Der Holzeinsatz in deutschem Wein zeigt einen klaren Trend: zur Heimat

Holzfässer aus heimischer Eiche: mehr als nur ein Marketing-Gag?

Text: Patrick Hemminger, Fotos: Hardy Müller

Wer sich in deutschen Weinkellern umschaut, entdeckt einen Trend zum heimischen Holz. Wer als Winzer etwas auf sich hält, wählt Fässer aus heimischer Eiche und regionaler Fertigung. Ist das nur ein Marketing-Gag oder eine sinnvolle Sache?

Französische Eiche gilt als Nonplusultra in der Weinwelt. «Gereift in französischen Barriques» ist ein Satz, mit dem Betriebe ihre Weine gerne anpreisen. Aber warum greifen dann Spitzenweingüter wie das Fürstlich Castell’sche Domänenamt in Franken, kurz Castell genannt, oder Esterházy aus dem österreichischen Burgenland immer öfter auf eigene Eichen zurück? «Unser Terroir endet für mich nicht an der Kellertür», sagt Peter Geil, Weingutsleiter bei Castell. «Das Fass ist für mich ein Teil davon.» Vor einigen Jahren begannen sie auf dem Weingut mit Fässern aus eigenen Eichen zu arbeiten. Ganzheitlicher wollte man denken. Die Dinge nutzen, die ohnehin da sind. So ist der Boden der neuen Vinothek ebenfalls aus eigenen Bäumen. Castell hat es da leichter als andere Betriebe. Der fürstlichen Familie gehören rund 4500 Hektar Wald mit wunderbaren alten Bäumen. «Die Eichen wurzeln im gleichen Boden wie die Rebstöcke. Das muss doch harmonisch werden», sagt Geil. Ausserdem kann er sich direkt mit seinem Kollegen Christoph Arndt besprechen, wenn er neues Holz braucht. Arndt leitet den Forstbetrieb des Fürstenhauses. «Wenn Peter mir sagt, was er braucht, finde ich den passenden Baum», sagt der Förster. Auf rund 13 Prozent der fürstlichen Waldfläche im fränkischen Steigerwald wachsen Eichen.

Die Gegend eignet sich dafür gut - Eichen mögen ähnliches Wetter wie Reben. Wenn die Bäume dann langsam und gleichmässig wachsen, werden sie ab einem Alter von etwa 130 Jahren interessant für die Weiterverwertung. Die meisten Eichen, die Arndt aus dem Wald holt, sind zwischen 200 und 300 Jahre alt. Es ist jedes Mal ein ehrfurchtsvoller Moment, wenn sie so einen alten Giganten fällen. «So ein 300 Jahre alter Baum, der hat die Napoleonischen Kriege gesehen, das ist Wahnsinn», sagt Arndt. Zur Ehrfurcht kommt noch ein anderes Gefühl: Dankbarkeit für die Arbeit seiner Vorgänger. Und das sind einige. «An so einer alten Eiche haben zehn Förstergenerationen gearbeitet», sagt er. Weingutsleiter Geil ergänzt: «Und im Keller kann ein Fass bei guter Pflege dann hundert Jahre halten. Wir reden also von 400 Jahren, die so ein Baum uns begleitet. Das ist einfach irre.» Geil sieht zwei Gründe, warum heimisches Holz, zum Beispiel aus dem Pfälzer Wald, dem grössten zusammenhängenden Waldgebiet Deutschlands, oder dem Spessart, bei deutschen Winzern wieder mehr nachgefragt wird. Zum einen sind zehn bis 20 Prozent aller französischen Fässer aus deutschem Holz, weil die Küfer hier einkaufen. «Und das haben viele Winzer hier gemerkt und gezielt danach gefragt», sagt Geil. Das führte zum zweiten Aspekt: «Seitdem mehr Fässer aus deutschem Holz nachgefragt werden, gibt es wieder mehr gute Küfer hierzulande», sagt Geil.



Bestes Holz aus deutschem Wald

Wenn das alles so gut läuft mit den einheimischen Eichen, warum sind französische Fässer dann immer noch beliebt? Dominik Durner, Professor für Önologie am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße forscht zu diesem Thema. «Die Franzosen haben den Vorteil, dass sie Jahrhunderte Erfahrung im Fassbau haben. Die wissen genau, welches Holz sie wo einkaufen, wie sie es lagern und verarbeiten», sagt er. Aber warum muss es eigentlich immer Eiche sein? Könnte man in Regionen, wo keine guten Eichen wachsen, nicht einfach andere Bäume nehmen? «Das Holz der Eiche hat drei wunderbare Eigenschaften», sagt Durner. Erstens kommt die richtige Menge Luft hindurch, die dem Wein bei der Reifung guttut. Zweitens ist das Holz biegbar, so dass sich die Fässer formen lassen. Und drittens ist es dabei so hart, dass es absolut dicht ist. Ausserdem haben Eichen im unteren Bereich des Stammes in der Regel keine Äste», sagt Durner. Nur dieses Holz kann der Küfer verwenden. Stellen mit Ästen wachsen unregelmässig und lassen das Fass am Ende undicht werden. Der Önologe hält es nur für folgerichtig, dass heimisches Holz dem Wein guttut - wenn auch wissenschaftliche Belege hierfür fehlen. «Die Rebe wächst und erzeugt eine Frucht. Der Baum wächst und erzeugt Holz. Beide Pflanzen sind dabei denselben Umwelteinflüssen ausgesetzt. Eine Synergie halte ich da für logisch», sagt Durner. Zudem passt das Holz aus der Gegend zum Zeitgeist. «Überall wird nach Regionalität gerufen», sagt Durner. «Und Holz ist ein stilprägendes Element im Wein. Es ergibt also Sinn, auch da regional zu denken.»

So sieht man das auch beim Weingut Esterházy in Österreich. Der Betrieb im nördlichen Burgenland hat seit 2017 erste Fässer aus eigenen Eichen, die Bäume dafür suchte man gemeinsam mit dem Küfer aus. Anfangs war es nur ein Versuch. Im Keller des Weinguts legte man Blaufränkisch und Chardonnay in Fässer aus eigenem und anderem Holz und wartete ab. Die Verkostung zeigte: «…der Wein aus unserem eigenen Holz war mit Abstand der harmonischste», sagt Frank Schindler, der Geschäftsführer des Weinguts Esterházy. Seitdem nimmt der Anteil des eigenen Holzes im Keller zu. Langsam natürlich, denn die Eichen müssen nach dem Fällen zwei bis sechs Jahre lagern, bevor sie zu Fässern werden. «Mit den Jahren wird das Holz stimmiger, es verliert an Tannin», sagt Schindler. Das Verhältnis von Gerbstoffen im Wein und im Holz muss ausgewogen sein. Früher habe man tanninarme Weine in tanninreiche Fässer gelegt, um ihnen mehr Kraft zu verleihen. «Heute nehmen wir für tanninreiche Weine tanninreiche Fässer. Dann entwickeln sich die Gerbstoffe schöner», sagt Schindler. Ihn wundert die grössere Harmonie der Weine aus dem eigenen Holz nicht. «Schliesslich sind die Bäume dem gleichen Klima ausgesetzt wie die Reben», sagt er. Harmonie sei da die natürliche Folge. Zwei Dinge sind ihm wichtig, wenn es ums Fällen so alter Bäume geht. «Wir fällen nur Bäume, die ‹erntereif›, also am Ende ihres natürlichen Lebens sind», sagt er. «Und wir verarbeiten jeden Baum zu hundert Prozent.» Das geht von den edelsten Teilen, aus denen Fässer werden, bis hin zum Kronenholz und der Rinde, aus denen Hackschnitzel werden.

Aus dem grössten Teil des Baumes wird etwas anderes als ein Weinfass. Ohnehin kann nur der untere Teil des Stammes, an dem keine Äste wachsen, verwendet werden. Damit die Fässer dicht sind, muss das Holz gespalten sein und darf nicht gesägt werden. Dabei fällt enorm viel Abfallholz an: Aus vier bis fünf Kubikmetern Stammholz wird am Ende ein Kubikmeter Fassholz. Das reicht für elf Barriques mit je 225 Litern Fassungsvermögen. Neben dem Regionalgedanken spielt für Schindler der Qualitätsgedanke eine Rolle. «Aus meinen eigenen Bäumen bekomme ich die absolute Premiumqualität. Bestelle ich aber in Frankreich, bekomme ich nur das, was die Franzosen ins Ausland verkaufen», sagt er. Die besten Fässer blieben fast immer im Land und gingen an die eigenen Winzer. Deshalb lässt Peter Geil vom Fürstlich Castell’schen Domänenamt seine Fässer auch von Andreas Aßmann fertigen.

Die Büttnerei liegt im Dorf Eußenheim nördlich von Würzburg, eine knappe Stunde Fahrzeit vom Weingut entfernt. Die Fässer von Aßmann gelten in Franken und darüber hinaus mit zu den Besten. Um das aus ihnen rauszuholen, braucht man natürlich handwerkliches Geschick. Aber da ist noch etwas anderes, was die Regionalität von einer anderen Seite beleuchtet. Viele Fassmacher kaufen ihr Holz fertig ein, haben den Baum, der es einmal war, nie gesehen. Aßmann macht das nicht: «Gutes Holz wächst überall auf der Welt. Aber wir schneiden alles selber im Umkreis von hundert Kilometern. Ich kenne mein Holz.» Jeden angelieferten Stamm hat er zuvor gesehen und für würdig befunden, eines seiner Fässer zu werden. «Aber dafür will ich nicht hunderte Kilometer fahren», sagt er. Und noch ein Faktor spricht für regionales Holz: die menschliche Nähe zwischen Küfer und Winzer. Manch einer ist überrascht, dass Aßmann keine Garantie und keine Gewährleistung für seine Fässer übernimmt. «Holz ist ein Naturprodukt. Da kann es immer mal sein, dass eine Kapillare Wein durchlässt», sagt Aßmann. «Aber ich tue alles für meine Kunden. Wenn mal was nicht passt, dann wird das behoben, so einfach ist das.»

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