Sie kamen und blieben: Berner in der Waadt

Weinschlösser in der Schweiz

Text: Andreas Z’Graggen und Markus Gisler, Fotos: Markus Gisler
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem druckfrischen Bildband «Wein. Schlösser. Adel. Über noble Winzer und ihre charmanten Châteaus in der Schweiz.», erschienen im Werd & Weber Verlag in Thun/Gwatt. www.weberverlag.ch 

Am 16. Januar 1536 erklärte Bern dem Herzog von Savoyen den Krieg. Sechs Tage später zog Feldhauptmann Hans Franz Nägeli mit über 6000 Mann und 16 Geschützen in Richtung Waadt. Drei Monate danach war dieses savoyische Land in Berns Besitz. 262 Jahre später, im Jahr 1798, brach das Berner Ancien Régime wieder zusammen. Die République lémanique wurde ausgerufen, und die bernischen Landvögte wurden nach Hause geschickt. Doch als Privatpersonen blieben viele der einst gnädigen Herren in der liebgewonnenen Waadt, wohnen weiterhin in ihren Châteaus und Landsitzen und pflegen ihre Reben. VINUM besuchte Schlossherrinnen und Schlossherren von dreien dieser Güter in der waadtländischen La Côte.


Château de Denens, Denens bei Morges

Ein Tokajer aus Chasselas

Mit seinem zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen langen weissen Haar und seinen kräftig zupackenden Armen will der Herr des Château de Denens, Baron Pierre de Buren, so gar nicht ins Bild eines ehemals aristokratischen Schlossherrn passen. Der Kunstfreund ist denn auch ein bodenständiger Winzer mit einem grossen Herz geblieben. Sein Château, das nicht so herausgeputzt daherkommt, wie man sich das vielleicht vorstellt, steht oft auch für jene offen, die – wie er sagt – «nicht so viel haben wie wir». Das hat er früh im Leben gelernt. Schule war nie sein Ding. Seine Eltern trennten sich, als er elf Jahre alt war. Die Beziehung zum Vater war schwierig. Der viel beschäftigte Chirurg in Neuchâtel war wenig zu Hause. Also entschwand Klein Pierre an den Wochenenden zu seinen Grosseltern ins Château de Denens, wo ihn sein Grossvater mit der Landwirtschaft und den Reben vertraut machte. «Eigentlich haben mich meine Grosseltern erzogen, hier war ich glücklich, für mich war es das Paradies.» Nach dem Ableben der Grosseltern liess sein Vater den Hof von Dritten verwalten, nach Denens kam er jeweils nur am Zahltag, um Schecks auszustellen.

Die Porträts der Vorfahren verbannt

Seit 1989 und nach einigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater ist der freiheitsliebende, unkonventionelle Pierre de Buren Winzer, Kellermeister und Schlossverwalter auf Denens. Manchmal, sagt er, fühle er sich auch als Gefangener seines Erbes. Dass seine Vorfahren aus den frühen Jahrhunderten oft auf Kosten der Untergebenen gelebt haben, ist ihm durchaus bewusst, entsprechend ambivalent ist sein Bezug zu seinem Erbe. Die meisten der vielen über die Jahrhunderte angesammelten Ahnenporträts hat er deshalb in den alten Wehrturm verbannt, der auch als kleiner Konzertsaal dient. Ursprünglich war der überwiegende Teil der 7,5 Hektar grossen Rebfläche mit Chasselas bestockt, heute teilen sich rote und weisse Gewächse die Fläche etwa hälftig. Daraus keltert de Buren je ein Drittel Chasselas, Pinot Noir und die Spezialitäten Garanoir, Syrah, Cabernet Sauvignon, Merlot oder die weissen Sorten Viognier und Savagnin. 2015 hat er sein Weingut vollständig auf biologischen Anbau umgestellt.

Erinnerungen an die Zebras

Den Chasselas bietet de Buren klassisch und auf der Hefe (sur lie) ausgebaut an. Der erwähnte Savagnin kommt unter dem Namen La Réserve des Grands Zèbres in den Verkauf und ist eine Assemblage aus Savagnin, Sauvignon Blanc und Gewürztraminer. Der Name des Weins, «das grosse Zebra», ist eine Hommage an de Burens Reise durch Afrika, die in jungen Jahren grossen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Ungewöhnlich auch sein Viognier. Die letzten heissen Jahre, die uns die Klimaerwärmung bescherte, haben sich mächtig auf dessen Alkoholgehalt ausgewirkt. Weil de Buren die Trauben trotz hohen Zuckergehalts erst mit vollständiger Reife erntet, weisen die jüngsten Jahrgänge hohe Alkoholgehalte auf. Auf 15,2 Prozent kam der 2019er, im Hitzejahr 2018 erreichte der Viognier gar 17 Prozent Alkohol. Eine weitere Exklusivität unterstreicht die kreative Natur des Schlossherrn. Für seinen Chasselas Passerillé (Rosinen-Chasselas) lässt er die Trauben über ein Jahr lang austrocknen, wodurch sich darauf der aus dem Sauternes bekannte Schimmelpilz ausbreitet. Nach einem Jahr werden die getrockneten Trauben mit frischem Chasselas-Most wieder aufgeweicht und fermentieren dann während sechs Monaten. So entsteht eine Art Trockenbeerenauslese, die dem ungarischen Kultwein Tokajer nicht unähnlich ist. Der gewonnene Süsswein ist fast unendlich lagerfähig. Drei Jahrgänge lang hat de Buren diese Kostbarkeit produziert. Die Weine sind nun 20 Jahre alt, und noch immer kann man davon kaufen. Für das Fortbestehen der familiären Weinbautradition ist gesorgt. Von den beiden Söhnen Félix und Youri interessiert sich vor allem letzterer für den Weinbau. Das Château bietet zudem Übernachtungsmöglichkeiten im Rahmen von Bed & Breakfast an. Zwei Zimmer stehen zur Verfügung, das grosse hat stolze 90 Quadratmeter und gewährt einen grandiosen Blick über den Genfersee.

Aus der Familiengeschichte:
Ein Vogt und ein Mundartdichter

Bevor die Berner Adelsfamilie von Buren im Jahr 1796 im Chateau de Denens einzog, gehörte es der von Tavel. Die ursprünglich ebenfalls aus Bern stammende Patrizierfamilie residierte ab dem 14. Jahrhundert in Vevey. Der 1431 geborene Rolet von Tavel beispielsweise diente Savoyen als Statthalter des Landvogts der Waadt sowie als bischöflicher Vogt von Lausanne. Der fraglos bedeutendste von Tavel in der neueren Zeit war Rudolf, der Mundartdichter. Nach seiner Promotion in Heidelberg arbeitete von Tavel als Redaktor beim «Berner Tagblatt», Vorgängerin der heutigen «Berner Zeitung», hatte eine Anstellung in der Direktion der Mobiliarversicherung und sass 1902 bis 1912 im Berner Stadtrat. Später verlegte er sich auf das Schreiben von über einem Dutzend Mundart-Romanen. Darin thematisierte er die bereits zu seiner Zeit zunehmend anachronistische Welt des Berner Patriziats. Im Unterschied zu Jeremias Gotthelf interessierte er sich für die Stadtleute, während er die Landbevölkerung eher mit einer gewissen Herablassung behandelte. Rudolf von Tavel verschied 1934 im Zug zwischen Chexbres und Bern. Die Familie existiert nicht mehr.

www.chateaudedenens.ch 



Domaine de Fischer, Bougy-Villars

Ein gestiefelter Kater in der Domäne

Die Domaine de Fischer ist das einzige Rebgut in der Côte, das den Namen der Besitzerfamilie trägt. Darüber, wann der Landsitz gebaut worden ist, gibt es nur Vermutungen. So wurden die Bäume für die Holzbalken des Weinkellers um 1570 gefällt. Darüber, wem Reben und allfällige Bauten gehörten, weiss man noch weniger Bescheid. Urkundlich belegt ist, dass im Jahr 1606 Hans Rudolf Wagner, Berner Landvogt zu Nyon, Rebland in Bougy- Villars erwarb. Er verstarb 14 Jahre später auf dem Schlachtfeld von Tirano. Nach dem Tod Wagners gehörte der Sitz in Bougy-Villars zeitweise auch den Berner Familien von Wattenwyl und von Erlach. Erst im 19. Jahrhundert kam die Domäne in den Besitz von Karl Ludwig von Fischer. Damit wurde die Liegenschaft zur Domaine de Fischer und blieb es 150 Jahre bis zum heutigen Tag. Karl Ludwig diente in seinen jüngeren Jahren als Geniehauptmann in österreichischen Diensten, später wirkte er als Stadt- und Bürgerrat. Verheiratet war von Fischer mit Maria Margarethe Manuel, einer Nachfahrin des Niklaus Manuel, im frühen 16. Jahrhundert Schöpfer des Berner Totentanzes. Manuel galt neben Hans Holbein dem Jüngeren als der bedeutendste Renaissance-Künstler der Schweiz. Karl Ludwig von Fischer oder «Chat botté», der gestiefelte Kater, wie man ihn in der Familie nannte, kümmerte sich mit grossem Engagement um sein neu erworbenes Rebgut. Da er nur während dem Wümmet in Bougy-Villars war, schrieb er unentwegt Briefe mit detaillierten Anweisungen an den Pächter, was hinsichtlich Reben, Fässern, Verkauf, Wasserproblemen, Gebäuden, Obstbäumen etc. alles zu tun sei.

Engagierte Managerin des Rebguts

Sein Sohn Karl David von Fischer, Fürsprecher in Bern, war der nächste Eigentümer, es folgte der Enkel und Arzt Rudolf Friedrich von Fischer. Diesem fiel die Domäne durch Losentscheid zu. 1987 ging das Rebgut an die eine Tochter, Marie-Hélène Ris, und zehn Jahre später an deren Sohn Hans-Beat Ris-Stettler. Er ist Arzt und war ordentlicher Professor an der Universität Lausanne. Der auf Thoraxchirurgie spezialisierte Ris verbrachte vor seinem Engagement in Lausanne mehrere Jahre als Arzt in den USA. 2015 gründete er das schweizerisch- chinesische Institut für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation in Wuhan. Seit der Pensionierung unterstützt er nun seine Frau Binia Ris-Stettler bei der Führung der Domäne. Sie absolvierte die Berner Fachhochschule für Sozialarbeit, studierte Ethnologie und war Gemeinderätin von Bougy-Villars. An der Weinfachhochschule Changins erwarb sie das «Diplôme de commerce de vin». Zusammen haben die beiden eine Tochter und zwei Söhne. Binia Ris-Stettler ist eine unkomplizierte, energiegeladene Frau, die überall Hand anlegt, wo’s gerade was zu tun gibt. Sie organisiert die Degustationen, betreibt den Direktverkauf ab Domäne und trägt die Weinkartons auch mal selber zum Auto des Kunden.

Der Stolz: ein Premier Grand Cru

Hans-Beat und Binia Ris, die Besitzer und Manager des wunderbar gelegenen Weinguts in Bougy-Villars, sind besonders stolz auf ihren Chasselas Premier Grand Cru. Nur einem guten Dutzend Weingütern der Waadt ist es vergönnt, diese Bezeichnung auf ihren Flaschen zu führen. Vergeben wird dieses Prädikat durch eine offizielle Jury des Kantons. Die Bedingungen dafür sind streng. Die Produktion wird von einer Jury überwacht, die Weine werden jährlich vor der Auszeichnung zur Kontrolle degustiert. Für die Vinifizierung der Weine sind auf diesem Château gleich zwei renommierte Önologen zuständig. Charles Rolaz, Besitzer des Weinunternehmens Hammel SA, keltert mit seinem Team die beiden Chasselas und eine Pinot- Noir-Auslese, für die übrigen Weine ist Reynald Parmelin zuständig. Dieser gilt mit seiner eigenen Domaine La Capitaine in Begnins als national bekannter Bio-Pionier. Die 7,4 Hektar umfassenden Rebberge des Fischer-Gutes pflegt er nach den Regeln der integrierten Produktion. Zum Portfolio gehört unter anderem ein Gamaret, der sechs Monate in französischen Barriques reift. Der edelsüsse «Douceur d’Automne» wird mit Cryo-Extraktion ähnlich wie Eiswein hergestellt und besteht aus Chasselas, ergänzt mit etwas Gewürztraminer.

Aus der Familiengeschichte:
Staatsmänner und ein Revolutionär

Emanuel Friedrich von Fischer wurde 1827 als Schultheiss an die Spitze der Republik Bern gewählt. 1830 war er Bundespräsident der Eidgenossenschaft. Später wurde er in die sogenannte Erlacherhof-Verschwörung verwickelt. Im heutigen Sitz des Berner Stadtpräsidenten hatten konservative Regierungsgegner Munition versteckt. In einem Hochverratsprozess wurde er 1839 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Sturz der radikalen Regierung 1850 kehrte er nochmals für vier Jahre in den Grossen Rat zurück. Der letzte aus der Familie, der in Berns Politik eine wichtige Rolle spielte, war Ludwig von Fischer. Er war Regierungsrat und 1848–1851 Nationalrat. Einer tanzte indes aus der Reihe, der 1900 geborene Arzt Hans von Fischer. Früh wandte er sich der Arbeiterbewegung zu. Tief bewegt vom Spanischen Bürgerkrieg, gründete er 1937 die Centrale Sanitaire Suisse, die eng mit der Kommunistischen Partei verbunden war. Später unterstutzte er Fluchtlinge und gründete in Italien ein Dorf für Kriegswaisen. 1944 trat er der Partei der Arbeit (PdA) bei. Nachdem die Sowjets in Ungarn 1956 den Volksaufstand niedergeschlagen hatten, verliess Hans von Fischer die PdA.

www.domainedefischer.ch, www.hammel.ch 


Domaine de Montbenay, Mont-sur-Rolle

Seit 300 Jahren in derselben Familie

Hans Franz Nägeli, der für Bern anno 1536 die Waadt eroberte, tat dies nicht nur für Ehre und Vaterland. Denn er griff tüchtig zu, als sich ihm die Gelegenheit bot, im neuen Untertanengebiet Grund und Boden zu erwerben. So kam er auch in den Besitz von Château Montbenay oberhalb von Rolle. Zuvor gehörte das Landgut der Abtei Montbenoît in der ehemaligen Freigrafschaft Burgund, nahe der Absinth-Stadt Pontarlier. Die ältesten Bauten der Liegenschaft stammen aus dem 12. Jahrhundert. Mit der Ankunft der reformierten Berner wurde der Besitz von Kirchen und Klöstern säkularisiert, und die Mönche verkauften ihre Güter. Nachdem Hans Franz Nägeli im Jahr 1580 dahinging, setzte ein bunter Besitzerreigen ein. 1715 kaufte schliesslich Niklaus von Wattenwyl das Anwesen. Der war auch Herr auf Schloss Jegenstorf und erbte danach das grossartige Anwesen Oberdiessbach. Dieses ist nach wie vor in Wattenwyl-Besitz, wie auch Montbenay, seit zehn Generationen oder 306 Jahren. Die beiden Gutsherren, Sigmund von Wattenwyl in Oberdiessbach und Maurice de Watteville in Montbenay, hatten denselben Urgrossvater und reden sich als «mon cher cousin» an. De Wattevilles Vater Pierre war der erste von Wattenwyl, der sich in Montbenay niederliess. Und Sohn Maurice ist der erste Weinbauer in der Familie. Fortsetzung folgt, denn er hat einen Sohn, Paul Antoine, und dieser ist ebenfalls Viticulteur und Encaveur, ausgebildet als Önologe an der Weinbaufachschule Changins. Zusammen bewirtschaften sie das Anwesen und machen ausgezeichnete Weine.

Ausgebaut in Terrakotta-Amphoren

Fährt man von Rolle den Hügel hinauf Richtung Mont-sur-Rolle, trifft man gleich nach der Autobahn auf das sieben Hektar grosse Gut Montbenay von Vater und Sohn Maurice und Paul de Watteville. Der Senior ist ein gelernter Winzer, der Junior hat kürzlich die gesamte Ausbildungspalette für Rebkultur und Önologie an der Weinfachschule Changins abgeschlossen. Somit ergänzen sich jahrelange Erfahrung und neueste weintechnische Innovation. Maurice ist der erste de Watteville, der auf diesem Gut selber Hand anlegt, die Reben pflegt und den Wein keltert. Sein Vater war Jurist und hatte das Gut als eine Art Gentleman- Winemaker verwaltet. Umso mehr freut sich Baron Maurice de Watteville, dass der Sohn in seine Fussstapfen tritt. Eine ganz neue Linie haben die beiden zusammen mit dem Önologen Rodolphe de Watteville, dem Bruder von Maurice, kürzlich kreiert: Weine, ausgebaut in 32 Terrakotta-Amphoren aus dem französischen Roussillon. Die in geringem Mass luftdurchlässigen Amphoren würden für eine Mikro-Sauerstoffzufuhr sorgen, die für den Ausbau ideal sei, sagt Maurice de Watteville. Gleichzeitig verdunsten während der Ausbauphase rund 15 Prozent des Rebsaftes, so dass immer mal wieder Wein nachgefüllt werden muss. Bei den Weissweinen kommt der Most gleich nach der Abpressung in die Amphoren, wo folglich auch die Gärung erfolgt, während die Roten erst danach in die Amphoren gefüllt werden. Diese stehen aufgereiht im alten Weinkeller. Abgefüllt werden die Weissen nach sechs bis sieben Monaten, die Roten nach rund zehn Monaten. Auf weitere Eingriffe verzichten die beiden Weinmacher. Die Palette dieser «Cuvées confidentielles» ist reichhaltig. Chardonnay, Chasselas und Sauvignon Blanc sind die reinsortigen Weissen, Pinot Noir und Syrah die Roten. Die de Watteville verzichten seit 2015 auf synthetische Pflanzenschutzmittel, und demnächst soll der gesamte Betrieb auf biologischen Anbau umgestellt werden. Die zwei Chasselas, einer davon ist eine Selektion aus alten Reben, werden in grossen Foudres ausgebaut.

Aus der Familiengeschichte:
Der dubiose Don Jean

Wenn die Schweizer Regierung Gaste empfangt, so geschieht das gelegentlich dort, wo sich ansonsten die Fraktionspräsidenten der Bundesratsparteien zu ihren «Von-Wattenwyl- Gespräche» treffen: im einstigen Stadtpalais der Familie an der Berner Junkerngasse. Sophie Beatrice von Wattenwyl vermachte es in einem Schenkungsvertrag von 1929 der Eidgenossenschaft. Einmal jährlich dürfen die von Wattenwyl dort nach wie vor die Hauptversammlung ihrer «Familienkiste», einer Stiftung nach altbernischem Recht, abhalten. Sigmund von Wattenwyl, Landwirt und Herr von Schloss Oberdiessbach, witzelt dazu: «Das sind die einzig echten «Von-Wattenwyl-Gespräche›. » Eine besondere Nummer in der mächtigen wie noblen Watteville-Familie war übrigens Jean Gerard de Watteville, genannt «Don Jean». Erst diente er als Offizier in spanischen Diensten, hernach lebte Watteville in einer Kartause bei Milano. 1659 wurde er Abt des Benediktinerklosters Baume-les-Messieurs in der Franche-Comte, später Diplomat im Auftrag Spaniens und Frankreichs. Uber «Don Jean» kursierten fantastische Geschichten. Seinerzeit in Mailand habe er den Prior des Klosters ermordet, aus Madrid eine Nonne in die Türkei verschleppt und sich auf den Peloponnes, inzwischen Muslim geworden, einen Harem gehalten. Uber das turbulente Leben des 1702 dahingegangenen «Don Jean» schrieb Honore de Balzac einen Roman. 84 Jahre später starb das Geschlecht der de Watteville im Burgund aus, mit Marie Anne, Abtissin des Freigrafschaftsklosters Chateau- Chalon, als letzter Vertreterin.

www.montbenay.ch 


Interview mit Andreas Z’Graggen und Markus Gisler

Dem gereiften Chasselas erlegen

Mit 450 Seiten und drei Kilo Gewicht ist Ihr Bildband ein monumentales Werk. Wer hatte die Idee dazu, und wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Andreas Z’Graggen: 2018 habe ich das Buch «Adel in der Schweiz» publiziert. Bei den Recherchen zeigte sich, dass einige Adelsfamilien nach wie vor über prächtige Anwesen mit Rebbergen verfügen. Das brachte mich auf die Idee zu diesem Buch. Ich fragte meinen Freund Markus Gisler, einen hervorragenden Fotografen und Weinenthusiasten. Vor drei Jahren begannen wir mit der Recherche.

In Deutschland ist der Wein-Adel sehr präsent, in der Schweiz dagegen hört man kaum etwas von den Wein-Schlossbesitzern. Öffneten sich alle der von Ihnen gewünschten Türen?

Markus Gisler: Die hiesigen Aristokraten schätzen es auf typisch helvetische Art nicht besonders, im Rampenlicht zu stehen. Das hat auch damit zu tun, dass der hiesige Adel aus ideologischen Gründen aus den Schulbüchern verbannt worden ist. Als Ausdruck der historischen Geringschätzung des Adels ist es laut Verfassung diesem untersagt, öffentlich irgendwelche Titel zu tragen. Gleichzeitig leisten diese Leute aber einen grossen Aufwand, um ihre Schlösser in Schuss zu halten. Wir hatten den Eindruck, dass man dankbar war, dass sich mal jemand für dieses Engagement interessiert. So haben alle mitgemacht, die wir angefragt haben.

Wie erlebten Sie die Schlossherren im Waadtland. Residieren sie feudal oder sind sie eher Diener ihrer unterhaltsintensiven Immobilien?

Andreas Z’Graggen:Manche fühlen sich ihren Vorfahren gegenüber verpflichtet, ihre herrschaftlichen Sitze zu pflegen, was oft zu einer Bürde ausartet. Es ist auch nicht jedermanns Sache, in einem Schloss mit Dutzenden von Räumen voll antikem Mobiliar zu wohnen. Es sind aber nicht alle Châteaux gleich. Einige sind feudal, andere, etwa jene des Berner Adels in der Waadt, etwas bescheidener. Schliesslich waren diese sowas wie Sommerhäuser.

Viele der Château-Weine aus der Romandie stehen für Tradition und Treue zum Chasselas. Gab es auch innovative Weine, die Sie überrascht haben?

Markus Gisler: Den Winzern ist klar, dass sie neben dem Chasselas weitere Standbeine brauchen. Sehr innovativ ist Philibert Frickvon Mülinen, der Merlot und Malbec gepflanzt hat. Auch Charles Rolaz, der für die Hammel SA viele der Château-Weine verarbeitet, diversifiziert stark, etwa mit dem «Altesse » des Château de Trévelin. Einen mutigen Weg gehen Maurice und Paul de Watteville mit ihren Terrakotta-Amphoren. Sie stehen auf naturnahen Pinot Noir ohne Holznoten. Zu empfehlen ist auch der Gamaret, wie ihn etwa Reynald Parmelin für die Domaine de Fischer keltert. Kräftig, mit perfekt eingebundenen Tanninen.

Welches Erlebnis bei Ihrer Recherche bei den Bernern in der Romandie werden Sie nicht mehr so schnell vergessen?

Markus Gisler: Die stets gut gelaunte, energiegeladene Coraline de Wurstemberger verfügt über einen grossartigen Schatz an ganz alten Chasselas. Wir hätten nie geglaubt, dass ein 15-jähriger Chasselas ein so verführerisches Bouquet entwickeln kann. Leider ist ihr kein Château mehr geblieben, aber aus ihren 3,5 Hektar holt sie das Maximum heraus.

Andreas Z’Graggen, ehemals Chefredaktor des Schweizer Wirtschaftsmagazins «Bilanz» und der «Berner Zeitung» und Markus Gisler, ehemals Chefredaktor von «Cash» und der «Aargauer Zeitung» haben einen grosszügigen Bildband über Schweizer Weinschlösser und ihre Besitzer geschrieben. 40 Schlossherrinnen und Schlossherren haben ihnen ihre Türen geöffnet.

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