Winzerlegende López de Heredia, Rioja Alta

Die letzten Mohikaner

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Heinz Hebeisen

  • López de Heredia
    Geschwister-Team: Julio Cesar (links) wacht über die Reben, María José (mitte) leitet das Weingut und Mercedes (rechts) ist die Kellermeisterin.
  • López de Heredia
    Der 100 Hektar grosse Viña Tondonia mit seinen durchschnittlich 55 Jahre alten Reben liegt spektakulär in einer Flussschleife des Ebro.
  • López de Heredia
    María José López de Heredia.
  • López de Heredia
    Dutzende von Mitarbeitern pflegen im ausgedehnten Keller die Weine minuziös. Besonders arbeitsintensiv ist das regelmässige Umziehen der Weine.
  • López de Heredia
    Die Familie und ihr Wahrzeichen: Die Geschwister López de Heredia auf der Terrasse ihres Türmchens, das den lustigen Namen «Txori Toki» (Vogelhaus) trägt.

Manche halten sie für stur. Andere nur für sehr traditionell. Doch wer sich mit der Winzerfamilie López de Heredia befasst, die ihre Gran Reservas noch immer 20 Jahre in ihren Kellern reifen lässt, merkt rasch: Hier bringt ein charismatisches Geschwister-Trio auf urhandwerkliche Weise geniale Crus fern aller Trends und Moden hervor.

Sie spricht in einem irrwitzigen Tempo. Doch selbst, wenn sie doppelt so schnell reden würde, könnte uns die 48-jährige María José nicht alles erzählen, was die ganze Magie von López de Heredia ausmacht. Wir stapfen also durch die Schwemmlandböden des 100 Hektar grossen Viña Tondonia, des vielleicht spektakulärsten Rebbergs in der Rioja überhaupt, liegt er doch fast inselartig in einer gewaltigen Flussschleife des Ebro, und sie erklärt uns, warum nur alte, unbewässerte Buschreben einen wirklich grossen Rioja hervorbringen können, schweift dann ab zur «Semana Santa», den spanischen Oster-Prozessionen, die drauf und dran seien, zum reinen Tourismus-Spektakel zu  regenerieren und ärgert sich über «mutmassliche» Weinliebhaber, die nur nach ihren Gran Reservas verlangen, ohne überhaupt zu wissen, was so ein Gran Reserva überhaupt ist.

«Diese Leute kommen in unsere Bodega, und du willst ihnen etwas erklären, merkst aber schon nach höchstens fünf Minuten, dass sie eigentlich nur ein Selfie mit dir machen wollen», klagt sie. Dann wird es ernst: «Wir müssen der wahnwitzigen Oberflächlichkeit unserer Zeit etwas entgegensetzen. Und weil wir Winzer sind, tun wir das mit unseren Weinen.» Was für eine Ansage! Eigentlich wäre das schon der perfekte Schlusssatz für diesen Artikel. Doch dann sind wir im Keller, diesem entrückten Labyrinth fern von Tageslicht und Zeit. Der «Zasmidium Cellare», der dunkle Kellerpilz, hängt wie Watte an den Wänden. Es riecht nach Erde, nach Stille, nach Staub und altem Holz. Es riecht nach López de Heredia. Manche Glühbirnen sind mit einem richtigen Schirm, ja einem Kokon von Spinnweben umgeben, und es sieht ganz so aus, als ob sich die Kellerarbeiter sehr viel Mühe geben, beim Auswechseln der Glühbirnen diesen Spinnwebenfilz nicht zu beschädigen.
«Manche denken, es sei hier dreckig. Aber Spinnweben und Staub sind eben kein Dreck, sondern wichtige Elemente jener Mikroflora in diesem Keller, die es möglich macht, hier Weine jahrelang im Fass auszureifen, ohne dass sie dabei ihre Frische und ihre Frucht verlieren», sagtMaría José.

Die Reservas beispielsweise, die 90 Prozent der Produktion ausmachen, reifen zuerst zwei Jahre in grossen Holzstanden und werden in dieser Zeit insgesamt fünf Mal  umgezogen, was wichtig ist für die Stabilisation der Weine. Danach kommen sie in die Barriques, die hier bis zu 30 Jahre lang verwendet und in dieser Zeit regelmässig wieder restauriert werden, und reifen darin nochmals sechs Jahre bei zuerst zweimaligem und später noch einmaligem Umziehen pro Jahr.
«Das Umziehen ist der entscheidende Punkt beim jahrelangen Fassausbau. Der Wein braucht Luft und muss gleichzeitig vor Luft geschützt werden. Er braucht die gezielte, aber eben natürliche und nicht forcierte Mikrooxygenation und muss gleichzeitig vor Oxidation geschützt werden », doziert María José.
Dann spricht sie über die heute weltweit grassierende Manie zu fast schon klinisch sauberen Kellern. «Wir sehen diesbezüglich nicht nur Paranoia, sondern einen Exzess an Paranoia», sagt sie und fragt: «Wie kann man nur glauben, dass in einer sterilen Umgebung ein grosser individueller Wein entstehen kann?» Das ist sicher eine berechtigte Frage, und der Schreiberling notiert das alles brav in seinem Notizbuch,  aber seine Finger schmerzen inzwischen höllisch, und er kann einfach nicht mehr alles protokollieren, was diese Frau in so horrendem Tempo, aber stets ausserordentlich präzise und druckreif formuliert, von sich gibt. Genau in diesem Moment tritt ihre 46-jährige Schwester Mercedes, die als Kellermeistern für die Vinifikation der Weine zuständig ist, dazu, erkennt das Leiden des Journalisten und sagt: «Wenn du willst, dass meine Schwester mal eine kurze Pause macht, musst du ihr schon eine Ohrfeige verpassen», und klopft ihr dabei liebevoll auf die Schulter.

Die Visionen des Urgrossvaters

Mit ihrer 140-jährigen Wein-Vergangenheit gehört die Familie López de Heredia nicht zu den ganz alten Winzer-Dynastien in Europa. Doch in der Familienhistorie haben sich in dieser Zeit so viele schillernde Anekdoten und Episoden angesammelt, dass sie locker für mehr als einen Roman im Stil des magischen Realismus wie «Hundert Jahre Einsamkeit» ausreichen würden. Don Rafael López de Heredia, der Urgrossvater des gegenwärtig amtierenden Geschwister-Trios, kam 1870 als 14-Jähriger von Chile ins Baskenland, besuchte hier eine Jesuitenschule, kämpfte dann im dritten Carlistenkrieg auf Seiten des letztlich unterlegenen Carlos VII., lebte danach eine Zeit lang in Frankreich und begründete schliesslich in Haro ab 1877 zusammen mit Marqués de Murietta und Marqués de Riscal den Aufschwung der Rioja-Weine. Er baute die heute denkmalgeschützte Bodega mit dem Türmchen, dem «Txori Toki» (Vogelhaus), die  heute das bekannteste Wahrzeichen der Rioja-Metropole Haro ist. Don Rafael war ein Geschäftsmann und Visionär mit hunderten von Ideen und 14 Kindern. Für sie begann er, ausgewählte Weine aus besonders guten Jahren für Familienfeiern zur Seite zu legen, und diese «Reserven für die Familie» waren die Vorläufer der heutigen Gran Reservas, die heute weltweit so begehrt sind. Der stark von Bordeaux inspirierte Firmengründer, der im kühlen Haro einen Rioja Cepa Medoc erzeugen wollte, begann 1914 im Viña Tondonia mit dem Bau eines Kellereigebäudes, um aus seinem Parade-Rebberg ein Château nach Bordeaux-Vorbild zu machen, inklusive eines  Repräsentationsgebäudes im arabisch-modernistischen Stil. Doch dann starb sein als Nachfolger des Betriebes vorgesehener Sohn bei einem Unfall mit einem Delaunay Belleville, einem übermotorisierten Cabriolet, und Don Rafael liess den Bau  unvollendet.

Die Bewahrer des Schatzes

Schliesslich war es Rafael, sein gleichnamiger Sohn, der das Weingut weiterführte. Er war der «Bewahrer», der den Betrieb durch die schwierigen Zeiten von Bürgerkrieg und Weltkrieg brachte, aber auch ein höchst phantasievoller Erfinder. Ein gewaltiger  Flugzeugpropeller aus Holz, den er in seinem Büro zu einem Decken-Ventilator umfunktionierte, zeugt noch heute von seiner Kreativität.
Ihm folgte Pedro López de Heredia Ugalde, der 2013 im Alter von 84 Jahren starb. Er war jener Vollblutwinzer und Traditionalist, der durch das Festhalten am Bewährten dafür sorgte, dass López de Heredia heute wie ein Fels in der Brandung, will sagen, in einem Wein-Zeitgeist, steht, der glaubt, sich jedes Jahr neu erfinden zu müssen.

Elegant und langlebig sind sie, die Weine von Il Greppo, manchmal – in einem direkten Vergleich mit einem «modernen» Brunello voller Tannin und Dichte – erscheinen sie wie aus einer anderen Welt: von hellem Rubinrot, mit filigranen Aromen und einer hohen Säure, die dem Wein erst seine Langlebigkeit verleiht. Franco Biondi Santi also ein Traditionalist? Durch und durch, versicherte uns der Winzer schmunzelnd, aber Tradition im positiven Sinne, zum Wohle des Weins, nicht aus Sturheit. Die Tradition kostet bei Biondi Santi allerdings auch einiges: Sein Brunello (rund 40000 Flaschen Annata, 12000 Riserva) zählt zu den teuersten in Montalcino. Und auch sein Rosso zählt (mit rund 30000 Flaschen) zu den gefragtesten seiner Art. Fast ausschliesslich am Weingut wird der Rosato verkauft, ein Roséwein aus Sangiovese, von dem gerade mal 4000 Flaschen produziert werden.

 «Manche Besucher denken, unsere Keller seien schmutzig. Aber Spinnweben und Staub sind eben kein Schmutz, sondern schaffen zusammen mit dem die Feuchtigkeit  ausgleichenden Sandstein jene ganz besondere Mikroflora, in der unsere Weine jahre- oder gar jahrzehntelang im Fass ausreifen können, ohne dass sie dabei ihre Frische und ihre Frucht verlieren.»

Nun schreiben also seine drei Kinder das nächste Kapitel in der Geschichte dieses Ausnahmeweingutes. Die 46-jährige Mercedes ist verantwortlich für die Weinbereitung, der 49-jährige Julio Cesar wacht über die 180 Hektar umfassenden Weinberge und die 48-jährige María José leitete das Weingut. Was ist ihre Mission? «Wir sind die Bewahrer,
die Hüter des Schatzes», sagt María José. Doch das ist eine Untertreibung. Denn gerade sie verfügt nebst ausgeprägtem Traditionsbewusstsein auch über visionäre Ideen. Noch heute fragen sich die Menschen in der Rioja, wie sie ihren Vater anlässlich des  25-jährigen Jubiläums des Gutes im Jahre 2002 davon überzeugen konnte, auf dem  Vorplatz des Gutes ein futuristisches Empfangsgebäude aus Metall und Glas von der  irakisch-britischen Star-Architektin Zaha Hadid (1950 bis 2016) bauen zu lassen. Der  Witz dabei: Das einem Ufo gleichende Gebäude ist nur eine schützende Hülle für einen verspielt-antiken, aus Edelholz gefertigten Weinverkaufsstand im modernistischen Stil aus dem Jahre 1903…

Familiengeschichte als Hobby

Heute beschäftigt sich María José bereits mit dem 150-jährigen Jubiläum von López de Heredia, das im Jahre 2027 stattfinden wird. Andere Güter feiern das mit einem  rauschenden Fest, aber sie hat Nachhaltigeres im Sinn. Sie möchte das Castillo Arabe in der Mitte des Viña Tondonia, das ihr Urgrossvater bis ins Detail geplant, aber nie  vollendet hatte, fertig bauen. Und sie möchte in der Bodega ein zweites neues Gebäude, nämlich ein Weingutarchiv, für das die im letzten Jahr überraschend verstorbene Zaha Hadid schon mal erste Skizzen angefertigt hatte, realisieren.

Die Familiengeschichte ist schon heute ihr Hobby. «Mein Bruder und meine Schwester haben zusammen drei Kinder, alles Mädchen – das nächste Kapitel in der López-de-Heredia-Story wird zwangsläufi g noch weiblicher als das jetzige», sagt María José. Sie, zwar seit fünf Jahren mit dem kaufmännischen Leiter ihrer Bodega verheiratet,  aber kinderlos, habe mehr Zeit. 200 Firmenbücher hat sie schon eigenhändig  eingescannt.
Abends, wenn sie in ihr Landhaus nahe Haro zurückkehrt, vertieft sie sich in längst vergangene Episoden ihrer Vorfahren, während ihr Mann das Abendessen zubereitet.  Schon ihr Vater arbeitete 365 Tage pro Jahr für die Bodega, Ferien waren für ihn ein  vermeidbares Übel, der sonntägliche Spaziergang mit den Kindern durch die eigenen  Reben genügte ihm. Ist sie wie er? «Nein, ich denke, ich könnte morgen hier aufhören  und etwas völlig anderes machen», sagt sie. Während ihres Studiums der  Rechtswissenschaften in Bilbao gehörte sie zu den besten Strassen-Radrennfahrerinnen in Spanien. Zum Wein fand sie später. Doch gerne gibt sie zu: «Das  Schicksal hat mir eine der schönsten Aufgaben zugewiesen, die ich mir vorstellen kann.»

Crus für die Ewigkeit

Sämtliche Weine von López de Heredia werden jahrelang behutsam im historischen  Keller mit seiner besonderen Mikroflora ausgebaut, in Barriques aus amerikanischer Eiche, die bis zu 30 Jahre lang verwendet werden. Obwohl rechtlich gesehen alle Weine von López de Heredia als Gran Reservas vermarktet werden dürften (weil sie weitaus länger als die erforderlichen fünf Jahre ausgereift werden), werden weniger als zehn   Prozent der Produktion als Gran Reservas deklariert. 90 Prozent der Weine tragen die Bezeichnung «Reserva». Sämtliche López-de-Heredia-Weine können in der Flasche jahrzehntelang weiterreifen.
http://www.lopezdeheredia.com

Weine des Winzers

1 Viña Tondonia Reserva weiss 2004

17.5 Punkte | 2017 bis 2025

Zurückhaltende Aromen von kandierten Früchten, dazu Noten von Bohnerwachs, Erde und Pilzen. Im Gaumen dicht gewoben. Ein präsenter Gerbstoff und eine saftige,  belebende Säure sorgen für viel angenehme Frische.

 

2 Viña Tondonia Gran Reserva weiss 1991

18.5 Punkte | 2017 bis 2030

Subtile, breit gefächerte Aromatik mit Noten von Garrigue-Kräutern und Nüssen, dazu salzige und erdige Komponenten. Im Gaumen noch jugendlich frisch und lebendig. Belebende Säure.

 

3 Viña Tondonia Gran Reserva weiss 1976

18 Punkte | 2017 bis 2020

Reifes Goldgelb. Ausladende Aromatik mit kandierten Früchten, Vanille, Karamell und Wiesenkräutern. Im Gaumen enorm dicht gewoben, mit präsentem Gerbstoff und einer angepassten, reifen Säure. Noch immer voll auf der Höhe der Zeit.

 

4 Viña Tondonia Reserva rot 2005

17.5 Punkte | 2017 bis 2025

Noch fast jugendliche Aromen von roten Beeren, Wacholder, Nelken und Lakritze. Zeigt auch im Gaumen eine vornehm kühl anmutende Beerenfrucht. Dicht und geradlinig strukturiert. Geprägt von noch jugendlichem Charme.

 

5 Viña Tondonia Gran Reserva rot 1981

19 Punkte | 2017 bis 2030

Reifes Rot mit bräunlichen Reflexen. Aromen von reifen, aber gleichzeitig immer noch frisch wirkenden roten  Beeren, dazu ein Anflug von Erde, Pilzen und getrockneten Kräutern. Im Gaumen noch immer auf vibrierende Weise präsent. Höchst subtiler Wein
mit einer animierenden, reifen Säure.

 

6 Viña Tondonia Gran Reserva rot 1970

18 Punkte | 2017 bis 2025

Helles, glänzendes Rot im Glas. Zeigt noch immer viel frische, rotbeerige Frucht, dazu Noten von Unterholz, Leder und Erde. Im Gaumen subtil gebaut, aber doch sehr komplex und enorm frisch. Erinnert an einen grossen Burgunder.

 

7 Viña Tondonia Reserva rot 1964

18.5 Punkte | 2017 bis 2024

«Nur» eine Reserva, aber was für eine! Noten von Orangenblättern, Rauch und  Wacholder. Dazu ein Anfl ug von roten Beeren. Auch im Gaumen noch immer  erstaunlich fruchtbetont und wunderbar elegant. Wirkt in begeisternder Weise zart und äusserst präzise gebaut.

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren