Vitiforst
Domaine le Satyre
Text und Fotos: Kaspar Keller

Schon Noémie Graffs Grossvater René, der das Weingut im Jahr 1940 gegründet hatte, ging die Dinge anders an als viele Winzer von La Côte. «Er hat den Chasselas ausge-rissen, um Burgundersorten anzubauen», sagt die 48-Jährige. Das Resultat: Das Weingut hat heute stolze 95 Prozent rote Rebsorten. Im AOC-Gebiet ist nur ein Drittel damit bestockt. Anfang November.

Die Trauben sind ge-erntet, das Laub ist verfärbt und teilweise schon von der Bise weggeweht. Nur das saftige Grün und die gelben Blüten des Cima di Rapa leuchten noch zwischen den Pinot-Noir-Rebstöcken. Hätte das Gemüse zusammen mit Orecchiette, Sardellen, Knoblauch und Olivenöl auf einem Teller landen sollen, hätte man es früher ernten müssen. «Wir haben viel genommen, hätten aber unmöglich alles essen können», sagt die Winzerin. Aber der nun verblühte Kohl wurde sowieso primär für die Insekten und nicht für die Menschen zwischen die Reihen gepflanzt. Ein halbes Jahr zuvor liess Noémie Graff Fava pflanzen. Die Bohnen können dank der Knöllchenbakterien in den Wurzeln Stickstoff im Boden speichern. Dieser dient wiederum den Reben beim Wachstum.

Graff ist überzeugt, dass gewisse Pflanzen die Reben beeinflussen und sich dies auf den Geschmack des Weins auswirkt. «Wir haben bewusst Schlitzblättrige Brombeere gepflanzt. Studien zeigen, dass Reben in der Nähe dieser Sträucher mehr Polyphenole in den Trauben bilden.» Als Hecke oder direkt in den Reihen wachsen zudem Cassis, Sanddorn, Feigen, Ahorn, Linden und Mandel-Bäume. So sollen Vögel, Fledermäuse und Insekten angelockt werden. «Westlich von unserem Weingut gibt es ein Naturschutzgebiet.
Es ist wichtig, dass die Ökosysteme vernetzt sind», sagt Noémie Graff, die zu diesem Thema auch am Eidgenös-sischen Weinbauinstitut Changins unterrichtet. Seit 2016 ist die Domaine le Satyre biozertifiziert, bereits in den 1990er Jahren hat ihr Vater auf IP-Suisse umgestellt. «Diversité», so Graff, «hatte schon bei den älteren Generationen einen hohen Stellenwert.»
«Der Weinbau ist viel komplexer geworden.»
Noémie Graff
Früher habe sich dies etwa auf einen Mix aus frühen und späten Sorten bezogen. Heute müsse man vermehrt auch die Resistenzen gegen Krankheiten und Trockenheit berücksichtigen: nicht nur bei der Sorte selbst, sondern auch bei den Klonen und bei der Unterlage. In der Parzelle vor dem Weinkeller scharren zwei Dutzend Hühner. «Auch die Vielfalt beim Dünger ist wichtig», sagt Graff. Hühnermist bei den alten Reben und Kuhmist bei den jungen. «Die jungen Winzer sind nicht zu beneiden. Der Weinbau ist viel komplexer geworden, weil im Moment alles in Frage gestellt wird.»