Legendärer Weinkenner

Michael Braodbent

  • Michael Broadbent
    Michael Broadbent blickt auf eine lange und erfolgreiche Weinkarriere zurück und war außerdem 25 Jahre Kolumnist beim Weinmagazin Decanter. (Foto: Christie`s)
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    Ein Glas Madeira am Vormittag ist für Michael Broadbent eine lieb gewonnene Gewohnheit. (Foto: Christie`s)

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: Februar 2016


UK (London) – "Was ich gelernt habe" – ein Interview mit dem legendären Weinkritiker, Weinautor, Weinkolumnist, Master of Wine und Weinauktionator Michael Braodbent*, der über 50 Jahre verantwortlich war für die Weinauktionen bei Christie´s und der mit uns die Lektionen seines Lebens bei einem Glas feinsten Madeira teilt. Lesen Sie einen sehr offenen und spannendem Lebensbericht einer Weinlegende:

Die Lernphase

Ich habe gelernt, die Ratschläge meiner Mutter zu beachten. Sie hatte einen enormen Einfluss auf meine Karriere, denn sie hatte stets die richtigen Ideen zur richtigen Zeit. Alles, was mich als Junge und Jugendlicher interessiert hatte, war Radfahren, Klavier spielen und Mädchen. Aber ich konnte nicht zeichnen. Meine Mutter dachte, dass Architektur ein Thema für mich sei. Also ging ich zur University College nach London, um Architektur zu studieren.

Ich habe auch gelernt, dass man sich mit dem Thema beschäftigen muss, das gerade ansteht. Doch mein Interesse an der Architektur schwand mit der Zeit, während ich mich mehr und mehr für das Zeichnen interessierte. Zugegeben, ich war damals sehr müßig unterwegs. Ich erinnere mich noch, dass ich während des Studiums mal vor einer technischen Zeichnung saß und realisierte, dass ich nichts davon verstand. So verließ ich das Seminar. Am nächsten Tag wurden die Themen Sanitär und Entwässerung behandelt. Ab da war mir klar, das ist nichts für mich – so konnte es nicht weitergehen.

Und Wein? Ich wusste damals nichts über Wein. Wir tranken keinen Wein zu Hause. Wein gab es nur bei ganz besonderen Anlässen. Und da kam er wieder, der glückliche Ratschlag meiner Mutter. Sie hatte eine Anzeige in der Zeitung gelesen – Gott weiß, wieso sie damals den Manchester Guardien und den Oldham Chronicle zuhause hatte – der Weinhändler Laytons suchte einen Mitarbeiter. Tommy Layton war jähzornig und man konnte mit ihm nicht arbeiten, trotzdem machten wir das Beste daraus. Ich fegte und staubte ein Jahr lang im Weinkeller und fuhr den Lieferwagen. Mein Gehalt betrug damals 300 Pfund pro Jahr und ich lebte in einer Kellerwohnung auf der Wimpole Street für 13 Pfund im Monat.

Tommy Layton gab mir einen Rat, dessen Wichtigkeit ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstand. Er sagt mir, dass, immer wenn ich einen Wein koste, ich mir Notizen machen soll. Es war der Hinweis für mein Schicksal, ich wusste es nur nicht. Ab dem 13. September 1952 tat ich genau das, was mir Layton damals riet. Ich begann mit einem kleinen roten Notizbuch – heute habe ich 150 Stück davon mit über 90.000 Einträgen.

Risiko wird belohnt

Ich war sehr sorgfältig bei den Eintragungen. Ich beschrieb akribisch das Aussehen des Weins im Glas, die Empfindungen in der Nase und den Geschmack. Und diese Akribie führte sich in meiner Karriere fort. Meine Notizen waren mir in meinem weiteren Leben sehr nützlich. Aus ihnen wurde im Laufe der Zeit ein Buch – Vintage Wine – mit einer Auflage von 80.000 Stück bei der Erstausgabe. Ich verdiente damit 40.000 Pfund. Für mich war das ein großer Erfolg. Niemand sonst machte derartige Notizen über Weine, niemand sonst hatte eine derartige Sammlung von Erfahrungen. Aber nicht nur die Notizen waren wertvoll, wertvoll war auch, dass ich diese indiziert hatte.

Und so kam die Zeit, dass ich mich mit Wein komfortabel fühlte. Aus mir wurde ein Verkaufsleiter bei Harvey´s, die damals ihr Weingeschäft an der Ecke King Street und St. James Street betrieben. Auf dem Weg dorthin kam ich immer an Christie´s vorbei und schaute in den Aushängen, welche Auktionen gerade anstanden. Eines Tages hörte ich – ich weiß nicht mehr von wem – das Christie´s plane, Weinauktionen zu machen. Also schrieb ich an den Vorsitzenden Peter Chance und argumentierte, dass es einen Markt für Weinauktionen gibt; dass er dazu sechs Mitarbeiter benötige; dass ich 3.000 Pfund pro Jahr verdienen möchte und dass wir im ersten Auktionsjahr 250.000 Pfund, im zweiten Auktionsjahr 500.000 Pfund und im dritten Auktionsjahr eine Million Pfund an Umsatz generieren würden. Nebenbei bemerkt: Die an Peter in meinem Bewerbungsschreiben avisierten Umsätze hatte ich mir einfach so gedacht – aber die dann realisierten Umsätze kamen diesen Beträgen sehr nah.

Peter hatte eine Erscheinung wie ein Oberst der Armee mit finsterem roten Gesicht und immer schlecht gelaunt. Man muss sich mit Kollegen oder Vorgesetzten nicht befreunden, aber Peter wurde mir ein großer Freund. Nachdem ich eingestellt war, übernahm Christie´s auch die Weinauktion von W&T Restell und so kam auch Alain Taylor-Restell, ein sehr erfahrener Weinauktionator, zu uns ins Team. Wir kamen zuerst nicht recht voran, aber es funktionierte dennoch. Wir waren wie Gilbert und Sullivan (Anm.: Der Komponist Arthur Sullivan und der Schriftsteller und Librettist William Schwenck Gilbert haben zusammen 14 komische Opern verfasst. Trotz ihres jeweiligen eigenen künstlerischen Schaffens sind sie hauptsächlich durch ihre Zusammenarbeit über London hinaus besonders in Großbritannien und Nordamerika bekannt und populär geworden – das Namensduo "Gilbert und Sullivan" steht als Schlagwort für englische komische Oper des 19. Jahrhunderts.) Ich übernahm die Einträge in den Katalog und das Marketing. Alan übernahm die Auktion. Ich frage mich jahrelang, ob es ihn nicht langweilte. Aber er war sehr effizient und ich hielt ihm den Rücken frei, indem ich den Part des Unternehmers übernahm.

Konträr zu Parker

Für den Job als Auktionator brauchen Sie keine Ausbildung. Niemand hatte damals eine Ausbildung bei Christie´s. Ich kam 1967 ins Team und hatte keine Erfahrung. Ich hatte mir vorher nur Auktionen angesehen. Zugegeben, anfangs fühlte ich mich unsicher und hatte auch Angst. Aber ich merkte sehr schnell, dass mir dieser Job gefiel. Damals ahnte niemand, auch ich nicht, was für Investitionen heute im Weinmarkt getätigt werden. Wein als Anlageobjekt war uns damals noch fremd – so was kam uns nicht in den Sinn.

Das Jahr 1982 veränderte alles. Es war die Zeit, da der amerikanische Weinkritiker Robert Parker die Weinszene aufzumischen begann. Sein Einfluss, vor allem in Amerika, war groß. Ich lehnte seine Methode der Bewertung ab – wie kann ein Wein 95 Punkte haben? Es hängt doch davon ab, wann und in welcher Umgebung der Wein getrunken wird und wie er seit seinem Entstehen gelagert wurde. Parker favorisierte einen sehr reifen, alkoholischen Weinstil – ein Gräuel für mich, aber bei den Amerikanern traf er damit ins Schwarze und forcierte damit den dortigen Weinkonsum.

Wenn ich jetzt beim Erzählen einen Wunsch äußern dürfte, dann wünschte ich mir ein Glas Terrantez* Jahrgang 1846 – der beste Madeira, den ich je getrunken habe. Es könnte alternativ auch ein Vintage Port Jahrgang 1927 (Anm.: Geburtsjahr von Michael Broadbent) sein. Obwohl, dieser wirkt heute ein bisschen müde.

Trotz Fehler beste Freunde

Weine bewerten bedeutet Menschen bewerten. Sie dürfen nie zu voreilig sein, wenn Sie Weine bewerten. Das lernte ich in den frühen 1970er Jahren. Es gab damals einen markanten Vorfall. Einige der besten Weine wurden von einer Gruppe von drei Männern ersteigert. Ich empfand die Gruppe als ungehobelt. Sie hatten sich nicht registriert und ich stoppte ihr Bieten. Ich bat um ihre Visitenkarten. Als sie sich weigerten, sagte ich Ihnen, dass ich keine Gebote mehr von ihnen annehmen würde, und ich bat sie, den Saal zu verlassen. Später am Nachmittag klingelte das Telefon. Am anderen Ende meldete sich der Anwalt von Andrew Lloyd Webber. Mein Herz sank in die Hose. Ich wurde zum Vorsitzenden zitiert, der mir sagte: "Broadbent, wir repräsentieren eine öffentliche Auktion. Sie können sich die Bieter nicht aussuchen." Da hatte ich wohl einen Fehler gemacht. Ich nahm kurz darauf Kontakt mit Andrew Lloyd Webber auf – letztlich sind wir sehr gute Freunde geworden.

Werbung ist wichtig

Als richtiger Auktionator fühlte ich mich aber erst, als ich nach Amerika ging. Ich war dort der erste Auktionator für Christie´s. Es war das Jahr 1969 und es war die Zeit, als ich meinen Job wirklich zu lieben begann. Ich war vorher nie in Übersee. Ich genoss den Aufenthalt dort. In London hatte ich meine Hausaufgaben gemacht – die Kataloge und die Geschäfte geführt. Aber aufregend war es nicht unbedingt. Dennoch, es ist wichtig, seine Hausaufgaben zu machen. In Amerika trat ich einmal zusammen mit David Frost im Fernsehen auf (Anm. d. Autors: David Frost war ein britischer Journalist, Fernsehmoderator und -politsatiriker. Er war einer der bekanntesten englischsprachigen Fernsehinterviewer und schrieb mit seinem Interview Richard Nixons zur Watergate-Affäre Fernsehgeschichte). Es ging darum, einen Wein zu besprechen. Es war ein Port Jahrgang 1844. Leider hatte ich versäumt, die Flasche vorab vollends zu kontrollieren. Der Korken war alt, der Korkenzieher war schlecht, ich bekam den Korken nicht heraus. Die Kameras zeigten meine Bemühungen in Großaufnahme und es war zu sehen, wie ich den Korken in die Flasche drückte. Es spritze und roch nach Essig. Es war sehr peinlich.

Aber dennoch: Werbung ist wichtig und ich habe Werbung immer genutzt. Christie´s hat nie verstanden, wie viel Werbung für das Auktionshaus ich initiiert habe – sowohl in Amerika als auch bei den Artikeln, die ich in Namen von Christie´s veröffentlichte. Ich soll damit Provisionen angehäuft haben, war der Vorwurf aus der Szene. Auch für den Decanter schrieb ich 25 Jahre lang wöchentlich eine Kolumne, die ich immer am Sonntagmorgen im Bett liegend verfasste. Nun ja, ich bin ein Gewohnheitstier. Ich höre jeden Morgen Bucks Fizz (Anm. d. Red: Bucks Fizz ist eine britische Popband) zum Frühstück und genieße dazu einen Champagner, wenn auch nicht immer den Gleichen. Manchmal einen Paul Roger, manchmal auch nur einen Blanquette de Limoux. Und bei Christie´s pflege ich ein zweites Frühstück zu haben, dann aber mit einem Glas Madeira. Glauben Sie mir ein, Madeira ist besser als jeder Kaffee.

Anmerkungen

*Michael Broadbent: Geboren am 2. Mai 1927 durchlief er zunächst ab 1952 eine Ausbildung zum Weinhändler. Im Jahr 1960 machte er erfolgreich seinen Abschluss als Master of Wine. Von 1966 bis in die 1990er Jahre wer er Senior Direktor der Weinabteilung beim Auktionshaus Christie´s. Er schrieb Artikel über Wein im britischen Decanter und in Europas Weinmagazin Vinum. Schon eine geraume Zeit ist Broadbent ein gefragter Gastreferent und Leiter von Weinverkostungen. Im Jahr 1979 wurde er zum Ritter des Ordre national du Mérite ernannt. Seit 1986 ist er Präsident der International Wine & Foods Society sowie Ehrenmitglied der Academie du Vin de Bordeaux und etlicher Weinbruderschaften in Frankreich. Michael Broadbent ist heute Senior-Berater bei Christie´s.

*Terrantez ist eine aus Portugal stammende weiße Rebsorte, aus der traditionell Madeirawein gekeltert wird. Die Weine aus Terrantez werden trocken, halbtrocken und süß ausgebaut. Sie sind sehr lagerfähig. Das typische Geschmacksmerkmal des Terrantez ist sein bitterer Abgang, gepaart mit aschigen, verbrannten Kaffeenoten. Früher war der Terrantez auf Madeira weit verbreitet und die Basis für einen Dessertwein gleichen Namens. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Reben auf Madeira durch die Reblaus drastisch reduziert. Heute hat die Rebsorte kaum eine Bedeutung mehr und wird nur noch vereinzelt angebaut.
 

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