Weinbauregionen der Schweiz

Think global, drink local

Text: Eva Zwahlen

Das ist der Slogan des Branchenverbands Zürcher Wein (BVZW). Und ebenso ein Anspruch, den Zürich als grösster Deutschschweizer Weinkanton nicht nur propagiert, sondern vermehrt auch einzulösen vermag.

Zürich? Eine Wirtschaftsmetropole und ein Bankenplatz. Kulturstadt mit Oper, Theatern und Museen. Ausgehmeile für Nachtschwärmer. Shoppingparadies. Historische Altstadt mit lauschigen Ecken und Plätzen. Neue Quartiere, die in den Himmel wachsen. Der See mit seiner Promenade. Was noch? Wein natürlich! Was selbst viele eingefleischte Zürcher nicht wissen: Zürich ist nicht nur die grösste und wirtschaftlich potenteste Stadt der Schweiz, Zürich ist auch eine Weinstadt (mit immerhin 13 Hektar Reben mitten in der Metropole) – und der flächenmässig bedeutendste Deutschschweizer Weinkanton. Zwar sind sie längst vorbei, die glorreichen Zeiten in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, als Zürich direkt hinter der Waadt an zweiter Stelle der Schweizer Schwergewichte in Sachen Wein lag, mit stolzen 5600 Hektar, was mehr als einem Drittel der heutigen nationalen Rebfläche entspricht. Und was deutlich über den rund 4900 Hektar liegt, die der grösste Weinkanton Wallis heute umfasst. Alte Kupferstiche zeigen die prachtvollen Rebberge, die einst die Ufer des Zürichsees säumten – dort, wo heute das letzte Gärtchen noch überbaut wird. Immerhin: Etwas mehr als 600 Hektar Zürcher Reben haben die Zeitläufte unbeschadet überstanden und bilden kostbare grüne Inseln des Widerstands gegen die grassierende Bauwut.

Noch vor wenigen Jahren beklagten Winzer und Gastronomen, der Name «Zürich» verkaufe sich schlecht – ungeachtet der tadellosen Qualität der produzierten Weine. Einerseits litten die Zürcher Weine lange Zeit unter dem verstaubten Image des harmlosen Landweins Clevner, andererseits traf der schweizweit verbreitete Anti-Zürcher-Reflex auch die Weine mit voller Wucht. Das scheint sich langsam zu ändern – endlich!

Dem Zürcher Weinbau gehe es zunehmend gut, stellt Rolf Schenk, seit 2014 Präsident des Branchenverbands Zürcher Wein, zufrieden fest: «Die Wertschätzung für unsere Weine steigt. Die Leute haben wieder vermehrt eine Beziehung zu dem, was vor ihrer Haustüre wächst, zu dem, was sie sehen und schmecken. Das merkt man vor allem in den Restaurants.» Nun seien plötzlich wieder traditionelle Restaurants gefragt, Gaststätten, welche eine saisongerechte, schweizerische Küche mit ihrem internationalen Touch pflegen. «Die Konsumenten schätzen diese Küche wieder– und verlangen dazu Weine aus der Region. Das ist das Beste, was uns passieren kann!» Und die Gastronomie spiele glücklicherweise zum grössten Teil mit.

«Qualitativ können wir uns mit unseren vielfach prämierten Zürcher Weinen auf nationalem wie internationalem Parkett sowieso sehen lassen – und auf Augenhöhe mitdiskutieren», ist Schenk überzeugt. Es sei übrigens ein bekannter Selbstkelterer aus dem Kanton Zürich, genauer: aus Eglisau, und nicht etwa ein Bündner oder Walliser, der auch in der Romandie nur respektvoll Monsieur Pinot Noir genannt werde…

Der Pinot Noir oder Blauburgunder belegt die Hälfte der Fläche und spielt entsprechend die Hauptrolle unter den Sorten. Bei den Weissen hält der Riesling-Silvaner alias Müller-Thurgau tapfer die Stellung; sein Anteil an der kantonalen Rebfläche liegt bei knapp 20 Prozent. Seit er modern gekeltert wird, findet der duftig-fruchtige Weisswein mit seiner charmanten Spritzigkeit wieder vermehrt Anklang, auch bei jungen Konsumenten. In Sachen Renommee allerdings wird er in den Schatten gestellt vom heimlichen Star in den Zürcher Rebbergen: dem Räuschling.

Was hält Rolf Schenk von der riesigen Sortenvielfalt, die nicht nur in Zürich, sondern mittlerweile in der gesamten Deutschschweiz anzutreffen ist? «Früher erhofften sich die Winzer Marktvorteile, wenn sie sagen konnten, sie hätten wieder eine neue Sorte im Angebot. Und die Kunden erwarteten Neues. Immer. Das ist mittlerweile vorbei, damit muss man nicht mehr punkten wollen.» Die Schweizer Weinregionen seien derart klein, dass es nur einen Weg für sie gebe, findet Schenk: «Wir müssen uns auf unsere traditionellen Sorten fokussieren und diese auf Topniveau vinifizieren. Und parallel dazu offen bleiben für die sogenannten Piwi-Sorten», die pilzwiderstandsfähigen Varietäten also, die in den Forschungsanstalten gezüchtet werden. Doch nicht alles, was da an Neuzüchtungen auf den Markt kommt, vermag den Ansprüchen zu genügen. «Agroscope Changins steht unter Druck, immer wieder Neues zu produzieren», weiss Schenk, der als Chemiker selber in der Forschung gearbeitet hat. Schenks Sortenfavorit ist und bleibt der Räuschling, der bereits im Mittelalter verbreitet war, nicht zuletzt im Breisgau, im Elsass, am Bielersee und in der Nordostschweiz. Neuere DNA-Untersuchungen haben ergeben, dass der Räuschling aus einer natürlichen Kreuzung von weissem Heunisch alias Gwäss und Savagnin hervorgegangen ist; sein Ursprung wird im oberen Rheintal vermutet. 1550 wurde er von Hieronymus Bock unter dem Namen «Drutsch» erwähnt, als «Reuschling» tritt er erstmals 1614 auf. Mitte des 18. Jahrhunderts als Züri-Rebe hoch geschätzt und mit dem Löwenanteil der Rebfläche unangefochtene Hauptsorte, wir der 100 Jahre später bei der Traubenausstellung von 1847 in Schinznach als «unedel» und «der Ausrottung würdig» geschmäht.

Im 20. Jahrhundert ersetzten die Winzer den als anspruchsvoll geltenden Räuschling, der zu unregelmässigem Ertrag neigt, gern durch den einfacher anzubauenden Riesling-Silvaner. So wächst denn die alte Sorte heute fast nur noch im Kanton Zürich, als echte Zürcher Spezialität, auf insgesamt 18 Hektar, was vier Fünfteln der gesamtschweizerischen Räuschlingfläche entspricht. Allerdings gibt es auch in anderen Kantonen einige eingeschworene Räuschlingfans, welche die Sorte kultivieren, selbst im Wallis. Für sie und für alle Zürcher ist sonnenklar: Zu Fischen aus dem See gibt es nichts Besseres als einen zartfruchtigen, nervigen Räuschling mit seiner rassigen Säurestütze!

3 Fragen an…

Welches sind die Stärken des Weinkantons Zürich?

Es mag nicht gerade poetisch klingen, aber wir haben sehr günstige klimatische Bedingungen. Das Limmattal etwa profitiert von der Siedlungswärme, die dicht besiedelte Region am Zürichsee ebenfalls, noch unterstützt von der ausgleichenden Wirkung des Sees. Und das Weinland liegt ausserordentlich günstig im Regenschatten des Schwarzwaldes. Im langjährigen Durchschnitt verzeichnet man hier deshalb nur 800 Millimeter Niederschlag, gegenüber 1400 Millimeter am Zürichsee. Mehr Wärme und weniger Niederschlag, das begünstigt den Weinbau und den phytosanitären Zustand der Trauben.

Und die Schwächen?

Wie andere Regionen hat auch der Weinkanton Zürich strukturelle Probleme, deren Ursachen in der demografischen Entwicklung liegen. Wir stellen eine zunehmende Überalterung bei den Freizeit und Feierabendwinzern fest. Gleichzeitig lässt das Interesse für dieses Hobby bei den Jungen stark nach. Einerseits, weil sich das Freizeitverhalten geändert hat, andererseits aber auch, weil der Weinbau heute nur noch etwa ein Drittel dessen einbringt, was noch vor 20 Jahren üblich war. Das Positive daran: Selbstkelterer und grössere Weinhändler erhalten so Expansionsmöglichkeiten. Zudem steigt die Nachfrage nach Trauben wieder – und es wird sogar über eine Erhöhung des Traubenpreises nachgedacht.

Welches sind die wichtigsten Projektedes Branchenverbands?

Das Feld der traditionellen Marketingaufgaben ist noch längst nicht ausgeschöpft, es bleibt noch viel zu tun. Zunehmend arbeiten wir auch mit Tourismus Zürich und Tourismus Winterthur zusammen und organisieren beispielsweise Weinreisen nach Mass für Weininteressierte, die Zürcher Weinbaubetriebe kennenlernen wollen. Das kommt ausgezeichnet an!

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