VINUM-Recherche: Schweizer Wein-Historie

Mobilmachung in den Schweizer Rebbergen

Text: Alexandre Truffer, Foto: Swiss Federal Archives, Illustration: Jakob Ziegler, Archiv

Ab 1848 durchlebte die Schweiz mehrere schwere Krisen, die jeweils Anlass zur Ernennung eines Generals gaben. Kriege und Mobilmachung hatten tiefgreifende Auswirkungen auf das Land und seine Gesellschaftsstruktur. Auch der Schweizer Weinbau wurde von diesen politischen Wirren stark gezeichnet.

Für das Verständnis dieses Artikels ist es wichtig zu wissen, dass in der Schweiz der Grad eines Generals nur in Kriegszeiten verliehen wird. Wir werden hier nicht auf die zwölf Generale, die vom 16. Jahrhundert bis 1847 ernannt wurden, eingehen. In diesem Jahr standen sich im Sonderbundskrieg der Sonderbund, bestehend aus sieben konservativen katholischen Kantonen (Freiburg, Wallis, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug), und die restlichen eidgenössischen Kantone gegenüber (Neuenburg und Appenzell Innerrhoden wollten jedoch nicht an dem Konflikt teilnehmen und erklärten ihre Neutralität). Der Sonderbund musste sich allerdings bald den Truppen von General Guillaume-Henri Dufour geschlagen geben. Aus diesem Ereignis ging 1848 die moderne Schweiz hervor. Seither ernannte das eidgenössische Parlament vier höhere Stabsoffiziere zu Generalen: Guillaume-Henri Dufour in den Jahren 1849, 1856 und 1859, Hans Herzog von 1870 bis 1871, Ulrich Wille von 1914 bis 1918 und Henri Guisan von 1939 bis 1945. Diese Ernennungen fanden stets im Rahmen der Mobilmachung einer Armee statt, die fast ausschliesslich aus Milizsoldaten bestand. Und jedes Mal waren Zehntausende, ja Hundertausende Männer gezwungen, ihr Heim und ihren Arbeitsplatz für lange Zeit zu verlassen. Dies hatte natürlich schwerwiegende wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Auswirkungen, deren Niederschlag auf den Weinbau bisher relativ wenig untersucht wurde. Zweifellos können wir die mittel- und langfristigen Folgen dieser Konflikte in unserem Artikel nur grob umreissen. Zum leichteren Verständnis dieses Dossiers haben wir es nach Zeiträumen aufgeteilt, in denen ein General ernannt werden musste. Dabei haben wir versucht, einige direkte Auswirkungen auf den Westschweizer Weinbau herauszuarbeiten, die sicherlich eine genauere Analyse durch Historiker wert wären.


General Dufour

Guillaume Henri Dufour, 1787 in Konstanz geboren und 1875 in Genf gestorben, hat das Gesicht der modernen Schweiz entscheidend geprägt. Neben seinen militärischen Funktionen war er auch einer der fünf Mitbegründer des Internationalen Komitees für die Hilfe an Verwundeten, des späteren Roten Kreuzes.

Sonderbundskrieg und Neuenburger Affäre

Die Niederlage des Sonderbunds hatte schwerwiegende Konsequenzen für den Kanton Wallis, dessen bäuerlicher Weinbau sich unter dem Einfluss waadtländischer Investoren in eine exportorientierte Industrie verwandelte.

Dem humanitären Engagement von General Dufour, Mitbegründer des Roten Kreuzes, verdanken wir wohl auch seinen Aufruf, in dem er mitten in diesem Bruderkrieg 1847 seine Truppen aufforderte, die Zivilbevölkerung, Geiseln, Verwundete und Gefangene zu schonen. Obwohl fast 190 000 Männer in den Sonderbundskrieg zogen, der vom 3. bis 29. Dezember 1847 dauerte, zählte man nur etwa 100 Tote und 500 Verletzte, wodurch trotz des Krieges eine nationale Aussöhnung und die Gründung der Eidgenossenschaft möglich waren.

Guillaume Henri Dufour erlangte seinen Generalstitel, den er ja in Friedenszeiten verloren hatte, erneut im August 1849, als sich das Grossherzogtum Baden gegen den deutschen Kaiser auflehnte, sowie 1859 beim Italienfeldzug der französisch-piemontesischen Armee gegen das österreichische Kaiserreich. Die vierte Beförderung fand anlässlich der Neuenburger Affäre statt. 1815 wurde der Kanton Neuenburg zwar in den eidgenössischen Bund aufgenommen, unterstand aber weiterhin dem preussischen König, der die Titel Fürst von Neuenburg und Graf von Valangin beibehielt. 1848 riefen die Neuenburger Revolutionäre die Republik aus, ohne dass der deutsche Herrscher darauf reagierte. Doch acht Jahre später versuchten Royalisten einen Staatsstreich. Preussen drohte mit Intervention. Daraufhin machte die Eidgenossenschaft mobil und der französische Kaiser Napoleon III. griff ein, um einen Krieg zu verhindern. 1857 verzichtete König Friedrich Wilhelm schliesslich auf seine Ansprüche auf den Kanton Neuenburg. Allerdings brachte ihm der örtliche Adel weiterhin eine gewisse Verehrung entgegen.

Die Säkularisierung der Kirchengüter

Freiburg und das Wallis waren die einzigen Westschweizer Kantone, die zum Sonderbund gehörten. Dank der raschen Niederlage waren nur wenige Tote und Kriegsschäden zu beklagen. Nichtsdestoweniger wurden die Verlierer zur Zahlung der Kriegskosten verurteilt, die sich für das «Vieux-Pays» auf eine Million Franken beliefen. Um an Geld zu kommen, beschloss die Walliser Regierung, die Güter der katholischen Kirche zu säkularisieren, da diese für die Verschlimmerung des Konflikts verantwortlich gemacht wurde. In «Geschichte von Rebe und Wein im Wallis» erklärt Sabine Carruzzo-Frey, dass «man oft hört, diese Aneignung der Kirchengüter habe den Waadtländern ermöglicht, sich im Walliser Land niederzulassen». Aus der Erhebung dieser Verkäufe gehe jedoch hervor, dass die Waadtländer vor allem Grundstücke von Walliser Institutionen im Waadtland kauften. Weingüter oder Parzellen im Lavaux oder Chablais, wie etwa die Abtei Salaz in Ollon, die zur Abtei Saint-Maurice gehörte, wurden von Körperschaften und Privatleuten übernommen. Die Kirchengüter im Wallis wurden «von Familien gekauft, die seit Urzeiten im Wallis ansässig waren und von der Säkularisierung profitierten, um ihre Anwesen zu vergrössern. So erwarben etwa die Familien von Riedmatten, Varone, Bonvin, Favre, Dubuis, Darbellay, Reynard, Héritier, Debons, de Torrenté, Dorsaz, Abbet, Pont und viele andere Äcker, Häuser, Scheunen und Rebberge». Wenn man diese Liste mit den Namen grosser oder renommierter Kellereien der heutigen Zeit vergleicht, wird man sich bewusst, welchen Einfluss dieser Krieg auf den Walliser Weinbau hatte.

Gründung der Domaine du Mont-d’Or

In den eidgenössischen Bataillonen, die das Wallis besetzten, diente auch der Feldweibel François-Eugène Masson aus dem Waadtland. Er erkannte das Weinbaupotenzial der Region und kam im darauffolgenden Jahr nach Sitten zurück, um auf dem Hügel Montorge brachliegende Grundstücke zu kaufen. Dort erwartete ihn eine gigantische Arbeit: Auf dem steilen, trockenen, noch nie kultivierten Gelände mussten nun Weinparzellen angelegt werden. Die Anlage der Terrassen – derzeit sind es auf den 20 Hektaren Weingutsfläche insgesamt 220 – nahm mehrere Jahre in Anspruch. Die ersten Reben auf dem Mont d’Or litten unter Frost und Trockenheit. Daraufhin versuchte François-Eugène Masson zuerst, Wasser aus der Rhone-Ebene, die damals noch ein Sumpfgebiet war, heraufzupumpen. Doch angesichts der exorbitanten Kosten beschloss er letztendlich, eine Wasserleitung zu bauen, um seine Reben mit Wasser aus dem Montorge-See zu bewässern. Seither wird das Anwesen über diesen fast drei Kilometer langen, 1895 fertiggestellten Kanal mit Wasser versorgt. Das für seine Süssweine und seinen Johannisberg (bis 1928 stand diese Bezeichnung für Rieslingweine und nicht für Silvanerweine) bekannte Weingut verkaufte nun auch Tafeltrauben, die vor allem in den Hotels an der Riviera sehr begehrt waren.

Von Winzer und Kapitalisten

Mit dem Sonderbund begann auch der Aufbau einer Industrie, die vor allem den Export in andere Schweizer Kantone im Auge hatte, insbesondere seit dem Anschluss von Martigny (1859) und Sitten (1860) an das Eisenbahnnetz. Nach und nach verdrängten Fendant, eine Spielart der Chasselas-Traube, und Pinot Noir die einst traditionellen Rebsorten Rèze, Humagne, Amigne und Arvine, es sollte mehr als hundert Jahre dauern, bis diese wiederentdeckt wurden. Reberziehung und Anbaumethoden wurden «à la vaudoise» auf den Gobelet-Schnitt und die Pflanzung von Schösslingen (Setzlinge aus Rebschulen) auf mistgedüngtem Boden umgestellt. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes, die Trockenlegung der Rhone-Ebene, durch die Platz für den Anbau von Rebstöcken an den Hängen geschaffen wurde, und die Ausdehnung der Städte entlang der Riviera (Lausanne, Montreux und Vevey) sowie der damit verbundene Anstieg der Grundstückspreise im Kanton Waadt bewegten viele Waadtländer Investoren, sich im Wallis niederzulassen. Dazu gehören auch einige noch heute berühmte Namen des Walliser Weinbaus, wie etwa Gilliard und Mercier.


General Wille

Ulrich Wille ist der umstrittenste aller Schweizer Generale. Obwohl ihm viele seiner Zeitgenossen seine deutschlandfreundliche Gesinnung vorwarfen, blieb er während der gesamten Dauer des Ersten Weltkriegs Oberbefehlshaber der Schweizer Armee.

Erster Weltkrieg 1914 – 1918

Von kriegführenden Ländern umgeben, musste die Schweiz Wege finden, um sich mit Rohstoffen und Fertigprodukten zu versorgen. Zwar brachen für die Winzer eher gute Zeiten an, doch erschwerte die Schliessung der Grenzen die Bekämpfung der Reblaus.

Ulrich Wille gehörte zu jenen Schweizer Offizieren, die ihre Ausbildung in den deutschen Streitkräften absolviert hatten, und ist noch heute der umstrittenste aller Schweizer Generale. Nur widerstrebend ernannte ihn das Parlament am 3. August 1914 zum General. Diese Position behielt er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1918, obwohl mehrmals versucht wurde, ihn durch einen weniger deutschlandfreundlichen Offizier zu ersetzen. Seine Massnahmen zur Modernisierung der Armee (Mobilmachung von 218 000 Männern) wurden zwar begrüsst, doch seine politischen Stellungnahmen – unter anderem im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung – fanden viel weniger Zustimmung.

Die Reblaus als Kriegsgewinnler

Die auf dem Seeweg aus Amerika importierte Reblaus breitete sich ab Ende des 19. Jahrhunderts im Genferseebogen aus. Als in den Kantonen Genf und Neuenburg Reblausvorkommen gemeldet wurden, traf das eidgenössische Parlament 1877 eine ganze Reihe von Massnahmen zur Bekämpfung der Plage, was den amerikanischen Schädling jedoch keineswegs daran hinderte, ins Waadtland (1886 in Founex) und ins Wallis (1906 wird er in Sitten beobachtet) vorzudringen. Nichtsdestoweniger konnten sich die Weinberge etwas erholen. Begrenzte Reblausbefälle liessen sich mit Schwefelkohlenstoff effizient bekämpfen, auch wenn dies gefährlich war, denn die äusserst flüchtige, farblose Flüssigkeit konnte leicht explodieren. Waren jedoch grössere Bereiche betroffen, blieb als einzige Lösung die Rodung und Neubepflanzung mit amerikanischen Unterlagsreben oder Hybridreben. Im Ersten Weltkrieg unterlag der Handel mit Chemikalien strengen Restriktionen, wodurch sich die Bekämpfung des Schädlings äusserst schwierig gestaltete, ja sogar unmöglich war. 1916 entdeckte man in der Gemeinde Fully 16 Hektar Rebberge, die von der Reblaus befallen waren. Aus «Geschichte von Rebe und Wein im Wallis» erfährt man, dass über drei Tonnen Schwefelkohlenstoff pro Hektar nötig waren, um das Insekt zu vernichten (und dabei wurden nicht nur die Schädlinge abgetötet, sondern auch die Reben). Hauptlieferant von Schwefelkohlenstoff war Frankreich. Doch das Nachbarland hatte auf Kriegsproduktion umgestellt und konnte deshalb eine solche Menge nicht mehr liefern. Zwar stellte die Waadtländer Regierung fünf Tonnen zur Verfügung, doch die insgesamt nötigen 50 Tonnen Schwefelkohlenstoff waren nirgends zu bekommen. Letztendlich wurden die befallenen Parzellen ein Jahr später von mobilisierten Soldaten gerodet. Dem Vordringen der Reblaus konnte kein Einhalt mehr geboten werden und das Wallis musste schliesslich wie alle anderen Weinregionen Europas auch sämtliche Rebberge neu bepflanzen.

Die Vorteile der Isolierung

«1914/18 war der Aussenhandel der Schweiz ein sehr heikles Thema. Damals deckte das Land seinen gesamten Kohlebedarf durch Importe aus Deutschland. Dieser strategische Rohstoff diente nicht nur als Heizmaterial, sondern hielt auch die Industrie am Laufen. Franzosen und Engländer erlaubten der Schweiz, trotz der Wirtschaftsblockade gegen Deutschland Kohle aus dem Saarland zu importieren und bestimmte Lebensmittel nach Deutschland auszuführen, allerdings unter strengen Auflagen», erklärt Christophe Vuilleumier, der Präsident der Société d’Histoire de la Suisse Romande. Doch er räumt auch ein, dass «manche Unternehmen diese Auflagen natürlich gebrochen haben. Infolgedessen schufen die Engländer 1916 eine Gesellschaft zur Wirtschaftsüberwachung, die alle Ausfuhren von der Schweiz nach Deutschland kontrollierte». Zum Wein fand der Historiker Dokumente, aus denen hervorgeht, dass Spanien, Italien und Frankreich am meisten Wein in die Schweiz importierten. Ein amüsantes Detail am Rande: 1916 überquerten erstmals auch 1500 Hektoliter argentinischer Wein die Schweizer Grenze. «Während des Krieges war die Schweiz isoliert, sodass der Weinpreis nach oben schoss. Doch als die Länder wieder normale Handelsbeziehungen aufnahmen, führte dies nicht nur zu einem Preiseinbruch, sondern auch zu grossen Absatzschwierigkeiten», erklärt Marie-Louise Gigon in ihrer Diplomarbeit über die Waadtländer Winzer und den Staat in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Sie erinnert darin auch daran, dass der Kanton Waadt 1918 die grösste Weinregion der Schweiz war. Mit 4500 Hektar stellte das Waadtland fast ein Drittel der Schweizer Rebanlagen, deren Fläche damals stark rückläufig war. Aus unserer Bibel über die Geschichte des Weinbaus im Wallis erfahren wir, dass «der Schweizer Weinbau von den internationalen Wirren im Ersten Weltkrieg profitierte. Die ausländische Konkurrenz war wegen der Einfuhrbeschränkungen, der steigenden Transportpreise und des Zusammenbruchs der internationalen Kommunikation über vier Jahre lang unbedeutend. Auch in Frankreich erhöhte sich der Weinkonsum durch den Krieg. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr tranken die Frontsoldaten. Die Gründe dafür kann man sich wohl leicht vorstellen. Noch dazu fiel in einigen Jahren die Ernte schlecht aus, was wiederum die Preise in die Höhe trieb (1914 kostete ein Kilo Chasselas 44 Rappen und im letzten Kriegsjahr 1.64 Franken), und das trotz der Teuerung der Lebensmittel und der Anbaukosten.» Das Zusammentreffen mehrere Faktoren – Kriegsende, die erneute Einfuhr ausländischer Weine (im Wert von 130 Millionen Franken im Jahr 1919 gegenüber kaum 80 Millionen Franken im Jahr zuvor), die ohnehin schon von dem günstigen Wechselkurs profitierten, und gleichzeitig eine üppige Weinlese – führte zu einem Einbruch des Marktes und einer Absatzkrise, die noch dadurch verstärkt wurde, dass «die Weinbaukantone unter ihrem Image als Kriegsgewinnler litten, was wiederum auf Seiten der Weinhändler und Kunden Ressentiments schürte».


General Guisan

Nach dem Krieg als Nationalheld gefeiert, wurde General Henri Guisan bei seinem Tod im April 1960 mit einem Staatsbegräbnis geehrt und von über 300 000 Personen zu seiner letzten Ruhestätte begleitet.

Zweiter Weltkrieg 1939– 1945

Wieder war die Schweiz von kriegsführenden Parteien umgeben, und wieder litten auch die Winzer darunter. In diesem Zeitraum reichte das Qualitätsniveau der verschiedenen Jahrgänge von sehr schlecht bis ausgezeichnet. Vor allem aber erlebte der Walliser Weinbau einen spektakulären Aufschwung.

Die deutschlandfreundliche Gesinnung von General Wille im Ersten Weltkrieg veranlasste das Parlament dazu, einen Westschweizer Offizier zu wählen. Der Waadtländer Henri Guisan (1874–1960) war sowohl unter den Eliten des Landes als auch bei der Bevölkerung sehr geschätzt. Auf seine Initiative wurde das Schweizer Reduit angelegt. Wie bereits 1917 in einer Strategie des Generalstabs vorgeschlagen, bestand die Grundidee dieses Plans darin, die Ebenen im Norden des Landes zu opfern, um in den Alpen den Widerstand aufzubauen. Guisan plädierte auch für eine engere Anlehnung ans Nachbarland Frankreich. Am 11. August 1939 wurde bundesweit das erste Weinstatut eingeführt. Es sah unter anderem vor, die Anhebung der Qualität der heimischen Erzeugnisse durch Massnahmen wie die Abgrenzung von Weinbauzonen, die Begrenzung der Massenproduktion und die Erklärungspflicht für das Lesegut zu fördern. Drei Wochen später fielen die deutschen Truppen in Polen ein, sodass diese Verhandlungen sechs Jahre verschoben werden mussten. Die Mobilmachung der Männer und die Requirierung von Pferden und Fahrzeugen kurz vor der Weinlese brachten Probleme mit sich. Von den kriegführenden Parteien eingekreist, versuchte die Schweiz ihre Abhängigkeit zu begrenzen: Mit dem Plan Wahlen wurden alle Kantone gezwungen, Ackerland zurückzugewinnen. Für diese Arbeiten wurden sowohl Schweizer (Zivilbevölkerung und Soldaten) als auch Flüchtlinge und internierte Soldaten herangezogen. Diese halfen auch den unter Personalnot leidenden Winzern. Praktisch unauffindbar waren auch zahlreiche Produkte, die für den Weinbau benötigt wurden, etwa Bast zum Aufbinden der Reben, Zucker zur Chaptalisation und Glas (während der Kriegsjahre waren die Flaschen bläulich, da bestimmte Metalle zur Glasfärbung nicht mehr erhältlich waren). Auch Kraftstoff war rationiert. Gleichzeitig stieg der Weinkonsum, vor allem bei den mobilisierten Soldaten. Das erklärt, warum während des ganzen Krieges sowohl die Einfuhren als auch die einheimische Erzeugung regelmässig zunahmen.

Kriegsjahrgänge – verheerend bis sehr gut

Der Jahrgang 1945 wird oft als der beste Jahrgang des 20. Jahrhunderts betrachtet. Manche Dézaley-Erzeuger besitzen noch Flaschen dieses legendären Jahrgangs. Weniger bekannt ist, dass 1939 als der wohl schlechteste Jahrgang des Jahrhunderts in die Geschichte einging. In seinem Artikel zur Phänologie des Chasselas, basierend auf der Beobachtung der Rebberge in Pully von 1925 bis heute, schreibt Jean-Laurent Spring, dass 1939 in vieler Hinsicht ein negatives Rekordjahr war: sehr späte Färbung (einen Monat später als im Durchschnitt) und miserabler Zuckergehalt (43 Öchsle) im Vergleich zum Durchschnittswert (68 Öchsle) aus allen Messungen, die jedes Jahr am 20. September vorgenommen wurden. Der Wissenschaftler fügt hinzu, dass dieses sehr schlechte Jahr den Wendepunkt zwischen zwei Klimazyklen markierte. «Die Zeit von 1925 bis 1939 war von einer späten Blüte und einer sehr späten Färbung geprägt. Zu Beginn der 40er Jahre trat jedoch ein radikaler Umschwung ein, der bis zu Beginn der 50er Jahre anhielt. Blüte und Färbung setzten nun im Allgemeinen sehr früh ein. Eine weitere Besonderheit des Jahrgangs 1939 ist, dass bei der Weinlese teilweise sogar Schnee lag. Im Archiv des Weinguts Domaine de Sarraux-Dessous (La Côte) befindet sich ein Artikel mit einem Bild, auf dem ein Soldat einen Wagen voller Trauben durch hohen Schnee schiebt. Aufzeichnungen belegen, dass Offiziere ihre Soldaten anwiesen, den Winzern der Region in dieser Ausnahmesituation zu helfen.

Das Goldene Zeitalter von Provins

1929 unterstützte der Kanton Wallis die Gründung von Genossenschaftskellereien, um den Weinbau aus seiner desaströsen wirtschaftlichen Lage zu befreien. Aus diesem politischen Willen heraus entstand Provins. Zu den 1160 Gründungsmitgliedern kamen im Laufe der Jahre immer mehr Weingutsbesitzer dazu, denn das Unternehmen eroberte nach dem Walliser Markt bald auch den gesamten Schweizer Markt. Laut «Geschichte von Rebe und Wein im Wallis» zählte man 1940 bereits «2088 Genossenschaftsmitglieder, die über 6,5 Millionen Liter Wein kelterten. Kurze Zeit später lag die Kapazität bereits bei 12 Millionen Litern.» In dem Werk wird darauf hingewiesen, dass «Genossenschaften unter anderem das Ziel verfolgen, den Weinbau und die Önologie zu verbessern. […] Das Lesegut muss reif, rein und gesund sein.» Zu dieser Qualitätspolitik gehörte auch die Begrenzung der Chaptalisation, was wiederum voraussetzte, dass Messungen durchgeführt wurden und sich die Bezahlung nach den Öchslegraden richtete. Während der Kriegsjahre stieg der Traubenpreis im Wallis wie im Rest der Schweiz stetig an. 1938 fiel die Lese so schlecht aus, dass der Weinbau im Wallis nur sechs Millionen Franken einbrachte, 1945 waren es dann 17 Millionen Liter bei einem fast doppelt so hohen Traubenpreis (1.32 Franken). Das Rekordjahr war allerdings 1944, als das Wallis es dank einer aussergewöhnlich üppigen Ernte auf 28 Millionen Liter und 31,5 Millionen Franken Umsatz brachte. Bei diesen Statistiken handelt es sich um Schätzungen des kantonalen Weinbauamts, bei denen weder der zum persönlichen Verzehr erzeugte Wein noch der direkt an Cafés und Restaurants gelieferte Offenwein mitgerechnet wurde. 1946 war sowohl im Wallis als auch in der restlichen Schweiz erneut ein gutes Weinjahr, doch wurden dann auch bestimmte Schutzbestimmungen für heimische Produkte wieder aufgehoben, was wiederum zu massiven Importen führte. 1944 hatte die Schweiz Offenwein im Wert von 44 Millionen Franken importiert, 1945 waren es bereits 89 Millionen Franken und im darauffolgenden Jahr schnellte die Zahl auf 150 Millionen Franken hoch. Gleichzeitig fielen die Traubenpreise. Im Wallis erreichten sie erst 20 Jahre später wieder einen Wert über 1.50 Franken pro Kilo Trauben. 

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