Winzerlegende: Pablo Álvarez, Ribera del Duero, Spanien

Im Dienst der Diva

 

Text: Thomas Vaterlaus

  • Pablo Álvarez
    Enrique Macías Gómez, der Rebbergmeister des Weingutes, betreut jede Parzelle so, als ob sie ein eigenes kleines Weingut wäre.
  • Pablo Álvarez
    Baut nicht einen, sondern bis zu 50 verschiedene Weine jährlich an, die das Prädikat Vega Sicilia verdienen.
  • Pablo Álvarez
    Pablo Álvarez hat in den letzten 20 Jahren weder Kosten noch Mühen gescheut, damit der Wein in der Flasche der Strahlkraft des Namens Vega Sicilia entspricht.
  • Pablo Álvarez
    Als sein Meisterstück gilt unter anderem der neue Gärkeller.

Als Hommage zu ihrem 150-jährigen Bestehen hat Pablo Álvarez dem ihm anvertrauten Rohdiamanten Vega Sicilia den perfekten Feinschliff gegeben. Doch mit dem Ruhm wächst auch der bizarre familieninterne Machtkampf um die Führung des Vorzeigegutes.

 

Ausgerechnet im Vorfeld der wohl exklusivsten Feierlichkeiten in der Geschichte von Vega Sicilia eskalierte der familieninterne Streit um dessen Führung. Pablo Álvarez, der das spanische Vorzeigeweingut nun seit fast 30 Jahren mit subtiler Hand leitet, lud zum «150th Dinner Anniversary» nämlich auch seinen Vater David ein, obwohl er mit ihm seit Jahren kaum mehr ein Wort gesprochen hatte. Doch der 87-jährige David Álvarez, der das Gut im Jahr 1982 gekauft hatte, dachte nicht daran, der Einladung seines Sohnes Folge zu leisten. Im Gegenteil: Er organisierte am gleichen Tag eine konkurrierende Feier in seiner Residenz in Madrid. So erhielten viele der prominenten Vega-Sicilia-Anhänger in aller Welt zwei Einladungen zu zwei völlig verschiedenen, aber gleichzeitig stattfindenden Jubiläumsfesten.

Aufgrund der Resonanz in der Presse und des Bekanntheitsgrads der Gäste wird das Fest von Pablo Álvarez, das auf dem Weingut selber stattfand, als die offizielle Jubiläumsfeier in die Weingeschichte eingehen. Immerhin feierten dort die Vizepräsidentin der spanischen Regierung, Hollywoodgrössen wie Kurt Russell oder Goldie Hawn und auch Winzerpersönlichkeiten wie Angelo Gaja oder Bill Harlan.

Für die Protagonisten der Weinszene ist sowieso klar: Egal wie der bizarre Familienstreit auch letztlich ausgehen wird, die Wahrheit liegt im Glas. Es ist der stetig wachsende, individuelle Ausdruck der Vega-Sicilia-Weine, aber es sind auch die Visionen, die Pablo Álvarez für «sein» Weingut entwickelt hat, die ihn längst als dessen logischen Patron erscheinen lassen.

Keine Kompromisse

Der 60-jährige Pablo Álvarez ist ein scheuer Mann. Er spricht leise und lässt bei Degustationen, Lunches oder Dinners im Herrenhaus von Vega Sicilia lieber seinem Kellermeister Javier Ausas den Vortritt. Oder seiner Frau Elisa Kwon de Álvarez, die als Investmentbankerin in New York arbeitete, bevor sie in die Weinbranche wechselte und Pablo kennenlernte. Meistens also, wenn Gäste im Salon am runden Tisch beisammensitzen, schaut Pablo Álvarez kurz herein, stellt sich unauffällig zu seinem Kellermeister, bis dieser schliesslich sagt: «Ich möchte Ihnen Pablo Álvarez vorstellen, meinen Boss.» Dieser nickt dann kurz in die Runde, um sich gleich wieder zu entschuldigen beziehungsweise um in seinem Büro weiter darüber zu brüten, wie man Vega Sicilia noch besser machen könnte.

«Ich denke schnell und entscheide schnell. Mein Mann aber wägt immer wieder alle Für und Wider ab, bevor er sich zu einer Entscheidung durchringt», sagt Elisa Kwon de Álvarez. Doch wenn er schliesslich entscheidet, dann immer im Sinne von Nachhaltigkeit und Qualität. So hat er kürzlich Zehntausende Flaschen seiner zwei anderen Prestigemarken Allion (Ribera del Duero) und Pintia (Toro) vom Markt nehmen lassen. Die Weine waren geschmacklich einwandfrei, wiesen aber eine leichte Trübung auf, die sich nicht absetzte. Schon seit Jahrzehnten arbeitet Pablo Álvarez mit seinem Team auch daran, einen weissen Vega Sicilia in die Flasche zu bringen. Immerhin 22 Hektar wurden dafür mit Chardonnay, Viognier, Marsanne oder Roussanne bestockt. Doch in all diesen Jahren konnte nie ein Wein gekeltert werden, den Don Pablo für Vega-Sicilia würdig hielt.

Ökosystem Vega Sicilia

Wer Vega Sicilia besucht, muss einen Checkpoint passieren, der an eine Militärbasis erinnert. Auch innerhalb des weitläufigen Geländes patrouilliert Wachpersonal. Emsige Arbeiter schwirren wie Bienen durch das Areal, pflegen permanent den japanischen Garten und eliminieren mit ihren Reinigungsmaschinen eventuellen Staub und Laub schon im Ansatz.

Die fast übertrieben scheinenden Unterhalts- und Bewachungsaktivitäten sind das Werk von Eulen-Mitarbeitern. Eulen wurde 1962 von David Álvarez gegründet und zu einem weltweit operierenden Konzern für den Unterhalt und die Bewachung von Gebäuden ausgebaut. Das Unternehmen beschäftigt heute über 80 000 Mitarbeiter und wird inzwischen wieder vom Patriarchen David Álvarez kontrolliert, nachdem er einen ebenfalls jahrelangen Rechtsstreit gegen fünf seiner sieben Kinder für sich entscheiden konnte.

«Die heilige Dreifaltigkeit in der Único-Vinifizierung: Masculation, Éducation und Recuperation.»

Javier Ausas, Kellermeister

Das äussere Bild, das Vega Sicilia abgibt, spiegelt vortrefflich den Perfektionismus, mit dem hier bis ins kleinste Detail gearbeitet wird, wider. Von den 1000 Hektar, die Vega Sicilia heute in einem zusammenhängenden Block besitzt, der lediglich von der Durchgangsstrasse N-122 durchbrochen wird, sind 200 Hektar mit Reben bestockt. Auf der Ausgleichsfläche von 800 Hektar ist ein gewaltiges Aufforstungsprogramm im Gange. Über eine Million Nuss-, vor allem aber Eichenbäume sollen hier langfristig nicht nur das Mikroklima positiv beeinflussen, sondern es der Kellerei einst ermöglichen, eigene Korken sowie Fässer aus eigenem Holz zu produzieren. «Wir arbeiten an einem Ökosystem Vega Sicila», sagt Kellermeister Javier Ausas.

In den Rebbergen selber wurden 22 verschiedene Bodentypen ermittelt. Die wertvollsten Terroirs befinden sich in den Hügellagen, den sogenannten Coteaux, mit ihren weiss schimmernden Kalkböden. Hier wurzeln die Reben entweder im puren Kalk-Mutterfelsen oder in zersetztem Kalk, durchmischt mit Lehm. Auch die sehr kalziumreichen Parzellen ergeben Topweine. Auf den schwereren Schwemmböden in der Talebene dagegen wird der fülligere, moderner erscheinende Allion produziert. Auf den Flächen nahe am Duero-Fluss wurden gar wieder Rebparzellen gerodet und an Bauern verpachtet. Die bauen dort nun wie früher Getreide an.

«Denver-Clan» auf Spanisch

Ein Gruppenfoto von 2005 zeigt David Álvarez und seine sieben Kinder noch glücklich vereint. Pablo Álvarez steht direkt hinter seinem Vater. Seine Hände ruhen auf dessen Schultern, als wäre die Beziehung der beiden besonders eng. Die Probleme begannen 2009, als der damals 83-jährige Patriarch David Álvarez seine langjährige Sekretärin heiratete. Es war seine dritte Ehe. Schon nachdem seine erste Frau und die Mutter der sieben Kinder 1986 verstorben war, hatte er seine damalige Sekretärin geheiratet. Die spanische Presse schrieb, dass es den Kindern missfallen habe, dass ihr Vater eine Frau heiratete, die jünger war als sein ältester Sohn.

Nach der Heirat trat David Álvarez kürzer und überliess die Verwaltung des Eulen-Konzerns seinen Kindern. Als aber sein Sohn Juan Carlos, der den Konzern damals faktisch leitete, einen langjährigenV ertrauten seines Vaters entliess, begann ein Intrigenspiel à la «Denver-Clan». David Álvarez kehrte ins Unternehmen zurück, übernahm mit den zwei Kindern, die zu ihm hielten, wieder die Firmenleitung und verbannte seine fünf «ungehorsamen» Nachkommen aus dem Eulen-Konzern. Diese rächten sich auf ihre Weise. Die Familie besitzt nämlich nebst Eulen auch noch die Firma El Enebro, zu der Vega Sicilia, Immobilien und Rinderzucht gehören. Seit dem Tod seiner ersten Frau halten die sieben Kinder mehrheitlich die Anteile an diesem Unternehmen. So verbannten sie ihrerseits den Vater aus der Leitung dieses Unternehmens. Es besteht aber ein Zusatzvertrag, der dem Vater weitgehende Mitbestimmungsrechte zusichert. Und so kämpfen nun beide Parteien verbissen durch alle Gerichtsinstanzen um die Führung dieses Unternehmens und somit auch um Vega Sicilia.

David Álvarez hat ein multinationales Firmenimperium aufgebaut, ist aber das Image des «kleinen Hausmeisters»nie losgeworden. Erst als er Vega Sicilia kaufte, wurde er zu «einem Mann der Kultur und der Gesellschaft». Verständlich, dass er sich diesen Ruhm zurückholen will. Doch wer die Geschichte von Vega Sicilia studiert, merkt rasch, dass es selten die Besitzer waren, die diesem Gut seinen legendären Ruf bescherten, sondern vielmehr die charismatischen Kellermeister und Weingutsdirektoren, die hier wirkten. Persönlichkeiten wie Txomin Garramiola, Jesús Anadón oder auch Mariano García. Darum können wir diesen bizarren Streit mit grosser Gelassenheit mitverfolgen, in der Gewissheit, dass sich das erfüllen wird, was die legendären Pink Floyd im Titel eines ihrer berühmtesten Lieder fordern: «Shine on your crazy Diamond!»

Vega Sicilia - Langstreckenläufer

Obwohl die Weine aus der Ribera del Duero vergleichsweise niedrige Säure- und hohe pH-Werte aufweisen, verfügen die Crus von Vega Sicilia über ein hervorragendes Entwicklungspotenzial. Der Valbuena 5°, der im Stahl vergoren und mazeriert wird, kommt jeweils nach rund fünf Jahren auf den Markt. Beim Único, der komplett  in Eichenholz vinifiziert wird, dauert es bis zu zehn Jahre, bis er freigegeben wird.

Weine des Winzers

 

1 Valbuena 5° 2010

17.5 Punkte | 2014 bis 2022

Feine Aromen von roten Beeren und frischen Kräutern, dazu ein Hauch von Lakritz und eine Spur Teer. Auch mineralische Noten, an Graphit oder Kreide erinnernd. Im Gaumen komplex und doch klar strukturiert. Für einen Ribera-Wein fast schon subtil.

 

2 Valbuena 5° 2009

17 Punkte | 2014 bis 2025

Wirkt insgesamt füllig, mit reifer, beeriger Frucht, malzigen Tönen und gut integrierten, diskreten Würznoten. Im Gaumen dicht gewoben, voll und lang. Zeigt sich im Abgang eine Spur zusammenziehend.

 

3 Único 1994

18 Punkte | 2014 bis 2030

Herrlich offene Aromatik mit viel reifer Beerenfrucht, dazu balsamische Noten, aber auch Unterholz, Leder und getrocknete Kräuter. Wirkt im Gaumen ebenso reif, zeigt aber immer noch viel Biss. Hocheleganter Wein, getragen von einer saftigen, reifen Säure.

 

4 Único 1982

18.5 Punkte | 2014 bis 2020

Jetzt in perfekter Trinkreife. Komplexe und zugleich sehr subtil ausgereifte Aromatik, mit Maggikraut, Rosmarin, aber auch Melasse, Gebäck, ja gar zitrischen Komponenten. Im Gaumen vielschichtig und filigran, zeigt im Abgang viel zarten Schmelz.

 

5 Único 1981

18.5 Punkte | 2014 bis 2020

Voll ausgereifte, beerige Frucht mit gut integrierten, würzigen Komponenten. Im Gaumen sehr komplex, gleichzeitig aber auch sehr rund, durch die Reife sind alle Komponenten perfekt eingebunden. Sehr zugänglicher Wein, bereitet viel Trinkvergnügen.

 

6 Único 1953

17.5 Punkte | 2014 bis 2020

Wirkt sehr reif. In der Nase vor allem erdige Komponenten, auch Waldpilze und Noten von Unterholz. Im Gaumen ein Anflug von Alterssüsse, aber auch eine präsente Säure. Kerniges Tannin, wirkt im Abgang etwas ausgezehrt.

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