Fête des Vignerons 2019

Ausserhalb von Zeit und Raum

Text: Eva Zwahlen, Fotos: z.V.g., Siffert / weinweltfoto.ch

Wie viele Male müssen wir noch schlafen bis zur Premiere der Fête des Vignerons? Das fragen sich alle, die dem Ereignis entgegenfiebern. Nach 20 Jahren Wartezeit und 10 Jahren emsiger Vorbereitung steigt die Vorfreude. Eine Vorfreude, die nun auch über den Röstigraben schwappt und Wein- wie Kulturfreunde ansteckt. Denn sie wissen: Es erwartet uns ein einzigartiges Spektakel.

Eines gleich vorneweg: Die Fête des Vignerons hat nicht das Geringste zu tun mit gängigen Winzer- und Traubenfesten, wie sie landauf, landab gefeiert werden. Sie ist ein Kulturereignis allererster Güte, das 2016 sogar ins immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde. Noch vor der Basler Fasnacht…

«Das bedeutet mir persönlich sehr viel», gesteht Sabine Carruzzo-Frey, Historikerin, Archivarin, Museumskuratorin, Buchautorin und Generalsekretärin der Confrérie des Vignerons von Vevey in Personalunion. Kurz: das wandelnde Gedächtnis der altehrwürdigen Bruderschaft. «Die Aufnahme ins immaterielle UNESCO-Kulturerbe ist eine grosse Anerkennung! Die Fête wird damit als etwas ganz Spezielles ausgezeichnet und als Kulturgut gewürdigt, das von Generation zu Generation weitergetragen wird.»

Doch was ist denn so Besonderes an diesem sagenumwobenen Winzerfest von Vevey, dessen simple Erwähnung die Augen von Waadtländern jeden Alters – und nicht nur von Winzerinnen und Winzern – zum Strahlen bringt? «Die Fête des Vignerons, die einmal pro Generation und stets in ungeraden Jahren gefeiert wird, ist eine sehr lebendige Tradition. Es ist ein Fest, das alle Menschen zusammenbringt und vereinigt, über Generationen und soziale Gruppierungen, aber auch über die Sprachgrenzen hinweg. Das ist entscheidend», betont Sabine Carruzzo.

Von den Anfängen

Der Ursprung der Confrérie der Vignerons, die das Fest organisiert, reicht weit zurück, war sie doch nachweislich schon vor 1647 aktiv. Die Confrérie entstand als ein Zusammenschluss von bürgerlichen Grundbesitzern, die mit Handelsgeschäften zu Vermögen und Ansehen gekommen waren und die ihren Rebarbeitern mittels regelmässiger Kontrollen in den Rebbergen auf die Finger schauen wollten. «An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert», meint Sabine Carruzzo.

Diese angestellten Winzer, die oft eigene Reben besitzen, aber eben nicht genug, um eine Familie zu ernähren, werden in der Waadt Vignerons-Tâcherons genannt. Nicht weniger als 40 Prozent der Waadtländer Reben werden von ihnen kultiviert; die Vereinigung der Waadtländer Vignerons-Tâcherons zählt 280 Mitglieder, 170 davon sind eigentliche Vignerons-Tâcherons, der Rest Pächter von Rebbergen sowie «chefs de culture», Weinbauchefs also, die Equipen von Rebarbeitern anführen. Die besten von ihnen zu belohnen und auszuzeichnen, ist das Anliegen der Confrérie. In ihren Anfängen war es allerdings umgekehrt: Winzer, die unsorgfältig gearbeitet hatten, wurden öffentlich getadelt…

«Die Krönung der Winzer ist das Herzstück der Fête des Vignerons. Und ohne Herz wäre das Fest tot, immaterielles UNESCO-Kulturerbe hin oder her!» 

Sabine Carruzzo Generalsekretärin der Confrérie des Vignerons

Die Kontrollen in den Rebbergen sind streng, dreimal pro Jahr besuchen die Experten die Parzellen, im Frühling, im Sommer und kurz vor der Weinlese, und überprüfen vom Rebschnitt über Bodenbearbeitung, Begrünung, Spannung der Drähte, Laubarbeiten, Spritzungen bis hin zum Gesundheitszustand der Trauben jedes Detail. «Dabei wird auch die Fläche der Parzelle und die Hangneigung miteinberechnet, denn ein winziges, flaches Stück Reben tadellos in Ordnung zu halten ist deutlich einfacher als ein paar Hektar am Steilhang», gibt Pierre Monachon, Winzer in Rivaz und Mitglied im Eliteverein Mémoire des Vins Suisses,  zu bedenken. Auch hier geht die Confrérie mit der Zeit: Momentan überprüft sie ihre Kriterien zur Beurteilung biologisch und biodynamisch kultivierter Rebberge.

Vom kleinen Umzug zum grossen Fest

Im 18. Jahrhundert wurde jeweils nach der Generalversammlung der Confrérie und der Beurteilung der Winzer ein Bankett veranstaltet, begleitet von einem Umzug durch die Stadt, der mit der Zeit immer grösser wurde. Es gesellten sich Musikanten und Sängerinnen dazu sowie allegorische Figuren, die Bacchus, die Erntegöttin Ceres oder Noah verkörperten.

1797, beim allerersten «richtigen» Winzerfest von Vevey, wurden dann zum ersten Mal die besten Winzer gekrönt, die einstige kleine Prozession durch die Stadt mauserte sich zum veritablen Fest, das – wie heute – auf dem Marktplatz direkt am See gefeiert wurde. Ein Schauspiel, bei dem zahlreiche kostümierte Statisten mitspielten.

Im Lauf der Jahrzehnte wurde die Fête grösser und grösser, Zuschauer aus der ganzen Schweiz, ja aus ganz Europa strömten jeweils nach Vevey, um das Spektakel zu sehen, das an künstlerischer Ausstrahlung gewann und stets die Epoche, in der es stattfand, widerspiegelte. Heute ist es ein Fest der Erinnerung und der Identität, das altüberlieferte Traditionen mit der aktuellen Gegenwart verbindet. Und mit modernster Technik. So wird in der Mitte der riesigen, futuristisch anmutenden Arena, die seit dem 3. Januar auf dem Marktplatz von Vevey hochgezogen wird und die umliegenden Häuser um einiges überragt, ein LED-Bildschirm als Bühne prangen, was ungeahnte Farb- und Lichteffekte ermöglicht.

Auch ein Volksfest

Zum Volksfest wird die Fête des Vignerons durch die zahllosen Freiwilligen und Laiendarsteller, von Kindern bis zu über Achtzigjährigen, die mitmachen. Nur wenige Musiker und Schauspieler sind Profis – sowie natürlich die Künstler im Hintergrund: der Regisseur, die Komponistinnen, Kostümbildnerinnen, Choreographen, Dichter. Das Gros der Teilnehmenden besteht aus Laien. «Ja, selbstverständlich habe ich 1999 auch mitgemacht», lacht Sabine Carruzzo. Zusammen mit ihrem Mann John war sie damals «als lebendiges Dekor im Garten von Orpheus dabei», in phantastischen Kostümen und mit grosser Begeisterung. «Unsere Kinder waren damals noch klein und für diese Rollen brauchten wir nicht so viel zu proben, dafür sahen wir das Spektakel aus nächster Nähe.»

Das Fest von 1999 war grossartig, «aber vielleicht ein bisschen zu intellektuell, ein bisschen zu kompliziert». 2019 sollte das Spektakel populärer, leichter zugänglich werden. Eine kleine Findungskommission, zu der neben Sabine unter anderem natürlich auch der Präsident der Confrérie gehörte, hatte die Aufgabe, den künstlerischen Leiter der Fête zu bestimmen.

Der Abbé-Président François Margot, seit 2012 Präsident der Confrérie, hat nach Aussage der Historikerin «die Fête des Vignerons in seiner DNA eingraviert. Er ist bereits das dritte Mitglied seiner Familie in dieser Funktion, ein Kulturmensch durch und durch. Er und ich – wir kennen die Geschichte der Confrérie bis ins kleinste Detail.»

Eine gute Voraussetzung, um die richtige Wahl zu treffen. Sie fiel schliesslich auf den Tessiner Daniele Finzi Pasca, Clown, Theaterautor, international renommierter Regisseur und Choreograph, der Opern, grosse Spektakel (etwa mit dem Cirque du Soleil) oder die Schlussfeier der Olympischen Winterspiele von Sotchi inszeniert hat. «Er weiss, wie man die Leute zum Lachen bringt – und zum Weinen», meint Sabine schlicht. Und offensichtlich auch, wie man mit den Leuten umgeht. Winzer Jean-Luc Blondel (siehe S. 28) etwa kommt ins Schwärmen, als er von den Proben mit Daniele Finzi Pasca erzählt: «Er ist ein richtiger Künstler, aber er weiss ganz genau, was er will. Er hat eine unglaublich herzliche, sympathische Art, ist geduldig und besitzt Humor. Ein aussergewöhnlicher Typ!»

Eine lebendige Tradition

So lebendig wie die Fête des Vignerons ist die Organisation, die dahintersteht: die Confrérie des Vignerons. Pierre Monachon ist seit langem Confrère, gehört zum erlesenen Conseil der Confrérie und bekleidet mittlerweile gar das Amt des Vize-Präsidenten. Vor dem Fest eine zeitaufwendige Sache. «Ja, das stimmt, Zeit dafür habe ich nur, weil mein Sohn Basile offiziell unseren Familienbetrieb übernommen hat und ich nicht mehr Bürgermeister von Rivaz bin. Aber es ist eine grossartige Erfahrung, ein unglaubliches Abenteuer!»

Die Confrérie zählt mittlerweile rund 1800 Mitglieder, wie immer vor einem Fest sind viele Neueintritte zu verzeichnen, denn die Mitglieder haben Vorrang bei der Besetzung der Statistenrollen – und alle wollen mitmachen! Doch das ist nicht der einzige Grund. 2009 vollzog sich eine kleine Revolution in der Bruderschaft: Mit grossem Mehr entschieden die Confrères, künftig auch Frauen aufzunehmen. Und die liessen sich nicht lange bitten. «Es kamen viele ältere Confrères mit ihren Enkelinnen, die beitreten wollten», erzählt Pierre Monachon. Mittlerweile sind fast 30 Prozent der Mitglieder Frauen, 2015 wurden erstmals zwei Frauen in den 24-köpfigen Rat gewählt (der obligatorisch zur Hälfte aus Winzern bestehen muss), und sogar unter den Rebbauexperten, denen die wichtige Aufgabe zukommt, die Vignerons-Tâcherons zu kontrollieren, ist neuerdings eine Frau – was für ein Fortschritt!

«Die Atmosphäre hat sich seit der Öffnung für Frauen spürbar verändert», freut sich Sabine Carruzzo, die jahrelang bei allen Versammlungen als einzige Frau einem grossen Trupp von Männern gegenübersass. Und Pierre Monachon hofft, dass bei der Krönung der besten Winzer eine Winzerin gekrönt werden kann. Doch nicht einmal er als Vize-Präsident weiss, wer im Klassement die Nase vorn hat. Das scheint das bestgehütete Geheimnis der Schweiz zu sein. «Aber ich bin derjenige, der die ausgezeichneten Winzer bei der Premiere am 18. Juli in die Arena rufen darf.»

Eine Hymne auf das Leben

Die harte Arbeit in den Reben, das Wirken der Winzer stehen unverrückbar im Mittelpunkt der Fête. «Die Krönung der Winzer ist und bleibt das Herzstück», betont Pierre Monachon. Und es gebe weitere obligatorische Elemente. Nicht wegzudenken etwa sind die «Cent-Suisses», eine Reminiszenz an die patriotischen Gefühle nach der Waadtländer Revolution 1798, als sich die Waadt von der Berner Herrschaft befreite. Oder die «Armaillis», die Sennen aus dem Freiburger Vivisbachbezirk, die traditionell enge Beziehungen zu Vevey pflegten und jeweils ihre Produkte, Vieh und Käse, auf dem Markt in Vevey feilboten.

Was wäre die Fête ohne den berühmten «Ranz des Vaches». Die sogenannten Kuhreihen, sind eine Art von Hirtenliedern, mit denen in den Alpen und im Höheren Mittelland früher die Kühe zum Melken angelockt wurden. Dieses Lied treibt auch hartgesottenen Zuschauern Tränen der Rührung in die Augen. «Den Schweizer Söldnern war es streng verboten, den Ranz des Vaches zu singen, weil man Angst hatte, dass sie von Heimweh gepackt desertieren würden», erzählt Sabine Carruzzo. Nächste Woche stehe übrigens das Casting für die Kühe an, meint sie augenzwinkernd.

Daniele Finzi Pasca hat sich die Freiheit genommen, den Cent-Suisses die Cent-Suissesses hinzuzufügen und – unerhört! – die Schar der Gottheiten in den Hades zu verweisen. Wird das Publikum das goutieren? «Selbstverständlich», schmunzelt Pierre Monachon, «die Fête hat sich von Mal zu Mal vollkommen verändert und bleibt im Kern trotzdem gleich. Der künstlerische Leiter hat fast alle Freiheiten… Neu ist auch die Rahmenerzählung: ein Winzer, der seiner Enkelin Julie die ​(Wein-)Welt erklärt.»

Innovativ und voller Emotionen, traditionsverbunden und zugleich kompromisslos zeitgenössisch, ein Spiegel der gegenwärtigen Epoche mit ihren Freuden und Sorgen – so versteht sich die Fête des Vignerons. Ein Fest, auf das Leben! Doch wird es dieses Fest in 20 Jahren überhaupt noch geben? Sabine Carruzzos Antwort ist klar: «Wenn es in 20 Jahren keine Vignerons-Tâcherons mehr gibt, dann nicht, UNESCO hin oder her. Die Krönung der Winzer ist das Herzstück der Fête des Vignerons. Und ohne Herz wäre das Fest tot.» Doch die Historikerin ist zuversichtlich. Der Wandel ist fester Bestandteil der Fête des Vignerons, der Confrérie, des Lebens. Und jetzt heisst es erst einmal: que la fête commence!


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Fête des Vignerons 2019!

Die Fête des Vignerons 2019 sollten Sie auf gar keinen Fall verpassen. Denn die nächste Ausgabe des einzigartigen Ereignisses ist erst wieder in rund 20 Jahren geplant, also in einer Generation… 
Das kulturelle Highlight des Jahres findet vom 18. Juli bis zum 11. August 2019 statt, für die meisten der 20 Aufführungen sind noch Tickets erhältlich, die Preise liegen je nach Platz zwischen 79 und 299 Franken. Die Hälfte der Vorstellungen beginnt jeweils um 11 Uhr vormittags, die andere Hälfte um 21 Uhr abends; jede Vorführung dauert rund 2¾ Stunden. Da keine Pause vorgesehen ist, sind Kinder erst ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen.
Vor und nach dem eigentlichen Spektakel in der eigens erbauten Arena geniessen Besucherinnen und Besucher «la ville en fête», die Stadt Vevey im Festtaumel. Kleine und grosse Umzüge sind zu bestaunen. Strassenmusikanten, diverse Schausteller und dazu die kostümierten Laiendarsteller der Fête flanieren in den Strassen der Altstadt. In den Caveaus kann man Wein geniessen und natürlich etwas essen. Nicht zu vergessen sind die Ehrengäste aus der ganzen Schweiz. Die Kantone, die sich an ihrem jeweiligen Tag präsentieren, sorgen für ein lebhaftes, fröhliches Ambiente. 
www.fetedesvignerons.ch/de

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