World of Champagne 2023 • Je vier Jahrgänge William Deutz & Amour de Deutz

Champagner Deutz: die Vertikale

von Barbara Schroeder, Fotos: Rolf Bichsel und Barbara Schroeder

Fabrice Rosset und Michel Davesne treten bald in den verdienten Ruhestand. Bei einer einmaligen Verkostung lernte die neue Kellerchefin Caroline Latrive einige ihrer schönsten Jahrgänge kennen.

Champagnerhäuser wie Deutz tragen den Namen eines Gründers, der längst nicht mehr präsent ist. Man hält die Erinnerung an ihn wach, weil man ihm einiges verdankt: Im Fall von Deutz neben dem guten Ruf etwa erstklassige Reblagen oder die «Villa Deutz» über den Kellern im Zentrum von Aÿ. William Deutz aus Aachen gründete das Haus 1838. Die 1961 geschaffene Prestigecuvée «William Deutz» ist eine Hommage an den Firmenvater.

Gründer mögen das Zeitliche segnen, Häuser wechseln die Hand, doch ihre Geschichte wird weiter von Menschen geschrieben. Menschen, die sich voll und ganz mit einer Marke identifizieren, Menschen, die deren Werte teilen und für die nächste Generation aufbereiten. Ein Haus hat Bestand, Verantwortliche kommen und gehen. Das soll ihren Wert nicht schmälern. Was wäre Deutz ohne Generaldirektor Fabrice Rosset, der Deutz seit über 25 Jahren erfolgreich leitet, mit Einsatz, Energie und Eleganz? Deutz hat ihm nicht nur den stetig wachsenden Erfolg zu verdanken, sondern auch die Erfindung der zweiten Spezialcuvée des Hauses: der einmaligen Amour de Deutz. Seit fast 20 Jahren begleitet Michel Davesne als Kellerchef das amouröse Abenteuer, freundlich, weltoffen, bescheiden, doch mit grösster Kompetenz. Dem Duo, das demnächst in den Ruhestand tritt, haben wir eine stolze Anzahl exzellenter Cuvées zu verdanken. Einige der schönsten wollten wir gemeinsam mit den beiden Verantwortlichen Revue passieren lassen. Geladen war eine dritte Person: Caroline Latrive, die designierte Nachfolgerin von Michel Davesne im Amt eines Kellerchefs. Sie hat ihren Arbeitsort nur ein wenig verlegen müssen: von Ayala, wo sie beachtliche Arbeit geleistet hat, zu Deutz sind es nur ein paar hundert Schritte. «Das Angebot, in die Fussstapfen eines so kompetenten und erfahrenen Weinmachers wie Michel Davesne zu treten, in einem so erstklassigen Haus, liess sich einfach nicht ausschlagen, auch wenn ich bei Ayala glücklich war», gesteht sie mit entwaffnendem Lächeln.

«Als neue Kellermeisterin in die Fussstapfen eines so erfahrenen Machers wie Michel Davesne zu treten, ist eine ganz besondere Ehre!»

Caroline Latrive

William und Amour sind stilistisch sehr unterschiedliche Weine. Der erste basiert auf Pinot Noir, zum Gutteil aus hauseigenen Reben in Aÿ, der andere auf erstklassigen Chardonnays. Zeichnet sich William durch grosse Rasse und Langlebigkeit (man lässt ihn folglich auch nach der Marktlegung besser noch etwas ruhen), gilt Amour als besonders luftiger, eleganter Wein, der schon in seiner Jugend (das heisst, im Alter von rund zehn Jahren, in dem er die Keller verlässt) ausgezeichnet mundet. Doch die Notizen zur Vertikalverkostung auf nebenstehender Seite machen klar, dass auch Amour lange reifen darf und kann. Die Tradition, Champagner länger zu lagern, ist allerdings selbst in der Region erst vor recht kurzer Zeit zur Regel geworden. Bei Deutz schuf erst Fabrice Rosset eine kleine Vinothek, in der die letzten kostbaren Flaschen aus den 1970er und 1980er Jahren gehütet wurden, regelmässig ergänzt durch ein paar tausend Exemplare aktueller Jahre. Heute zählt sie rund 350 000 Flaschen. Es handelt sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um bereits degorgierte Weine. Sie machen – gewiss unter erstklassigen Bedingungen – einen echten Reifeprozess durch. 2022 haben die Verantwortlichen sich dazu entschlossen, erstmals einige wenige Flaschen (von 1982 bis 2002) aus ihrer unterirdischen Ruhestätte zu «befreien». Sie werden vorerst nur in einigen ausgesuchten Spitzenrestaurants angeboten.

Rasse und Transparenz

Vier Jahrgänge William Deutz

2013

Der am spätesten reife Jahrgang seit 20 Jahren wur- de erst ab Ende September eingebracht. Dennoch waren die Trauben sehr gesund und gehaltvoll, mit einem idealen Gleichgewicht von Fruchtzucker und Säure. William zeigt die Spannkraft, die man von ihm gewohnt ist, aber – mit Noten von frischem Kernobst – auch besondere Fruchtigkeit. Wenn ein Jahrgang das alte Vorurteil widerlegt, William sei ein eher verschlossener, abweisender Wein, ist es dieser!

2008

William gleicht ganz und gar William in diesem exzellenten, klassischen Jahrgang, der unter besten Bedingungen eingebracht werden konnte! Da ist einmal die besondere Noblesse des Fundaments, der Struktur: Der Wein besitzt Biss, besondere Rasse und enorme Länge, aber auch grosse Klarheit sowie Reintönigkeit im Ausdruck und die kaum wahrnehmbare, edle Zartbitternote im Ausklang, wie sie nur die grössten Weissweine und Champagner aufweisen. Das Bouquet verrät dezente Reife, mit Noten von Obst und Gebäck.

2006

Nach einem heissen Sommer mit etwas willkommenem Regen im August begann die Ernte recht früh und ging bei schönem Wetter über die Bühne. Die eingebrachten Trauben waren sehr ausgewogen, ohne Exzesse, weder was Zucker noch Säure anbelangt. William wirkt eindeutig jugendlicher als Amour, auch wenn er sich in der Nase bereits durch besonders fruchtige Akzente sehr schön ausdrückt. Im Mund wirkt er sehr präzise gezeichnet, doch mit spürbarer, noch messerscharfer Mineralität besonders im Ausklang, das klare Indiz dafür, dass er weiter reifen darf.

2002

Dieses Jahr demonstriert endgültig, dass William ein Wein ist, dem zusätzliche Kellerruhe gut steht und der mit zunehmender Reife immer beeindruckender ausfällt. 20 Jahre im Keller haben für einmaligen aromatischen Reichtum gesorgt, für schiere Komplexität, mit Akzenten von Röstnoten, gekochten Früchten und einem Hauch von Trüffel. Im Mund wirkt er einerseits gehaltvoll und besitzt dazu noch grosse Rasse, doch auch eine einmalige Eleganz und Noblesse.

Vier Jahrgänge Amour de Deutz

2013

Bemerkenswert ist die leuchtende, grüngoldene Farbe, wie sie typisch ist für einen durch den Chardonnay geprägten Wein ist. Sie signalisiert besondere Frische und Jugendlichkeit. Die zehn Jahre Flaschenreife sind auch im Bouquet mit der deutlichen Tonalität von Blüten und frischen (exotischen) Früchten noch kaum wahrnehmbar. Im Mund drückt sich die Sorte ebenfalls unmissverständlich aus, durch brillante Reintönigkeit und Finesse, Mineralität, Komplexität und Potenzial.

2008

Aussergewöhnliche Jahrgänge gibt es in der Champagne nur alle fünf, sechs Jahre. 2008 besitzt einen ähnlich hohen Stellenwert wie 2002 und 1996. Solche Jahrgänge brauchen aber auch Zeit zur Reife. Wie viele Weine dieses hervorragenden Jahrgangs bleibt der oft so liebenswürdige Amour noch zurückhaltend. Die edle Art der leichten Reduktion ist als positives Zeichen für seine weitere Entwicklung zu werten. Unter guten Bedingungen kann er noch 10 bis 20 Jahre weiter reifen. Rasse und Mineralität sind mit 2013 vergleichbar.

2006

Amour ist nicht von ungefähr zu seinem Namen gekommen. Er gilt als Archetyp des luftigen, transparenten, eleganten, delikaten Champagners. Amour 2006 entspricht diesem Bild von allen hier verkosteten Weinen vielleicht am besten. Er wirkt vollmundig, geschmeidig und seidig, jedenfalls weit zugänglicher als die beiden vorhergehenden jüngeren Jahrgänge. Ein noch erstaunlich zurückhaltender, edler Reifefirn zeichnet ihn aus: fruchtige und blumige Komponenten von Akazienblüte, gepaart mit erfrischenden, pfeffrigen Akzenten überwiegen noch. Ein echter Verführer.

2002

Die eigentliche Überraschung dieser memorablen Verkostung ist dieser Wein: Eine solche Reifekapazität hätte diesem so luftigen, eleganten Wein wohl vor 20 Jahren niemand zugetraut! Das Bouquet gleicht einem Korb voller frischer und getrockneter Früchte, Noten von Orangenschale und Brioche; im Mund kommt die sinnliche Art von Amour durch die Fülle, die immense Länge und die Vielschichtigkeit voll und ganz zur Geltung. Die ganz grosse Klasse.