Preisträger des Prix Ami du Vin

Der Erforscher der Traubensorten

Text: Charlotte Pauk / Foto: Siffert / weinweltfoto.ch

Er fand heraus, dass der Cornalin im Wallis kein Cornalin und der Com­pleter nicht nur im Bündnerland zuhause ist. Deshalb – und für seine vielen anderen Forschungen zur Abstammung von Traubensorten – erhält der Walliser José Vouillamoz den Prix Ami du Vin der Schweizerischen Vereinigung der Weinfreunde.

Mit einem spöttischen Lächeln meint José Vouillamoz: «Der Completer hat mir die Haare geraubt». Dass die im Bündnerland beheimatete Traubensorte Completer an der zurückhaltenden Haarpracht schuld sei, hängt mit deren Elternschaft an der Walliser Rebsorte Lafnetscha zusammen. Die Mutter des Lafnetscha ist Humagne Blanc, der im Wallis beheimatet ist. «Dass der Completer aus dem Bündnerland einen Ausflug ins Wallis machte, dort mit Humagne Blanc zusammen ein Kind zeugte und sich wieder aus dem Staub machte, ist bei einer Rebsorte schwer vorstellbar. Wie kommt also der Completer ins Wallis?» Diese Frage liess den Biologen und Genforscher sich am Kopf kratzen und Haare verlieren. Schliesslich konnte er sie klären. Ein älterer Walliser Winzer zeigte ihm zwei seltene Rebstöcke, die er als grossen und als kleinen Lafnetscha bezeichnete. In der DNA-Analyse zeigte sich aber, dass sie identisch mit dem Completer sind. Ein zweites Puzzleteil lieferte ihm Josef-Marie Chanton, Winzer alter Walliser Weinsorten. Er zeigte Vouillamoz eine «wilde» Rebe, die sich ebenfalls als Completer entpuppte. Die Weinsorte wuchs im Wallis – wenn auch inkognito.

Neugierig auf Wein

Seit seinem Biologiestudium setzt sich José Vouillamoz mit der Genetik der Reben auseinander. Er stammt aus einer der wenigen Walliser Familien, die keine Reben besassen. Als Student mit wenig Geld, dafür mit dem kleinen Weinführer von Hugh Johnson in der Tasche, machte Vouillamoz sich einen Spass daraus, die Weine mit der maximalen Punktzahl zum günstigsten Preis zu finden. Denn er war neugierig auf Weine aus dem Ausland. Zudem war er Mitglied in zwei Weinclubs, um sich weiterzubilden. In einem davon, bei Divo, der zugleich auch Weinhandel ist, arbeitet er heute als stellvertretender Direktor. Er verfasst regelmässig Publikationen und Degustationsnotizen, ist Mitglied der Académie Internationale du Vin, der Académie du Vin de Bordeaux und des Circle of Wine Writers. Zudem ist er Verfasser zahlreicher Bücher.

Als José Vouillamoz doktorierte, wurde die Elternschaft des Cabernet Sauvignon entdeckt, was ihn fuchste. Dies hätte er gerne selbst herausgefunden. Also bewarb er sich um ein Stipendium des Nationalfonds, um an der Universität of California in Davis bei Professorin Carole Meredith die genetischen Ursprünge der Schweizer Rebsorten zu erforschen. Er sammelte die Rebenblätter in der Schweiz, trocknete und zermahlte sie zu Pulver, das er in die USA mitnahm, um dort seine Forschungen zu machen. «Ich hätte die Forschung auch in meiner Küche im Wallis machen können, aber ein Stipendium des Nationalfonds sieht Forschung und Austausch mit anderen Forschern im Ausland vor», erklärt er. Aus seiner Forschung entstand 2011 das Buch «Origine des cépages valaisans et valdôtains» («Zur Geschichte und zu den genetischen Beziehungen zwischen den Rebsorten des Wallis und Aostatals», Edition du Belvédère, Neuchâtel), das vergriffen ist. Ein Jahr später veröffentlichte er zusammen mit Jancis Robinson und Julia Harding das Standardwerk «Wine Grapes», in dem 1368 Rebsorten detailliert beschrieben sind. 2017 widmete er mit «Cépages Suisses» (Edition Favre, Lausanne) den Schweizer Rebsorten ein Buch, das ein Jahr später im Haupt Verlag auf Deutsch und 2020 unter dem Titel «Swiss Grapes» auf Englisch erschien.

Cornalin oder nicht Cornalin?

Während seiner Forschungen in Kalifornien fand er unter anderem heraus, dass der im Wallis wachsende Cornalin eine spontane Kreuzung von Mayolet und Petit Rouge und mit dem Landroten oder Rouge du Pays identisch ist. Bis in die frühen 70er Jahre hiess er nämlich so und ist seinerseits ein Elternteil des Cornalin aus dem Aostatal. «Für mich war es emotional sehr belastend, nach meiner Rückkehr aus Kalifornien den Wallisern bei einer Konferenz mit rund 250 Personen kundzutun, dass die Rebsorte, die im Wallis als Cornalin bezeichnet wird, aus dem Aostatal stammt und die Walliser den Namen aus dem Aostatal gestohlen haben», erinnert sich José Vouillamoz.

Wenig erfreut reagierten auch die Toskaner, als Vouillamoz ihnen seine Forschungsergebnisse zu «ihrem» Sangiovese präsentierte: Er hatte herausgefunden, dass die Mutter des Sangiovese aus dem Süden Italiens, aus Kalabrien, stammt. Nachforschungen vor Ort ergaben, dass der Sangiovese unter anderem Namen auch in Kalabrien existierte. «Ein herber Schlag für das Chianti-Gebiet, das auf seine Traubensorte so stolz ist», meint Vouillamoz.

Sein Antrieb, die Abstammung und die spontanen Kreuzungen von Traubensorten herauszufinden und oft auch per Zufall auf Zusammenhänge zu stossen, stamme aus dem Bedürfnis, seinen Alkoholismus zu verbergen, witzelt José Vouillamoz. Der Alkohol und der daraus resultierende Schwips seien aber wohl der Ursprung für die Domestizierung der Reben, ein Thema, zu dem er Forschungen im Nahen Osten betrieb. Doch José Vouillamoz trinkt auch gerne selbst ein Glas guten Weins – am liebsten übrigens einen Completer.

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