Die Frischeren überzeugten die Jury genau so wie die opulenteren Pinot-Crus

Von Profis verkostet: Pinot Noir aus der Schweiz

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Linda Pollari

Die rote Schweizer Leitsorte zeigt mit dem Jahrgang 2019, dass sie in allen Landesteilen, vom Wallis bis in den Thurgau, absolute Top-Crus hervorbringt. Dabei überzeugten die zur Frische tendierenden Crus die Jury genau so wie die etwas opulenteren Gewächse. Ihre Herkunftsregion gaben die Weine jedoch kaum zu erkennen. Mit einer grossartigen Ausnahme: Der höchstbewertetste Wein dieses Profipanels, der Pinot Noir Schöpfi von Georg Fromm, wurde klar als «herrschaftlich» erkannt! 

2018 oder 2019? Das ist bei Anhängern helvetischer Pinot Noirs fast schon eine Glaubensfrage. Das warme Bilderbuchjahr 2018 brachte quer durchs Land kraftvolle, ja zuweilen fast schon üppige Pinots mit kalifornischem Charme hervor, und das selbst von Winzern, die eigentlich für einen frischen Stil bekannt sind. 2019 dagegen war ein ungleich anspruchsvolleres Jahr. Trotz Hitzeperioden im Sommer gilt es als das kühlere, feuchtere und generell unberechenbarere Jahr. Vor allem in der Phase der Rotweinernte ab Ende September entwickelte sich das Wetter zunehmend wechselhafter und regnerischer. Viele Winzer nutzten die kurzen Schönwetter-Fenster, gingen auf sicher und ernteten lieber ein paar Tage früher als geplant. Die durchschnittliche Reife beim Pinot Noir lag je nach Region bei 92 bis 96 Grad Öchsle, ein Wert, der heute als ideal betrachtet wird, um ausgewogene Pinots in die Flasche zu bringen. Trotzdem haben die acht Juroren unseres VINUM-Profipanels längst nicht alle der 25 verkosteten 2019er Pinot Noirs als Vertreter des eleganten Stils eingestuft. Die opulenteren und die frischeren Gewächse hielten sich gemäss Juryurteil in dieser Probe ungefähr die Waage. Nach drei Jahren in der Flasche zeigen sich diese Crus nun bereits in idealer Trinkreife, haben aber gleichzeitig viel Entwicklungspotenzial. Auf den Podestplätzen lagen mit dem Pinot Noir Schöpfi von Georg Fromm (1. Platz), dem Blauburgunder Alte Reben von Michael Broger (2. Platz) und dem Grand Cru Chlosterberg vom Weingut Besson-Strasser drei Weine aus drei verschiedenen Deutschschweizer Kantonen, die etwas gemeinsam haben: Sie stammen aus biologischem beziehungsweise biodynamischem Anbau, auch wenn das Weingut von Michael Broger nicht entsprechend zertifiziert ist. Gut möglich, dass der weitgehend naturbelassene An- und Ausbau diesen Crus jene Struktur und jenen Charakter verleiht, den die Juroren entsprechend hoch bewertet haben. Von den «Top 5»- Gewächsen hat die Jury drei Gewächse, nämlich jene von Georg Fromm, Histoire d’Enfer und Diego Mathier, der opulenten Stilistik zugeordnet, während zwei (Michael Broger und Besson-Strasser) als geradlinig und frisch eingestuft worden sind.



Zwei Walliser in der Top 5

Gerade in der Deutschschweiz vertreten nicht wenige Fachleute die Meinung, dass die besten helvetischen Pinots in der Bündner Herrschaft und dem Kanton Neuenburg mit seinen von Jurakalk dominierten Böden angebaut werden. Das Wallis dagegen gilt für viele heute als klimatisch zu warm für die Sorte. Rhone-Gewächse wie Syrah oder Marsanne seien besser auf das sonnenverwöhnte Alpental zugeschnitten, wird argumentiert. Die Resultate dieses VINUM-Profipanels zeigen aber, dass diese Deutschschweizer Optik wohl mehrheitlich auf Vorurteilen beruht und nicht allzu viel mit der Schweizer Pinot-Realität zu tun hat. Denn einzig das Wallis schaffte es in diesem Profi-Panel, zwei Weine in die Top 5 zu bringen. Dabei wurde die Herkunft dieser beiden Top-Crus von Diego Mathier (L’Ambassadeur des Domaines) und Histoire d’Enfer (Calcaire Absolu) in dieser Blindprobe nicht mal ansatzweise erkannt, tendenziell wurde als Terroir bei beiden Weinen die Bündner Herrschaft vermutet.

Ein Phänomen namens «Schöpfi»

Allgemein gilt der Pinot Noir als die Rotweinsorte, die ihr Terroir so subtil verkörpern kann wie kein anderes rotes Gewächs. Diesen legendären Ruf kreierten die prestigeträchtigsten Gewächse im Burgund, wo Grand Crus wie Musigny, La Tâche, Clos de Vougeot oder Corton ein eigenständiges sensorisches Profil zugesprochen wird. Ob sich diese Unterschiede in einer Blindprobe heute immer noch so zeigen, wie sie in der Fachliteratur seit Jahrzehnten beschrieben werden, wäre zu prüfen. In der Schweiz jedenfalls ist es selbst für Fachleute schlicht und einfach ein Ding der Unmöglichkeit, in einer Blindprobe von 25 Top-Pinots eines einzelnen Jahrgangs die regionale Herkunft der Crus zu ermitteln. Dies ist das zentrale Fazit unseres Pinot-Noir-Panels. Allerdings gibt es zwei gerade spektakuläre Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Das ist zum einen der Pinot Noir Hallau Schumpen von Markus Ruch, bei dem fünf der acht Juroren richtig auf die Region ThurgauSchaffhausen tippten. Noch deutlicher fiel das Verdikt beim Gewinner dieses Pinot-Profipanels aus. Sieben der total acht Verkosterinnen und Verkoster verorteten den Pinot Noir Schöpfi von Georg Fromm richtigerweise in Graubünden. Der beste Wein dieser Probe ist also gleichzeitig auch jener, der sein Terroir am deutlichsten zum Ausdruck bringt. Was für eine Leistung!

Die Handschrift der Winzer

Überhaupt: Für Pinot-Freaks ist die Schweiz heute ein Paradies. Noch nie war das qualitative Niveau quer durch die Schweiz, von Genf über Malans und Salgesch bis Hallau so hoch wie heute. Das beweisen die Bewertungen unseres Panels. Alle 25 Weine erhielten Benotungen zwischen 17.5 und 18.5 Punkten. Ein einziges Pünktchen Differenz in so einer Probe, das ist ungefähr so, wie wenn sich bei einem Ski-Weltcup-Abfahrtsrennen die besten 25 Rennläufer innerhalb einer Sekundeklassieren würden. Und was die Sorte zusätzlich attraktiv macht, sind die Nuancen in Bezug auf die Stilistik der Weine. Wobei die generelle Entwicklung klar in Richtung Struktur, Eleganz und Lagerfähigkeit geht. Pomadig üppige Gewächse gab es in dieser Probe keine, und auch die Eichenholzwürze dominierte nie, sondern spielte durchwegs eine stützende, die Komplexität bereichernde Rolle.

Besticht der klassische Schweizer Pinot mit einnehmender rotbeeriger Frucht, einer Spur von Speck, Rauch und Feuerstein sowie viel saftigem Schmelz und geschliffenem Gerbstoff am Gaumen, so zeigen sich neuere Interpretationen wesentlich temperamentvoller und pikanter. Diese stilistischen Nuancen spiegeln offenbar eher die Handschrift des Winzers und weniger das Terroir wider. Die Selektion von später reifenden Parzellen, eine modifizierte Laubarbeit, bei der die Trauben bis zuletzt im Schatten der Laubwand reifen und eine tendenziell frühere Ernte bei rund 95 Grad Öchsle sind Massnahmen im Rebberg, um animierende Weine zu erzeugen. Und im Keller gehören die Verwendung eines Teils der Rappen bei der Vinifikation, das Vergären mit rebbergseigenen Naturhefen und eine minimale Schwefelung heute zum Standard-Repertoire der Winzer. Und auch wenn die achtköpfige Jury eben nur bei zwei Weinen mehrheitlich die Herkunftsregion ermitteln konnte, so gelang es doch einzelnen Verkostern ihre Lieblings-Pinots zu identifizieren. So erkannte etwa der Weinautor und Blogger Adrian van Velsen drei Crus, nämlich jene von Tom Litwan, Besson-Strasser und Michael Broger. Und dem Weinhändler und Consultant Ivan Barbic (MW) gab sich der Pinot Noir von Martha und Daniel Gantenbein zu erkennen: «Die aromatische Intensität, die Komplexität und Abgangslänge sowie eine im positiven Sinne reduktive Feuersteinnote sind typische Merkmale dieses Crus.»


Die Top 5 der Verkostung!

RangBeschreibung
1
18,5/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Georg Fromm Weine
2
18,5/ 20
Punkte
Thurgau, Deutschschweiz, Schweiz
Michael Broger
3
18,5/ 20
Punkte
Zürich, Deutschschweiz, Schweiz
Winzerkeller Strasser
4
18,5/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Histoire d’Enfer S.A.
5
18,5/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Adrian Mathier — Nouveau Salquenen

Alle verkosteten Weine nach Region

Region Wallis/Westschweiz

Durchschnittswertung: 18.1 Punkte

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Genf, Westschweiz, Schweiz
Domaine Villard et Fils
2
18,0/ 20
Punkte
Waadt, Vaud, Westschweiz, Schweiz
Domaine Henri Cruchon SA
3
18,0/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Denis Mercier
4
18,5/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Histoire d’Enfer S.A.
5
18,5/ 20
Punkte
Wallis, Westschweiz, Schweiz
Adrian Mathier — Nouveau Salquenen

Region Graubünden

Durchschnittswertung: 18.1 Punkte

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut Obrecht
2
18,5/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Georg Fromm Weine
3
18,0/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut Eichholz
4
18,0/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut Donatsch
5
18,0/ 20
Punkte
Bündner Herrschaft, Graubünden, Deutschschweiz, Schweiz
Daniel und Martha Gantenbein

Region Drei Seen

Durchschnittswertung: 17.6 Punkte

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Neuenburg, Drei-Seen-Land, Schweiz
Domaine Saint-Sébaste-Kuntzer SA
2
17,5/ 20
Punkte
Murten See, Drei-Seen-Land, Schweiz
Cru de l'Hôpital
3
17,5/ 20
Punkte
Bielersee/Lac de Bienne, Drei-Seen-Land, Schweiz
Weingut Krebs
4
17,5/ 20
Punkte
Neuenburg, Drei-Seen-Land, Schweiz
La Maison Carrée
5
18,0/ 20
Punkte
Neuenburg, Drei-Seen-Land, Schweiz
Caves du Château d'Auvernier

Region Thurgau/Schaffhausen

Durchschnittswertung: 18 Punkte

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Thurgau, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut Wolfer
2
18,0/ 20
Punkte
Thurgau, Deutschschweiz, Schweiz
Schlossgut Bachtobel
3
18,0/ 20
Punkte
Schweiz
Baumann Weingut
4
17,5/ 20
Punkte
Schaffhausen, Deutschschweiz, Schweiz
Weinbau Markus Ruch
5
18,5/ 20
Punkte
Thurgau, Deutschschweiz, Schweiz
Michael Broger

Region Zürich/Aargau

Durchschnittswertung: 18 Punkte

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Aargau, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut zum Sternen
2
18,0/ 20
Punkte
Zürich, Deutschschweiz, Schweiz
Weingut Pircher
3
18,0/ 20
Punkte
Zürich, Deutschschweiz, Schweiz
Lüthi Weinbau
4
18,0/ 20
Punkte
Schweiz
Litwan Wein
5
18,5/ 20
Punkte
Zürich, Deutschschweiz, Schweiz
Winzerkeller Strasser

Was die Verkoster sagen

«Eine schwierige Verkostung, bei der sich die einzelnen Regionen im Glas nur sehr bedingt zu erkennen gaben. Erstaunlich war für mich, dass viele frische, lebendige Pinots aus der Westschweiz, auch aus dem Wallis, sowie ganz besonders aus der Deutschschweiz stammten, während ich die Gewächse aus Graubünden und der Drei Seen-Region eher eine Spur üppiger empfand.»

Adrian van Velsen Weinkritiker und Blogger, Windisch (AG)

«Der Jahrgang 2019 hat sehr ausgewogene Weine hervorgebracht, mit idealem Verhältnis zwischen Alkohol und Säure. Kein einziger Pinot in diesem Panel wirkte auf mich pomadig oder zu üppig. Selbst Gewächse, die gemeinhin eher als druckvoll gelten, wie jener der Gantenbeins, zeigten sich überraschend frisch. Es sind Weine, die man jetzt schon trinken kann, die aber auch sehr lagerfähig sind.»

Ivan Barbic (MW) Weinhändler und Consultant, Thalwil (ZH)

«Die Mehrheit der Weine zeigte ein hohes bis sehr hohes Qualitätsniveau, nicht verwunderlich, war doch in der Probe die Crème de la Crème der Schweizer Pinot-Szene vertreten. Von den 25 Weinen konnte ich nur bei deren sechs die Herkunft erkennen. Daraus folgere ich, dass die Weine heute genau so vom Konzept des Winzers im An- und Ausbau geprägt werden wie von Boden und Klima.»

Miriam Grischott Weinvermittlerin und Consultant, Küsnacht (ZH)

«Die Bandbreite an Stilistiken, zwischen burgundisch und fast schon kalifornisch, war enorm. Kein Wein war wie der andere. Die Weine der jeweiligen Region zuzuordnen, war in dieser Blindprobe fast unmöglich. Ich denke, dass da auch die Klimaerwärmung eine Rolle spielt. Trotzdem waren üppige Weine in der Minderheit. Das heisst: Die Topwinzer haben die Sorte heute voll im Griff.» 

Alain Kunz Journalist, Hünenberg (ZG)

«Das Faszinierende an dieser Probe war, dass die Sorte immer erkennbar war, allerdings hatte jeder der 25 Weine seine eigenen Schattierungen. Ich denke, das kann nur Pinot. Lag bei einigen Weinen der Fokus klar auf Lebendigkeit und Frische, zeigten andere mehr samtige Fülle. Persönlich überzeugten mich jene Weine besonders, die Fruchtfülle und Struktur harmonisch in sich vereinten.» 

Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg (D)

Die Jury

Von links nach rechts

Thomas Vaterlaus Chefredakteur VINUM in Zürich 
Sein Favorit: Pinot Noir No. 3 2019 vom Schlossgut Bachtobel (Thurgau)

Nicole Vaculik Sommelière in Meersburg
Ihr Favorit: Pinot Noir Eichholz 2019 von Irene Grünenfelder (Graubünden)

Lidwina Weh Sommelière in Wohlen
Ihr Favorit: Pinot Noir Kloster Sion Klingnau Réserve 2019 vom Weingut zum Sternen (Aargau)

Alain Kunz Journalist in Hünenberg
Sein Favorit: Pinot Noir Hauterive 2019 vom Weingut La Maison Carrée (Neuenburg)

Ivan Barbic MW Weinhändler und Consultant in Thalwil
Sein Favorit: Pinot Noir 2019 von Martha und Daniel Gantenbein (Graubünden)  

Adrian van Velsen Weinkritiker und Blogger in Windisch
Sein Favorit: Pinot Noir Chalofe 2019 von Tom Litwan (Aargau)

Miguel Zamorano Journalist Redaktion VINUM in Zürich
Sein Favorit: Pinot Noir Unique 2019 vom Weingut Donatsch (Graubünden)

Miriam Grischott Weinvermittlerin und Consultant in Küsnacht
Ihr Favorit: Pinot Noir Schöpfi 2019 von Georg Fromm (Graubünden)

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