Seitensprung Guide Gin

Gin spricht deutsch

Degustation: HG (Hans Georg) Hildebrandt und Thomas Vaterlaus, Text: Thomas Vaterlaus, Foto: gettyimages/valentinarr

Nach dem Wein ist der Gin heute das vielfältigste alkoholische Genussmittel. Tausende von Gins werden weltweit nach individuellen Rezepturen abgefüllt. Bei High-End-Produkten ist auch der handwerkliche Ansatz, etwa bei der Beschaffung von Botanicals, ähnlich hoch wie beim Wein. Höchste Zeit für VINUM, die Gin-Szene in CHAD-Land etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Wann hat der Wahnsinn ein Ende? Noch vor 30 Jahren war Gin Tonic im deutschsprachigem Raum ein Synonym für Gordons und Schweppes Indian Tonic Wenn der Mitteleuropäer zu jener Zeit nach England oder nach Spanien in die Ferien ging, war er schon überfordert, wenn ihm der Barkeeper neben Gordons noch drei andere Gins zur Auswahl anbot, etwa Bombay, Tanqueray oder Beefeater. Vor rund 15 Jahren wurden dann auch im deutschsprachigen Raum die ersten Gins hergestellt. Vor fünf Jahren waren es schon deren hunderte. Und jetzt: «Ich gehe davon aus, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz inzwischen bereits weit über tausend verschiedene Gins produziert werden. Ich kenne mittelgrosse Brennereien, die allein im Kundenauftrag bis zu zehn Gins herstellen», sagt der Journalist Hans Georg Hildebrandt, der seit sechs Jahren in Zürich das Gents Swiss Tonic Water produziert und die Gin-Szene aufmerksam verfolgt. 

Endloser Boom?

Immer wieder wurde das baldige Ende des Booms prophezeit, der Handel ist längst übersättigt und doch kommen wöchentlich neue Gins auf den Markt. Vom Winzer, der Kräuter aus seinem Rebberg sammelt, über den Jäger, der im Wald nach Botanicals jagt, bis zum Hobbygärtner, der seine Eigengewächse zum Family-Heritage-Gin verarbeitet. Die Zutaten werden dabei zunehmend verwegener: Sandelholz aus dem Kongo, junge Fichtentriebe, kaltgeräucherte Kastanien, Saar-Riesling, Steinsalz, Trüffel, handgepflückte Sauerampfer, ja selbst aus den sieben Kräutern, welche die legendäre Frankfurter grüne Sosse ergeben, wird heute Gin gemacht. Beim Schnuppern an den Destillaten fühlt man sich zuweilen zu Besuch in einem orientalischen Gewürzmarkt oder im Massagestudio, wo mit grossen Mengen Arnika-Gel hantiert wird. Bleibt die Frage, ob Essenzen, die von Crème-de- Cassis-Aromen dominiert werden oder wie ein Alpenkräuter-Brand riechen, überhaupt der Bezeichnung Gin gerecht werden. «Ein Gin muss eine klare und schön herausgearbeitete Wacholdernote aufweisen. Ich verstehe darunter einen schmeichelnden, appetitlichen Akkord aus grasigen und holzigen Noten, wenn der Wacholder harzig wird, finde ich ihn störend. Daneben sollten Pfeffer und Zitrus wahrnehmbar sein. Der Rest ist Kür», sagt Hans Georg Hildebrandt. Keine Frage: Die durchschnittliche Qualität der 40 Gins aus dem deutschsprachigen Raum, die wir für diesen Guide verkostet haben, war beeindruckend. Das Niveau wäre wohl kaum höher gewesen, wenn wir Gins aus Grossbritannien, dem Mutterland dieser inspirierenden Spirituose, verkostet hätten. Die Degustation zeigte aber auch, dass der Anteil der sensorisch exotisch-üppig anmutenden Destillate wächst. Doch gerade diese gewaltigen Unterschiede machen die zeitgenössische Gin-Szene so spannend.

Die Verkostung

Die Muster forderten wir direkt bei den Produzenten an. Alle Gins wurden in der Redaktion Zürich verdeckt verkostet. Dafür wurden die Produkte in neutrale Glasflaschen umgefüllt. Der Verkoster Hans Georg Hildebrandt hat das Schweizer Tonicwater «Gents» kreiert und das Chinin mit Enzian, einem alpinen Bitterstoff, ergänzt. Klar, dass HG Hildebrandt ein exzellenter Kenner der Gin-Aromenwelt ist. Und wer sonst könnte besser das passende Tonicwater zum jeweiligen Gin benennen als «Mr. Gents» selbst.

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