Interview mit Paolo Basso

Überrumpeln, ohne Fallen zu stellen

Text: Anick Goumaz, Fotos: Jerome Favre

Als bester Sommelier der Schweiz (1997), Europas (2010) und der Welt (2013) leitet Paolo Basso seit mehreren Jahren die Auswahlverfahren und Wettbewerbe für den Schweizer Verband der Berufssommeliers (ASSP). Heute produziert und verkauft er Wein im Tessin.

Ist der Wettbewerb in einem kleinen Land wie der Schweiz sinnvoll?

Absolut! Schauen Sie sich unsere Bewerber an: Nur einer von ihnen ist in der Schweiz geboren. Bei mir ist das auch der Fall, da ich in Italien geboren wurde. Unser Ziel ist es, dass sich die Bewerber gründlich mit Schweizer Weinen befassen. Wir möchten, dass sie ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, die Interessen des Unternehmens an erste Stelle zu setzen (und nicht ihren persönlichen Geschmack) und die Kundenbindung zu stärken.

Weshalb sind Sommelier-Wettbewerbe so faszinierend?

In französisch- und italienischsprachigen Ländern ist das Interesse viel grösser. Die breite Öffentlichkeit hat das Bild des all­wissenden Sommeliers im Kopf, das durch Comics wie den Manga «Les Gouttes de Dieu» («Die Tropfen Gottes») aufrechterhalten wird. Nie wurde ein Sommelier dafür bezahlt, einen Wein blind zu erkennen! Dem technischen Komitee der ASSP geht es darum, dass die Kandidaten den Stil und die Qualität der Weine beurteilen können.

Das Publikum liebt Geschichten über besonders knifflige, fast unlösbare Aufgaben. 

Das ist nicht in unserem Sinn. Natürlich werden die Konkurrenten ein wenig überrumpelt, um ihre Reaktionsfähigkeit zu testen. Aber was nützt es, eine Frage zu stellen, auf die niemand antworten kann? Ich kenne einige Länder, deren nationale Wettbewerbe dieses Ziel immer wieder verfolgen. Das Ergebnis sind Prüfungen, die in die Hose gehen. Zum ersten Mal konnte das Publikum beim Finale dabei sein. Wir wollten, dass die gesamte Sommelierbranche der Schweiz stolz auf diesen Moment ist.

Der Schweizer Wettbewerb ist einer der anspruchsvollsten nationalen Concours.

Es stimmt, dass wir das Wissen der Bewerber in einem echten Hindernislauf testen. Ich möchte hinzufügen, dass der Concours Bester Schweizer Sommelier nicht mit persönlichen Einschätzungen oder Nominierungen zum Sommelier des Jahres verwechselt werden sollte, die nach Gefühl oder an Mitarbeiter von renommierten Betrieben vergeben werden.

Was war diesmal Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung?

Wir sind bei den theoretischen Anforderungen an die Schweizer Weinbaugebiete ziemlich weit gekommen – vor allem für Bewerber, die erst seit kurzem in der Schweiz arbeiten.

Im Gegensatz zum Wettbewerb Bester Sommelier der Welt, bei dem die Teilnehmer mit Fragen zu alkoholfreien Getränken in eine Falle gelockt wurden, haben Sie sich klar auf Weine konzentriert.

Ich bin gegen die Tendenz, alle Arten von Getränken in die Wettbewerbe einzubauen. Das führt dazu, dass Sommeliers nach und nach ihr Wissen über Weine verlieren. 

Der Concours gliederte sich in Theorie, Praxis sowie die Verkostung. Hatten alle im Endergebnis dasselbe Gewicht?

Dieses Jahr gab es mehr, dafür kürzere Prüfungen. Wir wollten die Reaktionsfähigkeit testen. Der praktische Teil über das Servieren und die Verkostung wurden miteinander verwoben. Der Theorieteil hatte grossen Einfluss auf das Endergebnis. Ein guter Sommelier muss über seriöse Kenntnisse verfügen und eine Vorliebe fürs Lernen haben.

Sie werden demnächst Auswahlverfahren durchführen, um zu bestimmen, wer die Schweiz beim Wettbewerb Bester Sommelier der Welt vertreten wird. Warum?

Weil man anderen die Chance geben sollte, den Titel «Bester Sommelier der Schweiz» zu gewinnen. Ich habe dreimal am Wettbewerb Bester Sommelier der Welt teilgenommen. Wenn ich jedes Mal zunächst den Wettbewerb Bester Sommelier der Schweiz hätte absolvieren müssen, hätte dies verhindert, dass andere verdiente Konkurrenten den nationalen Wettbewerb gewonnen hätten. 

Warum sind seit dem letzten Wettbewerb Bester Sommelier der Schweiz im Jahr 2021 vier Jahre vergangen?

Der Concours wird von der ASSP organisiert, die auf freiwilliger Basis arbeitet. Jeder arbeitet dort neben seinem Job. Zudem hat sich die wirtschaftliche Lage verändert: Es ist schwieriger geworden, Geld für derartige Veranstaltungen zu beschaffen. Dies erfordert Zeit und Überzeugungskraft. Ausserdem mussten wir uns von der Krise infolge der Corona-Pandemie erholen. In Zukunft arbeiten wir an Lösungen, um wieder Wettbewerbe im regelmässigen Zwei-Jahres-Rhythmus veranstalten zu können. Aus Teilnehmersicht sind die langen Pausen frustrierend, da sie dazu führen, dass man den Überblick über Änderungen verliert.