Auf den Podestplätzen dieses Panels etablierte sich die neue S-Klasse: Schweiz, Südtirol, Südafrika…

Von Profis verkostet: 25 Chardonnays aus 11 Ländern

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Martin Hemmi

25 Chardonnays aus elf Ländern und ein überaus erfreuliches Fazit. Die Sorte bringt heute im Preisbereich zwischen 30 und 100 Franken rund um die Welt so animierend frische, temperamentvolle und doch vielschichtige Weine hervor wie nie zuvor. Mit anderen Worten: Was wir hier empfehlen, sind perfekte Sommerweine mit Leichtigkeit und Tiefgang zugleich. Die Überraschung: Auf den Podestplätzen dieses Panels etablierte sich die neue S-Klasse: Schweiz, ­Südtirol, Südafrika

Chardonnay zu verkosten macht heute Spass. Sehr viel Spass sogar. Ja, mit grosser Wahrscheinlichkeit so viel Spass wie noch nie in der illustren Geschichte dieser Sorte, die vor mehr als 330 Jahren in La Roche-Vineuse, rund zehn Kilometer nordwestlich von Mâcon gelegen, erstmals erwähnt und von Benediktiner- und Zisterzienser-Mönchen in ganz Europa verbreitet worden ist. Während der VINUM-Panel-Verkostung gaben verschiedene Verkosterinnen und Verkoster zu Protokoll, dass sich die Weine so animierend und frisch präsentierten, dass es einem schwerfalle, sie auszuspucken. Und dass man zwangsläufig an Meeresfrüchte und andere Speisen denken müsse, die zu diesen Weinen hervorragend harmonieren würden. Es ist ein schönes Phänomen, dass die meistangebaute Weisswein-Sorte (die auf noch mehr Rebfläche kultivierte spanische Sorte Airén wird vorwiegend zur Brandy-Produktion verwendet) heute weltweit auch die mithin spannendsten und trinkigsten Weine hervorbringt.



Leider hält sich beharrlich das Vorurteil, dass gute Chardonnays sehr teuer und die besten inzwischen unbezahlbar seien. Tatsächlich wäre allmählich eine unlimitierte Skala nötig, ähnlich der nach oben offenen Richterskala für die Stärke von Erdbeben, um den Preis-Hype bei den legendären Chardonnay-Crus zu erfassen. Das gilt vor allem für jene aus dem Burgund, die preislich in einer eigenen Liga spielen. Von Häusern wie ­Coche-Dury, Leflaive oder Jean-Marc Roulot kosten inzwischen schon die Premiers Crus über den offiziellen Handelsweg ein paar hundert Euro pro Flasche, sind aber so eh nicht zu bekommen. Und auf dem Sekundärmarkt vervielfachen sich die Preise. Ganz zu schweigen von den astronomisch teuren Grands Crus dieser Häuser. Es ist ein Dilemma, dass es Weinfreaks mit feinziselierter sinnlicher Wahrnehmung, aber nicht endlosen finanziellen Möglichkeiten heute kaum mehr möglich ist, diese legendären Crus zu geniessen, verkörpern sie doch einen perfekten Chardonnay: enorme Spannkraft bei gleichzeitig tänzerischer Leichtigkeit, bewundernswerte Frische bei grösstmöglicher Komplexität, vollkommene Präzision bei animierender Trinkigkeit und subtilster Mineralität.

Temperamentvolle Frische, viel Charakter und eine oft ausgeprägte Mineralität: die Chardonnays von heute

Doch es besteht kein Grund zur Trauer! Denn was wir vermutet und erhofft haben, bestätigt unser «Chardonnay around the World»-Panel mit 25 Crus aus insgesamt elf Ländern im Preisbereich zwischen 30 und 100 Euro. Noch nie hat die Sorte in dieser Preisspanne so erstklassige, ja begeisternde Weine hervorgebracht. Es sind Weine, die genau das bieten, was man sich von gelungenen Chardonnays erwartet, nämlich knackige, temperamentvolle Frische, viel Charakter und eine oft ausgeprägte Mineralität, die sich zumeist in Form von Noten wie Feuerstein, Graphit, nassem Stein, Schiefer, Salz oder Rauch zu erkennen gibt. Und die Weine, welche diese vornehmen Charaktereigenschaften besonders gut ins Glas zaubern, kommen heute nicht mehr mehrheitlich aus einer bestimmten Region, sondern aus der ganzen Welt.

Das legendären Judgment of Paris im Jahr 1976

Keine andere Sorte hat in den letzten 30 Jahren in Bezug auf die Stilistik eine so abwechslungsreiche, ja fast schon abenteuerlich anmutende Entwicklung durchlaufen. In den 80er und 90er Jahren, als sich Anbauregionen wie Kalifornien, Südaustralien oder die Kap-Region in Südafrika immer stärker in der Chardonnay-Welt etablierten, schienen die Positionen klar verteilt: Eleganz gab es im Burgund, Üppigkeit in der Neuen Welt. Doch ganz so klar war die Rollenverteilung schon damals nicht. Das Haus Mondavi etwa zelebrierte in den 90er Jahren häufig Blindproben in Europa, bei denen es Fachleuten des Öfteren nicht gelang, den Mondavi Chardonnay Reserve von einem Clos des Mouches Blanc vom Hause Joseph Drouhin zu unterscheiden. Und schon beim legendären Judgment of Paris im Jahr 1976 bewertete die rein französisch besetzte Jury (mit Ausnahme des Engländers Steven Spurrier, Organisator dieser Probe) den Chardonnay von Château Mont-elena aus dem Napa Valley am höchsten – im festen Glauben, dass es sich dabei um einen Cru aus dem Burgund handle. Wie das VINUM-Profipanel beweist, ist es heute noch viel schwieriger, die Herkunft ambitionierter Chardonnay-Crus zu eruieren. Von den insgesamt 25 verkosteten Weinen konnte die Jury nämlich nur bei neun eindeutig erkennen, ob es sich um ein europäisches Gewächs oder aber einen Wein aus der Neuen Welt handelte. Bei 16 Weinen war die Zuordnung nicht möglich oder falsch. Kein Wunder: Neue-Welt-Gewächse wie der Bin 311 Tumbarumba Chardonnay aus Südaustralien von Penfolds, aber auch der White Stones Chardonnay aus dem Adrianna Vineyard bei Mendoza von Catena Zapata zeigen sich so geradlinig frisch und vergleichsweise moderat im Alkoholgehalt, dass sie selbst von Fachleuten häufig im Burgund verortet werden. Vor allem in Bezug auf den Alkoholgehalt haben die Weine in den letzten Jahren generell weiter abgespeckt, durchschnittlich wiesen die Weine in dieser Probe einen Alkoholgrad von 13,5 Volumenprozent aus. Einzig die vier Gewächse aus Kalifornien lagen mit Werten zwischen 14 und 14,7 Volumenprozent deutlich darüber. Trotzdem zeigten sich auch diese West-Coast-Gewächse durchs Band sehr ausgewogen und trinkig.

Die Sorte Chardonnay bringt heute rund um die Welt erstklassige Weine hervor

Das liegt auch am immer raffinierteren, sprich zurückhaltenderen Holzeinsatz. Hatten zu viel Reife und zu viel neues Holz den Chardonnay vor 30 Jahren in eine Identitätskrise gestürzt, was im damaligen Slogan «Anything but Chardonnay» («Alles ausser Chardonnay») gipfelte, ist heute davon nichts mehr zu spüren. Zu stark vom Holz geprägte Weine mit Noten wie Kokosnuss, Karamell oder Butterscotch waren in dieser Probe nicht auszumachen. Was die Winzer heute anvisieren, ist pure Geradlinigkeit und Knackigkeit. Einige Weine zeigen sich inzwischen derart puristisch, dass man sich zuweilen fast schon eine kleine Prise der ehemaligen Üppigkeit zurückwünscht…

Das vielleicht wichtigste Fazit der Probe: Die Sorte Chardonnay bringt heute rund um die Welt erstklassige Weine hervor. Selbst wer nach maximaler Frische und Eleganz sucht, wird inzwischen in der Neuen Welt genauso fündig wie in der europäischen Heimat dieses Gewächses. Das Burgund mit sechs Crus und Kalifornien mit vier Gewächsen waren in diesem Panel die am stärksten vertretenen Regionen. In der Top 5 klassierten sich schliesslich aber fünf andere Länder. Die höchste Bewertung erreichte der Malanser Chardonnay 2020 vom Weingut Fromm aus dem schweizerischen Graubünden, gefolgt vom Troy 2018 der Kellerei Tramin im Südtirol und dem Chardonnay 2018 von Richard Kershaw aus Elgin in Südafrika. Auf dem vierten Platz landete der Bin 311 Tumbarumba Chardonnay von Penfolds aus Südaustralien, gefolgt vom Estate Chardonnay 2020 vom Weingut Kumeu River, das auf der Nordinsel Neuseelands angesiedelt ist. Dieses Resultat zeigt: Die Chardonnay-Szene beschert uns rund um die Welt begeisternd gute und trinkige Weine. In einer Zeit, wo die Globalisierung immer stärker in Frage gestellt wird, repräsentiert die Sorte so eine Internationalität im besten denkbaren Sinne.


Die Top 5 der Verkostung!

RangBeschreibung
1
18,5/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Georg Fromm Weine
2
18,5/ 20
Punkte
Südtirol, Italien
Kellerei Cantina Tramin
3
18,5/ 20
Punkte
Elgin, Western Cape-Cape South Coast, Südafrika
Richard Kershaw Wines
4
18,5/ 20
Punkte
Australien
Penfolds Wines
5
18,5/ 20
Punkte
Neuseeland
Kumeu River Wines Limited

Alle weiteren verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
18,5/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Hudson Ranch
2
18,5/ 20
Punkte
Bourgogne Régionales, Burgund, Frankreich
Domaine Rémi Jobard
3
18,5/ 20
Punkte
Overberg, Western Cape-Cape South Coast, Südafrika
Lismore Estate Vineyards
4
18,0/ 20
Punkte
Hawke's Bay, Nordinsel, Neuseeland
Te Mata Estate Winery
5
18,0/ 20
Punkte
Côte de Beaune, Burgund, Frankreich
Domaine Sylvain Morey
6
18,0/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Thomas Studach Weinbau
7
18,0/ 20
Punkte
Steiermark, Österreich
Weingut Tement
8
18,0/ 20
Punkte
Burgund, Frankreich
Domaine Lafouge
9
18,0/ 20
Punkte
Pfalz, Deutschland
Weingut
10
18,0/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Merryvale Vineyards
11
18,0/ 20
Punkte
Jura, Jura, Frankreich
Domaine Labet
12
18,0/ 20
Punkte
Bourgogne Régionales, Burgund, Frankreich
Domaine Clos de la Chapelle
13
18,0/ 20
Punkte
Napa Valley, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Lewis Cellars
14
18,0/ 20
Punkte
Côte de Beaune, Burgund, Frankreich
Domaine Pascal Clément
15
18,0/ 20
Punkte
Sonoma County, Kalifornien Northcoast, Kalifornien, USA
Marimar Estate
16
18,0/ 20
Punkte
Pfalz, Deutschland
Weingut Friedrich Becker
17
17,5/ 20
Punkte
Chablis, Burgund, Frankreich
Domaine Brocard
18
17,5/ 20
Punkte
Katalonien, Spanien
Miguel Torres
19
17,5/ 20
Punkte
Vie di Romans
20
17,5/ 20
Punkte
Mendoza, Cuyo, Argentinien
Bodega Catena Zapata

Was die Verkoster sagen

«Diese Auswahl von aktuellen Weinen aus dem Handel zeigt, wie hoch das Qualitätsniveau beim Chardonnay in der Preisklasse zwischen 30 und 100 Franken ist. Und das quer durch die ganze Welt. Da waren einige echte Gänsehaut-Weine zum Abheben dabei. Beeindruckend, wie es die Winzer heute verstehen, burgundische Tugenden wie Finesse und tänzerische Eleganz in die Flaschen zu zaubern.»

Beat Caduff Weinhändler und Consultant, Zürich

«Das Qualitätsniveau war sehr hoch. Die ganz grandiosen Chardonnays waren freilich nicht dabei, aber die kosten ja auch ein Mehrfaches. Zudem wäre es fraglich gewesen, ob diese Ikonen ihr Potenzial hätten ausspielen können, brauchen sie doch mehr Flaschenreife. Erfreulich fand ich bei allen Weinen die Ausgewogenheit. Auch die reichhaltigen Gewächse hatten in der Regel genug Säure.»

Ivan Barbic MW Weinhändler und Consultant, Thalwil

«Hätte diese Probe vor 15 Jahren stattgefunden, wären die Weine mehrheitlich von Power und vor allem viel Holz geprägt gewesen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute suchen die Winzer ganz konsequent nach Frische und Lebendigkeit. Da kann ich nur sagen: bravo! Das Holz wird immer dezenter eingesetzt, ist oftmals kaum mehr zu spüren. So kommt das Terroir mehr zum Zug und wird erkennbar.»

Stefan Iseli Sommelier, Zürich

«Eine eindrucksvolle Probe. Es gab noch nie so viele gute, bezahlbare Chardonnays. Was mich beeindruckt: die Vielfalt an stilistischen Schattierungen. Nur bei sehr wenigen Gewächsen fand ich den Einfluss des Holzes oder der malolaktischen Gärung noch immer etwas unbeholfen. Die besten Weine zeigten hier eine edle Reduktion, sehr subtiles Holz und eine gekonnt herausgearbeitete Frische.»

Timothy Magnus Weinhändler, Zürich

«Toll, dieses Temperament, diese Frische und diese Lebendigkeit. Und dabei zeigen die Weine trotzdem eigenständigen Charakter. Mit alten vorgefassten Klischees wird man dieser Sorte nicht mehr gerecht. Gewächse mit grandioser Frische und Lebendigkeit gibt es nicht nur im Burgund, sondern in der ganzen Welt. Genau das macht die Chardonnay-Szene so ungemein spannend!»

Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg

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