Winzerlegende: Paul Fürst, Franken

Kein Mythos, ein Mensch

Text: Stephan Reinhardt, Fotos: Andreas Durst

  • Paul Fürst
    Paul Fürst ist Winzer, ein Landwirt, wenn man so will, der im Maintal zwischen Spessart und Odenwald seit fast 40 Jahren Trauben kultiviert und Weine erzeugt.
  • Paul Fürst
    Es sind alle atemberaubend tief, dicht und ausbalanciert, Weine von höchster Eleganz und grösster Noblesse.
  • Paul Fürst
    Auf diesem Weingut kann man vom Tischwein «pur mineral» bis zu den Grands Crus aus Burgundersorten und Riesling getrost jeden Wein kaufen.
  • Paul Fürst
    Es geht Paul Fürst nie um Bewertungen, sondern immer um Stil, um Kultur, um Weinkultur.

Den Zugang zu Paul Fürst versperrt kein eisernes Tor, kein Sekretariat. Wer ihn sprechen will, ruft an oder fährt hin. Und erlebt einen heiteren, aufgeräumten Menschen, dem das Leben ein arbeitsreiches Fest ist. Mit Sohn Sebastian steht ihm ein kongenialer Partner zur Seite.

 

Nein, eine Legende, ein Mythos gar, ist er nicht. Paul Fürst ist kein Mensch, der so bekannt geworden ist, einen solchen Status erreicht hat, dass sich bereits zahlreiche Legenden um ihn gebildet hätten. Dafür ist der Mann zu geerdet, zu normal.

Paul Fürst ist Winzer. Ein Landwirt, wenn man so will, der im Maintal zwischen Spessart und Odenwald seit fast 40 Jahren Trauben kultiviert und Weine erzeugt. Besonders gute Weine allerdings, das muss man sagen: Spät- und Frühburgunder, Weissburgunder, Riesling, Silvaner und Chardonnay. Schon die «einfacheren» Weine, die rassig-eleganten Gutsweine mit Namen wie «pur mineral» (Weissweine) oder «Tradition» (Spätburgunder) sind reines Trinkvergnügen, flüssig gewordene Stilstudien aus dem Hause Fürst. Dann die noch fokussierteren, noch präziseren Ortsweine aus den besten Lagen Bürgstadts und Klingenbergs: flüssige Kulturlandschaften mit einzigartiger Frische und ausdrucksvollem Charakter. Zuletzt die Grands Crus: der kühle Centgrafenberg (Spät-, Früh- und Weissburgunder sowie Riesling), der markante Hundsrück (Spätburgunder), der feurige und doch so delikate Schlossberg (Spätburgunder) und – das Volkacher Auswärtsspiel – der burgundische Karthäuser (Chardonnay). Sie alle sind atemberaubend tief, dicht und ausbalanciert, Weine von höchster Eleganz und grösster Noblesse, vor allem nach Jahren der Reife.

Die als «R» (Réserve) oder «GG» (Grosses Gewächs) bezeichneten Crus zählen seit langem schon und unbestritten zu den besten Weiss- und Rotweinen in Deutschland. Sie werden sogar im stolzen Frankreich sowie im Vereinigten Königreich in höchsten, staunenden Tönen gelobt – und auch getrunken. Nicht, weil sie gross und mächtig wären, sondern weil sie pur, schlank, elegant und rassig sind, trinkbar also und bekömmlich, heute, morgen, in einigen Jahren. Es sind trockene, französisch anmutende Weine, «buvable et digestible» oder zu Deutsch: entschiedene, feste und erdverbundene Naturschönheiten, die frisch und bekömmlich sind, dienlich auch; Essensweine eben, Weine für den Genuss, die Konversation, die Philosophie, das Menschsein. Keine Blender, keine Egozentriker, nichts für Schnösel.

Fürsts Rieslinge, Silvaner und Burgunder sind flüssige Spiegelbilder seiner selbst: feine, aufgeweckte Charaktere, lebendig, klar, geistreich und gelassen, weltoffen, inspirierend, erzählerisch, kurzum: stil- und geschmackvolle Kreszenzen, allzeit genussbereit.

Kultur pur: Janis Joplin und Burgund

Ein Essen ohne Wein? Niemals, nicht bei Fürst. Wein ist in der «fürstlichen» Familie noch Lebensmittel. Und weil ein solches hier nicht Mittel zum Zweck, sondern zum Genuss ist, ist es auch der Wein: Genuss- und Lebensmittel zugleich. Ein Leben ohne Genuss ist ein Leben ohne die «Fürsten»: undenkbar.

Monika, Pauls Frau, ist eine begnadete Köchin, Ingo Holland (ehemals «Schweizer Stuben», heute Gewürzhändler), Klaus Markert (Restaurant «Stern», Bürgstadt) und weitere Sterneköche sind alte Freunde (und Förderer des noch unbekannten Paul Fürst) mit Herdhoheit auch hier. Das Leben: ein Fest! «Unser Wein muss seinen Mann stehen, egal, wann man ihn ins Glas schenkt», sagt Paul Fürst. Das ganze Bohei mit Dekantieren und so fort: Es legt den Zecher nur trocken.

Fürst ist spontan. Wenn er Lust auf einen Wein hat, dann will er ihn jetzt – und sich nicht darüber ärgern müssen, dies nicht gestern schon gewusst zu haben. «Ein grosses Glas reicht völlig aus, man muss es sich nur voll genug machen, so ein Wein entwickelt sich ja auch im Glas.» Spricht’s und füllt den Burgunderkelch zu zwei Dritteln mit dem neuen Jahrgang seines betörenden Frühburgunders. Ein berauschender Beerenduft weht durch den Raum. «Mit so einem Wein kannst du eine Reise machen», sagt Fürst, riecht, schlürft, schluckt und schmeckt, schweigt. Dann: «Beim Frühburgunder muss die frische Frucht geradewegs bis oben ins Gehirn gehen.» Oder auch: «Das Parfüm, den Boden, die Kultur vom Fass, die Frucht – wir wollen das alles im Wein haben.» Noch so ein Satz, hinter dem eine Weltanschauung steht. Es geht Paul Fürst nie um Bewertungen, sondern immer um Stil, um Kultur, um Weinkultur.

«Best of Janis Joplin», danach Jimi Hendrix’ «Good Morning, Vietnam» tönt aus der Bose-Anlage im... tja, was ist das eigentlich, wo wir hier sitzen? Ein Verkostungsraum? Ein Wohnzimmer? Ein Lebensraum? Ein Kino? Ein Traum? Vor und unter uns liegt der nordöstliche Teil des Centgrafenbergs, jenes Weinbergs also, der Fürst in den 1980ern bekannt, in den 1990ern bedeutend gemacht und im letzten Jahrzehnt schliesslich etabliert hat. Das Maintal, dessen mildes Klima Churfranken seit jeher schon zu einer bedeutenden Herkunft feiner deutscher Weine macht. Es gibt jede Menge Fürst-Pinots zu probieren und zu diskutieren, zuweilen auch einen französischen. Stilstudien.

Paul Fürst sagt, dass Remington Normans «Côte d’Or» seine Bibel sei. In dem Buch werden sämtliche Weine und Winzer der Côte de Nuits und Côte de Beaune vorgestellt, ein jeder Betrieb mit seiner eigenen Philosophie, seinen eigenen Methoden, den eigenen Weininterpretationen. Es gibt in diesem unlängst aktualisierten Werk zahlreiche Weincharakterisierungen, aber nicht einen einzigen Bewertungspunkt. «Kultur muss das Thema sein, nicht Punkte», sagt Fürst, der – wer ahnt es nicht? – das Burgund liebt wie Bürgstadt. Mindestens. Wann immer es ihm seine Zeit erlaubt, fährt er hin, probiert, parliert und lernt nicht aus. Sebastian, sein Sohn, hat hier gelernt. Er sei froh, sagt Paul, dass Sebastian ebenso von der «Kultur der Burgunderweine» beeindruckt sei wie er. Und dass sich «das Neue, Junge und Wilde» bei ihm nicht in «modernistischer Weinbereitung oder übertriebener Marktorientierung» ausdrücke, sondern «in den extremen Anforderungen an das Winzerhandwerk im Weinberg wie im Keller».

Die Weinberge sind der Stolz der«Fürsten». Klar, wenn man bedenkt, wie sie angefangen haben, damals, 1975: mit handtuchgrossen Parzellen. Doch dann ab den 1980ern: Arrondierung, Anpflanzung von hochwertigsten Pinot-Klonen aus Dijonauf ertragsschwachen Unterlagsreben, Dichtpflanzung, Bodenarbeiten, eigene Kompostbereitung, penible Laub- und Stockpflege, strenge Handlese kleinbeeriger Trauben zum richtigen Zeitpunkt, schonende Traubenverarbeitung, klassischer Ausbau der Weine über einen bis zwei Winter im Stahl und edlen Holz. Es wird nicht gespart, wenn es um die Weinberge geht. Doch die Weinbereitung bleibt lowtech.

«Das Parfüm, den Boden, die Kultur vom Fass, wir wollen das alles in unseren Weinen haben.»

Neben den teuren französischen Barriques ist allein die neue automatische Korbpresse zu erwähnen, eine Investition für mindestens zwei Generationen. Kaum woanders dürfte ein Generationenübergang nahtloser vonstatten gehen als im Hause Fürst. So wie der 1980 geborene Sebastian ist, so stellt man sich den jungen Paul Anfang der 1970er vor: wissbegierig und ernsthaft, bereit, hart für seine Ziele zuarbeiten, sich nötigenfalls auch zu quälen, ohne dabei das auszulassen, was das Leben so lebenswert macht: Freude, Freunde und – Genuss. «Ach komm, trinken wir zum Abschluss doch noch einen schönen alten Riesling-Eiswein, oder?»

Bürgstadt anstatt Kalifornien

Paul Fürst, früher lockig wie ein Clown, heute meistens kurz geschoren und auch sonst etwas kahler auf dem Kopf, ist ein stets heiterer Schwärmer. Er lässt sich vom Wein noch immer berauschen: von französischen Burgundern, von gereiftem Riesling, von den eigenen Weinen. Welcher Winzer ist das schon: berauscht vom Wein nach 40 arbeitsreichen Dienstjahren? Dabei ist Fürst doch erst 60, fast jedenfalls. Und noch immer stachelt jedes gefüllte Glas die Neugier des jung gebliebenen Grossvaters von drei Enkelinnen an.

Er hätte wohl auch Seefahrer werden können, weil er das Unbekannte liebt, die neuen Ufer sucht, ohne dabei die Heimat zu vergessen. Wie könnte er auch? Sie hat ihn geprägt, früh schon und mehr, als er es vielleicht wollte. Gewollt hatte er nach Kalifornien, damals nach der Lehre auf Schloss Johannisberg im Rheingau. Es war alles geplant: Paul wäre zu Walter Schug gegangen, der damals noch Weinmacher bei Joseph Phelps im Napa Valley war. Doch dann, 1975 – Paul war 20 –, starb plötzlich der Vater, Rudolf Fürst. Paul musste daheim den elterlichen Betrieb übernehmen. Wie schon sein Vater, der 1949 als Spätheimkehrer aus dem Krieg den elterlichen Betrieb führen musste, obgleich dafür eigentlich sein Bruder Sebastian vorgesehen war. Sebastian Fürst hatte vor dem Krieg Weinbau studiert, doch er fiel, und so heisst das Weingut heute noch immer R. Fürst. Wobei es früher kein Weingut war, sondern ein kleiner landwirtschaftlicher Gemischtbetrieb. «Getreide und Hackfrüchteanbau, Rindviecher, Milchkühe, Tabak und Obstbau», erinnert sich Paul.

Weniger als ein Hektar Weinbau war der Familie nach dem Krieg, aber auch nach der Generationen währenden Realteilung übrig geblieben. Der Centgrafenberg damals: ein Flickenteppich, in dem alle paar Rebzeilender Besitzer wechselte. Und der nach dem Krieg zunehmend versteppte, weil die aufwändige Bewirtschaftung der Sandsteinterrassen nicht mehr zeitgemäss war. Und doch blieb der Centgrafenberg der Traum des Paul Fürst! Hier wollte er einmal ein kleines Weingut etablieren, dachte er sich als junger Mann. Dabei hatte er den Berg als Kind durchaus gehasst. «Ganz besonders das Mithelfen beim Schlauchspritzen in den steilen Sandsteinterrassen», sagt er. «Die lagen nämlich genau gegenüber dem Bürgstadter Freibad, wo meine Freunde dem Badevergnügen und Fussballspielen frönten.»

1972 verliess Paul Fürst die Heimat und machte eine Lehre, zunächst im fränkischen Veitshöchheim bei Würzburg, dann auf Schloss Johannisberg, einem der bedeutendsten Rieslingweingüter der Welt. Die Wirklichkeit des 18-jährigen «Fürsten» aber waren nicht Glanz und Gloria, sondern Wurzelbürste und heisses Wasser. Die Reinheit feiner Rieslingweine könne man nur mit sauber geschrubbten Holzfässern erreichen, lernte er damals.Und trug die Verantwortung.

Als er eines Morgens die Reste einer abendlichen Weinprobe beseitigen musste, kostete er von allem, was noch nicht leer getrunken war: Auslesen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen, auch eine 1911er Schloss Johannisberger Feinste Auslese. «Ab jenem Tag habe ich begriffen, wie Riesling schmecken kann», sagt Fürst, der jungem Riesling als Essensbegleiter heute übrigens nichts abgewinnen kann. «Zu laut» sei der Riesling, sagt er. Er ziehe seine Show ab und sei gewiss ein guter Solist. «Aber gegen die Noblesse eines gereiften Rieslings ist der junge chancenlos.» Paul Fürst hat früh gelernt zu erkennen, was gut ist, und das Gute zu geniessen. Heute geniessen wir ihn.

Weingut R. Fürst, Bürgstadt - Weine der absoluten Spitzenklasse

Auf diesem Weingut kann man vom Tischwein «pur mineral» bis zu den Grands Crus aus Burgundersorten und Riesling getrost jeden Wein kaufen. Das Steckenpferd aber sind die Burgunder-Crus und der Riesling.

Weine des Winzers

 

1 Centgrafenberg Riesling GG

17–18 Punkte | Potenzial: 7–12 Jahre

Nicht nur einer der besten Weissweine Frankens, sondern auch ein fränkisch trockener Vorzeigeriesling aus Deutschland. Rassig, pikant und komplex in der Jugend, profitiert er im Alter von mindestens sechs Jahren von seiner mineralischen Tiefe und Eleganz.

 

2 Centgrafenberg Weisser Burgunder R

18 Punkte | Potenzial: 6–10 Jahre

Neben dem komplexen Volkacher Karthäuser Chardonnay ist der in kleinen Fässern geschulte Weissburgunder R aus dem CGB der weisse Spitzenburgunder des Hauses. Stets kraftvoll, dicht und von feiner Würze geprägt, gewinnt er mit zunehmendem Alter an Finesse und Spiel, ohne seine straffe Struktur und Komplexität zu verleugnen. Der perfekte Wein zum Hummer!

 

3 Centgrafenberg Frühburgunder R

17.5+ Punkte | Potenzial: 5–10 Jahre

Verführerisch fruchtintensiver und seidiger Wein von grosser Feinheit und Eleganz. Besitzt nicht die Rasse und Länge der Spätburgunder-Crus, dafür muss man aber auch nicht so lange auf ihn warten. Genuss pur!

 

4 Schlossberg Spätburgunder GG

18–18.5 Punkte | Potenzial: 10 Jahre

Warmtöniger, hochfeiner, duftiger Pinot aus restaurierter Steillage unterhalb der Klingenburg. Eine Ausgeburt an Finesse und Eleganz, die immer tiefgründiger wird.

 

5 Centgrafenberg Spätburgunder GG

18–18.5 Punkte | Potenzial: 12 Jahre

Kühler, rot- bis schwarzbeeriger Burgunder mit feiner mineralischer Rasse und Eleganz. Überwiegend von französischen Klonen stammend, wird dieser fest strukturierte, lagerfähige Wein gut zehn Tage nach dem Schlossberg gelesen.

 

6 Hundsrück Spätburgunder GG

18–19 Punkte | Potenzial: 15 Jahre

Der kraftvollste und markanteste, wahrscheinlich auch langlebigste Pinot kommt aus einer steilen, teils terrassierten Südlage mit steinigen Buntsandsteinverwitterungsböden. Der Grossteil der Trauben stammt von einer 1983 gepflanzten Anlage mit alten deutschen Ritterklonen, die mit feinsten Burgunderklonen ergänzt werden. In warmen Jahren komplett auf den Rappen vergoren, zeichnet sich dieser Wein durch seine markante Struktur und Frische ebenso aus wie durch seine Kraft und den komplexen Druck, den er am Gaumen aufbaut.

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