Jungweine des Jahrgangs 2022 in Höchstform - Winzerinnen und Winzer blicken positiv in Zukunft

Zurück in der Spur: Weinernte 2022 in der Schweiz

Text: Thomas Vaterlaus; Foto: GettyImages / egon69

So zufriedene Gesichter wie nach der Ernte 2022 gab es im Weinland Schweiz das letzte Mal 2018. Dazwischen lagen mit 2019 und 2020 ansprechende, aber keine Spitzenjahrgänge, sowie ein «Annus horribilis» in Form des Jahrganges 2021, in dem viele Winzer mit Frost, Hagel, Pilzerkrankungen und Fäulnis zu kämpfen hatten. Auch der Vegetationszyklus im Jahr 2022 verlief nicht sorgenfrei. In vielen Weinregionen der Schweiz war der Sommer 2022 nämlich der trockenste seit Dekaden und ein Warnzeichen für die gravierenden Folgen der Klimaerwärmung. Im südlichsten Zipfel der Schweiz beispielsweise, im Mendrisio, fielen anstelle der üblichen 1900 Millimeter Regen pro Jahr und Quadratmeter nur gerade deren 400 Millimeter, das ist in etwa so viel wie in Valencia oder Alicante gemessen werden, die zu den trockensten Weinregionen in Europa gehören. Die Wasserknappheit im Tessin war so gross, dass die Winzer kein Leitungswasser für ihre Bewässerungsanlagen verwenden durften, als Alternative blieb nurmehr, Seewasser mit Tankwagen zu den Rebbergen zu führen, eine sprichwörtliche Sisyphusarbeit.

Ausbalancierte Weine trotz Trockenheit

Viele Winzer sehen heute extreme Trockenheit als ähnlich grosses Problem wie zu viel Feuchtigkeit. Eine leichte Abkühlung und einige Niederschläge brachten die Reben aber 2022 im letztmöglichen Moment wieder auf Trab. Das stabile Wetter während der Erntezeit erlaubte es dann den Winzern, den Lesezeitpunkt für ihre Sorten und Lagen frei zu wählen. Nun, im Frühjahr 2023, rund fünf Monate nach der Ernte, zeigen sich die Weine praktisch quer durchs Land in bestmöglicher Form, mit idealer Balance zwischen Fülle (Alkohol) und Frische (Säure). Zudem verfügen sie auch über eine ideale Tanninstruktur, die prononcierte Härte, die Weine aus Hitzejahren oft aufweisen, ist nur in Ausnahmefällen festzustellen. Und auch die pH-Werte, ein wichtiger Indikator für die Lagerfähigkeit der Weine, liegen im erwünschten Rahmen. Zudem führen die guten Erntemengen zu einer dringend nötigen Stabilisierung des Schweizer Weinmarktes. Eine weitere schlechte Ernte nach 2021 hätte katastrophale Auswirkungen für die Branche gehabt. Jetzt sehen sich die Winzer nurmehr mit einem Luxusproblem konfrontiert: Weil viele Weingüter keine Rotweine mehr im Keller haben, müssen sie die roten 2022er nun früher abfüllen und auf den Markt bringen, als es von der Trinkreife her angezeigt wäre.

Politik setzt positive Zeichen

Auch abseits des An- und Ausbaus gibt es positive Signale für den Schweizer Weinbau. So hat der Nationalrat im Sommer 2022 eine Motion gutgeheissen, welche eine Erhöhung der Förderung des Schweizer Weins auf neun Millionen Franken jährlich vorsieht, eine Verdreifachung des bisherigen Budgets. Die Initiative ist eine Reaktion auf die Marketingaktivitäten der führenden Weinbauländer Italien, Frankreich und Spanien in der Schweiz, mittels namhafter EU-Mittel. Zudem plant das Bundesamt für Landwirtschaft umfangreiche Finanzhilfen bei der Pflanzung von robusten Rebsorten, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Diskutiert werden offenbar maximale Beiträge von bis zu 30 000 Franken pro Hektar. Gegenwärtig sind in der Schweiz trotz der Lancierung neuer Sorten mit hohem Qualitätspotenzial erst 410 Hektar (2,5 Prozent) mit robusten Reben bestockt. Nach den hitzigen Diskussionen über die Trinkwasser-Initiative hat nicht nur die Branche, sondern auch die Politik erkannt, dass mehr Nachhaltigkeit im Weinbau unabdingbar ist. Erfreulich ist diesbezüglich der Anstieg der kontrolliert biologisch bewirtschafteten Rebfläche auf inzwischen 2250 Hektar (circa 17 Prozent), was einer Verdoppelung in den letzten fünf Jahren entspricht.


Dem Wetter trotzen

Die helvetischen Winzer mussten sich in den letzten zehn Jahren zunehmend mit Wetterkapriolen auseinandersetzen. Dass trotzdem sehr gute Weine gelingen können, beweist schon jetzt der Jahrgang 2022.

«Nur mit maximaler Flexibilität gelingen in diesen turbulenten Zeiten gute Weine. 2021 ging es darum, ausreichende Zuckerwerte zu erreichen, 2022 lag der Fokus auf der Säure. Wir konnten den Erntezeitpunkt ohne Wetterdruck bestimmen und haben es geschafft, Weine mit bis zu einem Prozent weniger Alkohol in die Flaschen zu bringen, als es das Wetter eigentlich zugelassen hätte. Spontangärung und bei den Rotweinen eine Vinifikation mit den Rappen haben zusätzlich Frische in die Weine gebracht.»

Roland Lenz, Winzer in Iselisberg (TG)

 

«Wenn ich heute unsere 2022er Weine verkoste, wird klar, dass wir zwei Weintypen im Keller haben. Spätreifende Sorten wie Merlot oder Gamaret profitierten von moderaten Niederschlägen vor der Ernte und zeigen sich perfekt ausgewogen. Bei früh reifenden Sorten wie Chardonnay oder Pinot Noir war es komplizierter. Als wir die idealen Zuckerwerte erreicht hatten, waren die Gerbstoffe noch nicht voll ausgereift, was manchen Weinen eine gewisse Härte verleiht. Die Erträge waren gut, aber letztlich doch nicht ganz so hoch wie erwartet.»

Rodrigo Banto, Kellermeister beim Cave de la Côte in Tolochenaz (VD)

 

«Es ist für mich noch immer unfassbar, wie gut sich heute die 2022er Weine zeigen. Wir hatten im Südtessin fast drei Monate keinen Regen. Die Merlot-Stöcke haben auf Überlebensmodus geschaltet und die Traubenreife eingestellt. Doch kurze Zeit vor der Ernte gab es Regen, und alles kam wieder in Gang. Bei den ersten Trauben, die in den Keller kamen, habe ich noch die Säure korrigiert, dann wurde mir klar, dass dies nicht nötig ist. Es gibt auch keine harten Tannine. Für mich ist 2022 ein Superjahrgang.»

Fredy De Martin, Kellermeister bei Gialdi Vini SA in Mendrisio (TI)

 

«Ich bin heute sehr zufrieden mit der Qualität der 2022er Weine. Und natürlich auch mit der reichlichen Menge. Wir haben doppelt so viel Wein im Keller wie nach der 2021er-Ernte. Besonders ausdrucksstark präsentieren sich Petite Arvine und speziell der Syrah, der die typischen Pfeffer- und Würznoten zeigt. Einigen Rotweinen würde eine verlängerte Flaschenreife guttun, damit sich die Gerbstoffe noch etwas abrunden. Aber das können wir uns nicht leisten, denn die Lagerbestände sind winzig und die Nachfrage ist gross.»

Gilles Besse, Geschäftsführer bei Jean-René Germanier in Vétroz (VS)

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