Surround

Kaolin – Zaubermittel zum Rebschutz

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 1. Oktober 2020


DEUTSCHLAND (Heilbronn) – Sie sind nicht ausgestorben und plagen die Winzerschaft weiterhin: allen voran die Kirschessigfliege, die erneut auf dem Vormarsch ist – nicht gern gesehen in den Weinbergen. Und wenn sich die Winzer gegen Schädlinge wehren, wenn sie spritzen, dann hat das ein „G‘schmäckle“, wie es so treffend die schwäbische Verniedlichung des Begriffs Geschmack andeutet, auch so im benachbarten Württemberg. Hier auf einem Spaziergang durch die Rebanlagen im Wartberg, einer Heilbronner Toplage, sind einzelne Parzellen gut erkennbar an ihren weiß „getünchten“ Rebzeilen.

„Die Wanderer, die hier durchziehen, mögen sich fragen, was das wohl für ein Mittel sei und ob dies sich wohl geschmacklich später im Glas bemerkbar machen könnte“, konstatiert Martin Heinrich vom Weingut G.A. Heinrich, das am Fuße des Wartbergs gelegen ist. „Aber alles gut, es ist ein Versuch eines Kollegen, die Plagegeister von den Trauben fernzuhalten.“ Die Stadtmarketing in Heilbronn ist eher unglücklich ob dieser Erscheinung, weil außer Weinprofis kaum jemand wissen kann, was da aufgetragen wurde und somit solche Vorkommnisse den einen oder anderen Gast, der hier wandert und den schönen Blick über Heilbronn in die Ferne schweifen lässt, verschrecken könnte. Die bemerkens- und lobenswerten Anstrengungen um die Stadtweinberge könnten damit konterkariert werden, so die nicht unbegründete Befürchtung.

Statement von Markus Drautz

„Die Parzellen, die so gut durch ihre weiße Anmutung ersichtlich sind, gehören zu uns“, sagt Markus Drautz auf Nachfrage. „Es ist unser Ansatz, etwas gegen die Kirschessigfliege zu unternehmen. Dabei handelt es sich um Kaolin, also weißes Tonmineral, das wir hier auf unsere Rebanlagen appliziert haben“, erläutert der Wengerter. „Das ist für uns Neuland und wir denken, dass es einen Versuch wert ist. Das Auftragen müssen wir technisch noch verfeinern, aber vorerst sind wir zufrieden, allerdings exakt weiß man das erst hinterher. Jedenfalls haben wir ein gutes Gefühl, stattdessen keine Insektizide mehr einsetzen zu müssen.“

Das Kaolin, das Drautz-Able im Wartberg appliziert hat, kommt aus der Schweiz. Dort hat der Hersteller das „Surround“ genannte Mittel, das gegen Plagegeister im Obst- und Weinbau helfen soll, entwickelt und zur Marktreife gebracht. Kurz zusammengefasst heißt es in der Anwendung gegen die Kirschessigfliege (KEF) im Weinbau seitens des Herstellers: „Surround bildet eine Kaolinschicht über den Trauben, welche die KEF-Weibchen bei der Eiablage behindert. Zudem wirkt der weiße Belag verwirrend auf die KEF.“

Toxikologisch unbedenklich

Für Winzer und Weinkunden gleichermaßen wichtig zu wissen ist, dass Kaolin toxikologisch unbedenklich ist, inert (sich also nicht an chemischen Vorgängen beteiligt) und keinen negativen Einfluss auf die Vinifikation der behandelten Trauben und auch nicht auf die Qualität des Weins hat. Kaolin besteht aus natürlicher Tonerde und bildet eine physikalische Barriere gegen diverse Schädlinge. Zudem trocknet Kaolin Feuchtigkeit der Pflanzen schneller, wodurch sich Krankheiten reduzieren lassen. Und schließlich wirkt eine Kaolin-Schicht zugleich gegen Sonneneinstrahlung und beugt somit dem in den letzten Jahren häufig gewordenen Sonnenbrand der Trauben vor.

Blaupause für den Heilbronner Wingerter?

Kaolin darf nicht mit Kalk verwechselt werden, obwohl es für den Laien so aussieht, als ob die Rebanlagen gekalkt wären. Im Kampf gegen die Kirschessigfliege gab es bereits Versuche mit Kalk, der sich aber auf den PH-Wert des Traubensaftes im Tank auswirkt und so wurden diese Experimente schnell aufgegeben. Kaolin dagegen, das haben Studien in der Schweiz belegt, zeigt, wie schon erwähnt, keine Auswirkungen auf den Traubensaft und kann mehrmals und sogar noch kurz vor der Ernte appliziert werden. „Das Vertrauen in das Mittel ist gegeben“, sagen die Winzer, die bisher erfolgreich Kaolin angewendet haben. Allen voran die Fellbacher Erzeuger wie das Weingut Aldinger, das selbst eigene Lemberger-Anlagen mit Kaolin behandelt, obwohl diese Sorte gegenüber Trollinger oder Dornfelder eher unanfällig für Schädlinge ist. Im Zuge der Anwendung mit Kaolin weisen die dortigen Weingärtner mit ausgelegten Informationen, verteilt im Fellbacher Kapellenberg, über die unbedenkliche Anwendung mit Kaolin hin und hoffen, dass nicht abfällig von „Spritzen“ oder von „verdorbenen“ Trauben gesprochen wird.

Natürliches Betriebsmittel für Winzer

Also, keine Aufregung ob der weiß „getünchten“ Rebflächen. Das so aufgetragene Kaolin entstand vor Millionen Jahren bei der Verwitterung von Feldspat. Abgebaut wird Kaolin vor allem in Brasilien, USA, UK, Deutschland und Tschechien. Weltweit werden pro Jahr ca. 28 Millionen Tonnen Kaolin produziert. Das Tonmineral findet unter anderem Verwendung beim Meissner Porzellan, als weißes Pigment für Farben, als Füllstoff und Farbgeber zur Papierherstellung, in der Kosmetik, in der Medizin (u.a. Mittel gegen Sodbrennen) und ist auch Trägerstoff in der Lebensmittelindustrie und letztlich auch in Pflanzenschutzmitteln. Der biologisch arbeitende Winzer oder Gärtner hat damit offensichtlich ein Betriebsmittel, das gegen anhaltenden Schädlingsdruck und gegen Nässebildung nach starken Regenfällen beitragen kann.

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