Riesling-Talente aus dem Ausland

Immigranten an der Mosel

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay

Längst haben sich die Steillagen-Rieslinge der Mosel als internationale Exportschlager etabliert. Ein jüngeres Phänomen dagegen ist die Einwanderung von Winzern, die es aus dem Ausland in die deutsche Hochburg der weissen Königsdisziplin verschlagen hat. Drei Weinmacher mit Riesling-Fetisch aus Südtirol, der Schweiz und Portugal begründen die Entscheidung für ihr vinologisches Exil an der Mosel.

 

Reil Ivan Giovanett

Südtiroler Rieslingkönner

Innerhalb von wenigen Tagen hatten sie alle Notar-Termine klargemacht, morgens in Zell, abends in Traben-Trarbach. So räumten die beiden Jungwinzer den Reiler Sorentberg Parzelle für Parzelle ab, in geheimer Mission sozusagen.

Denn, dass der Steilhang im Seitental der Mosel, diese brachliegenden 9,48 Hektar, in Monopolbesitz von Tobias Treis und Ivan Giovanett übergehen sollten, durfte unter den verschiedenen Eigentümern der Einzellagen-Parzellen auf keinen Fall die Runde machen. «Das hätte nur Preisabsprachen zur Folge gehabt, also die Quadratmeter-Preise unnötig in die Höhe getrieben», sagt Ivan Giovanett mit leichtem Akzent. Seit 2012 teilt sich der Südtiroler den Weinberg mit seinem besten Kumpel und Mosel-Winzer Tobias. Erheblich teurer wäre das steile Objekt der Begierde mit Südausrichtung in seiner Heimat gekommen, erzählt der 35-Jährige auf dem schwindelerregenden Weg, der kaum breiter ist als der Mercedes Viano, mit dem wir hoch zum Sorentberg kurven. Aber richtig guter Riesling liesse sich in den südlichen Alpen selbst auf 800 Metern nicht machen: «Chardonnay, Sauvignon, Lagrein – ja. Dafür ist Südtirol prädestiniert. Aber nicht für Riesling.» Wir steigen an dem Weinberg aus, der die besten Eigenschaften für Riesling auf seinem verwitterten Boden vereinen soll.

Ivan zieht ein Stück Drahtgitter zur Seite und öffnet den Weg zu einer Reben-Manege mit 110-prozentiger Hangneigung. Wildschweine und Rotwild haben sich ein Vierteljahrhundert über den Rebhang hergemacht, seit der Rekultivierung ist Schluss damit. Ein kilometerlanger Schutzzaun umrahmt den wahr gewordenen Traum, in dem bisher drei Hektar bepflanzt sind. Von den rund neuneinhalb Hektar sind sechseinhalb für die beiden Winzer das Filetstück: «An den Flügelseiten dreht es schon ein wenig weg. Da wird der Boden erheblich lehmiger und deshalb kühler», sagt der Mann in Tiroler Tracht, die er extra fürs Foto-Shooting angezogen hat. So sehr Ivan die Mosel liebt, so sehr fühlt er sich dem Alto Adige verbunden. 2005, nach dem Geisenheim-Abschluss in Weinbau und Önologie, entschied er, im elterlichen Betrieb einzusteigen. Das ist bis heute so. Ivan lebt mit Ehefrau Michaela und drei kleinen Töchtern im Weindorf Neumarkt und arbeitet hauptsächlich in seinem Weingut Castelfeder. So oft wie möglich brettert er an die Mosel. Vor allem zur Lese läuft das rund, weil die Ernte im alpin-mediterranen Klima früher stattfindet als im Sorentberg. Gepackt hat ihn der Charme dieser Steilstlage, als Tobias ihm auf der ProWein Luftaufnahmen zeigte. Aus der Cessna hatte Tobias’ Cousin den Dschungel über rotem Schiefer fotografiert – eine Herausforderung für Ivan, in dessen Heimatregion jeder Weinberg aussähe wie gekämmt. Das Kleinklima hier mit rotem Wissenbach-Schiefer, kühlen, traubentrocknenden Seitentalwinden und Äquator-Effekt, bei dem die Sonne gegen Mittag im 90-Grad-Winkel auf den Hang scheint, waren ausschlaggebende Kaufanreize für den Riesling-Verehrer. Im Reifekeller gibt es später eine Fassprobe vom 2017er Rotschiefer. GG steht auf dem gebrauchten 1000-Liter-Mosel-Fuder. «Steht das für Grosses Gewächs?», frage ich Ivan. «Nö, für Golden Grapes», kommt es grinsend zurück.

Unsere Favoriten

Rotschiefer

Sorentberg Riesling 2016

16.5 Punkte | 2018 bis 2023

Einer, der erstmal auf schüchtern macht. Seidig in der Farbe räkelt sich frischer Zitronenthymian in die Nase. Der steile Südhang auf rotem Schiefer hat Reife und Mineralität forciert. Grapefruit und Bitterorange stossen hinzu. Zitrusader zieht sich bis zum Ausklang.

Preis: 18 Euro | www.sorentberg-riesling.de

Sorentberg

1000 Alte Reben Riesling 2015

17 Punkte | 2018 bis 2026

Auch hier leise Töne, kein Poser. Schmelzige Textur mit ausgeprägter Pampelmuse und getrockneter Limone, souverän strukturiert, mittlerer Körper. Die Zitrusfrüchte bleiben ewig am oberen Gaumen haften. Sommerwein mit kühlen Zitrussahnebonbon-Akzenten im langanhaltenden Finale.

Preis: 65 Euro | www.sorentberg-riesling.de

Sorentberg Magnum 2016

1000 Alte Reben
Riesling 2016

17.5 Punkte | 2018 bis 2028

Die 1,5 Liter geben alles an Riesling, was geht. Kräuterwürze, die zwischen Oregano, Lorbeer und Zitronenmelisse spielt. Trotz seiner Jugend am Gaumen unglaublich präsent. Samtteppichtextur, schieferwürzig, balsamische Akkorde. Zu Currys und Kalbsleber gab er feine Toffee-Noten frei.

Preis: 130 Euro | www.sorentberg-riesling.de 

 

 

Traben-Trarbach Daniel Vollenweider

Schweizer Goldgräber

Hier möchte er nie wieder weg. An der Mosel hat Daniel Vollenweider vor rund zwanzig Jahren seine zweite Heimat gefunden. Als Winzer und als Mensch. Aber zwischen Koblenz und Trier ist Traben-Trarbach der einzige Ort, der für den Schweizer zum Leben in Frage kommt. «Kein Kitsch-Tourismus wie in Bernkastel oder Cochem. Und in Kröv bleibst du ewig ein Fremder, wenn du nicht da geboren bist.»

Bei dem 48-jährigen Riesling-Produzenten, der die erste Hälfte seines Lebens in der Bündner Herrschaft verbrachte, hat die Integration in der Doppel-gemeinde an der Mittelmosel bestens funktioniert. Nicht zuletzt wegen seiner Neugier auf die Welt, die ihn vor der Mosel nach Marlborough verschlug. Keinen Sauvignon Blanc, sondern Pinot Noir und Chardonnay pflückte er auf dem neuseeländischen Weingut von Georg Fromm, schliesslich übertrug der dem Praktikanten sogar die Verantwortung für die Riesling-Weinberge. Seine Riesling-Passion tobte Vollenweider dann weiter bei Ernst Loosen im Erdener Treppchen und in der Wehlener Sonnenuhr aus. «Ernie hatte dieses Joint Venture im Anbaugebiet Washington», erinnert sich der Deutschschweizer, «er hatte keine Zeit, zum Selektionieren für die Trockenbeeren-Auslese dorthin zu fliegen. Also schickte er mich.» 50 mexikanische Erntehelfer, die kein Wort Englisch sprachen, sollten unter der Anleitung eines Praktikanten, der kein Wort Spanisch verstand, die Rosinen für eine TBA aus den Rebstöcken picken – an so was wächst der Mensch.

Oder besser: der Weinbergbesitzer, denn irgendwann wollte Vollenweider sein eigenes Rebenreich. Aber eins, das nicht automatisch mit Winzerkoryphäen verlinkt wird. In der Juffer Sonnenuhr stünde man vom Bekanntheitsgrad in einer Schlange hinter Wilhelm Haag. In der Wehlener Sonnenuhr käme erstmal Manfred Prüm. Die Wolfer Goldgrube war also ein Volltreffer. Bei weitem nicht so populär wie die Tafelsilber-Steillagen der Mosel, aber mit ähnlich hohem Potenzial: ein nach Süden ausgerichteter Hang auf grauem Schiefer, mit zusätzlichen Wärmespeichern in Form von Felsnasen und Trockenmauern, bis zu 100 Jahre alte wurzelechte Rebstöcke – unterm Strich beste Standortvorteile für substanzielle Mineralität und würzige Frucht im Riesling. Der Winzer mit Schweizer Wurzeln zögerte nicht lange und kaufte 1999 die ersten Parzellen in der 7,5 Hektar grossen Einzellage. Mittlerweile gehören ihm stolze fünf Hektar: «Am Anfang kriegt man alles in den unbekannteren Gemarkungen. Die denken: Da ist ein Dummer, der uns einen Weinberg abkauft», schmunzelt Vollenweider. «Wenn die Weine dann qualitätsmässig durch die Decke gehen, weckt das nicht selten Begehrlichkeiten.» Und steigert das Image der Lage, denn die Rieslinge aus der Goldgrube machen vom trockenen Gutsriesling bis zur fruchtsüssen Spätlese ungebrochen Freude. Mittlerweile auch seiner Familie, die es dem Auswanderer zunächst übel nahm, dass er nicht in der Schweiz blieb und lieber Nebbiolo im Veltlin anbaute. Für den Riesling-Puristen scheint die eigene Intuition wegweisend. Vor seinem Studium an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Weinbau in Wädenswil war er kurz Vermessungstechniker. Die Liebe zum Wein obsiegte. Geschadet hat das Landvermessen trotzdem nicht: «Wir sind dabei zu terrassieren. Da ist ein Gefühl für Flächeninhalte durchaus hilfreich.»

Unsere Favoriten

Wolfer Goldgrube

Riesling Kabinett 2016

16.5 Punkte | 2018 bis 2027

«Goldgrube» passt auf Farbe und Bouquet: goldenes Farbspiel, das sich im Duft in vollreifer Aprikose sowie Eukalyptus-Honig abzeichnet. Verabschiedet sich mit verspielter Eleganz zwischen exotischer Subtilsüsse und animierender Säure. Rohmilchkäse-Begleiter par excellence.

Preis: 13 Euro | www.weingut-vollenweider.de 

Wolfer Goldgrube

Riesling Spätlese 2016

17 Punkte | 2018 bis 2028

Riecht nach heissem Kieselstein, auf dem Himbeeren liegen. Am Gaumen dann kandiertes Orangenfleisch und lauwarmer Honig. Keine übertriebene Restsüsse, sondern Süss-Säure-Gleichgewicht. Selbstbewusster Einzelgänger und gleichzeitig begnadeter Seafood-Begleiter.

Preis: 20,50 Euro | www.weingut-vollenweider.de 

Kröver Steffensberg

Riesling Spätlese 2016

17 Punkte | 2018 bis 2025

Eine ganze Wiese voller weisser Blüten. Reine Bergluft dazwischen. Am Gaumen mit Karamell durchtränkte reife Zitrone. Herrliche Balance. Stabile Säure und feinherbe Süsse als Kontersubstanz. Harmonisiert frischen Ziegenkäse und reifen Camenbert. Langes komplexes Finale.

Preis: 18,50 Euro | www.weingut-vollenweider.de

 

 

Piesport Daniel Niepoort

Niepoort in Piesport

Die Zoo-Tour steckt Daniel Niepoort noch in den Knochen. In Prag hat er vorgestern mit einem tschechischen Wein-Importeur die Kneipenlandschaft abgegrast. Weil Prager Bierlokale meist nach Tieren benannt sind, heisst der feucht-fröhliche Rundgang dort Zoo-Tour. «Ich bin mir echt vorgekommen wie in Porto. Tapasbar-Atmosphäre mit Sachen wie Kuttelneintopf», erklärt der 25-jährige Winzer zurück vom Geschäftstreffen.

Seine momentane Adresse ist die Mittelmosel, genauer das Weingut Lothar Kettern in Piesport. Hier schmeisst er mit Winzersohn Philipp das FIO-Projekt: Steillagen-Rieslinge spontan im alten Fuder gegoren, nicht filtriert, ohne Schwefel ausgebaut, nur zur Füllung leicht geschwefelt – dann reifen sie zwei Jahre in der Flasche, bevor sie auf den Markt kommen. Es ginge dabei weniger um Einzellage und Stilistik als darum, wie sich der Riesling mit dem geringsten Kellereingriff entwickelt, so der Sohn der (Port-)Wein-Legende Dirk Niepoort. Statt ihn im portugiesischen Douro-Tal auf dem Familienweingut anpacken zu lassen, nahm der Vater Daniel lieber mit zu Verkostungen und Geschäftsessen in die Alte und Neue Welt. Das erklärt die Reiselust des Jungwinzers, dessen nächste Stationen Stockholm und London sein werden. Aber sein Gespür fürs Business hält die Balance mit dem für Top-Parzellen. So folgt auf unsere Verkostung die Fahrt zum Josefsberg, zu fünf Hektar der jüngst erworbenen Seitental-Einzellage. «Nächsten Monat bekommen wir unsere ersten Ouessant-Schafe zur Naturdüngung und um die Dauerbegrünung in Schach zu halten», erklärt er. «Die Rasse wird höchstens 50 Zentimeter hoch, so bleiben die Reben verschont». Was Daniel an den fünf Hektar, die zwischen blauem und rotem Schiefer wechseln, gefesselt hat, war die optische Parallele zu einem der väterlichen Steilhänge im Douro. Sie legten Helikopter-Fotos der beiden Lagen übereinander und staunten nicht schlecht über die Deckungsähnlichkeit, unter anderem die Querterrassierung, was die Handarbeit übrigens enorm erleichtert. Etwas säurebetonter als die Rieslinge aus Ketterns Weingärten der Einzellagen Freudenberg und Goldtröpfchen seien die aus dem Josefsberg. Keine Saftbomben, sondern straffe Weine aus dem Seitental: «Ich habe Säure immer geliebt und offen darüber geredet. Sie ist das Gerüst vom Wein, mit dem er gut altern kann. Hier ist das immer noch ein heikles Thema.» Für den Sohn einer Schweizerin und eines Portugiesen stellt die Zeit auf dem Piesporter Weingut eine wesentliche Station seines Winzerlebens dar. Aber auch, wenn die Mosel für Daniel das Synonym des weltbesten Rieslings darstellt, vermisst er hier ein paar Dinge. Die portugiesische Küche zum Beispiel. Typische Leckerbissen wie Bacalhau oder Piri-Piri-Hühnchen, die man dort in jedem rustikalen Restaurant bekäme. «An der Mosel hast du entweder Sterne-Niveau oder Imbiss. Dazwischen ist es kulinarisch etwas dünn gesät». Zurück in der Probierstube lässt er mich seinen jüngst gemachten Vinho Verde kosten. Verblüffend gut gelungen ist das Experiment aus Moselaner Terroir. Seine Passion für das Wellenreiten könnte ein Grund sein, irgendwann weiterzuziehen. Als Praktikant bei Naturszene-Winzer Jurgen Gouws im südafrikanischen Swartland hat Daniel nebenbei Surfen gelernt: «Ich bin immer zwei Stunden vor der Arbeit aufgestanden, um mich in die Brandung zu werfen». Das lohnt beim Wellengang auf der Mosel definitiv nicht.

Unsere Favoriten

Teppo

Riesling 2016 D+D Niepoort & Philipp Kettern 

16.5 Punkte | 2018 bis 2025

Zitronengras und Mandarinenzeste im Bouquet. Mineralität ab der Gaumenmitte. Weiche Textur, Bitterorange mit angeflammtem Salbeiblatt. Ist am vorderen Mundhöhlenbereich am präsentesten. Schmelz und Druck. Feinstrukturiert. Eher ein Solitär als ein Essenpartner.

Preis: ca. 18 Euro | www.weinamlimit.de 

Kabisehrnett

Riesling 2016 D+D Niepoort & Philipp Kettern

17 Punkte | 2018 bis 2025

Hellgelbes Leichtgewicht mit grünen Reflexen. Angedeutete Küchenkräuter, im Mund dann harmonisches Spiel zwischen Grapefruit und Butterscotch. Glatte Textur mit feinem Säurenerv. Zu Spargeln mit zerlaufener Salbeibutter ein veritables Gedicht.

Preis: 27,90 Euro | www.weinamlimit.de 

Fio

Riesling 2014 D+D Niepoort & Philipp Kettern

16.5 Punkte | 2018 bis 2023

«Fio» heisst auf Portugiesisch «Faden» und der zieht sich durch diese unfiltrierte, fast ungeschwefelte Naturschönheit. Das Goldgelb findet sich am Gaumen mit Honig- und Aprikosennuancen wieder. Wirkt trotz seiner vier Jahre aber noch relativ verschlossen. 

Preis: 45 Euro | www.weinamlimit.de 

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