Travel like a Pro

48 Stunden in Stuttgart

Text: Eva Maria Düllingen, Fotos: Jana Kay

Das «große Dorf» im Neckar-Tal wird von vielen guten Sternen übermalt. Nicht nur von dem einer weltberühmten Auto-Marke. Gleich zwei neue Sternchen hat der Guide Michelin dieses Jahr an Stuttgarter Fresstempel verliehen. Überhaupt scheint die Weinstadt nur aus «fressa ond saufa» zu bestehen: von der Speakery-Bar im Rotlichtviertel bis zum Luxuslokal in Schwindelhöhe.

Erstens: Mercedes. Zweitens: Maultaschen. Drittens: Marienplatz. Damit ist für viele fast alles zum Thema «Stuttgart» gesagt. Dass die Automobil-Stadt am Neckar über rund 420 Hektar Rebfläche verfügt und nur so vor Orten mit Bars, Kulturevents und abgefahrenen Food-Adressen strotzt, ist weniger bekannt. Der raffende, schaffende Häuslebauer von einst scheint zum genussaffinen Schwaben mutiert zu sein. Sobald die ersten Sonnenstrahlen das «Städtle» im Neckartal einlullen, glaubt man sich an einen südländischen Touristen-Spot versetzt. Plätze werden zu Piazzi, kaum eine freie Sitzgelegenheit findet sich in oder vor den Cafés, Patisserien und Weinstuben. Reisende aus den USA, Fernost und Neuseeland sind uns während der Recherche begegnet. Nicht nur, um Käsespätzle und Viertele als Gaumeneindruck mit nach Hause zu nehmen: Porschemuseum, einzigartige Kunstsammlungen oder Schloss Solitude liessen ihre Glückshormone nicht minder purzeln. Dass der Wein quasi vor der Haustüre der Stuttgarter wächst, verpasst der Stadt einen extrem vinophilen Anstrich.

Seit dem Mittelalter, wahrscheinlich bereits zu Römer-Zeiten, zählt der Weinbau hier zum Handwerk. Ganze 18 Einzellagen, meist Steilhänge, verteilen sich über 16 der insgesamt 23 Bezirke im klimatisch begünstigten Talkessel. Die wohl bekannteste Steillage der Metropole trägt den süssen Namen «Cannstatter Zuckerle», deren Gewächse – vom Riesling bis zum Pinot Noir – nationale Medaillen einfahren. Die historisch gereifte Nähe zum Wein spiegelt sich in Gastronomie und Handel Stuttgarts wider: Weinkarten zahlreicher Lokale rufen verdientes Lob hervor. Fingerspitzengefühl beim Sortiment in teils futuristisch anmutenden Weinshops lässt sich ebenso wenig leugnen. Das Tagesprogramm vom chillig-pompösen Frühstück in der historischen Altstadt bis ins Kingsize-Bett eines Boutiquehotels im Bohnenviertel sollte mitnichten ohne Seitensprünge stattfinden – und zwar oft in angenehmer Laufweite.

Tag 1

9 h Götterdämmerung mit Spiegelei 1

Aus den Boxen pulst Soul in angenehmer Lautstärke. Passend dazu gibt’s Frühstück, das die Seele streichelt. Bis nach Paris fährt Madeleine, um das feinste Baguette, und bis nach Thailand, um die besten Teekompositionen zu finden. Die marokkanische Besitzerin entwirft Frühstücksideen wie andere Mode. Das «Breaky Lovers»-Frühstück auf einer silbernen Etagere ist essbare Haute Couture.

The Gardener’s Nosh
Calwer Str. 62
70173 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 28 04 82 11
www.thegardenersnosh.com

11 h Luxus über Marktständen 2

Die eigentliche Sensation des Jugendstil-Gebäudes liegt auf der 1. Etage, oberhalb der 33 Stände mit Leckereien aus aller Welt: ein schwäbisches «Harrods», ein Konsumtempel, dessen Schätze von der Luxus-Seife bis zum Retro-Mixer reichen. Wem bei all den Lifestyle-Artikeln schummrig wird, geht die schwarzen Stufen runter und deckt sich mit Feinkost aus Frankreich, Ungarn oder Südamerika ein. Und natürlich mit schwäbischen Wurst-Spezialitäten.

Stuttgarter Markthalle
Dorotheenstr. 4
70173 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 48 04 10
www.markthalle-stuttgart.de

13 h Greifbare Silbersterne 3

Ein futuristischer Paternoster schwebt ins obere Stockwerk. Von hier geht es wie auf einer absteigenden Doppelhelix vorbei am ältesten Mercedes «Simplex» bis zum 300 SL «Flügeltürer». 160 Fahrzeuge und über 1500 Exponate erzeugen Schnappatmung. Getunt wird die Zeitreise durch Wandfotografien, die die Modelle mit den entsprechenden Geschichtsereignissen verbinden. Um alles einzufangen, müsste man Tage in diesem Architekturwunder verbringen.

Mercedes-Benz Museum
Mercedesstr. 100
70372 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 173 00 00
www.mercedes-benz.com

16 h Tequila zur Havanna 4

Nach dieser PS-Spritze wird es Zeit, einen schwäbischen Gin zu verkosten. Im alten Prinzen-Bau geht jedem Edelspirituosen-Maniac das Herz auf: Zwischen Bas-Armangnac, Gin, Cognac und alten Madeiras steht Single Malt im Fokus. Aus den insgesamt 600 Raritäten lässt Gustaph Eberlein einiges probieren. Sein Lieblings-Match zur Zigarre (auch hier 600 Sorten, von Kuba bis Honduras) ist eine Cuaba zu Rum oder gereiftem Tequila. Eigene Gin-Abfüllung!

Alte Tabakstube
Schillerplatz 4
70173 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 29 27 29
www.altetabakstube.de

18 h Fröhlicher geht’s nicht 5

In welcher Küche der beste Roschdbrada brutzelt? Na, in der der Weinstube Fröhlich. Doch der auf den Punkt gebrachte rosa Rostbraten ist nicht alleiniger Grund, weshalb sich das stimmungsgeladene Altstadt-Lokal mitten im Rotlichtviertel innerhalb von Minuten füllt. Die exzellente Weinauswahl tut ihr Übriges. Vorfahrt hat an diesem Abend das Weingut Aldinger, dessen 2017er Riesling GG sich so gut mit dem Rotbarsch in Eihülle versteht wie die hausgemachten Maultaschen mit seinem 2013er Gips Trollinger.

Weinstube Fröhlich
Leonhardstr. 5
70182 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 24 24 71
www.weinstube-froehlich.de

20.30 h Wohnzimmer voll Gin 6

Wenn man schon den abgenudelten Vergleich mit dem Wohnzimmer will, dann mit einem äusserst geschmackvollen, in dem die Hausbar Gin auf Weltklasse-Niveau bereithält. Und zwar 150 Sorten aus Ländern wie Spanien, Italien oder den USA. «Gin kann alles», sagt der Barkeeper und versetzt unseren Fifty Pounds Dry Gin aus London mit Hibiskus-Tonic – 50 verschiedene Tonics stehen zur Auswahl. Ein Geheimtipp: der GinST, ein Dry Gin aus Stuttgart.

Botanical Affairs
Weberstr. 10
70182 Stuttgart
Tel. +49 (0)174 310 74 94
www.facebook.com

Tag 2

9 h Frühstück fürs Album 7

Es kostet Willenskraft, sich wieder vom Bistro-Stuhl zu erheben. Nein, nicht wegen der Kalorien aus den kleinen Sünden, die sich etwa «Wunderland» oder «Mohna Lisa» nennen und genauso schmecken – Konditorin Aline kreiert die Törtchen nur aus feinsten Rohstoffen. Man fühlt sich vor allem sauwohl in der wunderschön gestalteten ehemaligen Backstube. Kürzlich war gar ein japanischer TV-Sender hier, um das «Tarte-&-Törtchen-Frühstück» zu filmen.

Tarte & Törtchen
Gutbrodstr. 1
70197 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 91 25 35 05
www.tarteundtoertchen.de

10.30 h Einzellage in der Grossstadt 8

Ohne das Stuttgarter Weingut um ein paar Flaschen Riesling GG oder Pinot Brut erleichtert zu haben, darf man die Weinstadt nicht verlassen. Fast alle Gewächse der Wöhrwags entspringen ihrer Monopol-Lage «Herzogenberg», an den Hängen des Stuttgarter Kessels. Jahrgang 2017 ist bereits ausverkauft. Aber im Verkostungsraum des entzückenden Familien-Weinguts wartet unter anderem die Fassprobe der «Goldkapsel» aus 2018. Man würde am liebsten das Fass aus dem Keller stibitzen.

Weingut Wöhrwag
Grunbacher Str. 5
70327 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 33 16 62
www.woehrwag.de

12 h Mal hier, mal da 9

Pop-up-Restaurants sind inzwischen ein Begriff, Pop-up-Weinshops eher nicht. Könnte sich bald ändern. Das Weingut der Stadt Stuttgart hat bereits zum zweiten Mal einen temporären Store eröffnet – diesmal auf der Kronprinzenstrasse. So lag es nahe, den industrieartigen Saal «Kronprinz» zu nennen. Die Auswahl der Tropfen vom Chardonnay bis zum Syrah aus nahezu allen Stuttgarter Lagen trägt jedenfalls royale Züge. Wo das Weingut mit dem nächsten Ladenlokal aufpoppt, entnimmt man dessen Homepage:

Weingut Stadt Stuttgart
Sulzerrainstr. 24
70372 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 216 71 40
www.stuttgart.de/weingut

13 h Lachstatar mit Weitblick 10

Mit Lachstatar und Kaviar auf der Zunge blickt man auf ameisengrosse Menschen, die sich über den Schlossplatz schieben. Lenkt man den Blick weiter durch die riesigen Panoramafenster, vergisst man fast sein kleines Mittagsmenü. Vom Top Floor des Stuttgarter Kunstmuseums aus kann man die gesamte Innenstadt inklusive Alten und Neuen Schlosses einfangen. Nach dem Edel-Imbiss in Schwindelhöhe empfehlen sich die Kunstausstellungen auf den unteren Etagen. Favorit: die Otto-Dix-Sammlung.

Restaurant Cube
Kleiner Schlossplatz 1
70173 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 280 44 41
www.cube-restaurant.de

15 h Ein Navi, bitte! 11

Wer ohne Einkaufszettel hier aufschlägt, wird in einen Strudel hineingesogen, bleibt an der Champagnerbar hängen, geht beschwingt vorbei an Delikatessen, von denen man nicht mal wusste, dass sie existieren, nimmt vorbildlich sortierte Weinabteilung und Weinhumidor in Augenschein, lässt sich vom Fleisch-Sommelier beraten, kauft ein Stück süddeutsches Limousin-Rind und verlässt die 1500 Quadratmeter grosse Halle der Köstlichkeiten mit dem Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben…

Feinkost Böhm
Kronprinzstr. 6
70173 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 22 75 60
www.feinkost-boehm.de

19 h French Cooking Schwabe 12

Was der ehemalige Postbote hier auf das Porzellan zaubert, ist mehr als postfaktisch. Günther Oberkamm ist Meister der Textur und Temperatur, sein leicht krosser Adlerfisch mit butterzartem Fenchel beweist das nicht weniger als die Taubenbrust, die der Maître mit Alpenwiesenjus veredelt. Dazu wurde unter anderem ein 2011er Columelle Blanc und ein 2005er Clos des Capucins serviert. Der Schwabe nennt seinen Stil «Cuisine bourgeoise», wir nennen ihn «saugut».

Augustenstüble
Augustenstr. 104
70197 Stuttgart
Tel. +49 (0)711 62 12 48
www.augustenstueble.de

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