„Braucht der Markt einen Zweitwein aus Bordeaux?“ - Teil-II

16.07.2012 - arthur.wirtzfeld

FRANKREICH (Bordeaux) - In Teil I habe ich die Frage gestellt: „Braucht der Markt einen Zweitwein aus Bordeaux?“ - Dazu habe ich meine Ansicht zu den Zweitweinen aus dem Bordeaux beschrieben und erläutert, warum und wie es zu Zweitweinen kommt. In Teil II sprechen wir nun über die Praktiken der Châteaux und was dahinter steckt.

 

Ein schönes Etikett macht noch lange keinen Qualitätswein aus - dies gilt natürlich auch für Zweitweine. Auf Château Grand Puy Lacoste produziert François Xavier Borie einen Zweitwein, genannt Lacoste Borie. Borie war schon immer darauf gedacht, seinen Zweiten vom Grand Puy Lacoste abzugrenzen. Aber er lehnt es auch kategorisch ab für den Zweitwein Weinsäfte zu verwenden, die zu tanninhaltig, zu hart oder zu trocken sind, um sicher zu stellen, dass sein Lacoste Borie Trinkgenuss bietet.

Also, um einen guten Zweitwein zu machen erfordert es eigentlich eine dritte Auswahl. Um eine dritte Auswahl von guter Qualität zu produzieren, benötigt man eine vierte, und so weiter. Dieser Anforderung werden nicht alle Hersteller gerecht - sei es aus Gier oder fehlendem Know How. Halten wir fest: Auch mit viel Fantasie und Anstrengung wird ein „Zweitwein“ den Ersten nicht erreichen.
Ein Beispiel: Ich mag die sanfte Berührung des Pichon Comtesse de Lalande - ich könnte mir vorstellen, diese Eigenschaften auch beim Zweitwein La Reserve de la Comtesse zu finden. Dies wäre jedoch eine schwierige Aufgabe, denn nur wenige Schritte entscheiden darüber, ob ein Zweitwein den Stil seines vornehmen Bruder bei Beibehaltung einer eigenen Persönlichkeit erreicht.

Man kann also nicht generell verlangen, dass ein Zweitwein so tiefgründig ist wie ein Premier Vin. Per Definition ist es so: Wären die Ernten und die daraus vinifizierten Lose gleich gut, würde man diese in die Assemblage des Erstweins übertragen. Auf der anderen Seite hält die Produzenten nichts davon ab, ihren „Zweitwein“ angenehmer und fruchtiger zu gestalten, ihnen mehr Körper zu geben und die trockenen Tannine auszufiltern. Und warum sollte ein Zweitwein dann nicht auch noch eine persönliche Struktur aufweisen können?

Dies alles wäre möglich, ...ja wenn es nicht die Erzeuger umtriebe, den „Zweitwein“ als Überläufer des Erstweins zu produzieren. Und genau hier spielt auch der Markt eine große Rolle, der um den positiven Einfluss der Zweitweine weiß. (Siehe Châteaux Les Fiefs de Lagrange, La Croix de Beaucaillou, Clos du Marquis, Pavillon Rouge, Alter Ego auf dem linken Ufer und am rechten Ufer Carillon de l'Angelus, Duo de la Conseillante, La Petite Eglise, Virginie de Valandraud wie auch die letzten Jahrgänge von La Chapelle d'Ausone und Petit Cheval).

Und das Pauillac Château Latour hat sogar einen erfolgreichen Drittwein auf dem Markt, der allerdings nicht von Latour produziert wird, sondern dies übernehmen Negociants mit ihrer Vision, diesem Wein eine eigene Identität zu geben. Sie erreichen dies durch eine andere Perspektive der Weinbereitung - will heißen: weniger Tannin-Extraktion, eine andere Élévage und ein größerer Anteil an Merlot verleihen dem Forts de Latour eine gewissen Weichheit. Dabei muss man festhalten: Der Drittwein von Latour wird nicht aus den Resten des Erst- oder Zweitweins gemacht.

Dies ist auch die Philosophie beim Alter Ego de Palmer, der im Verständnis ein Zweitwein des Château ist. In diesem Bewusstwein widerspricht Thomas Durox, Manager bei Palmer, der Bezeichnung „zweiter Wein“ - er favorisiert die Bezeichnung „anderer Wein von Château Palmer“. Dies sieht José Sanfins von Château Centenac ebenso. Sein neuer Brio de Cantenac ist ein köstlicher Wein, der die Geschmacksnerven erfreut und sich auch eigenständig gegenüber Centenac Brown, dem Grand Vin präsentiert. Und genau dies ist die Schwierigkeit, also die Veränderung des Wertes und des Stiles, die von den Produzenten gefunden werden muss und worin sich die meisten schwer tun.

Jetzt ist es doch so, dass Zweitweine in der Regel als „arme Eltern“ empfunden werden, deren Aufgabe es ist, die Grand Vins heller leuchten zu lassen. Und Bordeaux ist definitiv ein Ort für den Grand Vin und kämpft stetig darum, diese Qualität zu sichern und erweitern.

Ein weiterer Aspekt die Zweitweine betreffend macht mir Sorgen: es ist das Fehlen jeglicher Vorstellung eines Jahrgangs. In 2009 und 2010 - beides tolle Jahrgänge - war ich erstaunt festzustellen, dass die generelle Qualität der Zweitweine nicht besser war, also nicht dem Jahrgang entsprach. Dafür gibt es einen Grund: Wenn eine Assemblage oder ein Cuvée sehr gut ist, geht es in den Erstwein über, der viel teurer verkauft werden kann. Daraus folgt mein Rat: Kaufen Sie weniger bekannte Weine aus renommierten Appellationen.

Einige berühmte Crus verkaufen ihren Zweitwein zu recht hohen Preisen. Sie rechtfertigen dies mit dem Preis für den Erstwein. Sofern Sie durch Jahrgang, Ernte oder Vinifikation ein Paket erhalten, bei dem sie sich nicht sicher sind ob dieses die Qualität für den Erstwein hat, stufen sie es einfach herab und schon ist es ein Zweitwein. Dabei ist dies ein reiner Gewinn für den Erstwein, dessen Menge durch die nicht passende Qualität so nicht einfach erhöht wird.

Daraus lässt sich ein Fazit ziehen: Der Grand Vin bleibt im globalen Wettbewerb die höchste Stufe der Kritik. Dem Zweitwein bleibt eine Verbesserung der Qualität, in dem er dem ersten Paket fast würdig ist. Bei diesem System haben die Châteaux Bewegungsfreiheit. Die Produzenten können so die Mengen der Erst- und Zweitweine steuern. Letzteren hilft die Bekanntheit der Erstweine und die Zweitweine lassen sich somit mitunter zu erhöhten Preisen verkaufen.

Als Beispiel dazu sei die gestiegene Qualität der Pavillon Rouge aus den Jahrgängen 2009 und 2010 erwähnt. Es ist kein Zufall. Die Konsumenten wissen es noch nicht - seit 2009 gibt es einen Drittwein von Château Margaux, der allerdings noch nicht auf dem Markt erhältlich ist. Die Trauben für diesen Drittwein stammen aus besten Teilen der Anlagen des Pavillon Rouge und er enthält einen größeren Anteil an Cabernet Sauvignon. Dieser schöne neue Wein glänzt außerordentlich mit dem Jahrgang 2010.

Abschließend zum Thema unterstreichen meine Verkostungen den eher heterogenen Charakter der Zweitweine aus Bordeaux. Manche erreichen ein sehr hohes Niveau, während andere geradezu ein Witz sind. Das Gros der Zweitweine sollte besser sein, sich schmackhafter präsentieren und aufzeigen, dass Bordeaux spannende Zweitweine produzieren kann. Jetzt ist es ein Markt, der den Châteaux noch entgeht. (j.m. quarin)

 

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