mathier gilt als versierter Verkoster, gerade auch was Bordeaux anbelangt. Doch seine Lieblingssorte ist und bleibt der Pinot Noir. Kein Wunder, steht ihm in Bordeaux der rare Le Pin aus Pomerol am nächsten: «Denn trotz viel Kraft erkenne ich in diesem Kultwein stets eine burgundisch anmutende Finesse», sagt er. Zuhause nimmt er viel Arbeit auf sich, um aus dem Walliser Pinot das Bestmögliche herauszukitzeln. Während der Ernte etwa werden die Pinot-Trauben in nicht weniger als sechs Qualitätsstufen eingeteilt. 25 Jahre sind vergangen, seit Diego Mathier das Weingut von seinem Vater Adrian übernommen hat. Dieser war mit seiner feinsinnigen und eher zurückhaltenden Art ein anderer Typ von Patron als sein impulsiv und manchmal auch etwas dominant auftretender Sohn. Trotzdem verlief die Übergabe harmonisch. Topweine wie den Ambassadeur rot oder den Ambassadeur Fumé Gros Rhin, einen wegweisenden Cru aus der Sorte Silvaner, hat schon sein Vater abgefüllt. Von diesem übernahm er auch Kellermeister Cédric Leyat, der bereits seit 1991 hier tätig ist. Zum Triumvirat, welches das Haus Mathier nun schon seit zwei Jahrzehnten prägt, gehört auch Nadia Mathier. «Die Rolle meiner Frau? Nun, sie ist schlicht der Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens », gibt Diego Mathier zu. Jetzt, wo die fünf Töchter kontinuierlich mehr Verantwortung übernehmen, könnte aus dem Trio bald ein Oktett oder Nonett werden, wenn man noch Simon Carlen dazuzählt, der hinter den Kulissen dafür sorgt, dass die vielen Ideen von Diego Mathier nicht Fiktion bleiben. In Zeiten der Veränderungen ist Team-Bildung wichtig. Nach dem gemeinsamen Bordeaux-Ausflug steckt die Familie bereits inmitten der nächsten Challenge, nämlich der Ausbildung für den Hochsee-Segelschein. «Damit wir auf dem richtigen Kurs bleiben», sagt Diego Mathier.

Kraft, Charme und Finesse
Mehrere Mathier-Linien wie «Les Pyramides», «Ambassadeur», «Familie Mathier» und seit kurzem auch «La Folie» stehen für Walliser Spitzenweine.
Heida La Folie 2023
AOC Valais, Schweiz
93 Punkte | 2025 bis 2030
Zeigt im Vergleich zum ebenfalls sehr guten Heida Les Pyramides eine Spur mehr Finesse und Komplexität. Aromen von Pfirsich, dazu ein Hauch von Zabaione, feine Würze. Im Gaumen dicht gewoben, animierend saftig.
L’Ambassadeur de Diego Mathier weiss 2023
AOC Valais, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2030
Ab diesem Jahrgang besteht diese Assemblage nurmehr aus Heida und Petite Arvine, der Verzicht auf die Sorte Marsanne macht den Wein wesentlich geradliniger und knackiger, Kernobst in der Nase, edle Salzigkeit im Gaumen.
Ambassadeur Fumé Gros Rhin de Chamoson 2023
AOC Valais, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2030
Der reinsortige Silvaner wurde nach dreitägiger Maischenstandzeit in Barriques vergoren und gereift. Wiesenkräuter, etwas Akazienhonig, aufgeschlagenes Ei. Im Gaumen herrlich saftig, würzig und beschwingt.
Syrah La Folie 2022
AOC Valais, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2032
Der erste Jahrgang des neuen Top-Syrah. Waldbeeren und rote Beeren, Pfeffer, mineralische an Graphit erinnernde Noten. Im Gaumen zupackend, mit kernigem Gerbstoff. Mit Temperament und viel Potenzial.
Pinot Noir La Folie 2022
AOC Valais, Schweiz
96 Punkte | 2025 bis 2032
580 Meter über Meer auf Böden mit viel Kalk und Magnesium gewachsen, zeigt dieser Pinot eine kernige, im guten Sinne puristisch wirkende Stilistik. Sauerkirschen und Waldbeeren, vielschichtig, klar und lebendig.
L’Ambassadeur de Diego Mathier 2022
AOC Valais, Schweiz
95 Punkte | 2025 bis 2032
Prototyp eines sinnlichen, gleichzeitig aber sehr gut strukturierten und samtigen Walliser Top-Pinots. Reife Waldbeeren, Pflaumen und edle Würze. Im Gaumen stoffig, aber weich, getragen von einer saftigen Säure.
www.mathier.com