Winzerlegende Joel Peterson, Kalifornien

No wimpy Wines!

Text: Ursula Geiger, Fotos: Bob McCLenahan

Joel Peterson ist eine kalifornische Legende. 1976 brachte er seine erste Ernte im Sonoma Valley ein – unter den wachsamen Augen von zwei Raben. Die Vögel zieren das Logo eines der bekanntesten kalifornischen Labels: Ravenswood. Heute gehört die Winery zur Constellation-Gruppe. Doch die Peterson-Story ist noch lange nicht vorbei.

Der Westen ist immer noch wild: «Beware of Rattlesnakes», warnt das Schild an der Natursteinmauer von Ravenswood. Glücklicherweise schützen feste Schuhe und Denim vor den Schlangen. Auch im Probierraum steht auf dem Brett an der Wand in roten Lettern, was Sache ist: «No wimpy wines allowed.» Nichtssagende Weine sind hier unerwünscht. Eine Breitseite gegen die als Rosé gekelterten süssen Zinfandel-Weine, die allzu oft als Cash Cows herhalten müssen. Die Sonne strahlt vom blauen kalifornischen Himmel, es ist ruhig, nur der Wind streicht durch die Bäume. Joel Peterson fährt im Tesla vor. Agil, fast schlaksig ist der über 70-Jährige. Bald sitzen wir im Schatten der Pergola, trinken Wein und plaudern. Peterson ist ein begnadeter Erzähler. Man durchschreitet mit ihm über 150 Jahre amerikanische Geschichte, angefangen bei seinen Vorfahren aus Nantucket, die den Walfang aufgaben und ab dem Jahr 1851 die fruchtbare Erde Kaliforniens anstelle der Wellen pflügten, bis zu Petersons Eltern, die zwei Leidenschaften hatten: «Architektur sowie Wein und gutes Essen». Die erste Passion verhalf ihm zu einer unbeschwerten Kindheit in einem vom Vater gebauten Haus aus Redwood-Holz in Point Richmond hoch über der Pazifikküste. Die zweite infizierte ihn mit dem Weinvirus. Als Zehnjähriger degustierte er mit seinen Eltern im «San Francisco Wine Sampling Club» Bordeaux und Burgunder, wobei peinlich darauf geachtet wurde, dass der Filius nichts schluckte und seine Eindrücke sauber zu Papier brachte. Kein Wunder, dass Petersons sensorisches Gedächtnis legendär ist.

Peterson lernte weder Winzer noch besuchte er die Wein-Uni in Davis. Er machte eine solide Ausbildung als Laborant, arbeitete in Berkeley und befasste sich in seiner Freizeit mit Reben und Weinbereitung.

Pure Fucking Magic

«In den 1970ern war es wichtiger, sich selbst zu finden, als in einem prestigeträchtigen Job viel Geld zu verdienen. Uns zog es aufs Land. Zurück zur Natur, zurück zur Scholle, zurück zu den Wurzeln.» Das Messen der Qualität am Terroir, die Einheit von Wein und Region, das war sein Ding. Er wollte nicht Pinots aus dem Burgund oder Cabernet und Merlot aus Bordeaux kopieren. Zinfandel, die urkalifornische Rebsorte, sollte es sein. Das handwerkliche Rüstzeug holte er sich ab 1971 bei Zinfandel-Pionier John Swan. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Reed Forster kratzte er 4000 Dollar Startkapital zusammen und begann, Winzer zu suchen, die ihre Trauben nach seinen Vorstellungen produzierten. Als Produktionsstätte wurde eine ehemalige Fabrik für Toiletten-Sitze angemietet. 1976 wurde die erste Ernte gekeltert. «Ich war mit einem Winzer handelseinig geworden, beobachtete die Reife der Trauben und die Wetterprognosen. Als sich ein Regensturm ankündigte, bat ich den Winzer, zu ernten und die rund 4000 Kilo Trauben in Kisten auf einen Truck zu laden.» Doch als Peterson am nächsten Morgen vor Ort war, standen die Kisten mit den Trauben nicht auf dem Truck, sondern gefüllt zwischen den Rebzeilen. Über die Hügel rollte der Regen heran. Zwei Raben liessen sich auf den nahen Bäumen nieder und unterhielten sich in ihrer Rabensprache. Ein düsteres Szenario wie in Edgar Allan Poes Gedicht. «Nimmermehr» krächzt da der Vogel.

«Zinfandel ist die Traube Kaliforniens. Sie gehört zu unserem kulturellen Erbe. Und sie schenkt uns kraftvolle und komplexe Weine mit feiner Säure und viel Potenzial zum Reifen.»

«Ich dachte, mein Traum vom Wein wird im Schlamm enden. Ich rannte allein durch die Rebzeilen, sammelte Kisten ein, stapelte sie vor dem Truck und hievte sie dann auf die Ladefläche. Vier Stunden später hatte ich 16 Tonnen Material bewegt. Es regnete überall um mich herum, aber nicht auf meine Ernte.» Erst als die letzte Zinfandel-Traube eingemaischt war, öffnete der Himmel seine Schleusen. «Das war PFM – Pure Fucking Magic», lacht Peterson. Es war die Geburtsstunde von Ravenswood und der Idee für das Logo mit den drei Raben. Entworfen hat es der Postergestalter David Lance Goines, der einmal sagte: «Wenn etwas von meinem Werk in Erinnerung bleibt, dann ist es das Ravenswood-Logo.»

Kein kometenhafter Aufstieg

Lange war Ravenswood das, was man heute als «Garage Winery» bezeichnen würde. Forster und Peterson hatten ihre Brotjobs, Freunde halfen gratis mit. Im Jahr 1981 wurde dann die Winery gebaut. 1983 stand es schlecht um die Finanzen, die Verlockung, mit White Zinfandel als Cash Cow den Break Even zu schaffen und die Bilanz auszugleichen, war gross. Aber Peterson hielt an seinem Leitspruch fest: «No pink, sweet, wimpy wine, no way.» Stattdessen wurde der Vintners Blend lanciert. Tausend Kisten waren es 1983, heute bewegt sich der Output im oberen sechsstelligen Bereich. 1991 zahlte sich Peterson erstmals ein Gehalt aus der Kasse von Ravenswood.

Ursprünglich war auch geplant, eigene Rebflächen zu kaufen, sobald es die Finanzen zuliessen. Doch Peterson wollte sich nicht an ein Stück Land ketten und damit seine kreative Freiheit als Winemaker aufgeben. Darum gibt es wahrscheinlich auch keine Rebfläche in Kalifornien, die Peterson nicht kennt. «Jeder einzelne Weinberg hat seine Eigenheiten. Die Trauben aus den tiefgründigen Böden von Lodi sorgen für die Blaubeer-Aromatik, jene aus Mendocino für rotbeerige Frucht und die Qualitäten aus Napa für die Würze.» Doch nach wie vor ist für Peterson Sonoma County das beste Zinfandel-Terroir. Weil es hier dank der Nähe zum Pazifik kühler ist und die Primärfrucht in den Trauben nicht verkocht. Gelitten hat er, als der Film «Sideways» in den 2000ern in Sonoma einen Pinot-Boom auslöste, dem etliche historische Zinfandel-Anlagen zum Opfer fielen.

Zurück in die Zukunft

Im Jahr 2001 kaufte Constellation Brands Ravenswood, Peterson blieb in den Anfängen als Chef-Weinmacher. «Meine Partner wollten sich altershalber zurückziehen, was ja verständlich ist. Und der Deal ermöglicht mir viele Freiheiten», kommentiert er die Zäsur in seinem Leben. Es glitzert verdächtig hinter den Brillengläsern und einen Moment lang ist nur das Schlürfen zu hören, als der 1994er Wood Road Zinfandel über unsere Zungen rollt. Ein wahres Monument dieser so oft missverstandenen Rebsorte und die Quintessenz von Joels Schaffen auf Ravenswood.

Doch das Rad des Lebens, welches auch das Ravenswood-Logo symbolisiert, dreht sich weiter. Peterson liess seine Prinzipien fallen und kaufte in Sonoma den Bedrock-Weinberg, dessen Rebbestand der Vater des Medienmoguls William Randolph Hearst im Jahr 1888 pflanzte. Damit unterstützt er den Brand «Bedrock Heritage» seines Sohnes Morgan. Morgan, der im zarten Alter von fünf Jahren den Vertragswinzern seines Vaters schon Pinot-Noir-Trauben abluchste, um daraus Weine wie einen «Romanée-Conti» zu keltern. Und Peterson startete sein eigenes Projekt «Once & Future». Die Trauben für seine Weine stammen von uralten Rebbeständen, die oft auch als Gemischter Satz (Mixed Black) angepflanzt wurden. Anteile von Carignan, Mourvèdre oder Petite

«Zinfandel ist ein Chamäleon. Die Beeren reifen nicht regelmässig aus. Das bringt Frische und Spiel in die Crus.»

Sirah stehen auf den Parzellen, die entstanden, bevor Cabernet und Co. die Westküste fluteten. «Mit 68 stellte ich mir die Frage, wie der Rest meines Arbeitslebens aussehen soll. ‹Once & Future› ist die Antwort.» Und er setzt hinzu: «Das Logo stammt übrigens auch von David Lance Goines.» Ob das Rebblatt mit dem Schlüsselloch wohl auch so ein beliebtes Tattoo-Motiv wie die Raben werden, möchte ich wissen. Peterson lacht und erzählt die Geschichte, wie ein Mädchen einst an einem Ravenswood-Tasting in Texas mit den Worten «Ich liebe deinen Wein und dein Logo» den Rock hob und ihm ihren wohlgeformten Popo mit dem Rabenring-Tattoo hinstreckte.

Spitzen-Crus von alten Reben

Peterson holt das Maximum aus dem Lesegut heraus. Nach dem Abbeeren wird die Maische in kleinen, offenen Holzbottichen vergoren. Der Tresterhut wird von Hand mit einem Holzstössel untergearbeitet. Spontane Gärung, Ausbau in europäischer Eiche und unfiltriert abgefüllt sind die Weine kräftig und von brillanter Eleganz.

Ravenswood Sonoma Zinfandel
Big River Vineyard Alexander Valley 2015

17.5 Punkte | 2020 bis 2030

Die im Jahr 1983 gepflanzten Reben stehen auf einer Halbinsel am Russian River auf eisenhaltigem Manzanita-Lehm. Würzige, rotbeerige Frucht, noch etwas verhalten. Die satten 15,9 Vol.-% Alkohol sind am Gaumen kaum spürbar. Sattdessen gibt die Säurestruktur Rückgrat und Länge. Auch das Holz – der Wein reifte 19 Monate in Barriques aus europäischer Eiche (davon 40 Prozent Neuholz) – ist perfekt eingebunden. Zu Sirloine-Steak, Spareribs oder mit der feinen Würze zu Burritos, gefüllt mit schwarzen Bohnen und gebratenen Paprika-Schoten.

Ravenswood Sonoma Zinfandel
Woodroad Belloni Russian River Valley 1994

19 Punkte | 2019 bis 2024

Monumentaler, gereifter und immer noch lebendiger Zinfandel mit herrlichen Noten von mediterranen Kräutern, Salbei, einem Hauch Lavendel und diskreten Röstaromen. Die feine Boysenbeeren-Frucht zeigt sich am Gaumen. Säure, Alkohol und Tannin sind jetzt in perfekter Balance. Zu geschmortem Wild.

Ravenswood Sonoma Monte Rosso Zinfandel 1997

18 Punkte | 2019 bis 2025

1997 war ein grossartiger Jahrgang für Cabernet Sauvignon und Zinfandel. Die Trauben stammen von höher gelegenen Parzellen, was sich in den typischen Noten von Orangenzeste zeigt, dazu etwas Umami und Noten von Pumpernickel. Zupackende Säure am Gaumen. Feine, würzige Reife.

Once & Future Sonoma Valley
Zinfandel Bedrock Vineyard 2016

18 Punkte | 2021 bis 2032

«Hallelujah! I sold the vineyards to Mr. Hearst, buying my wife the diamond she deserves. Moving East!» Kabelte Eli F. Shepherd nach dem Verkauf seiner Bedrock-Parzelle an einen Freund. Mit viel Aufwand brachten Joel und Morgan Peterson den von Dünger, Pestiziden und schweren Maschinen geschädigten Boden wieder auf Vordermann: kirschrote, komplexe, feingliedrige Frucht, Weichseln, etwas Tabak, zarte Würze. Engmaschig, fast kreidiges Tannin, vibrierende Säure, pure Himbeere im Finish.

Once & Future Napa Valley
Petite Sirah Palisades Vineyard 2015

17.5 Punkte | 2022 bis 2030

Die Sorte Durif, eine spontane Kreuzung aus Syrah und Peloursin, heisst in Kalifornien Petite Sirah: intensives Purpur-Violett. Braucht unbedingt Luft und zeigt dann Noten von Pfeffer, Garrigue und etwas Zedernholz. Straff am Gaumen, dicht, mit seidigem Tannin und einem klaren, puren Finale.

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren

Das könnte Sie auch interessieren