Ernte 2015

Ein Jahr voller Freude

 Text: Joël Gernet

Gehaltvoll und frisch mit fruchtigen Weissweinen und konzentrierten, langlebigen Rotweinen. Dank sonnigem Sommer und rettendem Regen sorgte das Weinjahr 2015 für zufriedene Winzer in Europa. Dass die Ernte vielerorts geringer ausfiel als im schwierigen Vorjahr, ist der Weinqualität nichts als zuträglich. Vereinzelte Schäden gab es durch Hagel und Spritzmittel.

 

Der Jahrgang 2015 wird richtig gut, oft sogar exzellent. Darüber sind sich Europas Winzer einig. Die Basis dafür legten eine frühe Blüte, ein heisser Sommer mit wenig Krankheiten und Schädlingen sowie ein kühler, goldener Herbst mit Regen zur richtigen Zeit. So mancher Winzer berichtet von einer entspannten und schnellen Lese. Keine schlaflosen Nächte, keine Spritzorgien, dafür kerngesunde Trauben, die kaum Selektion benötigten. Das pure Gegenteil des nasskalten Jahres 2014, in dem Europas Winzer von kaum einer Plage verschont geblieben sind: Mehltau, Kirschessigfliege, Fäulnis – das volle Programm.

Natürlich herrschte auch 2015 nicht nur eitel Sonnenschein. Bei wochenlangen Temperaturen um die 40 Grad Celsius kam manche Rebe an ihre Grenzen. Gewisse Pflanzen unterbrachen wegen Hitze und Wasserstress ihre Photosynthese, was die Reifephase verlängerte. Andernorts schnellten die Öchsle-Werte so schnell in die Höhe, dass die Winzer insbesondere bei frühreifen Sorten viel Fingerspitzengefühl benötigten: Die Frucht war reif, die Tannine noch nicht – und die Säure drohte abzusacken. Viele Winzer waren im Dilemma: frische Säure oder reife Tannine; Blitzernte oder hängen lassen. Kühler gelegene und weniger exponierte Lagen hatten ebenso einen Vorteil wie alte Rebstöcke mit tief gründenden Wurzeln. Junganlagen hingegen mussten bis zu sechsmal bewässert werden. Ab August sorgte vielerorts Regen für Entspannung. Während der Niederschlag etwa im Elsass und Languedoc zur idealen Zeit kam, sorgte der heftige Septemberregen in Bordeaux kurz für Nervosität. Anders als im Hitzejahr 2003 konnten die Böden im Frühling wichtige Wasserreserven aufnehmen. Der Vergleich der zwei Ausnahmejahre hinkt deshalb, von einigen Winzern wird er gar vehement abgelehnt.

Ein Konzentrat des Sommers

Und der Wein? Die Hitze hat vielerorts für kleine Trauben und eine dichte Frucht gesorgt. Oft wurde auch die Säure konzentriert. Sie sorgt, zusammen mit ausgereiften Tanninen, für eine Frische, die 2003 teilweise vermisst wurde. Durch die hohen Öchsle-Werte haben die Crus tendenziell einen volleren Körper. Im Elsass gibt es Produzenten, die bei potenziellen Alkoholgraden von über 16 Volumenprozent auf den Ausbau trockener Rieslinge verzichten. In Deutschland wird ein deutlich höherer Anteil an Prädikatsweinen erwartet mit vielen exzellenten edelsüssen Gewächsen. Etwas weniger leichte Steinfeder-Weissweine dürfte es in der Wachau in Österreich geben – dafür aber konzentriert-fruchtige Rieslinge und gehaltvollere Grüne Veltliner.

Ein Rekordjahr verzeichnen die Schweizer Winzer am Genfersee, wo der Chasselas im Lavaux gut zwei Wochen früher als im Durchschnitt zu reifen begann – 2015 war das fünftfrühste Jahr seit Messbeginn 1925. Getrübt wurde die frühe Freude durch zum Teil happige Ernteeinbussen, überraschend hervorgerufen durch Wachstumsschäden nach dem Einsatz des Fungizids «Moon Privilege» im nasskalten Vorjahr. Dass die Erntemenge in Europa leicht zurückging, hängt aber nicht mit Spritzschäden oder, wie im Vorjahr, der Kirschessigfliege zusammen, sondern mit einem einzigartigen Sommer. Dieser ist für kleine Trauben und grosse Weine verantwortlich.

Jahrgang 2015 – so sehen ihn die Winzer in CHAD-Land

 

Rheinhessen Säure und Zucker konzentriert

Normalerweise ist die Säure in heissen Jahren niedriger, bei den Vortests war das zunächst auch so. Aber gerade die grosse Trockenheit führte dazu, dass sich nicht nur der Zucker, sondern auch die Säure konzentrierte. Unsere Rieslinge wiesen bei 93 bis 105 Grad Öchsle Säurewerte von 9,5 bis 12 Promille auf – grossartig. Die Burgunder lagen nur leicht darunter. Kurz: Ausser dem geringen Ertrag gibt es nichts zu meckern.

Jochen Dreissigacker Weingut Dreissigacker, Bechtheim

 

Baden Burgunder sind die Gewinner

Für Baden galt: je südlicher, desto höhere Niederschlagsmengen. Wir in der Ortenau hatten teils Trockenstress zu bewältigen und mussten vor allem Junganlagen auf Fels bewässern. Der Jahresgewinner ist der Burgunder, vor allem Spätburgunder. Den musste man aber etwas früher holen, damit er nicht zu wuchtig wird. Der Riesling hat eine intensive Fruchtigkeit – die gebietstypische Stilistik für ihn ist sonst eher schlank.

Matthias Wolf Weingut Schloss Ortenberg, Ortenberg

 

Ahr Handleser leisteten gute Arbeit

Nach der extremen Trockenheit kam der Regen Anfang September ungünstig, weil die Trauben dann schon sehr reif waren. Dass an der Ahr mit ihren Steillagen nur Handlese möglich ist, kam uns dieses Jahr sehr zugute, da die Mitarbeiter daher erfahren im Selektionieren sind. Die Rotweine haben nun beste Voraussetzungen: Reiche Extrakte, eine feine Tanninstruktur und eine kräftige Farbentwicklung sind zu erkennen.

Hans-Jörg Lüchau Weingut Deutzerhof, Mayschoss

 

Wallis Frische Weisse, wilde Rote

Einige rote Sorten sind rasch ausgereift und mussten schnell geerntet werden. Die Qualität war so perfekt, dass wir bei der Kelterung auf Sulfit-Einsatz verzichten konnten. 2015 wird reichhaltige und strukturierte Tropfen ergeben. Die Weissweine entwickeln sich spannend und haben keinen Säureabbau nötig. Die Roten sind noch etwas wild, mit ihnen muss man Geduld haben. Ihre Maische haben wir deshalb nur sanft bearbeitet – so konnten die Tannine sorgfältig extrahiert werden.

Sandrine Caloz Cave Caloz, Sierre

 

Tessin Feine Tannine und präzise Aromen

Zunächst verlief das Jahr ähnlich heiss wie 2003. Jedoch hatten wir ab Ende August vermehrt Regen, so dass die Reifung ideal verlief und der sehr hohe Zuckergehalt sich ausgleichen konnte. Die Ernte war qualitativ sehr gut, aber quantitativ klein. Mein Vater vermutet, dass das schwierige Vorjahr und der trockene Sommer dafür verantwortlich sind. 2015 überzeugt mit Balance und Harmonie. Die Weine sind mittelgewichtig, haben feine Gerbstoffe und eine präzise Aromatik.

Myra Zündel Cantina Christian Zündel, Beride

 

Aargau Der Weisswein braucht Pflege

Das war ein extremes Jahr, doch die Trockenperiode machte mir nicht zu schaffen. Ich arbeite biodynamisch. Darum waren auch alle Werte ausgewogen. Zuckergehalt und Reife haben für mich wenig miteinander zu tun. Ich achte auf genügend Säure und die Qualität der Gerbstoffe. Die sind beim Pinot Noir dieses Jahr sehr gut. Im Keller sind es die Weissweine, die am meisten Betreuung brauchen. Sie sind nicht so gärfreudig.

Tom Litwan Schinznach-Dorf

 

Burgenland Superjahr für Blaufränkisch

2015 ist für mich eines der besten Jahre für Blaufränkisch, denn man musste keine Kompromisse eingehen: kein Regen während der Lese, die Trauben ausgereift und lockerbeerig, keine Botrytis, und das bei einem leicht höheren Ertrag als in den letzten Jahren. Die Weine werden nicht breit und fett, sondern elegant mit der nötigen Säure. Die Alkoholwerte werden bei 13 bis 13,5 Volumenprozent liegen, das ist für die Sorte noch moderat.

Martin Lichtenberger Weingut Lichtenberger González, Breitenbrunn

 

Wachau Charmant harmonisch

Die Stilistik in diesem Jahr ist fruchtbetont und charmant durch eine harmonische Säure. Der Riesling ist konzentriert und entfaltet eine Steinobst-Aromatik. Der Grüne Veltliner ist fruchtig und trinkfreudig, in der Säure etwas tiefer und mit etwas mehr Alkohol. Wer an ihm die Würzigkeit mag, sollte ihn länger liegen lassen. Die Mengen für Steinfeder waren – wie immer in warmen Jahren – etwas geringer, aber noch genug.

Heinz Frischengruber Domäne Wachau, Dürnstein

 

Kamptal Dem Hagel getrotzt

Aus Gebietssicht ein toller Jahrgang, den man blind kaufen kann. Gegen einen «Bilderbuchjahrgang» spricht aber der Regen im Oktober, der zu Botrytis führte. Zudem hatte den Winzern der Hagel im Mai in den südlichen Bereichen teilweise Totalausfälle beschert. Der St. Laurent, den wir dort stehen hatten, war weg. Ein Charakteristikum des Jahrgangs sind höhere Alkoholwerte: Das Segment «leicht und trocken» ist quasi nicht existent.

Michael Moosbrugger Schloss Gobelsburg, Langenlois

Jahrgang 2015 – so sehen ihn die Winzer in Resteuropa

 

Vinho Verde Power mit Finesse

Vinho-Verde-Crus sind subtile Gewächse, zu viel Hitze oder zu viel Regen kann schnell die Balance stören, aber 2015 lief perfekt. Die Weine haben Fülle, Schmelz und Frische. Die Aromatik ist nicht eindimensional tropisch, sondern komplex. Die Alkoholwerte liegen nur 0,4 Prozent über denen des Vorjahres, es ist die Nuance zwischen einem guten und einem sehr guten Jahr. Wir werden sicher eine neue Topselektion auf den Markt bringen.

Luis Cerdeira Quinta de Soalheiro, Alvaredo

 

Manchuela Heiss, aber nicht zu heiss

Als im Juli die Hitze kam, machte ich mir Sorgen. Aber im August wurde es wieder frischer, sogar ein bisschen Regen fiel. Das hat den Weinen die Balance beschert. 2014 war in Spanien qualitativ ein sehr uneinheitliches Weinjahr, 2015 hingegen ist fast durchweg sehr gut. Die Weine werden früh Genuss bereiten, aber auch haltbar sein. Wir werden unseren Topwein La Rosa de Finca Sandoval abfüllen, das erste Mal seit 2007. 

Victor de la Serna Finca Sandoval, Ledaña

 

Mallorca Gegen den Trend

2015 ist in Mallorca gut, aber nicht top. Im Gegensatz zu anderen Regionen sind die Weine hier gar eine Spur leichter. Die Hitze im Juli blockierte das Wachstum, im August wurde es kühler, und es regnete. Während die Roten letztes Jahr gut 15 Volumenprozent Alkohol hatten, liegen die 2015er fast ein Prozent tiefer. Zum Glück gab es nach drei kleinen Ernten wieder genügend Menge. Es besteht Hoffnung, dass wir 2016 nicht wieder im Mai ausverkauft sind.

Pilar Oliver Bodega Miquel Oliver, Petra

 

Piemont Grosse Erwartungen

Das Erntejahr 2015 verlief im Rebberg völlig normal: Ergiebiger Regen im Frühjahr sorgte trotz der sommerlichen Hitze für gesunde Pflanzen. Das Ergebnis war mengenmässig sehr gut, die Qualität der Trauben hervorragend. Durch die rundum gesunde Basis ging die Vergärung ohne Probleme vor sich. Jetzt warten wir auf die Verkostungen im Frühjahr, aber ich bin sehr optimistisch, was die Qualität der Weine betrifft.

Angelo Gaja Weingut Gaja, Barbaresco

 

Toskana Frühe Lese, perfekte Trauben

Das Jahr wird lange in Erinnerung bleiben. Zwar sah es anfangs wegen des regnerischen Frühjahrs etwas kritisch aus, aber ab Juni lief alles nach Plan: Eine trockene Phase im Sommer wurde im August und September durch warme Tage und kühle Nächte ausgeglichen. Die Lese des Sangiovese ging zehn Tage früher als normal über die Bühne: Die Trauben waren in allen Aspekten perfekt, die Weine erfüllen derzeit alle Erwartungen.

Roberto Cipresso Weingut La Fiorita, Montalcino

 

Sizilien Gut trotz viel Regen

In Regaleali war der Reifeverlauf sehr positiv: Die Weissweine sind frisch und elegant, die Rotweine gut strukturiert, vor allem Nero d’Avola und Perricone. Am Ätna war es sehr regnerisch, aber die Nerelli und Carricante scheinen mir interessant. Insgesamt ein schwieriges, aber sehr gutes Jahr, für meinen Geschmack mit etwas zu viel Wasser, aber das scheint unseren Trauben gutzutun.

Alberto Tasca d’Almerita Weingüter Tasca d’Almerita, Palermo

 

Bordeaux Finesse und Eleganz

Es ist nicht einfach, ein Jahr zu charakterisieren, solange die Weine noch in der ersten Entwicklungsphase stecken. Besonders 2015. Es genügte nicht, allein den Analysen zu vertrauen, man musste regelrecht eintauchen in den Rebberg. Die Lesebedingungen waren optimal und ermöglichten optimale Reife. Wir setzten auf Finesse und Eleganz: Doch auch wer extraktreiche Weine keltern wollte, konnte das tun.

Jean-René Matignon Château Pichon Longueville Baronund Château Pibran, Pauillac

 

Languedoc Gehalt und Tiefe

Der schönste Jahrgang seit fünf Jahren, ideale Bedingungen, kein Stress bei der Lese, die Chance, das ganze Potenzial unserer Böden auszuschöpfen. Es war nie zu warm und nie zu trocken. Alle drei Wochen sorgte ein Gewitter für Wassernachschub. Es gab keine Blattverfärbung. Wir ernteten grandiose Trauben für Rotweine, der Most vergor gut, wir erwarten Weine mit Struktur, Gehalt und Tiefe sowie Weissweine mit Fülle und Frische.

Peter Wildbolz Mas du Soleilla, La Clape

 

Champagne Struktur, Fülle und Frische

Es war in den letzten 50 Jahren noch nie so warm und trocken! Die Reben auf Kalkböden waren davon aber kaum betroffen. Der potenzielle Alkohol liegt ein Volumenprozent über dem Durchschnitt. Die ersten Moste, die wir frisch aus dem Gärtank verkostet haben, lassen auf gehaltvolle, gut strukturierte Weine mit viel Frische schliessen, besonders für die Pinot Noir. 2015 ist ein hervorragendes Jahr und wird hervorragende Jahrgangs-Champagner ergeben.

Michel Davesne Champagne Deutz, Aÿ

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