Top of Toskana 2023 - Eigenständige Wege gehen viele toskanische Winzer

Die Talente des Jahres der Toskana

Text: Christian Eder, Fotos: www.kellenbergerkaminski.ch, z.V.g.

Von den Grenzen zu Umbrien und Latium bis in die Höhen des Mugello: Eigenständige Wege gehen viele toskanische Winzer. Sie suchen einzigartige Trauben, kreieren ungewöhnliche Weine, und das zum Teil in Zonen, die nie zuvor ein Traktor befahren hat.

Bettina und Moritz Rogosky

Caberlot und mehr

1972 kaufte der Berliner Wolf Rogosky ein Haus bei Mercatale im Arnotal, das er gemeinsam mit seiner Frau Bettina zu renovieren begann. Aber erst nach dem Frostjahr 1985, dem die Olivenbäume zum Opfer fielen, wurden direkt vor dem Haus auf 3000 Quadratmetern Reben gepflanzt. Die Rogoskys wählten dafür die Rebsorte Caberlot – eine Kreuzung aus Cabernet Franc und Merlot.

Die Sorte benötigt Wärme, ist ertragsarm, liefert aber eigenständige Weine, tiefgründig, die auch lagern können. Seit dem ersten Jahrgang 1988 wurde der Wein in der Magnum abgefüllt, und die Flaschen wurden handschriftlich nummeriert. Inzwischen gibt es ihn auch als Demi- Magnum. Der erste Jahrgang – das Etikett mit einem schlichten Kreuz geschmückt – wurde bereits ein Erfolg, der Wein ist nicht nur ein Sammlerstück, sondern auch eine überaus gelungene und trinkige Interpretation des Valdarno di Sopra.

Die Podere Il Carnasciale liegt mit ihren Weingärten über dem Arnotal auf sanften Hügeln zwischen dem Toskanischen Apennin und den Monti del Chianti. Der Familienbetrieb wird seit dem Tod von Wolf Rogosky von seiner Witwe Bettina und ihrem Sohn Moritz Rogosky geleitet. Der Rebsorten- und Jahrgangscharakter ist beiden besonders wichtig, um jedes Jahr einen einzigartigen Il Caberlot zu produzieren. Die Basis dafür sind Rebberge – insgesamt fast 6 Hektar – in verschiedenen Lagen des Arnotales. Moritz und Bettina Rogosky keltern neben dem Zweitwein Il Carnasciale (ebenfalls aus Caberlot) auch einen Sangiovese: Er heisst Ottantadue, nach der Hausnummer des Gutes. Aber das Aushängeschild der Kellerei ist auch nach 31 Jahren (mit dem hervorragenden Jahrgang 2019) der elegante und doch kraftvolle Il Caberlot, ohne Zweifel einer der eigenständigsten Weine der Toskana.

Francesco und Valentina Bolla

Die Harmonie der Maremma

Poggio Verrano ist der Realität gewordene Traum von Francesco Bolla, elegante Rotweine als Ausdruck des einzigartigen Terroirs der Maremma zu kreieren. Der Önologe Francesco Bolla ist Nachkomme der gleichnamigen Weinproduzenten-Dynastie aus Verona. Im Jahr 2000 beschloss er, selbst mit einer kleinen Kellerei in der Maremma in ein neues Abenteuer zu starten: immer mit dem Bewusstsein, dass ein grosser Wein nur aus der richtigen Verbindung von Boden und Klima, Reben und dem Menschen entsteht, wofür ihm die Maremma ideal erschien. Die 27 Hektar Rebberge von Poggio Verrano kombinieren heute felsige Böden von kalkhaltiger und lehmiger Natur, Süd-Südwest-Ausrichtung, Höhen zwischen 170 und 300 Metern über Meereshöhe und ein Klima, das von den Brisen des nahen Tyrrhenischen Meeres geprägt ist. Die Stockdichte liegt bei 6700 Rebstöcken pro Hektar, und die gepflanzten Rebsorten sind eine gut durchdachte Mischung der autochthonen Sangiovese und Alicante mit Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot. Die moderne und funktionale Kellerei, nach dem Schwerkraftprinzip auf drei Ebenen gebaut, ist unterirdisch und von Reben bedeckt und damit perfekt in die Landschaft integriert. Die Weine werden mit selektiver Handlese produziert, gefolgt von Gärung bei kontrollierter Temperatur und langsamer Mazeration, in kleinem Holz verfeinert. Das Aushängeschild der Kellerei und das Ergebnis der Produktionsphilosophie ist der Dròmos – ein mediterran-eleganter und langlebiger Rotwein, der aktuell mit dem Jahrgang 2015 auf den Markt kommt. Und auch für die Zukunft von Poggio Verrano ist gesorgt: Francescos Tochter Valentina – die fünfte Generation der Familie – steht ihrem Vater bereits zur Seite. Ihr ist der Rosé Vale von Poggio Verrano gewidmet.

Giovanni Bulgari

Eleganz und Terroirverbundenheit

Der Weiler Palazzone in der Gemeinde San Casciano dei Bagni, an der Grenze zu Latium und Umbrien, ist an sich nicht für Weinbau bekannt, wäre da nicht das Gut Podernuovo a Palazzone. Bereits in den 1950er Jahren wurden hier Trauben angebaut, hauptsächlich Sangiovese. Giovanni Bulgari – der Mann hinter dem Gut – hat diese Tradition wiederbelebt und das Weingut in den vergangenen Jahren zu einem Aushängeschild der südöstlichen Toskana gemacht. «Ich wollte das Territorium von Podernuovo mit Respekt neu interpretieren», sagt Giovanni Bulgari, «Eleganz, Harmonie und Achtung vor der Umwelt sind dabei die Eckpfeiler des Projekts und unserer Philosophie.»

Die Rebsorten, die auf Podernuovo a Palazzone gekeltert werden, entsprechen diesem Credo: die urtoskanische Sangiovese, Cabernet und Merlot, Grechetto und Chardonnay, aus denen ein halbes Dutzend Weine gekeltert werden. So etwa der Therra, ein Blend dieser Trauben, und in Nase und Mund ein Stück Toskana; der Argirio hingegen ist ein Cabernet Franc. «Der Name kommt vom Ton, weil der Boden, auf dem die Rebe wächst, tonhaltiger Natur ist,» sagt Giovannni Bulgari; der Nicoleo hat seinen Namen von seinen beiden Söhnen: Nico und Leone. Zwei unterschiedliche Charaktere wie Chardonnay und Grechetto für diesen Weisswein; Sotirio schliesslich verdankt seinen Namen Giovannis Ururgrossvater und ist ein reiner Sangiovese. Dieser Grand Cru des Weingutes vereint die Fruchtigkeit der Sangiovese mit viel Charakter und Länge. Neu im Portfolio ist der G33, ein geschmeidiger Blend aus Sangiovese, Merlot und Petit Verdot, in kleinem Holz gereift und nur in den besten Jahrgängen produziert: Ein harmonisches Ganzes von Eleganz und Terroirverbundenheit. Ganz im Sinne des Credos von Giovanni Bulgari.

Bertinga

Toscana IGT aus dem Chianti

Die weinbegeisterten russischen Geschäftsmänner Maxim Kashirin und Anatoly Korneev waren die Gründer von Simple, einem Unternehmen, das bereits in den 1990er Jahren in Russland die besten Weine Italiens und der Welt vertrat. Ihre Leidenschaft für die Toskana führte dazu, dass sie 2015 selbst Rebberge nahe dem Castello di Ama bei Gaiole erwarben und bereits 2016 die erste Ernte unter dem Namen Bertinga einbrachten. Die Weine daraus kamen 2020 auf den Markt.

Der Name des Gutes, Bertinga, ist dabei ein Ortsname, aber auch der Name einer Kellerei mit drei Rebbergen mit einer Gesamtfläche von weniger als 20 Hektar, hoch oben auf dem Dach des Chianti Classico, in Gaiole in Chianti. Produziert wird hier allerdings kein Chianti Classico, sondern Toscana-IGT-Weine aus Sangiovese natürlich und Merlot.

Die Böden stammen aus dem Eozän vor etwa 50 Millionen Jahren, Oberflächen- und Mitteloberflächensedimente sind überwiegend kalkhaltig und stellenweise tonkalkhaltig. Diese hellen Kalksteinmergel, kompakt und schwer, sind im Grunde «kühle» Böden, die sich sehr gut mit Sangiovese und Merlot vertragen.

Die Weinberge befinden sich gerade in der Umstellung auf biologischen Weinbau, um das Gut kümmert sich die Weinmacherin Elisa Ascani (im Bild neben Direktor Luca Vitiello), unterstützt wird sie von Konsulent Stéphane Derenoncourt und Romain Bocchio. «Unser Ziel», erklärt Ascani, «ist es, das Gleichgewicht der Reben zu erhalten.»

Die Bertinga-Kollektion umfasst vier Toscana-IGT-Weine, Rotweine, jeder mit seiner eigenen ausgeprägten Terroir-Persönlichkeit. «Sie sind in ihrer DNA allerdings Chianti», meint Stéphane Derenoncourt. Wie der Flaggschiffwein des Gutes, der Bertinga, in dem Sangiovese und Merlot eine perfekte Symbiose eingehen.

Paola De Blasi

Der Traum von Beba

Paola De Blasi ist gelernte Agronomin und hat gerade den ersten Jahrgang ihres Weines Beba produziert: Podere I Lastri heisst ihr Weingut und liegt im önologischen Grenzland zwischen der Toskana und Umbrien in Anghiari, nur wenige Kilometer von Arezzo entfernt im Val Tiberina. Bekannt ist Anghiari wegen der gleichnamigen Schlacht zwischen der Florentiner Republik und den Mailändern im Jahr 1440. Leonardo da Vinci soll sie in einem Bild an den Wänden des Palazzo Vecchio in Florenz verewigt haben, das später übermalt wurde (was nie bewiesen wurde). Paola De Blasi – seit jungen Jahren Paolina genannt – hat ihren ersten Wein Beba nach ihrer Grossmutter Elena benannt, deren Spitzname Beba war. Der Rosso Beba 99 kam im 99. Jahr ihres Lebens, 2019, in die Flasche. Dafür vinifizierte Paola De Blasi erstmals die Trauben eines zwei Hektar grossen (mit Sangiovese, Canaiolo Nero, Colorino, Aleatico und Ciliegiolo bestockten) Rebberges mit rund 80 Jahre alten Pflanzen. Paolina war damals bereits am Überlegen, den Rebberg zu roden, als sie Freunde überzeugten, es nicht zu tun: Andrea Moser, Weinmacher der Kellerei Kaltern in Südtirol, Giulio De Vescovi aus dem Trentino, Giuseppe Fugatti und der kürzlich verstorbene Franz Haas. 2019 brachte sie daher ihre Trauben in die Dolomiten, wo sie Andrea Moser in den Kellern von Giulio De Vescovi vinifizierte. Mit dem Ergebnis ist Paolina mehr als zufrieden, es soll daher auch in den nächsten Jahren wiederholt werden: Die Jahrgänge 2020 und 2021 des Beba ruhen bereits im Keller. In Zukunft sollen einige weitere Reben die Produktion von derzeit gerade mal 3000 Flaschen erhöhen. Nicht nur das: Paolina produziert inzwischen von der eigenen Gerste im Birrificio eines Freundes auch ihr eigenes Bier – Damigella heisst es und ist ebenfalls mehr als einen Versuch wert.

Julia und Georg Weber

Ein Terroirwein feiert Geburtstag

Julia und Georg Weber standen – so will es die Legende – eines Tages am Fuss des mittelalterlichen Städtchens Capalbio in einer damals noch von Getreidefeldern geprägten Landschaft im Süden der Toskana. Georg Weber blickte über die Hänge, welche zum Tyrrhenischen Meer hin sanft abfallen, und spürte dabei die leichte Brise, die vom Wasser herüberwehte; er atmete den Duft der Macchia, der wildwuchernden Kräuter und Blumen. Und er wusste: «Diese Küste hat irres Potenzial. » Die Entscheidung war schnell getroffen. Seit 2003 gehen somit auf dem Weingut Monteverro in der Maremma das besondere Terroir und eine französisch inspirierte Kellerphilosophie eine Verbindung ein: Der Önologe Matthieu Taunay stammt von der Loire, und Michel Rolland ist Berater des Gutes. Insgesamt sind heute rund 60 Hektar mit Reben bestockt, die in Hanglagen von 30 auf bis zu 80 Meter über dem Meeresspiegel ansteigen.

Das Ergebnis dieser Kombination sind elegante Weine, die Toscanità mit Bordelaiser Einflüssen verbinden. Vom fruchtig-feinen Vermentino über einen kraftvollen Chardonnay und den fruchtigen Tinata – aus Syrah und Grenache – bis zum Spitzenwein Terra di Monteverro, einem Blend aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot: Alle Weine drücken perfekt das Terroir der südlichen Toskana aus. Der Terra di Monteverro ist dabei das Aushängeschild der Kellerei und feiert gerade sein zehnjähriges Jubiläum: Anlass für eine kleine Vertikale: 2010 gefällt mit seiner Komplexität und seinem Charakter, wirkt immer noch frisch und jung; der Jahrgang 2016 überzeugt mit seiner Eleganz und doch auch Fülle; der Terra di Monteverro 2018 schliesslich kombiniert Finesse und Fülle mit grossem Alterungspotenzial. Eine Kreszenz, die man sich in den Keller legen sollte!

Michele Lorenzetti

Rudolf Steiner im Mugello

«Pinot Nero ist immer ein Beschreiber seines Territoriums», hat mir Michele Lorenzetti einmal erklärt. Die in Wein verwandelte Beschreibung seines Rebberges Gattaia lässt dabei nichts zu wünschen übrig. Dieser liegt im Mugello, der gebirgigen Landschaft im Norden der Toskana, oberhalb von Vicchio auf 600 Metern und wurde von Michele 2006 mit Pinot Nero, Sauvignon, Riesling und alten Varietäten aus dem Loire-Tal bestockt. Insgesamt 3 Hektar hat Michele Lorenzetti heute auf seinem Weingut Terre di Giotto unter Reben und bewirtschaftet sie streng nach den Lehren Rudolf Steiners.

Denn Michele Lorenzetti berät nebenbei seit 2004 auch biodynamische Weingüter in ganz Italien. «Wenn du selbst kein Weingut hast, in dem du alles ausprobieren kannst, dann ist es natürlich schwierig, anderen Tipps zu geben», erklärt er seine Motivation, 2006 selbst Weinbauer zu werden. Aber vor allem geht es ihm um eines: «Für mich ist die Traube wichtig und das Wissen um ihre Ingredienzien.»

Aus seinen weissen Trauben keltert er auf seinem Gut Terre di Giotto den Gattaia Bianco, einen Blend aus weissen Rebsorten, lange auf der Maische belassen und charaktervoll. Und natürlich den erwähnten Pinot Nero, Gattaia Rosso genannt: Dieser bleibt mehr als ein Jahr im Holz, acht Monate im Zement. Seit 2013 vinifiziert er ihn mit den Stielen und mit Spontanvergärung.

«Würde man es nicht wissen, würde man den Ursprung eines solchen Weines nie in der Toskana ansiedeln», meint er verschmitzt, während er den rubinroten kristallklaren Wein im Glas schwenkt, «und dabei stehen wir erst am Anfang, die hohen Lagen und ihr Potenzial auszuloten. » Heute produziert Michele Lorenzetti rund 10 000 Flaschen, die nicht nur bei Natural-Wine-Anhängern einen Stein im Brett haben.