Klartext

Ursprung ade!

Text: Thomas Vaterlaus thomas.vaterlaus@vinum.ch, Fotos: z.V.g.

Der Mythos Wein baut darauf auf, dass die Herkunft von grossen Weinen mit Nase und Gaumen eruiert werden kann. Doch das war einmal. Dank dem Perfektionismus der Spitzenwinzer sind die Weine nicht nur eklatant besser geworden, sie haben sich auch stilistisch angenähert. Ist das schlimm?

Die Stilistik der Weine einordnen

Bei den VINUM-Profipanels stellen wir den Verkostern gerne Aufgaben, die über das Bewerten der einzelnen Weinen hinausgehen. Sie sollen etwa die Stilistik der Weine einordnen oder bei thematischen Verkostungen über Länder und Regionen hinweg die einzelnen Gewächse lokalisieren, also mit Nase und Gaumen ihren Ursprung eruieren. Was sich zunehmend als schwierig erweist. Selbst bei Themen, wo man denken würde, dass die Unterschiede im Glas klar zu Tage treten. Für diese VINUM-Ausgabe beispielsweise verkosteten wir 30 Spitzenrotweine aus dem berühmtesten iberischen Flusstal, nur reiften 15 Weine im spanischen Teil, am Duero, die anderen 15 hingegen im portugiesischen Teil, am Douro.

Beim Organisieren der Weine gab es einige kritische Kommentare von Händlern. «Am spanischen Duero dominiert die Sorte Tempranillo, und dieser wächst da auf kalkhaltigen Böden. Im Douro hingegen wachsen rote Assemblagen auf purem Schiefer. Ihr vergleicht also Äpfel mit Bananen, das hat doch wenig Sinn», hiess es etwa. Nun, ich denke, wenn unsere Verkoster mit verbundenen Augen das Fruchtfleisch von Äpfeln und Bananen verkosten müssten, würden sie wohl herausfinden, welches die Bananen sind und welches die Äpfel. Wenn nicht, würde ich meinen Job sofort an den berühmten Nagel hängen.

Von den Winemakern souverän auf eine Stilistik getrimmt

Bei unserer grossen Iberien-Verkostung erwies es sich hingegen als fast durchweg unmöglich, zu eruieren, welche Weine am Douro und welche am Duero gewachsen waren. Die portugiesischen Assemblagen aus bis zu fünf Sorten waren genauso wenig von den reinsortigen Tempranillos aus Spanien zu unterscheiden wie die Schiefer-Weine von den Kalk-Gewächsen. Von den 30 verkosteten Weinen wurden gerade mal deren acht tendenzweise dem richtigen Land zugeordnet. Der Grund dafür: Die Weine zeigten sich allesamt, also den ganzen Flussverlauf entlang, dunkelbeerig, füllig und verführerisch würzig. Sie wurden von den Winemakern souverän auf diese Stilistik getrimmt. Mit anderen Worten: Wir geniessen heute auf hohem Niveau nicht Duero oder Douro, sondern Icons aus dem nördlichen Iberien. Ist das schlimm?

Terroir ist überall

Vier Wochen später verkostete das VINUM-Profipanel für die kommende November-Ausgabe 25 Top-Chardonnays aus der Schweiz, Deutschland, Österreich. Also Gantenbein, Fürst, Tement und Co. Dazu einige prestigeträchtige Piraten. Das Fazit war dasselbe. Ein extrem hohes Qualitätsniveau, doch bei der Herkunft begann das grosse Rätselraten. Terroir hatten die Weine wohl, Verkostungs-Notizen wie «Dancing on the Flintstones» oder «nasse Kiesel» weisen darauf hin. Aber Terroir ist eben überall. Zwar wurzeln die Chardonnay-Stöcke von Gantenbein in schieferhaltigem Boden, während bei Fürst in Unterfranken der Muschelkalk dominiert. Beide Böden bringen hochelegante Weine nach burgundischem Vorbild hervor, doch zu erkennen geben sie sich in einem Feld von 30 hochkarätigen Crus nicht. Auch Vorurteile, die sich manche Verkoster über die Jahre hinweg zurechtgelegt haben, führen nicht zum Ziel. Nicht wenige glauben etwa, dass sich die deutschen Chardonnays in der Tendenz etwas geradliniger, kerniger, vielleicht eine Spur kompromissloser zeigen, während die Schweizer Gewächse zu etwas mehr Harmonie und Cremigkeit neigen. Doch dem war nicht so.

Das Terroir als Entschuldigung

In einem Interview, das ich 2005 mit Robert M. Parker für VINUM führte, vertrat er die Meinung, dass man den Begriff «Terroir» nicht zu stark bewerten sollte und dass er besonders in Europa in der Vergangenheit auch als Entschuldigung verwendet wurde, um einen «Status quo» zu rechtfertigen. Auch andere Kritiker sehen das so, gehen gar noch weiter und vertreten die Meinung, dass die Rede vom «Terroir» gerade in Frankreich auch als Rechtfertigung für Fehler oder überholte Praktiken in Rebberg und Keller herhalten musste. Die Resultate der letzten VINUM-Profipanels bestätigen diese These in geradezu dramatischer Weise. Egal ob die Gewächse vom Duero/Douro oder die Chardonnays aus Deutschland, Österreich und der Schweiz: Die Weine haben mit den letzten Jahrgängen noch einmal auf spektakuläre Weise an Qualität, Ausdruckskraft und trotz Klimaerwärmung auch an Finesse dazugewonnen. Dass sie deswegen ihre Herkunft weniger verraten als früher, sollte uns nicht stören. Was wir genau geniessen, steht schliesslich immer auf dem Label…