Winzerlegende: Angelo Gaja

Pasta bei den Gajas

Text: Christian Eder, Fotos: Sabine Jackson

  • Angelo Gaja
    Trotz seiner 73 Jahre ist er ständig unterwegs, um nicht nur seine Weine, sondern das Piemont und Italien in der Welt zu vertreten.
  • Angelo Gaja
    Wir sind beim «Apostel des italienischen Weins» zu Tisch geladen.
  • Angelo Gaja
    «Mit meinem Vater habe ich um vieles gerungen. Ich bin glücklich, dass wir diesen Weg gegangen sind. Dieses Erbe kann ich jetzt weitergeben.»
  • Angelo Gaja
    Bis heute führt Angelo Gaja seinen Betrieb als Familienunternehmen, das seine Kinder einmal übernehmen werden.
  • Angelo Gaja
    Vieles hat seine ältere Tochter Gaia übernommen, manches auch seine jüngere, Rosanna. Sein Sohn Giovanni, der Dritte im Bunde, studiert noch in Turin.

Spaghetti con Pomodoro e Basilico kommen auf den Tisch. «Nichts Ausgefallenes, nur das, was wir auch immer essen», hatte uns Angelo Gaja versprochen. Wir sind beim «Apostel des italienischen Weins», wie ihn Hugh Johnson jüngst bezeichnete, zu Tisch geladen. Seine Frau Lucia kocht.

 

Das hatte ich nicht zu hoffen gewagt, als ich Angelo Gaja anrief, um einen Interviewtermin zu vereinbaren. Ein besonderes, persönliches Gespräch sollte es werden. Eher spasseshalber schlug ich vor, er könne ja etwas für uns kochen. Die Antwort kam prompt: «Ich koche nicht. Aber meine Frau macht das.» Wir hatten ein Date.

Bevor wir in die Küche dürfen, gibt es natürlich das Outdoor-Programm: Wir stehen mitten in den Nebbiolo-Pflanzen von Serralunga, wo der Sperss entsteht. Angelo Gaja rümpft die Nase: «Seit 52 Jahren mache ich das nun mit und habe gar nichts gelernt», sagt er mit einem schelmischen Zwinkern, «jeden Tag blicke ich zum Himmel und weiss nicht: Regnet es oder nicht, soll ich lesen oder noch warten?» Auf der anderen Seite des Tales erheben sich die Hügel der Langhe im herbstlichen Sonnenschein, die Blätter haben sich zum Teil schon verfärbt, leuchten grün, rot und gelb.

Angelo Gaja, die weissen Haare lockernach hinten gekämmt, schnappt sich eine Traube, beisst hinein und schüttelt den Kopf: «Etwas können wir noch warten, aber nicht zu lange», meint er, «wir sollten in den nächsten Tagen mit der Lese beginnen.» Dann marschiert er wieder los, eilt fünf Schritte vor mir den Hügel hinauf zu seinem Auto. Seit dem Morgen sind wir unterwegs, schauen uns die Weinberge an, die Gaja in La Morra und in Barbaresco besitzt. Nirgends hat er bisher zu lesen begonnen, manch anderer ist schon fertig. «In der Toskana haben wir schon alles im Keller», sagt er, während er kurz darauf wartet, dass ich zu Atem komme, «in Bolgheri ist die Lese ganz beendet, in Montalcino so gut wie.»

Dann geht’s wieder weiter, erst vor den Hofgebäuden machen wir halt: Mit einer modernen Beton-Stahl-Konstruktion aufgemotzt, prägen sie das Bild der Landschaft am Hang des Barolo-Dorfes Serralunga. Angelo Gaja ist sehr stolz darauf. Sein Freund, der Architekt Giovanni Bo, der auch seine Bolgheri-Kellerei Ca'Marcanda in der Toskana entworfen hat, hat das geplant. «So ist es optimal in die Landschaft eingebunden, ganz natürlich», ist Angelo Gaja überzeugt, «viel besser als davor, als es nur hässliche Bauten waren.»

Die Naturnähe, man könnte auch sagen Nachhaltigkeit, ist Angelo Gaja besonders wichtig: Seine Rebberge im Piemont erkennt man auch daran, dass sie grün sind, ohne biologisch zertifiziert zu sein, zwischen den Rebzeilen wachsen Getreide und andere Pflanzen. Ganz anders als bei den meisten seiner Nachbarn. «Eine natürliche Pflanze kann nur in einem natürlichen Umfeld wachsen», sagtGaja, bevor wir in seinen Wagen springen und nach Barbaresco brausen.

Der rastlose König

Angelo Gaja ist keiner, der sich zurücklehnt und auf seinen Lorbeeren ausruht. Trotz seiner 73 Jahre ist er ständig unterwegs, um nicht nur seine Weine, sondern das Piemont und Italien in der Welt zu vertreten. «Il Re d’Italia», den König Italiens, so hat ihn mal ein Kellner in New York begrüsst. Selbst am Wochenende, wenn er etwas Zeit hätte, um Golf zu spielen oder auf der Couch zu liegen, steigt er aufs Rad und strampelt mit Freunden über steile Strassen in die Alta Langa.

Vor etwas mehr als zehn Jahren, als ich Gaja zum ersten Mal traf, war die Stimmung nicht so herzlich wie heute. VINUM hatte ihn mit einem Artikel verärgert, der provokant fragte: «Angelo Gaja, haben Sie den Barbaresco verraten?» Das war im Sommer 2000. Gaja hatte mit dem Jahrgang 1996 beschlossen, seine grossen Einzellagenweine Sperss, Sori Tildin oder Sorì San Lorenzo nicht mehr unter dem Barolo oder Barbaresco DOCG auf den Markt zu bringen, sondern als Nebbiolo DOC. Unsere böse Frage: Vielleicht wolle er ja nur Kontrollen vorbeugen, um nicht als Schwindler dazustehen? Bei einem Nebbiolo DOC könne man nämlich bis zu 15 Prozent andere Rebsorten wie Cabernet oder Merlot hinzufügen. Gaja war empört, erklärte, er wolle sich die Option offenhalten, seinem Nebbiolo ein paar Prozent Barbera hinzuzufügen, um die Säure besser zu integrieren. Aber nur, wenn der Jahrgang es verlange.

Die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden: Heute haben sich alle daran gewöhnt, dass Sperss und Co keine DOCG-Weine mehr sind, und die Marke Gaja ist stärker denn je. So spielt denn auch der «Skandal» von damals in unserem Gespräch keine Rolle mehr, andere Themen sind jetzt wichtig: weinpolitische Fragen, Italien und der Klimawandel zum Beispiel. Aber auch die ganz persönliche Zukunft. So hat sich Angelo Gaja bereits ein wenig wenn auch nicht sehr viel aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Vieles hat seine ältere Tochter Gaia übernommen, manches auch seine jüngere, Rosanna. Sein Sohn Giovanni, der Dritte im Bunde, studiert noch in Turin.

«Ich bin kein Gourmet»

Angelos Frau Lucia steht bereits in der Küche, als wir in Gajas Villa am Ortseingang von Barbaresco ankommen, bereitet den Salat und die Nudeln vor: Es wird nichts Grosses sein, erklärt sie, nur das, was Angelo und seine Familie auch täglich essen. Heute sind das Spaghetti mit Tomaten und Basilikum. Ganz klassisch. «Ich liebe die einfachen Dinge», sagt Angelo Gaja mit einem verschmitzten Lächeln, «ich bin kein Gourmet.»

Derweil trudeln auch die Töchter ein. Während Gaia schon als Student in in die Fussstapfen des Vaters trat, studierte Rosanna etwas Artfremdes: Psychologie. Als sie ihre Entscheidung zu Hause bekannt gab, knallten ein paar Tage die Türen im Hause, wenn ihr Vater sie sah, erzählt sie. Aber das ist lange vorbei, inzwischen kümmert sie sich im Unternehmen um den Verkauf. Die ältere Tochter Gaia ist für die Überseemärkte zuständig.

 

«Schwierige Sachen haben mich immer mehr gereizt als einfache. Auch beim Wein.»

Als Aperitif kommt ein Sauvignon Blanc vom Rebberg Alteni di Brassica auf den Tisch. Mit seinem Sauvignon, ebenso wie mit seinem Chardonnay und dem Cabernet Sauvignon, wollte Gaja beweisen, dass auch diese Trauben im Piemont gedeihen. Zugleich wies er darauf hin, dass daneben eine weitere Traube wächst, die noch besser ist: Nebbiolo. «Cabernet ist wie John Wayne, Nebbiolo wie Mastroianni», hat Angelo Gaja mal gesagt.«Cabernet hat eine starke Persönlichkeit, offen, leicht zu verstehen und dominant. Wenn Cabernet ein Mann wäre, würde er jeden Abend seine Pflicht im Bett erfüllen, aber immer in dergleichen Weise. Nebbiolo andererseits ist der nachdenkliche Mann im Eck, schwerer zu verstehen, aber unendlich vielschichtiger.»

Zu den Spaghetti hat Angelo Gaja eine Magnum Barbaresco von 1999 gewählt. «Wein darf am Tisch nie fehlen», sagt er. Und sein Barbaresco sei das Aushängeschild seines Betriebs, es ist der Wein, den seine Familie 150 Jahre lang produziert hat. Die Frucht von 14 verschiedenen Rebbergen, so meint er, sei wichtiger als alle seine Einzellagen. Aber die grösste Herausforderung, die ihm und dem Weinbau noch bevorstehe, sei die globale Erwärmung. «Man muss sich darauf vorbereiten, obwohl das Piemont bislang relativ wenig davon betroffen ist.» Nicht nur das, die Klimaerwärmung hat den Vorteil, dass die Trauben im Piemont nun früher ausreifen können. Schliesslich kommt Angelo Gaja auf die andere grosse Traube zu sprechen, die Italien hervorgebracht hat, Sangiovese, und auf seine Weingüter in der Toskana, die er seit Mitte der 90er Jahre besitzt: Pieve Santa Restituta bei Montalcino und Ca’ Marcanda bei Bolgheri. Fast jede Woche ist er einmal dort: Frühmorgens um halb fünf fährt er los, «da haben die Carabinieri noch nicht mal ihren ersten Espresso intus.»

Plötzlicher Themenwechsel: Gaja kommt mit der Fotografin ins Gespräch und gesteht, während er durch ihre Kamerablickt, dass auch er gern fotografiert: «Schwierige Sachen haben mich immer mehr gereizt als einfache.» Auch bei den Weinen sei das so, wie beim Sperss aus Serralunga: Der gebe sich in seiner Jugend oft sperrig, kantig, brauche Zeit zum Reifen. Aber dann zeige er seine Grösse. Ähnlich war es bei Angelo selbst, er hat in seinen frühen Jahren oft mit seinem Vater gerungen, um gegen dessen Willen seine Ideen von modernen Vinifikationsmethoden und Barriques durchzusetzen. Aber gerade dadurch wurde Gaja erst der italienische Leitbetrieb, der er heute ist. Angelo Gaja blickt heute milde zurück auf diesen Generationenkonflikt: «Wir können uns glücklich schätzen, dass wir vor uns Personen hatten, die uns gezeigt haben, wo es langgeht. Jetzt ist es natürlich wichtig, dass ich dieses Erbe auch weitergebe», meint er mit einem Blick auf seine Töchter.

«Wein zu produzieren ist eine aussergewöhnliche Arbeit, man ist so sehr vom Wetter und vom Klima abhängig. Wir stehen immer mit einem Bein in der Natur und mit dem anderen im ‹normalen› Leben. Es gibt nicht viele Arbeiten, die so facettenreich sind.»

Als wir die Gajas wieder verlassen, lässt es sich Angelo nicht nehmen, uns vom Hof ausnachzuwinken, bis wir durch das Tor verschwunden sind. Auf dem Weg zurück nach Alba fallen die ersten Tropfen auf die Windschutzscheibe: Die Lese in Gajas Weinbergen muss also noch etwas warten. Aber wie hat Angelo Gaja gesagt? «Das Dach des Weinbauern ist der Himmel.»

Angelo Gaja - Ausgewählte Weine

Zu den sehr guten Jahrgängen der Gaja-Weine zählen, wie grundsätzlich bei den Barbaresco und Barolo, ganz sicher 1985, 1989 und 1990 sowie die lange Reihe von 1995 bis 2001. Unter den jüngeren sticht der 2008er wegen seiner Eleganz hervor.

Weine des Winzers

 

1 Ca' Marcanda – Ca' Marcanda 2009

17 Punkte | 2014 bis 2018

Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc werden getrennt vergoren, anschliessend bleibt der Wein 18 Monate in Barriques. Komplexes, fruchtiges Bouquet; am Gaumen gut gebaut, fruchtigopulentes Finale.

 

2 Pieve Santa Restituta – Sugarille 2008

17 Punkte | 2016 bis 2021

Die Brunello werden wie die Nebbiolo ausgebaut: ein Jahr Barrique, gefolgt von einem Jahr im grossen Holzfass, anschliessend Flaschenreife. Noten von Veilchen und Steinobst; am Gaumen geschmeidig, mit rassiger Säure, sollte noch reifen.

 

3 Gaja – Barbaresco 2010

17.5 Punkte | 2016 bis 2022

Ein Klassiker aus den Trauben von 14 Rebbergen. Einladende Nase; gut ausbalanciert zwischen Säure und Tannin, endet auf Noten von Pflaume, Lakritze und dezentem Holz.

 

4 Gaja – Costa Russi 2010

18 Punkte | 2017 bis 2024

Reift wie alle Einzellagen von Gaja je ein Jahr in Barriques und im grossen Holzfass. Frische Fruchtaromen, im Mund voluminös, charaktervolle Gerbstoffe, vielschichtig im Abgang.

 

5 Gaja – Sorì Tildin 2010

17.5 Punkte | 2016 bis 2022

Granatfarbener, komplexer und doch eleganter Wein: körperbetont, mit rassigen Gerbstoffen und einem langen, fruchtigen Finale.

 

6 Gaja – Sorì San Lorenzo 2010

18 Punkte | 2017 bis 2025

Dicht in der Farbe mit Noten von Maraschino-Kirschen, Waldbeeren; am Gaumen rassig, gut, die Tannine noch etwas kantig, aber mit Fülle und Länge. Sollte noch reifen.

 

7 Gaja – Sperss 2009

18 Punkte | 2018 bis 2024

Gefällt bei aller Jugendlichkeit mit seiner Balance, wirkt kernig, rassig und hat doch grosse Fülle. Verführerisch fruchtiger Abgang auf Aromen von Waldbeeren und Lakritze.

 

8 Gaja – Conteisa 2009

17.5 Punkte | 2017 bis 2023

Angelo Gajas Interpretation des Terroirs von Cerequio: florales Bouquet; voll im Körper, dicht und elegant in der Nase, geschliffene Tannine, würzig und lang.

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