Rudi Bindella im Interview

«Die Bezeichnung Nobile soll in die Tat umgesetzt werden»

Fotoa: WWW.ALESSANDROMOGGI.COM, z.V.g.

Herr Bindella, die Tenuta Vallocaia ist seit 1983 in Ihrem Besitz. Was hat Sie damals bewogen, das Gut zu erwerben? Haben Sie es je bereut?

1971 habe ich in Perugia studiert. Umbrien und die Toskana faszinierten mich immer mehr, ganz besonders das Städtchen Montepulciano, eingebettet in eine Umgebung von atemberaubender Schönheit. Hier würde ich mich eines Tages gerne niederlassen, war der spontane Gedanke… Seit den 80er Jahren richteten wir uns konsequent auf Italien aus. Dazu gehört auch die Ablösung unseres Weinbaus in der Westschweiz durch den Aufbau der Weinbautätigkeit in Italien. Die erste Wahl fiel damals etwas nostalgisch auf Montepulciano. Diesen Entscheid haben wir nie bereut – im Gegenteil.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Vino Nobile di Montepulciano und seiner Ursprungsregion in diesen Jahren?

Der Vino Nobile verharrte in einer Stagnation. Das reich vorhandene Wertschöpfungspotenzial wurde zu wenig genutzt. Vino Nobile ist u.E. vor allem der bewährten Tradition gewidmet und weniger den kurzlebigeren Modeströmungen. Die Pflege dieser Tradition «auf höchster Oktave» sehen wir als unsere Berufung.

Was unterscheidet einen Vino Nobile von den anderen grossen Sangiovese-Weinen der Toskana, vor allem Brunello di Montalcino und Chianti Classico?

Montepulciano besitzt einzigartige geologische, pedologische, landschaftliche und kulturelle Eigenarten, welche dem Vino Nobile eine unverwechselbare Identität verleihen. Auch wenn die drei Anbaugebiete benachbart sind, schaffen die sehr unterschiedlichen Böden und Mikroklimata dem Sangiovese einen eigenständigen Ausdruck – bezüglich Aromatik, Säure, Polyphenolen und Konzentration.

Sie produzieren den Vino Nobile Bindella, den I Quadri und die Riserva Vallocaia. Was sind die Unterschiede zwischen diesen Weinen?

Vino Nobile bereiten wir klassisch-traditionell gemäss den reglementarischen Vorgaben. IQuadri – reiner Sangiovese – präsentieren wir als eine etwas modernere Interpretation des Vino Nobile, vor allem bezüglich des Ausbaus im kleinen Holz und längerer Flaschenlagerung. Vallocaia – auch reiner Sangiovese – trägt den Namen des Weinguts und entsteht aus einer Selektion der vorzüglichsten Lagen und Trauben.

Die Tenuta Vallocaia ist auch Teil des vom Winzerkonsortium mitgetragenen Projektes Pievi, in dem die Unterschiede des Terroirs der Rebberge von Montepulciano im Mittelpunkt stehen. Was hat Sie dazu bewogen, mitzumachen?

Das Projekt widmet sich der Renaissance des Vino Nobile; das ist auch uns ein prioritäres Anliegen. Es sollen die reichen Ausdrucksformen des Sangiovese in den unterschiedlichen Anbauzonen bzw. Terroirs von Montepulciano in Wert gesetzt werden. An den Zielen des Projekts arbeiten wir seit Beginn unserer Ankunft, weil wir grossen Respekt haben vor der traditionsreichen Weinbaukultur von Montepulciano.

In den vergangenen Jahren haben Sie das Weingut komplett restrukturiert: Was waren die Vorgaben für die neue Geburtsstätte Ihrer Weine?

Die Bezeichnung «Nobile» soll in die Tat umgesetzt werden: Montepulciano hat in jeder Hinsicht viel zu bieten – kulturell, archäologisch, landschaftlich, architektonisch wie auch für das verführerische Geniessen. Die Besucher und Besucherinnen von Vallocaia sollen ein unvergessliches Erlebnis mitnehmen. Dafür haben wir viel in die besten Reblagen und Klone sowie in eine modernste technische Infrastruktur investiert. Unzertrennlich gehört für uns auch die selbstverständliche Einbindung der zeitgenössischen Kunst dazu – wie überall in unserer Unternehmung.

Unter anderem hat auch ein Teil Ihrer Kunstsammlung ein neues Heim in der Kellerei gefunden. Wie wichtig ist Ihnen diese Symbiose von Kunst und Wein?

In allen unseren Unternehmungen ist die Kunst selbstverständlicher Bestandteil. Als Stille, wohltuende Kraft. Sie prägt die Umgebung und wirkt sich auf die Mitarbeitenden und Gäste aus. Einfacher formuliert: Unsere Weine sollen die Schönheit der Landschaft und der Räume spiegeln, in denen sie aufwachsen.

Haben Sie ein Lieblingswerk, das nun in den neuen Kellern besonders glänzt?

Die Komposition von Malerei und Bildhauerei soll begeistern. Besonders faszinierend wirken auf mich die Bilder von Christopher Lehmpfuhl und die Skulpturen von Flora Steiger-Crawford.

Sie keltern auf Vallocaia nicht nur Prugnolo Gentile und andere autochthone Rebsorten, sondern auch Sauvignon Blanc, Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah, die Basis von Rebsortenweinen. Wie sehr sind die Weinberge der Tenuta Vallocaia auch für diese Trauben geeignet? 

Montepulciano ist die Heimat des Sangiovese. Dazu finden wir ergänzend auch ausgesuchte, passende Lagen für internationale Sorten. Mit hervorragenden Ergebnissen, je nach Jahrgang– vor allem für den Sauvignon Blanc.

Dolce Sinfonia ist Ihr Vin Santo di Montepulciano DOC, den es in einer weissen Version und als Occhio di Pernice aus roten Trauben gibt. Wie wichtig ist es Ihnen, diese alte Tradition zu bewahren?

Die Pflege dieser Traditionen liegt uns sehr am Herzen. Sie gehören zum kulturellen Verständnis wie beispielsweise Latein und Griechisch im Gymnasium. Das gilt auch für das Olivenöl. Dabei treten die kommerziellen Aspekte eher in den Hintergrund.

Und last, but not least noch ein persönlicher Tipp: Was sollte man auf keinen Fall bei einem Besuch in Montepulciano verpassen zu sehen oder zu tun?

Vallocaia, den Tempio di San Biagio und die Trattoria «La Grotta» davor.