Weingut Alain Chabanon, Lagamas, Languedoc

Mein Herz schlägt Wein

Text: Elodie Colin, Fotos: Rolf Bichsel

Eigentlich wollte er ja Rinder züchten. Doch zu unserem Glück ist Alain Chabanon Winzer geworden. Seine charaktervollen, eleganten und langlebigen Cuvées gehören zum Besten, was das Languedoc zu bieten hat. 

Es ist heiss, sehr heiss in den Hügeln von Lagamas. Für einmal schmollt der Wind über den Terrasses du Larsac. 34 Grad, weiss mein Handy. Ich wische mir den Schweiss von der Stirn und rette mich in den Schatten. Der Händedruck ist feucht, aber fest. Kein Wunder bei dieser tropischen Witterung. Es ist Sommer und es herrscht Süden. Der erste Blick des Gastgebers gilt den bleichen Beinen, die aus den rosa Shorts des Fotografen lugen. «Ah, ich wusste nicht so recht», stammelt Alain Chabanon verlegen. «Ich habe mir eine Hose angezogen. Fotosessions stressen mich. Ich bin Winzer, nicht Mannequin», sagt er mit entwaffnendem Lächeln. «Stört es Sie, wenn ich mir auch rasch eine Shorts besorge? Sie können mich ja dann von der Mitte nach oben fotografieren.» Plan américain heisst das auf gut Französisch. Uns soll es recht sein. So warten wir denn ein paar Minuten und blicken uns um. Ein alter Hof mit funktionellem Keller, eine neue Holzkonstruktion, in der Alain Kunden empfängt, der Eingang zu einem unterirdischen Keller, sichtlich neu, und ein Heidenlärm, der nicht von Maschinen stammt, sondern von den Tausenden von Zikaden, die hier ganz klar das Sagen haben. 
Ein paar Minuten später ist er zurück, in Shorts und Shirt, die modische Spiegelbrille auf dem Kopf, fühlt sich sichtlich wohler, ist merklich entspannter. Die braun gebrannten Arme und Beine belegen, wo Alain Chabanon seine Zeit verbringt: im Büro ganz sicher nicht. «Eigentlich wollte ich ja Bauer werden», beginnt er seine Vita. «Ich träumte davon, ganz oben auf dem Plateau de l’Aubrac Rinder zu züchten.» Doch das Schicksal wollte es anders. Landwirtschaft gehörte nun wirklich nicht zum Familienerbe. Seine Eltern waren Lehrer. Immerhin Lehrer mit besonderer Affinität zu Wein. Mit 14 machte er – zum ersten, aber, wie die Zukunft weisen sollte, nicht zum letzten Mal – eine Weinlese mit. Dabei sprang der entscheidende Funke über. Nach Volontariaten auf Gütern in Bordeaux war der Entschluss gefasst: Er wollte endgültig auf Weinbau umsatteln. 

Wein statt Rind
Doch vorerst schrieb er sich in Bordeaux zum Agronomiestudium ein, erhielt sein Diplom als Landwirt und schloss 1984 in Montpellier mit einem Diplom als Önologe ab. Die obligaten Lehr- und Wanderjahre absolvierte er bei mehreren bekannten Winzern, die als Qualitätspioniere in ihrer Ecke galten, darunter Alain Brumont (Madiran) und Comte Peraldi in Ajaccio (Korsika). Es folgte eine erste Anstellung als Direktor einer kleinen Genossenschaftskellerei im Département du Gard (Crespian-Montmirat), zwischen Nîmes und Alès. «Ich trat diesen Job in der Überzeugung an, dass man auch in einer absolut verkannten Ecke, an die niemand glaubte, und in einer Kooperative qualitativ hochstehende Weine erzeugen kann. Das war eine gute Schule!» Darauf folgte eine Wende von 180 Grad: In der französischen Botschaft in Madrid arbeitete er für die Exportunterstützung von französischen Weinen. «Die Diners mit Ministern haben mich ganz schön beeindruckt», gesteht der Mann in den Shorts, und man hat effektiv einige Mühe damit, sich diesen Freund der Natur im Anzug und mit Krawatte vorzustellen.

«In Lagamas profitieren wir vom sonnigen Mikroklima der Terrasses du Larsac und von den exzellenten Terroirs des Südens.»

Doch Alain wollte sein Dasein nicht als Angestellter fristen. Zu einer eigenen Domäne kommt man allerdings nur mit Mitteln, wenn man nicht als Erbe das Licht der Welt erblickt, und Mittel hatte der junge Mann kaum. Da blieb nur eines: da Wein zu machen, wo niemand anderes wollte. «In Bordeaux die Nummer 3564 zu sein war nun wirklich nicht ein guter Karriereplan. Ich hatte eine andere Idee. Das moderne Languedoc des Weins begann Anfang der 1990er Jahre eben die Flügel zu recken. Ich war mir sicher: Hier konnte ich mich mit Fleiss und harter Arbeit unter den vier, fünf besten Domänen etablieren.» So gab er 1991 mutig eine Annonce im Landwirtschaftsjournal auf: Jungwinzer sucht alte Reben. Mehrere Winzer aus Montpeyroux, die kurz vor der Rente standen, waren froh, ihre unproduktiven alten Merlot-, Syrah- oder Mourvèdre-Stöcke loszuwerden, und antworteten positiv. Montpeyroux? Da waren doch zwei andere aufsteigende Sterne des Languedoc beheimatet, Oliver Julien und Sylvain Fadat (Domaine d’Aupilhac). Montpeyroux? Das ist so weit nicht von Aniane, wo damals der Begründer des grossen Weins aus dem Languedoc lebte: Aimé Guibert von Mas de Daumas Gassac. Winzer, mit denen Alain Chabanon heute oft verglichen wird. 
Aller Anfang ist schwer. Mit seinen Lehrmeistern, dem anderen Alain (Brumont) und Guy de Poix (Comte Peraldi) teilte er nicht nur die Liebe für Spitzenweine, sondern auch das Visionäre. In einer Epoche, in der das Geschmacksdiktat eines amerikanischen Weinpapstes nur Weine gelten liess, die mit Wucht und Fülle aufwarteten, predigte Alain Chabanon Eleganz und Finesse. Die ersten Ernten lieferte er zum grösseren Teil an die örtliche Genossenschaft. 1992 füllte er erstmals 2000 Flaschen selber ab. Der Weg an die Spitze blieb schwierig. Als er den originalen Namen der Domäne (Font Caude, heisse Quelle) als Marke deponieren wollte, war diese bereits besetzt: durch einen Handelswein zweifelhafter Qualität. Ab 2001 segelte die Domäne folglich unter seinem Namen. Weil er aber vergass, seine Website zu erneuern, wurde deren Name von einem japanischen Soft-Porno-Produzenten verwendet. Auch sein Entschluss, den Betrieb ab 1999 biologisch zu führen, lange bevor das Mode wurde, machte potenzielle Käufer misstrauisch. Dass er seine bescheidenen, natürlichen Erträge (kaum 30 Hektoliter pro Hektar) zu nur gerade 70 000 Flaschen jährlich verarbeitet, die er in bis zu zehn verschiedenen Cuvées anbietet, die nicht hierarchisch geordnet sind, sondern sich in Assemblage und Stil unterscheiden, ist ebenfalls trotziges Anti-Marketing. 
Doch das ist alles kalter Kaffee. Alain Chabanon hat keinen Deut nachgegeben, macht genau die hervorragenden Weine, die er immer schon machen wollte, arbeitet seit 2011 zertifiziert biodynamisch und hat erreicht, was er sich einst vorgenommen hat: Er gehört heute zu den vier, fünf unumgänglichen Domänen des Languedoc.

Weine im Clubpaket

AOP Languedoc Rouge

Domaine Alain Chabanon Les Boissières 2013

2019 bis 2028

Bouquet von gekochten Beeren, getrockneten Kräutern, Backgewürzen; voller Ansatz, dichter, voller, aber für einen Wein aus dem Süden auch sehr eleganter Bau aus Samt und Seide, Tannin mit Schliff, langes, fruchtiges Finale.

Mariage: Lammkarree mit Thymian, Koteletten vom Milchlamm, Kalbsleber mit Petersilie, Stubenküken mit Feigen. 

AOP Languedoc Montpeyroux

Domaine Alain Chabanon L’Esprit de Font Caude 2012

2018 bis 2025

Komplexe Würze von Kräutern und mineralischen Noten, die Nase eines Weins im Umbruch; voller Ansatz, dichter Bau, herbes, tragendes Tannin, gute Länge; hervorragender Wein, den man am besten in die Karaffe gibt.

Mariage: Ragout an Rotweinsauce, am Spiess gebratener Hase, Rehschnitzel mit Kastanien.
 

IGP Pays d’Oc Rouge


Domaine Alain Chabanon Le Merle aux Alouettes 2013

2018 bis 2028

Raffinierte Nase eines Pomerol, Backpflaumen, Lakritze; voller Ansatz, dichter Bau, herbes Tannin, doch ohne Ecken, dann verblüffend frisches, langes Finale; besonders interessante Merlot-Interpretation. 

Mariage: Poularde, am Spiess gebraten, mit Trüffelpüree, Coq au Vin mit hausgemachter Pasta.