Rudolf Knoll, Erfinder des Deutschen Rotweinpreises, erzählt von seiner Zeit bei VINUM

Aber schön war es doch!

Text: Rudolf Knoll, Fotos: z.V.g.

Der erste Artikel für VINUM wurde Ende 1984 noch auf einer Reiseschreibma-schine in Zürich getippt – Thema: «Verbotene Nassverbesserung von Wein an der Mosel». Fast 40 Jahre lang folgten Reportagen über bekannte und exotische Weinländer, jede Menge kritischer Kommentare, Porträts von heraus-ragenden Winzern, Interviews mit Promis und die Durchführung von Weinwettbewerben wie dem Riesling Champion, dem Genossenschafts-Cup und natürlich – erstmals vor 36 Jahren – dem Deutschen Rotweinpreis, der neue, revolutionäre Massstäbe in der Weinszene setzte.

Doch sagen wir zunächst Danke schön den zahlreichen Köpfen, die hier präsentiert werden. Es sind alles Winzer, die beim Rotweinpreis teilweise recht häufig auf dem Treppchen zu sehen waren, manchmal als Favoriten, manchmal als echte Überraschung. Bekannt bei Weinfreunden wurden sie wohl alle, weil ein Erfolg beim VINUM-Wettbewerb ein Gütezeichen ist. Dass Frauen in dieser Phalanx fehlen, kann man als Manko empfinden. Aber ich weiss, dass zum Beispiel eine Sunni, Christa, Barbara, Bettina, Sabine, Monika, Susanne, Andrea den Winzern den Rücken freihielten und ihre Erfolge erst möglich machten. Mit den Jahren sollte ich sie alle kennenlernen (inzwischen auch einige Töchter, die sich Mitspracherecht gesichert haben).

Erstaunlich ist, dass für den Rotweinpreis alles mit einem Dornfelder aus Rheinhessen begann, den ich im Frühjahr 1987 im Gebiet verkostete und dessen Erzeuger nicht in Erinnerung blieb. Deutscher Rotwein war damals bedeutungslos mit einer Fläche von etwas über 13 000 Hektar. Zwar war Spätburgunder mit rund 4500 Hektar die führende rote Sorte, aber qualitativ nicht gerade aufregend. Der Dornfelder tauchte in der Statistik noch nicht auf, seine Zulassung war erst einige Jahre zuvor erfolgt. Aber er brachte aufgrund seiner überraschenden Qualität den Journalisten auf den Gedanken: Wenn schon ein Nobody so etwas zustande bringt, sollte es doch möglich sein, mehr Rote von diesem Niveau zu finden. Warum nicht ganz frech einen Deutschen Rotweinpreis ausschreiben?

Wie es begann

Das geschah in der Juni-Ausgabe 1987 unter Einbindung der Leserschaft, die zu Vorschlägen aufgerufen war. Fachzeitschriften der Szene und regionale Weinbauverbände fanden die Idee offenbar auch gut und informierten darüber, so dass nach und nach Anmeldungen eintrafen. Bei mehr als 300 Einsendungen war schliesslich eine Vorprobe nötig. Es waren alles trockene Weine ohne Restsüsse. Ein Winzer beschwerte sich, dass wir Weine mit Süssreserve-Zusatz nicht zugelassen hatten. Die Antwort war knallhart: «Wir wollen keine Alternative zum Amselfelder.»

Nach einer gründlichen Vorverkostung in München blieben knapp 50 Weine für die Finalrunde übrig. Die entscheidende Probe fand, umrahmt von Medien bis hin zu Radio Bremen TV, im Bremer Ratskeller statt, organisiert vom damaligen Kellermeister mit dem nicht unbedingt weinaffinen Namen Heinz ten Doornkaat. Als Dankeschön für die Ehre des VINUM-Besuches nahm er mich in einer Pause zur Seite, flüsterte: «Nichts verraten», und führte mich in den heiligen «Apostelkeller» des Hauses, wo ein grosses Fass mit bedeutendem Inhalt von einer Kerze beleuchtet war. «Da ist der Rüdesheimer 1653 drin. Den werden wir jetzt verkosten», kündigte der Ratskellermeister an.

Wir genossen die zwei winzigen Schlucke, die er aus dem Fass holte, mit viel Ehrfurcht, dachten an feinen, alten Sherrys, spürten eine hohe Säure auf der Zunge (19 g/l, wurde später verraten) und wussten, dass allenfalls ein kleiner Teil des Inhalts aus dem 17. Jahrhundert stammte. Denn im Ratskeller wurde bei den uralten Fass-Senioren Schwundausgleich betrieben, mit 1727er, 1748er, 1786er und 1784er. Das Verkostungsereignis, das sich noch einmal 1996 bei einem feierlichen Akt im Ratskeller mit mehr Beteiligten wiederholen sollte, blieb bis heute in Erinnerung, ebenso wie die zwei Proben von einer anderen Riesling-Weinlegende, dem Jahrhundertjahrgang 1811 Forster Ungeheuer aus dem Keller des Pfälzer Weingutes Bassermann-Jordan in Deidesheim, in den Jahren 2000 und 2018.

Die Bremer Verkostung von 1987 war eine würdige Begleitmusik für die Premiere «Deutscher Rotweinpreis». Klar war, dass wir das Ergebnis nicht mit einer würdelosen Urkundenüberreichung präsentieren wollten, sondern stilvoll im Rahmen einer kulinarischen Gala im «Grauen Haus» in Oestrich-Winkel, wo Riesling-Graf Erwein Matuschka-Greiffenclau als Hausherr gelassen darüber wegsah, dass nur Rotwein zum Menü seines genialen Küchenchefs Egbert Engelhardt ausgeschenkt wurde. Im Jahr darauf durfte die Siegerehrung sogar im Schloss Vollrads stattfinden. Dass sich der Graf im August 1997, nur neun Jahre später, nach einem Insolvenzantrag seiner Hausbank für sein Weingut das Leben nehmen würde, konnte niemand ahnen. Aber dass 25 Jahre danach sein Neffe Markus Matuschka-Greiffenclau in Frankreich wieder Weinbau betreibt und als Unternehmer in der Schweiz offenbar vielseitig unterwegs ist, kann als ein kleiner Trost angesehen werden.

Kaum bekannte Sieger

Doch zurück zum Rotweinpreis. Die Sieger des ersten Wettbewerbs waren – wie sollte es anders sein? – kaum bekannt. Das weist auch die Ergebnisliste von damals aus (siehe Kasten). Einer durfte sich für die Toleranz des Ausrichters bedanken: Der Spätburgunder des seinerzeit völlig unbekannten Werner Knipser wurde für die Vorprobe einige Tage zu spät geschickt, war aber bei einer Nachprobe so unwiderstehlich, dass die Auslese trocken noch im Finale mitlief.

Die Feier von 1987 bleibt den Teilnehmern bis heute in guter Erinnerung. Gerhard Rüdlin, damals Chef einer grossen Markgräfler Genossenschaft, weiss noch, als wär es heute: «Das war sensationell damals.» Verantwortlich dafür war der heute immer noch aktive Küchenchef Egbert Engelhardt, der die Gala einige Jahre begleitete. Andere erstklassige Stationen sollten folgen, mit Küchenchefs wie Dirk Maus (Mainz), Ralph Knebel (Ettlingen) und Philipp Kovacs vom «Goldberg» in Fellbach, der bis zu 300 Gäste mit einem Fünf-Gänge-Menü verwöhnte.

In den Jahren danach stieg die Zahl der Weinanstellungen konstant. Und bekannte Namen tauchten im Vorderfeld und auf dem Siegertreppchen auf, manche noch mit Bezeichnungen, die heute kaum mehr üblich sind (Tafelwein, Auslese). Auf das Podest schafften es Winzer, die längst Ehrfurcht für grossartige Serien wecken oder mit Erfolgen beim Rotweinpreis den Durchbruch schafften.

Bald war die Zahl 1000 bei den Anstellungen überschritten, obwohl eine Gebühr verlangt wurde, weil der Aufwand gewaltig geworden war. 2005 wurden besonders viele Weine aufgeboten, weil der extrem heisse und trockene Jahrgang 2003 zu reichlich Weinen mit hohem Alkoholgehalt geführt hatte. Viele Winzer fanden das gut, während unsere Juroren die Daumen senkten und oft «brandig» urteilten.

Das Wachstum beim Rotweinpreis wurde begleitet von einer intensiven Erweiterung der deutschen Rotweinfläche (heute über 33 000 Hektar). Die Steigerung der Nachfrage machte es möglich, ebenso aber die grössere Erfahrung der Winzer beim Ausbau inklusive Fingerspitzengefühl im Umgang mit Holz. Viele Erzeuger führten die zunehmende Akzeptanz des deutschen Rotweines auf dem Markt auch auf den Deutschen Rotweinpreis zurück. Deshalb kam es 2007 zu einer überraschenden Ehrung in Ettlingen, einem der Orte für die Gala: Peter Hauk, damals und inzwischen wieder Minister für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, überreichte dem Erfinder des Wettbewerbes die Staufermedaille, eine Auszeichnung des Ministerpräsidenten für besondere Verdienste um den deutschen Rotwein. Das alles für die Umsetzung einer bei einem Dornfelder geborenen Idee!

Und noch viel mehr Preise

Natürlich waren die Jahre bei VINUM nicht nur geprägt vom Rotweinpreis. Es gab neben der Staufermedaille auch für andere Disziplinen Ehrungen. In Deutschland war das 2004 noch die Medien-Trophy der Prädikatsweingüter (VDP), bei der auch die Verdienste für einen Riesling-Wettbewerb erwähnt wurden. Im gleichen Jahr gab es den Pressepreis des Weinbauverbandes Saale-Unstrut, weil der rastlose Journalist schon 1990 den deutschen Osten, der damals noch DDR hiess, bereiste und ein Jahr später gemeinsam mit einem Winzer aus dem Gebiet, dem später zum Freund gewordenen Udo Lützkendorf, die Jungweinprobe der beiden Anbaugebiete Saale-Unstrut und Sachsen ins Leben rief, die eine Erfolgsgeschichte wurde. Fremdgehen wurde auch mal belohnt. Vor knapp 30 Jahren gab es eine Ehrung für das Schreiben eines Drehbuchs für die TV-Reihe «In Vite Vita», und zwar speziell für den Teil über Ostdeutschland.

In Österreich war neben dem Steinfeder-Preis der Vinea Wachau der Bacchus-Preis des Österreichischen Weininstituts wohl ein Dankeschön für den Umgang mit Austria nach dem 1985 aufgedeckten Erdbeben-Skandal mit Glykol. In München wurde damals wagemutig eine grosse, gut besuchte Probe mit Wein aus Österreich angezettelt, um Weinfreunden die Angst vor Grünem Veltliner und Co. zu nehmen. Diese war sehr ausgeprägt, wie die fassungslose Frage eines Taxifahrers auf einer Tour zum Bahnhof nach Wien verriet: «Wollen Sie sich vergiften?» Die Reportage nach gesunder Rückkehr bekam einen visionären Titel: «Die Chance der Krise». Österreich hat sie genutzt.

Die vielleicht höchste, aber inoffizielle Auszeichnung in Österreich hatte der legendäre Weinpfarrer aus Albrechtsberg (dem man nachsagte, dass er jeden feinen Bordeaux ohne Etikett erkennt) parat. Einmal im Jahr, zu Erntedank, liess Hans Denk einen Branchenfremden für die Predigt in die Kanzel steigen. Zumindest mein Einstieg war mit dem Satz «Wir Weinjournalisten haben viel mehr Päpste als die katholische Kirche» durchaus gelungen…

Emotional auf gleicher Höhe, aber gänzlich anders geartet war eine «Ehrung» von Weinladys aus Österreich und Deutschland, die mich nach einem Wein-Länderkampf zwischen beiden Ländern in Wien ungeachtet des recht knappen Ergebnisses (ich meine Sieg für Deutschland) solidarisch anpackten und es gemeinsam schafften, mich zu stemmen. Inzwischen ist diese Idee, Wettkämpfe auf Weinbasis durchzuführen (mit jeweils elf Weinen), Standard bei der VieVinum und wird fortgeführt. 2022 war ein Unentschieden zu vermelden.

Gut meinten es auch die Griechen mit zwei Ehrungen des Weinbauverbandes in Athen. Vermutlich war hier Dr. Georg Tsantalis, Chef eines stark exportorientierten Hauses, ein Drahtzieher. Er war es auch, der mich bei einer Tour über die Halbinsel Berg Athos begleitete, deren Besuch für Frauen verboten ist. Fotografin Sabine musste traurig aussen vor bleiben. Sie durfte mich dann nur später in einer Weinfrauen-Runde ablichten, die mich zum Sirtaki aufgefordert hatte.

Neben einigen grossartigen Hellas-Winzern wie Evangelos Gerovassiliou (der die praktisch ausgestorbene Sorte Malagousia wieder belebte) und Yiannis Boutaris, der später als Politiker zwischen 2010 und 2018 die arg ramponierte Stadt Thessaloniki als Bürgermeister wieder zum Leben erweckte, blieb mir besonders Athanase Parparoussis aus Patras in Erinnerung, der leider vor wenigen Monaten im Alter von 78 Jahren verstarb. Er sprach nur Griechisch und Französisch, wir plauderten mit Händen und Füssen. Als ich ihn auf die hohe «acidité» (Säure) bei seinen Weissweinen ansprach, erklärte er das auf Englisch mit «second harvest». Es sollte eine Weile dauern, bis ich kapierte, dass er damit eine zweite Ernte mit sauren Geiztrauben meinte.

Die kamen 2010 wieder ins Spiel bei einem Interview mit dem frischgebackenen Weingutsbesitzer Günther Jauch. Hier wurde der Spiess umgedreht und der TV-Quizmaster in Sachen Wein befragt. Drei Fragen (Was ist VDP, biologischer Säureabbau und Spontangärung?) beantwortete er richtig, aber an Geiztrauben scheiterte er – nichts war es mit einer vierten Frage.

Reisen in unbekannte Weinländer

Immer gross war die Neugierde, wenn es um unbekannte Weinländer ging, die sich langsam im Export vortasteten, aber im Westen entweder unbekannt waren oder sich einen mässigen Ruf erarbeitet hatten. Südtirol war zwar bekannt, aber man arbeitete dort in den 1980er Jahren nach dem Motto «Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert». Das wurde im Sommer 1987 gnadenlos angeprangert, aber auch mit Vorschlägen, was sich ändern muss. Gut zehn Jahre später zauberte ein junger Südtiroler Winzer das Heft von damals bei einer zufälligen Begegnung herbei und sagte: «Danke, diese Kritik hat zwar damals wehgetan, aber uns sehr geholfen.»

Spannend waren Reisen in osteuropäische Länder, von denen auch spezielle Ereignisse hängen geblieben sind. Im Fall von Ungarn waren es Verkostungen alter Tokajer, die noch gross­artig in Form waren – und im Beisein zahlreicher Winzer die Auszeichnung zum Tokaji-Ritter mit Schwertschlag auf beide Schultern, eine Ehre, die schon vorher Hugh Johnson und einigen Kollegen, vorwiegend aus England, zuteilwurde. Ebenfalls ein Tokaji-Ritter war Otto von Habsburg (1911–2012), der älteste Sohn von Karl I., dem letzten Kaiser von Österreich-Ungarn, der 20 Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments war (1979–1999) und mal den VINUM-Redakteur für ein privates Weingespräch im bayerischen Pöcking empfing. Rumänien war bald nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ein Ziel. In Erinnerung blieb, dass das Präsent einer Kellerei, ein sorgsam im Bus verpackter feiner Rotwein aus dem Jahr 1964, durch eines der vielen Schlaglöcher auf der Strasse sein Leben aushauchte. Der Zustand des Landes damals wurde indirekt auch deutlich durch die Rasenpflege vor einem Hotel, vorgenommen von einer Angestellten mit einer Papierschere.

Jugoslawien wurde 1989/90 besucht, kurz bevor an allen Ecken und Enden der Krieg ausbrach und das Land sich in Kleinstaaten spaltete. Beim Besuch einer Kellerei bei Mostar und der Besichtigung einer Höhenlage mit viel Stein und der Sorte Zilavka wunderte ich mich, dass von diesen Reben in exponierter Lage kein eigenständiger Wein erzeugt wurde. Die Meinung fand Gehör, im Frühjahr darauf konnte ich den «Wein vom Stein» (Kameno Vino) in der Kellerei Citluk verkosten. Es gibt ihn immer noch; Tantiemen gab es nie.

In Moldawien war ein Nazi-Relikt zu sehen, nämlich im Staatsgut Cricova in der Nähe der Hauptstadt Chişinău. Ein Raum im 120 Kilometer (!) langen Keller ist der «Göring-Kollektion» vorbehalten. Es sind Weine, die Reichsmarschall Hermann Göring damals bei Feldzügen zusammengeklaut hatte. Die Rote Armee fand die Flaschen, darunter reichlich Weine aus Bordeaux, bei Kriegsende und deponierte sie im damaligen Teil der Sowjetunion. Bei der Frage nach den Preisen wurden astronomische Summen genannt…

Georgien war 2003 nach einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und politischem Durcheinander gerade dabei, wieder etwas Fuss zu fassen. Im Weinbau half die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durch die Entsendung von Beratern. Für mich zu registrieren war neben der ausgeprägten Gastlichkeit der Georgier bei einem Bauern auf einem Dorf eine ungewöhnliche Art des Weinausbaus, nämlich in Amphoren, die in der Erde vergraben waren. Der Inhalt liess an einen korrekten Rheinhessen-Silvaner denken. Diese Vinifikation sprach sich später europaweit herum. Heute sind Weine aus den Qvevri wieder richtig in Mode, und es wird durch tollpatschige Meldungen der Eindruck erweckt, dass in Georgien keine anderen Weine mehr erzeugt werden – dabei handelt es sich nur um einige Prozent.

Wein und Politik

Menschen, die Wein nicht unbedingt erzeugten, aber eine Meinung dazu hatten und unter Prominenz einzureihen waren, gehörten neben Winzerpersönlichkeiten zur Zielgruppe des Weinjournalisten. Zu nennen ist Joschka Fischer, der mir an einem gemütlichen Abend mit Grossen Gewächsen in Berlin erzählte, dass ihm in seiner Zeit als Vizekanzler leider ein Konter auf den Hinweis von Kanzler Gerhard Schröder («Ich bin Koch, du der Kellner») nicht eingefallen war. «Ich hätte ihm sagen müssen, du kannst ja überhaupt nicht kochen.»

Den obersten Chef des Weingutes der Stadt Wien und nebenbei noch Stadt-Bürgermeister Michael Häupl (1994 bis 2018) traf ich zufällig auf dem Naschmarkt, als er mit italienischem Wein fremdging. Zum Interview im Rathaus war er schnell bereit, beim Besuch hiess es: «Nur 20 Minuten.» Es wurden ganze zwei Stunden daraus.

Auch Politikerinnen waren Zielgruppe. In Deutschland war das unter anderem Renate Künast, die sich 2001 bis 2005 im Bundesernährungsressort auch als Weinbauministerin bezeichnen konnte, aber schlechte Erinnerungen an den VDP hatte, weil sie bei einer Veranstaltung in Berlin nicht offiziell begrüsst wurde. Der VINUM-Redakteur erspähte ihre beleidigte Miene, machte auf den Fauxpas aufmerksam und leitete damit eine Wein-Entschuldigung in die Wege. Später war Julia Klöckner dran, bekannt geworden als Deutsche Weinkönigin 1995/96, dann als Weinjournalistin tätig und schliesslich politisch in der CDU eine wichtige Nummer bis hin zur Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Im Gespräch gestand sie, dass eine Verkostung ihres eigenen Jahrgangs 1972 mehr Symbol- als Geschmackswert hatte.

In Athen hatte ich im Olympiajahr das Vergnügen mit Bürgermeisterin Dora Bakoyianni, die heute noch politisch aktiv ist in der Regierungspartei Neo Demokratia. Sie verriet, dass sie hin und wieder auch Retsina in einer Taverne trinkt, in der Jugend ein Faible für Landwirtschaft hatte und vielleicht als Mitglied einer weniger politisch orientierten Familie (sie ist Tochter des früheren Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis) ein Weingut aufgebaut hätte.

Und dann war da noch Bozena Ronowicz, Bürgermeisterin im polnischen Zielona Gora. Ihre Stadt hiess früher Grüneberg, was auch ein Name für den berüchtigt sauren Wein aus dieser Region war. 2005 gab es noch keinen Nachfolger dafür, der Weinbau begann sich gerade erst wieder zu regen. Verkauf von polnischem Wein war streng verboten. Frau Bürgermeisterin staunte, was der Journalist bei einem Rundgang auf einem Markt aufgedeckt hatte. Jungwinzer verkauften Rebstöcke für einen stolzen Preis und spendierten als Zugabe eine Flasche Wein…

Heute ist Polen offizielles Weinland der EU wie das auch in Wein-Urform besuchte Dänemark, wo ich Hobbywinzer kennenlernte, die fünfstellige Summen für Schlepper ausgaben, mit denen sie sich auf 100 Quadratmeter Reben austobten. Heute geben die Dänen deutlich mehr für Weinkonsum aus als ihr Nachbar Deutschland.

Promis, Stars und Fussball

Das Fernsehen rief hin und wieder an, nicht nur bei Siegerehrungen wie dem Rotweinpreis, teilweise auch in kritischen Zeiten wie bei den Weinskandalen (bei einem Privatsender verriet ein Österreicher, dass damals in seiner Heimat raue Mengen Kunstwein erzeugt wurden). Aber es kam auch zu fröhlichen Auftritten wie bei den «Montagsmalern» mit Sigi Harreis (Thema: «Darf deutscher Sekt Mé­thode champenoise heissen?» – Meine Antwort: ein klares Nein) und dem «Fröhlichen Weinberg» im SWR, wo drei griechische Rebsorten zu erkennen waren und ich nebenbei erlebte, dass sich Moderator Johann Lafer bei der Probe und am Abend in der Sendung am Olivenöl verschluckte. Abgelenkt wurde ich von Uschi Nerke aus Bremen, die den Beat ins deutsche Fernsehen gebracht hatte (Beat Club) und der ich verraten konnte, in welchem Glas Assirtiko und Roditis steckten. Gern geschehen, wir haben fast am gleichen Tag Geburtstag (Januar-Steinböcke).

Interviews mit Prominenten gab es nicht selten. Gern war ich sportlich unterwegs und fühlte dem einstigen österreichischen Skistar Franz Klammer auf den Abfahrtszahn. Beim Fussball konnte ich als einstiger Bundes-Heeresmeister 1969 fast auf Augenhöhe mit Weinfan Paul Breitner, dem Österreicher Hans Krankl (der 1978 beim 3:2 gegen Deutschland einen Austria-Reporter «narrisch» machte) und mit Österreichs Sektbotschafter 2020 «Schneckerl» Prohaska plaudern. («Wir können net ewig von dem 3:2 zehren.») Auch Franz Beckenbauer entkam mir nicht in seiner Funktion als zeitweiser Miteigentümer des südafrikanischen Weingutes Lammershoek. Fast hätte ich es geschafft, mit ihm auf der ProWein ein öffentliches Interview zu machen. Aber die Ärzte liessen ihn aus seiner Reha nicht nach Düsseldorf fliegen. So wurde Franz kurzfristig mit einer Grussbotschaft zugeschaltet.

Von den Schauspielern sind mir die «Tatort»-Kommissare aus Wien ans Herz gewachsen. Harald Krassnitzer (Moritz Eisner im Krimi) erlebte ich, als er gerade für die Serie «Winzerkönig» im Burgenland unterwegs war. Beim langen Weingespräch mit Chardonnay und Blaufränkisch war auch Winzer Hans Feiler aus Rust dabei, der für die Serie als fachlicher Berater fungierte. Adele Neuhauser (Bibi Fellner) traf ich in Wien in einem Wirtshaus im Stadtteil Favoriten. Weil ich wusste, dass sie ein Fan von Helmut Qualtinger war, suchte ich nach einem solchen Wein, hatte den Riecher, dass es so etwas gibt, und zwar als Gemischten Satz beim Weingut Edlmoser in Wien. Trotz der deutlichen Gerbstoffe hatte «Bibi» Freude an dem Wein und liess sich über die Maischegärung informieren.

Nicht zu vergessen die grossartige Judy Winter, die durch Simmel-Verfilmungen und ihre Rolle als Marlene Dietrich bekannt wurde. Ein Zufallstreffen bei einem griechischen Weinhändler in Berlin machte uns bekannt. Das Interview klappte, weil ich Wein versprach. Ich ahnte nicht, dass sie in einem Berliner Altbau zuhause war, im obersten Stockwerk wohnte und der Aufzug kaputt war. Zwölf Flaschen «Dankeschön» wurden ziemlich schwer. Das Gespräch hinterher bei einem Nobelgriechen war dagegen ein Vergnügen.

Dass man als Journalist gelegentlich aneckt, wenn man kritisch schreibt, hat Tradition. Ich kam nach Ablehnung einer Abmahnung vor das Landgericht Würzburg, weil ich der grossen fränkischen Genossenschaft vorgeworfen hatte, sie hänge sich in ihrer Werbung ein ökologisches Deckmäntelchen um bei allenfalls einem Prozent Ökowein-Anteil. Nach wenigen Minuten fällte der Richter das Urteil: «Klage abgelehnt.» Einige Dutzend fränkische Winzer klatschten Beifall. Der gescheiterte Kläger fand nach der Verabschiedung als Geschäftsführer einen besonderen Job: Er ist seit etlichen Jahren Herr des Religionsstaates Lichtland in Eibelstadt, in dem die Gesetze der Bundesrepublik nicht gelten.

Aber schön war es doch

An solche Dinge erinnert man sich auch bei einem Rückblick auf rund 40 Jahre bei VINUM. Aber was aktuell noch auffällt, wurde gerade bei der Arbeit am circa 65. Weinbuch deutlich. Dafür hatte ich bei einigen Dutzend Winzern in Heilbronn und Umgebung Auskünfte über die praktizierte Vinifikation erbeten. In den Antworten war nachzulesen, dass früher von der Wissenschaft streng verbotene oder abgelehnte Massnahmen wie biologischer Säureabbau, langes Lager auf der Hefe und längere Maischestandzeiten heute Standard sind und für mehr Qualität sorgen. Die Weinbranche ist eben lernfähig. Das lässt mich Oldie hoffen, dass sie auch die heute anstehenden Herausforderungen der Natur meistert.

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