Er macht und machte Weine für den Papst, Sting und sogar für Putin

Riccardo Cotarella, Italiens Flying Winemaker

Text: Christian Eder, Fotos: Christian Eder, z.V.g.

  • Im Gebiet zwischen Umbrien und Lazio liegen die Rebberge der Familie Cotarella und ihres Gutes Falesco.
  • Enrica, Dominga und Marta führen heute das Unternehmen und pflegen die Philosophie ihrer Väter: Gefühl für das Terroir, gepaart mit Wissenschaft.
  • Das Reiten ist für für Riccardo Cotarella zu einer Leidenschaft geworden. Acht Pferde stehen inzwischen in den Ställen.

Er macht und machte Weine für den Papst, für Sting und – auch wenn es momentan nicht als Renommee gilt – für Putin: Riccardo Cotarella, der wohl bekannteste Flying Winemaker Italiens. Auf seinem Familienweingut in Montecchio in Umbrien verbindet er die Pflege der lokalen Weinbautradition mit seiner Liebe zu den Bordelaiser Trauben und moderner Wissenschaft.

Mit «Flying Winemaker» trifft die Berufsbezeichnung von Riccardo Cotarella wohl am besten zu: Gleich nach unserem Treffen muss er wieder in die Abruzzen. Da fährt er mit dem Auto, wenn auch mit Chauffeur. Flugzeuge hingegen bringen ihn nach Schweden, Mallorca, Israel oder Japan, wo der Gran Signore des italienischen Weins überall Güter berät. Arbeit sei auch sein Rezept, um fit zu bleiben, meint der 74-jährige. Nicht zuletzt deshalb steht er auch seit zehn Jahren der Assoenologi vor, der Vereinigung der italienischen Önologen und ist Präsident des internationalen Önologenverbandes. Von «meinem» Wein zu sprechen sei für den, der es einmal erfahren hat, eine Droge, ist er überzeugt. Deshalb gäbe es seinen Beruf, den «Konsulenten». Zu den Dutzenden Gütern die er in Italien berät, zählen Stings Tenuta Il Palagio in der Toskana ebenso wie das Gut des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Massimo d’Alema, La Madeleine, in Umbrien, oder der Weinberg des Papstes im Lazio. Nicht zu vergessen das beispielhafte Resozialisierungsprojekt San Patrignano im Hinterland von Rimini, in dem er jahrelang tätig war. Die «ragazzi» von San Patrignano, die dort abseits staatlicher Einrichtungen nach ihren Drogenproblemen einen Beruf erlernen und ins Leben zurückfinden, haben ihm einst aus der eigenen Zucht ein Pferd geschenkt, «weil sie dachten, vom Sattel aus könne ich die Rebberge besser überblicken», schmunzelt Riccardo. Daraus hat sich für ihn eine weitere Passion entwickelt: Acht Pferde nennt er inzwischen sein Eigen, die Hälfte davon steht in der kleinen Fattoria Tellus neben dem eigenen Gut der Familie Cotarella in Montecchio. In der Fattoria bringt er bei Besuchen Schülern und Privatpersonen die Landwirtschaft näher.

Zwei Brüder, zwei Seelen

Im Grenzgebiet zwischen Umbrien und Lazio liegt auch der Nukleus der Familie Cotarella: Von der Terrasse des Gutes aus erblickt man in der Ferne das Dörfchen Monterubiaglio, wo Riccardo und sein um sechs Jahre jüngerer Bruder Renzo aufwuchsen. Auch Renzo ist Agronom und Önologe, er hat nach seiner Ausbildung in Orvieto begonnen, bei Antinori zu arbeiten und ist heute CEO der Güter der toskanischen Weinbaudynastie. «Aber wir gehen beruflich getrennte Wege, die sich nur bei unserem Familienweingut treffen», erklärt Riccardo, «wenn auch kein Tag vergeht, an dem wir uns nicht mindestens zwei-, dreimal hören.» Der frühe Tod ihrer Eltern habe die beiden zusammengeschweisst, meint Riccardo: «Er ist meine Seele und ich bin seine.» Nicht nur das: Sie teilen sich mit ihren Familien ein Haus, gekocht und gegessen wird gemeinsam und das einzige Bankkonto der Familie läuft auf ihrer beider Namen.

Da lag es natürlich auf der Hand, das gemeinsame Unternehmen Famiglia Cotarella zu nennen: Neben dem Gut Falesco – 1979 gegründet – gehört dazu seit 2016 noch Le Macioche in Montalcino. Die Idee dahinter war natürlich, für die nächste Generation der Familie vorzusorgen: Das sind die Töchter von Riccardo und Renzo, Dominga, Marta und Enrica. Riccardos Schwiegersohn Pier Paolo Chiasso steht ihm darüber hinaus bei seiner Arbeit als «Flying Winemaker» zur Seite. Mehr als einhundert Weinbauspezialisten hat er selbst ausgebildet: Noch heute sei die Basis seiner Arbeit, dass er in jeder Kellerei – von Leone de Castris in Apulien bis zur Eisacktaler Kellerei in Südtirol - einen verlässlichen Önologen habe, versichert er.

Aber was macht einen guten Konsulenten aus, fragen wir ihn, während wir uns zu einer kleinen Degustation seiner Weine an den Tisch setzen: «Das ist vor allem das Fingerspitzengefühl für den Winzer und den Wein», meint Riccardo nach einer kleinen Nachdenkpause, «dass man nicht versucht, dem Betrieb seine eigenen Vorstellungen aufzudrücken, sondern dass man die Ideen des Winzers umsetzt – mit Rücksicht auf das Terroir.» Ihm lag es dabei immer am Herzen, das Bild des Önologen zu verbessern, ihn von dieser Aura des Zauberers, des Mystikers zu befreien.

«Wo es Wissenschaft gibt, gibt es kein Mysterium.»

Dafür seien Technik und Wissenschaft unverzichtbare Hilfsmittel, ist er überzeugt. Es gäbe aber kein Patentrezept: Jeder Betrieb brauche einen anderen Zugang. Darunter sind hin und wieder auch schwierige Fälle: Mit Putin und seinem Weingut hat Cotarella die Kooperation schon lange vor dem Ukraine-Krieg wieder beendet. Der russische Präsident sei aber immer ein Anhänger italienischer Weine gewesen, erzählt er, wenn auch als Person unnahbar.

Ein anderer wichtiger Faktor zum Erfolg eines Önologen werde oft vergessen, fügt Riccardo hinzu: «Ein Önologe muss nicht nur im Rebberg und im Labor arbeiten können, sondern dem Konsumenten zuhören.» Deshalb habe er selbst jahrelang die USA und andere Regionen bereist, immer mit einer Tasche voller Wein im Gepäck. Damals hat er gelernt, seinen Wein erzählen zu können, mit Gesten, mit Blicken und vor allem viel, viel Passion. Eine Reise nach Bordeaux war später ein weiterer Schlüsselmoment: Robert Parker hat ihm dabei die Tore der grossen Châteaux geöffnet. «Die Kultur des Weines konnte man dort überall atmen», erinnert er sich.

Gemeinsam neue Wege beschreiten

So begann Riccardo gemeinsam mit Renzo auf ihrem Weingut Falesco in Montefiascone neue Wege zu beschreiten, unter anderem mit Bordelaiser Trauben zu experimentieren. Aus einer speziellen Klonselektion entstand in diesem Jahr der Montiano, einer der grossen Merlots Italiens: Von betörender Frucht und finessenreich ist er noch heute ein Aushängeschild des Gutes. Ihre erste Kreation war allerdings ein «neuer» Est! Est!! Est!!! – die historische DOC des Lazio. «Unserer war aber etwas ganz anderes als der meist recht einfache Trinkwein, den es damals gab,» sagt Riccardo, während er den strohgelben Est! Est!! Est!!! Poggio dei Gelsi im Glas schwenkt. Bis dahin wurden in erster Linie Trebbiano Toscano und Malvasia für den Wein verwendet. Von der viel interessanteren autochthonen Rebsorte Roscetto waren hingegen nur ein paar Prozent im Blend erlaubt, erzählt Riccardo: «Selbst ich habe 12 Jahre gebraucht, um Roscetto zu verstehen.» Nicht zuletzt seiner Forschung wegen darf die delikate Traube mit den dicken Schalen heute bis zu 40 Prozent im DOC-Wein verwendet werden. Mit dem Ferentano widmet ihr Cotarella auch einen Rebsortenwein, vielschichtig, elegant und langlebig.

Die Erfahrung, die er in mehr als 50 Jahren gesammelt hat, will der Önologe natürlich auch weitergeben. Nicht nur innerhalb der eigenen Familie: Vier Enkel, zwei Jungs und zwei Mädchen bilden die nächste Generation. Sein Enkel Riccardo Junior arbeitet sogar schon in der Kellerei mit. Das «Weitergeben» bedeutet für den Grossvater auch, an der Universität von Viterbo als Dozent zu arbeiten. Nicht nur der reinen Wissenschaft wegen: Manchmal erzählt er den Studenten auch von seinen Lehrmeistern und Freunden. Dazu zählen neben Robert Parker auch die Önologenlegende Giacomo Tachis und der Wissenschaftler Attilio Scienza, die den Weg für den modernen Weinbau in Italien bereitet haben. Und er erzählt auch von der Leidenschaft, die man braucht, um Wein zu «machen»: «Der Wein ist ein Werk des Menschen» sagt er abschliessend, bevor er sich auf den Weg in die Abruzzen macht, «aber was ist nicht alles drin in einer Flasche? Ein ganzes Universum.»

Weine mit Furore

Zwischen Lazio, Umbrien und der Toskana finden sich die Weinberge der Familie Cotarella. Das jeweilige Terroir findet man in den Weinen wieder.

Est!Est!!Est!!! di Montefiascone DOP Poggio dei Gelsi 2021

16.5 Punkte | 2023 bis 2035

40 Prozent Roscetto bilden neben Trebbiano Toscano und Malvasia die Basis: Der frisch-fruchtige Bianco duftet nach Limonen und Blüten; im Mund ist er frisch, die Säure lebendig, der Ausklang lang auf Noten von Zitrusfrüchten, Ananas; dezente Bittermandelaromen.

Lazio IGT Sauvignon Il Punto 2020

17 Punkte | 2023 bis 2027

Zu 20 Prozent in Holz fermentiert: Elegante Nase nach Steinobst, Blüten und einem Hauch Minze; ausgewogen im Mund mit viel Schmelz und Schliff, auch salzigmineralische Komponenten, vereint Fruchtigkeit und Eleganz. Zu einem Risotto mit Meeresfrüchten.

Lazio IGP Ferentano 2019

17.5 Punkte | 2024 bis 2029

Die lange Vergärung sorgt für die Vielschichtigkeit dieses Weines aus Roscetto, bei dem die dicke Schale durch Cryomazeration aufgebrochen wird: Sinnliche Noten von exotischen Früchten, Orangenzesten, zarte Blütenaromen; am Gaumen präzise und saftig, opulenter Ausklang. Zu Pasta mit Trüffeln.

Lazio IGT Montiano 2019

18 Punkte | 2024 bis 2032

Reinsortiger Merlot, in Stahl vergoren, in Holz gereift: Startet mit Esprit auf Noten von mediterraner Macchia, Kaffee und Kirschen, durch Schwarzbeeraromen aufgepeppt; am Gaumen geschmeidig mit engmaschigen Gerbstoffen, hat Druck und Schliff und endet in einem eleganten Beerenfinish.

Umbria IGP Rosso Marciliano 2018

18.5 Punkte | 2025 bis 2030

Blend aus Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon: Duftet nach Schwarzbeeren, Kirschen, Tabak und Pfeffer; der Auftakt vollmundig und kernig, von einer punktgenauen Säureader getragen, endet lang und facettenreich. Passt zu einem würzigen Rindersteak.

Le Macioche - Brunello di Montalcino DOCG Riserva 2016

18 Punkte | 2025 bis 2032

Bezauberndes Parfum von weissen Blüten und Himbeeren und getrockneten Blüten mit Gewürznoten unterlegt; harmonischer, kräftiger Bau mit schönem Schliff, punktgenau und von der frischen Säure getragen, elegant und lang. Zu einem Wiener Tafelspitz.

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