Erlebnis für Geniesser: Das Weinviertel

Roadtrip - Reisen und Tafeln im Weinviertel

Text: Patrick Hemminger, Foto: Christine Wurnig

  • Reisen und Kulinarik
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Die Weine aus dem Weinviertel hatten keinen guten Ruf. Die Winzer hatten darum nichts mehr zu verlieren. Das haben in den vergangenen Jahren einige Nachwuchstalente genutzt, um mal so richtig zu zeigen, was sie können.

Abgehängt, provinziell und langweilig, diesen Ruf hatte das Weinviertel jahrzehntelang. Noch immer sieht man ausländische Touristen eher selten und es kommt nicht oft vor, dass sich aus Wien jemand hierher verirrt. Dabei ist man von fast überall in einer Stunde im Zentrum der Hauptstadt. Aber nach Norden über die Donau fahren? Da fühlt sich der Wiener noch immer irgendwie unwohl. Jahrzehntelang war die Grenze zu Tschechien der Eiserne Vorhang. Das Weinviertel war Grenzland, dort ging man nicht hin, von dort wollte man weg. Und auch wenn der Ostblock schon lange Geschichte ist, in den Köpfen wirkt er immer noch nach.

Für Weinfreunde hat diese Entwicklung gleich mehrere Vorteile auf einmal. Denn wenn eine Gegend für viele Jahre als uncool gilt, ist das die beste Voraussetzung dafür, dass sie genau das Gegenteil wird. Wer als junger Winzer nichts zu verlieren hat, der wagt Dinge, die sich andernorts keiner traut, der keltert gerne Weine abseits des Mainstreams oder besser als der Mainstream. Dafür kann er aber nicht die Preise renommierter Regionen aufrufen. 
Eine gute Gelegenheit, das Weinviertel zu entdecken, bietet sich in den kommenden Wochen. Von Mitte Juni bis Mitte August tischen Spitzenköche und Winzer das Beste auf, was die Region zu bieten hat – unter freiem Himmel, inmitten der Weinberge oder in historischen Kellergassen.

Eine der schönsten Tafeln wird in der Kellergasse in Pillersdorf aufgestellt. Eines der Weingüter, das dort seine Weine ausschenkt, ist das der Schwestern Schüller. Kerstin, mit 34 Jahren die ältere der beiden, ist verantwortlich für die Weinberge und den Keller. Ihre 27-jährige Schwester Nadine kümmert sich um Marketing und Büro. «Das funktioniert bei uns prima, weil jede ihren eigenen Bereich hat», sagt Kerstin Schüller. «Jede könnte für die andere einspringen und natürlich treffen wir wichtige Entscheidungen gemeinsam. Aber keine redet der anderen rein.» 

Vor zwei Jahren übernahmen die beiden das Weingut von ihrer Mutter. Diese hatte es jahrelang gemeinsam mit ihrem Mann geführt. Doch als der 2009 an Krebs erkrankte, fragte sie ihre Ältere, ob sie es weiterführen würde. Kerstin wollte und ging nach dem Abschluss ihres BWL-Studiums direkt in den Keller. «2010 war ein schwieriger Jahrgang. Oft stand ich im Keller, wusste nicht weiter und hab meinen Papa angerufen», sagt sie. Noch im gleichen Jahr starb der Vater. 

2012 stieg dann auch Nadine ein. Aktuell hat ihr Weingut eine Grösse von 16 Hektar, 70 Prozent davon ist mit weissen Rebsorten bepflanzt. Ihr Liebling ist eindeutig der Grüne Veltliner, übrigens in fast allen Betrieben die wichtigste Sorte. «Ich mag, dass sich in diesem Wein Böden und Ausbauart klar widerspiegeln», sagt Kerstin. Ihre Weine sind allesamt wunderbar gelungen, haben alle Kraft, verlieren dabei aber nie ihre Eleganz. Das gilt vom Einstiegswein bis zur Reserve. 

Von Pillersdorf geht es nach Röschitz, einem Dorf mit langer Weinbautradition. Rund 850 Menschen leben dort, 20 hauptberufliche Winzer gibt es. Einer von ihnen ist Bernhard Gschweicher, 33 Jahre alt. Der Weg zum Weingut führt durch Strässchen, die wie überall im Weinviertel wenig einladend wirken. Die Häuser sind klein, ducken sich eng an die Strassenränder. Dass hintenraus oft schmucke Innenhöfe und Anbauten liegen, ist von vorne nicht zu sehen. So ist es auch bei Gschweicher. Doch vor dem Gang in den Verkostungsraum fährt der Winzer uns in die Weinberge. 

Reben-Oldies für die Jungen

«Drei Viertel unserer Anlagen sind älter als 40 Jahre», sagt Gschweicher. Wenn man nach Schulmeinung einen Weinberg neu bepflanzen sollte, so nach 30 oder 35 Jahren, dann wird es für ihn erst interessant. Die Erträge sind dann sehr niedrig, die Qualität der Trauben aber umso besser. Ausserdem dringen die Wurzeln dieser Reben so tief in die Erde, dass ihnen selbst monatelange Trockenheit nichts anhaben kann. Und das kann im Weinviertel schon mal vorkommen. Mit 300 bis 400 Millimeter Niederschlag pro Jahr liegt die Gegend an der unteren Grenze, wo Weinbau noch möglich ist. 

Der Qualitätsgedanke geht auf Gschweichers Vater zurück. Denn lange Zeit war es im Weinviertel nicht üblich, darauf Wert zu legen. Fast alle Betriebe hatten gemischte Landwirtschaft, der Wein war ein Produkt von vielen und es zählte die Menge. Wenn jemand wie Gschweichers Vater dann damit begann, grüne Trauben rauszuschneiden, die Unterschiede und Qualitäten der Lagen herauszuarbeiten, alte Weinberge zu pflegen, dann stiess er damit auf Unverständnis bei seinen Kollegen. Erst als Anfang der 1990er die ersten Auszeichnungen kamen, verstummte das Gerede im Ort allmählich. 

Bernhard Gschweicher setzt den Weg seines Vaters unbeirrt fort. Seine Weine sind schlank, kühl, sehr präzise und eher nichts für den schnellen Schluck zwischendurch. Sie werden dann reizvoll, wenn die fruchtigen Aromen nach den ersten 12 bis 18 Monaten beginnen, sich zurückzuziehen, und Platz machen für Würze und Struktur.

 


Weingut Gschweicher, Röschitz
Ried Mühlberg, Riesling Reserve 2017

16.5 Punkte | 2019 bis 2029

Im Duft zurzeit recht verschlossen, mit Weinbergspfirsich und Maracuja in die exotische Richtung gehend. Im Mund präzise und klar mit straffer Säure. Karaffieren bekommt dem Wein sehr gut.

Preis: 16 Euro | www.gschweicher.at

 

 


Weingut Schüller, Pillersdorf
Exklusive Nadine, Cuvée, 2015

17 Punkte | 2018 bis 2023

Zu Beginn zurückhaltend nach Cassis und Brombeere duftend. Am Gaumen dann saftig, zupackend und geradlinig. Sanftes Tannin und gut eingebundene Säure geben dem Wein Struktur.

Preis: 17 Euro | www.weingut-schueller.at

 

Verboten, aber geil

Georg Toifl wartet im «Retzbacherhof» zum Mittagessen. Das Restaurant in Unterretzbach gilt als eines der besten der Gegend. Toifl ist ein ruhiger, fast schweigsamer Mensch. Er lässt lieber seine Weine sprechen, und die haben es in sich. Seit 2010 führt der 30-Jährige den Betrieb. Zwölf Hektar Weinberge hat er, unterstützt wird er von seinem Grossvater. Einen schicken Verkostungsraum gibt es auf seinem Weingut nicht. Probiert wird am Küchentisch. Die Einstiegsweine sind eher brav, die Topweine hingegen gehören mit zum Spannendsten, aber sicher auch Polarisierendsten, was im Weinviertel gekeltert wird. Toifl liebt Kraft und Holz. Das funktioniert, weil er virtuos mit der Säure spielt. Die bildet in seinen Weinen immer ein Gegengewicht, und deshalb werden sie nie breit und schwer, sondern behalten auch bei mehr als 14 Volumenprozent Alkohol Frische und Zug am Gaumen. Sein genialster Wein aber ist einer, den es eigentlich gar nicht geben dürfe und den er deshalb als Landwein abfüllt: Ein gemischter Satz aus Cabernet Sauvignon, Grauburgunder und Frührotem Veltliner. «Ist verboten», sagt Toifl und grinst, «aber geil.» Schmeckt auf jeden Fall höllisch gut.

Solche Weine wird man im Weingut Hagn nicht finden. Gross und modern erhebt sich der Neubau am Ortsrand von Mailberg, darin sind der Keller, ein Restaurant und sechs Gästezimmer. Ein weithin sichtbares Zeichen für den Erfolg der Cousins Leopold und Wolfgang. Seit zwölf Jahren führen die beiden den Betrieb gemeinsam. Damals war das ein wenig aufregendes Weingut mit 19 Hektar. Inzwischen haben sie 50 eigene Hektar und kaufen von 150 weiteren die Trauben. «Wenn wir den Betrieb machen, dann Vollgas sieben Tage die Woche, so haben wir uns das damals vorgenommen», sagt Wolfgang. Alle waren skeptisch: die Familie, die anderen Winzer im Dorf, die ersten Gäste. Erst als die Auszeichnungen immer mehr wurden, unter anderem viermal in Folge als Weingut des Jahres in Österreich, wurden die Kritiker leiser. «Das Problem im Weinviertel ist, dass viele sich nicht trauen, Dinge zu ändern», sagt der 30-jährige Hagn. «Wenn ich Kollegen Vorschläge mache, etwa für gemeinsame Veranstaltungen, dann wird immer gefragt, was das denn bringe.» Es bringt auf jeden Fall Schwung in die Region. Im Umkreis von vielen Kilometern lässt sich nicht so gut essen und so schön übernachten wie bei Hagns. Und auch die Qualität der Weine ist vom Einstiegs- bis zum Topwein – übrigens alle spontan vergoren – aussergewöhnlich gut. Wenn sich dann nach einigen Tagen im Weinviertel ein Resümee ziehen lässt, dann dieses: Da geht was! Alle besuchten Winzer keltern eigenständige, exzellente und dabei preisgünstige Weine. Dabei sind alle erst um die 30 Jahre alt. Es wird also spannend, was sie in den kommenden Jahrzehnten aus ihren Weinbergen herausholen.

 


Weingut Georg Toifl, Kleinhöflein
Ge.org Grauburgunder Schatzberg, 2015

17 Punkte | 2017 bis 2027

Elegante Wuchtigkeit von der Nase bis zum Schlucken. Opulente, gelbe Früchte, dazu buttrige Aromen. Am Gaumen cremig und mit Anklängen von Schokoladenmousse. Der hohe Alkohol ist perfekt eingebunden.

Preis: 15 Euro | www.weingut-toifl.at

 

 


Hundschupfen Kellerei Hagn, Mailberg
Gelber Muskateller 2017

15.5 Punkte | 2018 bis 2019

In der Nase eifern Aromen von Muskat und Zitronengras um die Wette. Am Gaumen animierend frisch, zitrische Noten dominieren, ergänzt von kräutriger Würze. Schöner Aperitif und perfekter Partywein.

Preis: 8,20 Euro | www.hagn-weingut.at