VINUM-PROFIPANEL Grüner Veltliner

Stilwandel in Grün

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manfred Klimek

Kann Grüner Veltliner altern, sich auf der Flasche positiv entwickeln? Damit beschäftigte sich das Profipanel diesmal in Berlin. Dort gibt es eine starke Österreich-Wein-Connection, die sich längst nicht mehr auf die Klassiker aus der Wachau beschränkt und die trotz Konzentration Frische im Glas will und neuen Stilistiken gegenüber aufgeschlossen ist. Ihr Fazit: Er kann. Heutzutage vor allem an Kamp und Krems – und im Burgenland!

 

Österreich ohne Veltliner ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts undenkbar, seit langem nimmt die Sorte die grösste Rebfläche der Alpenrepublik ein. Dabei ging es jedoch vor allem um leichte, nicht ohne Grund mit Heurigenwirtschaften assoziierte Trinkweine. An Alterungspotenzial war bei der ertragsstarken Sorte nicht zu denken, diese Rolle stand dem Riesling zu. Doch der grosse Umbau der österreichischen Weinwirtschaft nach dem Glykol-Supergau von 1985 führte auch beim Veltliner zum Umdenken. Nicht zuletzt durch das Trockengebot der Vereinigung Vinea Wachau machten sich die Winzer in den Terrassen an der Donau von Unterloiben bis Spitz, aber auch andere in weniger bekannten Gebieten ans Ausloten des Sortenpotenzials.

In den 1990ern entstanden so immer mächtigere Weine, bei denen auch Botrytis zunehmend eine (die Honig-Üppigkeit steigernde) Rolle spielte. Lange Zeit waren diese Wachauer Smaragde (die höchste Kategorie der Vinea-eigenen Prädikate) die Benchmark beim Veltliner. Inzwischen gibt es jedoch nicht nur viele andere Spitzenerzeuger, es ist auch ein grundsätzlicher Wandel zu mehr Frische, der von Sommeliers und Konsumenten vermissten Trinkfreudigkeit, zu beobachten.

«Downsizing» nennt Lucas Pichler vom Oberloibener Spitzenbetrieb F.X. Pichler, wo seit 2009 beim Veltliner Botrytis grundsätzlich aussortiert wird, dies. Nachdem Ausloten des quantitativen Maximums geht es heute bei der Qualitätsspitze um eine neue Art von innerer Konzentration. Wir wollten aber nicht nur den stilistischen Wandel unter die Lupe nehmen,sondern die Alterungsfähigkeit, so verkosteten wir in getrennt bewerteten Flights jeweils einen aktuellen und einen gereiften Wein.

«Bei den gereifteren Jahrgängen war ein deutlicher Einfluss von Restsüsse in vielen Proben erkennbar – ganz im Gegensatz zu den jungen Gewächsen. Es liessen sich so typische Aromen wie die von Geissblatt, Austernpilz und anderen reifen Pilzen erkennen, aber auch Überraschendes wie kandierte Grapefruit, reife Mango und Met waren mit von der Partie. Alles in allem wirklich interessant zu sehen, wie sich die Stilistik über die Jahre verändert hat – von mächtig zu finessenreich.»

Arno Steguweit Weinhändler

Strahlender und eleganter «aktueller» Sieger war der 2013er Privat Senftenberger Pellingen Reserve von Martin Nigl aus dem Kremstal. Tief und kraftvoll, extrem präsent und doch alles andere als aufdringlich erschien dieser beinahe wie die Quadratur des Kreises. Bereits seit Ende der 1980er Jahre arbeitet der damals noch unbekannte Nigl sehr zielstrebig an einer Stilistik, die das wildromantische Tal der Krems in Senftenberg im Glas widerspiegelt.

Auf dem zweiten Platz landeten punktgleich zwei vollkommen unterschiedliche Weine. Roland Velichs 2013er St. Georgen aus dem Burgenland sorgte in der Verkostung erst für Irritation, dann aber mit säuregeführter, herber Erdigkeit sowie Phenolik und auch aufgrund seiner Trinkigkeit für viel Begeisterung. Velich arbeitet mit dem Moric nicht nur seit Jahren sehr erfolgreich an einem neuen Blaufränkisch-Bild, sondern hat sich dieser Aufgabe nun auch beim Veltliner gestellt. Das macht auch deshalb viel Sinn, weil man vor kurzem in St. Georgen einen uralten Rebstock entdeckt hat, der eine bis dahin unbekannte Hälfte der Grüner-Veltliner-Elterngenetik in sich birgt (die andere bildet der Traminer).

Neben dem St. Georgen stand der 2013er Lamm Reserve von Schloss Gobelsburg im Kamptal, das sich von der Donau nördlich nach Langenlois zieht. Hier gelingt es Michael Moosbrugger, grosse Aromenfülle und -reife auf ausgesprochen feine und ruhige, nahezu dezente Art ins Glas zu bringen und dies mit tiefer Mineralik zu paaren. Das ist umso erstaunlicher, weil die Lage Lamm zu den wärmsten der Gegend gehört und stark vom Löss geprägt ist. Der angewehte Wüstenstaub stand in der rieslinggeprägten Terroir-Hierarchie lange im Schatten des Urgesteins. Doch einerseits pflanzt man den Veltliner traditionell auf tiefgründigeren Böden, weil die Reben mehr Wasserbrauchen als etwa der Riesling, andererseits hat spätestens Bernhard Ott am Wagram gezeigt, wie überholungsbedürftig dieses Lagen-Ranking ist.

«Wir mussten in den 1990ern den Grünen Veltliner in den Köpfen völlig kompromisslos neu definieren», sagt er. «Veltliner braucht aber Wellness, wenn die Reben Stress haben, zickt er sofort.» Sein schmelziger, saftiger 2013er Rosenberg landete auf Platz fünf (beim 2009er erwies sich die deutliche Restsüsse als Handicap). Alwin und Stefanie Jurtschitsch, deren 2007er Loiserberg Reserve beim gereiften Flight den dritten Platz belegte, bestätigen, dass Veltliner Wellness braucht: «Man glaubt immer, Grüner Veltliner sei robust, aber eigentlich ist er ein Sensibelchen. Er reagiert stark auf Trockenheit, und wenn er Stress hat, pumpt er Stickstoff und Zucker in die Trauben, und die Säure fällt ab.»

Es sei die Sorte mit dem kürzesten Zeitfenster für den richtigen Lesezeitpunkt. Den hatte man im damals noch von der Elterngeneration geführten Langenloiser Betrieb offensichtlich präzise getroffen. Der Wein wirkte trotz erkennbarer Reife noch beinahe jugendlich und bot eine geradezu paradiesische Fülle an gelber Frucht, die durch mineralische Säure ausbalanciert wurde. 2007 wird allgemein als sehr gutes Jahr mit ausgewogenen Weinen eingestuft, 2006 hingegen war sehr warm. Umso erstaunlicher ist daher, welch lebendige Saftigkeit der 2006er Steinleithn von Ilse Maier ins Glas brachte. Sie hat das Weingut Geyerhof (dessen Lagen in und um Oberfucha gegenüber von Krems am südlichen Ufer der Donau liegen, aber zum Gebiet Kremstal gehören) 1986 übernommen und arbeitet bereits seit 1988 nach biologischen Prinzipien. Sie entlockt dem steinigen Granulitverwitterungsboden ein spannendes Säurespiel, das selbst die Opulenz eines solchen Jahrgangs kristallklar wirken lässt.

Wiederum aus einem ganz anderen, nämlich eher kühlen Jahr kam schliesslich der unangefochtene «gereifte» Sieger, der 2004er Käferberg Reserve vom Langenloiser Weingut Bründlmayer. Elegant und zeitlos ziehen sich Quitte und Bitterorange extrem lang über den Gaumen. «Trotz Kraft alles andere als ein Monster», schrieb jemand, «Grüner Veltliner in Perfektion» ein anderer. Kein einziger erwähnte den Alkohol, der mit 14,5 Volumenprozent am oberen Ende des Spektrums lag.

Willi Bründlmayer sagt selbst, er möge keine botrytisüberladenen Weine, es gebe aber auch da ganz grosse. Er baut die Veltliner aus der von tonigmergeligen Meeresablagerungen geprägten Lage Käferberg in grossen Akazienholzfässern aus, doch das ist nur ein Detail eines über Jahrzehnte gesammelten Wissensschatzes. Ein Drittel der 80 Hektar des Familienbetriebs sind mit Veltliner bestockt, eine Palette von leicht und erfrischend bis zu eben diesen «Kindern des Ehrgeiz», wie Bründlmayer seine Spitzenweine bezeichnet.

Fazit der Verkostung

Veltliner entwickelt sich auf der Flasche gleichmässiger als Riesling. Er wirkt anfangs eher älter, ab etwa zehn Jahren jedoch jünger. 2004 bis 2007 scheinen jetzt ideal, und nicht zuletzt damit wäre die Frage nach dem Alterungspotenzial grosser Veltliner positiv beantwortet. Auffallend war, dass die bestbewerteten Weine auch jeweils in dem anderen Flight unter den ersten zehn lagen und kein Wachauer es auf die Siegertreppchen schaffte, obgleich der Wein von Nigl und auch der von Schloss Gobelsburg von der (knappen) Mehrheit der Verkoster für gut befunden wurden. Lucas Pichlers 2013er Kellerberg war der mit Abstand höchstbewertete Wein aus diesem Gebiet; er beeindruckte mit seiner Eigenständigkeit. Doch das allgemeine Niveau war hoch, und daher sei abschliessend Ilse Maier vom Geyerhof zitiert: «Weinlagerung ist mehr als nur Vorratshaltung.»

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