World of Champagne 2023 • Zeitlos wie eine Fuge von Bach

Dom Pérignon

mit Vincent Chaperon, Fotos: Alex Majoli, z.V.g.

Dom Pierre Pérignon gilt als geistiger Vater des Champagners. Die Cuvée, die seinen Namen trägt, ist die Quintessenz eines grossen Champagners, elegant, komplex und zeitlos wie ein Werk seines Zeitgenossen Johann Sebastian Bach.

Die Geschichte eines der aussergewöhnlichsten Weine der Welt (als verantwortlicher Kellermeister weiss ich, wovon ich spreche) lässt sich anhand von insgesamt vier Meilensteinen rekonstruieren, die jeweils rund hundert Jahre auseinanderliegen. Seinen Namen verdankt der Wein dem visionären Gründervater des Champagners Benediktinermönch Dom Pierre Pérignon, Zeitgenosse von Ludwig XV. sowie von Johann Sebastian Bach. Hundert Jahre später, im Jahr 1823, erwirbt Moët & Chandon das ehemalige Kloster und die erstklassigen Reblagen, auf denen der Wein beruht. Weitere hundert Jahre später entsteht die Prestige-Cuvée, und heute, noch einmal hundert Jahre später, ist Dom Pérignon ein unabhängiges Haus. Der erste eingekellerte Dom Pérignon Jahrgang stammt aus dem Jahr 1921. Er wurde 1936 ausgeliefert und quasi über Nacht zum Star aller Champagner!

Ich glaube an Symbole. Dom Pierre Pérignon steht für den Schöpfungsakt eines einmaligen Schaumweins aus besonderer Umgebung. «Ich will den besten Wein der Welt kreieren», gab er zu Buche. Dahinter steckt eine klare, ästhetische Ambition. Wie sie zu erreichen ist, kann man der 1718 erschienen Abhandlung «Manière de cultiver la vigne et de faire le Vin en Champagne» entnehmen, vermutlich von einem Schüler des Dom verfasst. Sie hält die Prinzipien modernen Weinbaus der Champagne fest, wie sie Dom Pérignon ausgearbeitet hat. Beschrieben werden wichtige Etappen wie Pressen, schonende Extraktion und Assemblage. Festgehalten wird das für die damalige Zeit radikale Prinzip, aus roten Trauben möglichst reine, delikate Weissweine zu gewinnen. Die Abtei von Hautvillers mit ihren Rebbergen ist und bleibt ein Ort der Inspiration und der Erinnerung an den Gründervater des Champagners.

Symbolwert hat auch die Tatsache, dass der eigentliche Initiator, Robert-Jean de Vogüé, sich vor hundert Jahren nicht von der Idee abbringen liess, in einer schwierigen Epoche, unter der Champagner ganz besonders zu leiden hatte, eine einem alten Mönch gewidmete Prestige-Cuvée zu kreieren, die trotz der Krise höhere Preise erzielen sollte als alle anderen Champagner. Moët & Chandon setzte die Idee eines einmaligen Weins um: Heute ist Dom Pérignon ein unabhängiges Haus für Spitzenchampagner. Das Zeichen dazu setzten die Verantwortlichen von Moët & Chandon vor 30 Jahren, als sie meinen Vorgänger Richard Geoffroy zum Kellermeister von Dom Pérignon ernannten. Ein eigener Kellermeister, das bedeutete ausgesuchte Rebparzellen, meist aus dem hauseigenen Rebbestand, und speziell für Dom Pérignon bestimmte Trauben. 400 Jahre dauerte es von der Idee über den Ort und den Wein zum eigentlichen Unternehmen zu gelangen: Das ist die Geschichte der Entstehung eines exklusiven Luxushauses, die in gemächlichen, aber gezielten Schritten ablief.

Zeiten ändern sich, zum Schlechten, aber manchmal auch zum Guten. Als Richard Geoffroy seine Arbeit bei Dom Pérignon aufnahm, stand man Komplexität nicht gerade gnädig gegenüber. Man wollte alles vereinfachen, industrialisieren. Bei einem Wein wie Dom Pérignon geht das nicht. Er basiert auf einem durch und durch natürlichen, landwirtschaftlichen, von Wind, Wetter und Terroir beeinflussten Ausgangsprodukt: der Traube.

Heute ist Vielschichtigkeit gesucht. Für Dom Pérignon hat das neue Möglichkeiten eröffnet. Der Stil eines grossen Weins wird nicht nur durch Herkunft oder Klima eines Jahres beeinflusst, sondern auch durch die Flaschenreife. Er mutiert, macht mehrere Etappen durch, vom Ausbau über die Reife bis hin zum eigentlichen Alterungsprozess. Wenn ich davon ausgehe, dass diese Etappen zu meinem Wein gehören, muss ich mich bei der Assemblage darauf vorbereiten, mich 10, 20, 30 oder 50 Jahre in die Zukunft versetzen. Zum Zeitpunkt der Abfüllung ist mein Wein noch nicht fertig. Er muss erst reifen. Es für einen Kellermeister entscheidend, laufend seine Kenntnisse aus früheren Jahren zu überarbeiten. Unsere umfangreiche Vinothek hilft uns dabei. Uns ist aufgefallen, dass Dom Pérignon Champagner drei grosse Phasen durchmachen, die jede für sich einen Höhepunkt in der Entwicklung darstellen. Wir haben sie «Plénitude» genannt (was etwa mit «voller Pracht» übersetzt werden kann), abgekürzt P1, P2 und P3.

P1 entspricht dem ersten ausgelieferten Jahrgang. Nach acht bis neun Jahren Reife erreicht der Wein eine erste, bei der Assemblage angepeilte «volle Pracht». Der zweite Höhepunkt trifft je nach Jahrgang nach rund elf bis 20 Jahren ein. Der Wein hat an Intensität und Ausdruck gewonnen, wirkt vielschichtiger, dank einer besonderen Harmonie und Resonanz, zu der die einzelnen Elemente gefunden haben. Die dritte Phase tritt erst nach mindestens 25 Jahren ein, meist zwischen 30 und 35 Jahren. Die Aromen der Reife haben sich voll entwickelt, alles ist Wohlklang und Raffinesse. Das ist die Geschichte, die wir mit unseren unterschiedlich lang gereiften Cuvées erzählen möchten, die Geschichte einer ästhetischen Laufbahn. Aktuell verweilen Dom Pérignon Jahrgänge ab 1993 und älter in der P3-Phase. Wir besitzen allerdings nur kleine Mengen davon. In sehr beschränkter Auflage erhältlich ist der Jahrgang 1993. Als P2 wird seit kurzem der Jahrgang 2004 ausgeliefert. Wir haben ihn (als Vintage beziehungsweise P1) 2013 erstmals freigegeben. Als P2 ruhte er bis zur Degorgierung im Jahr 2021 weiter auf der Hefe. 2004 ist ein ungewöhnlicher Jahrgang. Die Rebe schien nach dem komplizierten Hitzejahr 2003 Nachholbedarf zu haben und beglückte uns sowohl mit Menge als auch grosser Qualität. Bei der ersten Auslieferung kamen Leichtigkeit und Eleganz, Luftigkeit und Delikatesse voll zur Geltung. Die längere Reife sorgte für zusätzlichen Schliff, für Volumen und Vollmundigkeit, für eine gewisse Intensität der exquisiten Aromen.

2012 ist von ganz anderem Kaliber. Die Erträge waren viel tiefer, das Jahr witterungsmässig komplex, die Ernte erfolgte relativ spät. Die Grundweine von lückenloser Dichte, aber auch Saftigkeit und Frische. Der Vintage 2012 demonstriert explosive Fruchtigkeit. Bereits beim ersten Schluck sind alle Verkoster hingerissen! Weiteres Indiz für die Qualität und den wesentlichen Ausdruck dieses Jahrgangs ist die Perlage. Bläschen sind nicht einfach Bläschen! Sie sind wichtig für Ausdruck und Qualität eines Champagners. Der 2012er besitzt genau die Luftigkeit und Feinperligkeit, wie sie sprichwörtlich ist für Dom Pérignon.