WEINBAUREGIONEN DER SCHWEIZ

Unbekannte Deutschschweiz

Text: Eva Zwahlen

Es ist paradox: Die Mehrheit der Schweizer Weinkonsumenten wohnt in der Deutschschweiz, kennt aber die Weine, die direkt vor ihrer Haustüre wachsen, schlecht. Das wollen wir mit einer kleinen Serie ändern. Der erste Teil stellt die Deutschschweiz als Ganzes vor.

Die Rebfläche der Deutschschweiz – manche sprechen etwas despektierlich von einem Flickenteppich, der sich über weite Teile des Landes zieht, andere von einem spannenden Mosaik – umfasst 2620 Hektar, was fast einem Fünftel der Schweizer Gesamtrebfläche von 14 793 Hektar entspricht. Damit liegt die Deutschschweiz hinter dem Wallis (4906 Hektar) und der Waadt (3771 Hektar) immerhin an dritter Stelle der Weinregionen, vor Genf und dem Tessin. Trotzdem herrscht meistens ratloses Schweigen, wenn man Konsumenten nach Weinen aus der Deutschschweiz fragt.

Kleinräumig und heterogen

Kein Wunder! Die Rebfläche liegt zersplittert in kleine und kleinste Anbaugebiete, verstreut vom Nordwesten (Basel) über die Innerschweiz und das Mittelland bis hin zur Ostschweiz, auf unterschiedlichen Terroirs, eingebettet in verschiedene Landschaften – oft an Flussläufen oder Seeufern, auf sanften Hügeln oder steilen Hängen. Von einer geografischen Einheit kann keine Rede sein. Diese kleinräumigen, heterogenen Strukturen sind kompliziert. Unverkennbar schweizerisch. Immerhin wurde der früher gebräuchliche, aber irreführende Name «Ostschweiz» für die Deutschschweizer Weinlandschaft in Pension geschickt. Unstimmigkeiten gibt es dafür noch bei Weingebieten, die auf der Sprachgrenze liegen. Offiziell zählen die Rebberge am Bielersee zur weingeografischen Westschweiz, was klima-,terroir- und sortenmässig Sinn macht, angesichts kultureller und sprachlicher Empfindlichkeiten allerdings von gewissen Winzern infrage gestellt wird. Durchaus möglich also, dass die Bielerseeregion in absehbarer Zukunft die Seiten wechselt.

Wie auch immer: Dieses bunte Patchwork, das auf den Namen Deutschschweiz hört, unter einen Hut zu bringen und so zu kommunizieren, dass Herr und Frau Schweizer es verstehen, ist alles andere als einfach. Eine echte Herausforderung also. Dieser Herausforderung stellt sich der Branchenverband Deutschschweizer Wein (BDW) – und mit ihm sein Geschäftsführer Robin Haug.

Ein Verband für die gesamte Branche

Der BDW ist ein nicht gewinnorientierter Dachverband mit zehn Kollektivmitgliedern, sprich: den grösseren Weinbaukantonen und den zu Weinregionen zusammengefassten kleineren Kantonen der Deutschschweiz. Finanziert wird er über Flächenbeiträge, welche die Winzer entrichten (100 Franken pro Hektar). Die Mitgliedschaft im kantonalen oder regionalen Branchenverband ist für den einzelnen Winzer freiwillig.

Der BDW, im Jahr 2008 aus der Fusion des rund 150 Jahre alten Deutschschweizer Weinbauernverbandes mit der Vereinigung Deutschschweizer Weineinkellerer hervorgegangen, umfasst nicht nur die Produzentenseite (reine Traubenproduzenten, Selbstkelterer, Einkellerer), sondern auch die Handelsseite. Mit Coop, GVS und VOLG sind gewichtige Handelsbetriebe im Vorstand des BDW vertreten.

«Klar, Blauburgunder und Riesling-Sylvaner sind unsere grossen Stärken, das ist unsere Identität. Gerade beim Blauburgunder kommt man nicht um die Deutschschweiz herum! Da spielen wir ganz vorne mit, da sind wir sogar international absolut konkurrenzfähig, auch preislich.»

Doch wozu braucht es überhaupt einen Branchenverband? Sein erklärtes Ziel: Er vertritt die Interessen der gesamten Deutschschweizer Weinbranche und setzt sich für die branchenspezifische Berufsbildung ein. «Der BDW ist einerseits ein Koordinationsorgan, das alle Deutschschweizer Kantone und Regionalverbände gegenüber den nationalen Gremien vertritt», erklärt Haug. «Wir haben aber auch eine wichtige Aufgabe als Informationsstelle; wer Auskünfte über den Deutschschweizer Weinbau sucht, erhält sie bei uns. Zudem haben wir ein Ausbildungsmandat.» Es gebe in der Schweiz diverse Bildungsstandorte für die Weinbranche: Wädenswil mit dem Strickhof (wo unter anderem Winzer und Weintechnologen ausgebildet werden) und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW (an der früher Önologie studiert werden konnte, heute allerdings nur noch Weiterbildung stattfindet), dann Marcelinin Morges, Châteauneuf im Wallis und Mezzana im Tessin. Seit 2003 aufgrund eines Bundesratsentscheids der Studiengang Önologie in Wädenswil wegfiel, kann man Önologie nur noch in der Westschweiz, in Changins, studieren. «Wir wollen den Bildungsstandort Wädenswil, der seither an Bedeutung eingebüsst hat, wieder stärken», betont Robin Haug. «Unser Ziel ist es, hier in der Deutschschweiz Fachkräfte auszubilden. Uns schwebt eine Schule mit internationaler Ausstrahlung vor.»

Im politischen Sandwich

Was auf den allerersten Blick verblüffen mag: Der BDW verzichtet bewusst darauf, die Deutschschweiz als Ganzes zu bewerben. «Die Deutschschweiz wird von den Konsumenten nicht als Einheit wahrgenommen, deshalb bringt es auch nichts, sie als solche zu verkaufen», findet Haug. Mit Ausnahme des Tags der Offenen Weinkeller (der jeweils am 1. Mai stattfindet) und der Teilnahme am prestigeträchtigen Grossanlass «Mémoire & Friends», bei dem sich die Crème de la Crème des Schweizer Weinbaus Ende August im Zürcher Kongresshaus präsentiert, hält sich der BDW bei Promotions zurück. «Das ist Sache der nationalen Swiss Wine Promotion und der kantonalen Verbände.»

Der BDW befindet sich auch politisch im Sandwich zwischen nationalen und kantonalen Playern: Denn obwohl der BDW die Deutschschweiz in den politisch bedeutenden nationalen Verbänden und Gruppierungen vertritt, hat er nicht die Macht, rechtlich verbindliche Regeln (etwa zu AOC, Mengenbegrenzungen usw.) festzusetzen. Das obliegt – wie üblich in der Schweiz – den Kantonen.

Wie also bringt man die verstreuten und unterschiedlichen Weingebiete der Deutschschweiz unter einen Hut? Als Gemeinsamkeiten bleiben nur die deutsche Sprache und die Rebsorten. Bei Letzteren dominieren in allen Deutschschweizer Kantonen der Blauburgunder alias Pinot Noir bei den roten und der Riesling-Sylvaner alias Müller-Thurgau bei den weissen Sorten. Wobei man den Riesling-Sylvaner recht eigentlich als «Marker» für die Deutschschweiz bezeichnen könnte, nimmt er doch hier – wenn auch in bescheidenerem Rahmen – die Stelle ein, die in der Westschweiz dem Chasselas zukommt: nämlich die der weissen Leitsorte.

Die Stärken der Deutschschweiz

«Klar, Blauburgunder und Riesling-Sylvaner sind unsere grossen Stärken, das ist unsere Identität», meint Robin Haug überzeugt. «Gerade beim Blauburgunder kommt man nicht um die Deutschschweiz herum! Da spielen wir ganz vorne mit, da sind wir sogar international absolut konkurrenzfähig, auch preislich.» Die Qualität habe in den letzten 30 und vor allem in den letzten 10 Jahren im grossen Stil zugelegt. «Und auch bei den Weissen punkten wir zunehmend mit gut strukturierten Weinen mit präsenter Säure, etwa mit Sauvignon Blanc.» Doch wie sieht es mit der fast erschlagenden Sortenfülle aus, der sich die Kundschaft gegenübersieht? «Unser liberales System hat den Vorteil, dass wir pflanzen und vinifizieren können, was und wie wir wollen. Die AOC dient eigentlich nur noch als Herkunftsbezeichnung… Das führt zu einer spannenden Vielfalt, ist aber schwierig zu kommunizieren.» Angesichts einer buchstäblich erschöpfenden Auswahl von internationalen Sorten, aber auch von Neuzüchtungen, die aus den Forschungsanstalten kommen, ist so mancher Konsument ratlos. Haug plädiert energisch dafür, «dass wir das machen, was wir gut können». Auf den exzellenten Pinot-Lagen sollen also weiterhin Pinots wachsen «und nicht Merlots, die dann doch weniger gut sind als die der Tessiner». Und bei den Weissen sieht ereine Renaissance von uralten autochthonen Rebsorten wie Räuschling oder Completer voraus, «auch wenn Letzterer nur noch auf knapp fünf Hektar wächst».

Oft seien es einzelne Produzenten, die landesweit Bekanntheit erlangt haben, und nicht unbedingt Orte oder Regionen. «Man kennt Urs Pircher, nicht Eglisau. Martin Wolfer, nicht Weinfelden. Toni Ottiger, nicht Kastanienbaum…» Nur bei der Bündner Herrschaft sehe das etwas anders aus, das sei die grosse Ausnahme. «Heute gibt es in jeder Unterregion Topproduzenten», unterstreicht der BDW Geschäftsführer, «die Spitze ist viel breiter geworden. Der einzelne Winzer zählt deutlich mehr als die Region.» Und so sei es denn auch an den Winzern, Werbung zu machen, für die eigenen Weine und die Region. «Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Konsumenten – der Konsument, der etwas weiss, tendiert zu Qualität.» Auch Hotelfachschulen und Sommeliers müssten stärker einbezogen werden. «Und die Qualität hört nicht bei der Flasche auf», gibt Haug zu bedenken. «Heute braucht es auch ein Kommunikationskonzept, eine professionell geführte Website etwa. Da bieten wir den Winzern Hilfestellung – und ermuntern sie, bei Bedarf Profis zu Rate zu ziehen.»

Weinbauzentrum Wädenswil

In einer Zeit, da sich die (Wein-)Welt im Umbruch befindet, ist es wichtig, mit einer Stimme zu sprechen, Synergien zu nutzen und die Weinbauforschung, der zunehmend Gelder und Stellen zusammengestrichen werden, zu stützen. Agroscope, BDW, Strickhof und ZHAW haben deshalb am 1. Oktober 2015 den Verein Weinbauzentrum Wädenswil gegründet. Der Verein hat als Projektleiter Stefan Flückiger von der ZHAW angestellt, Präsident ist Lukas Bertschinger, Forschungsverantwortlicher des Pflanzenbauforschungsinstituts von Agroscope in Wädenswil. «Geplant ist das Weinbauzentrum für April 2017», erklärt Bertschinger. «Das Ziel? Ganz konkret die Förderung des Deutschschweizer Weinbaus. Dazu gehören praxisnahe Forschung und Entwicklung, fundierte Aus- und Weiterbildung, Wissenstransfer und Dienstleistungen. Wir wollen sicherstellen, dass junge Winzer aus der Deutschschweiz eine Perspektive haben, Weiterbildungsmöglichkeiten mit aktuellstem Weinbauwissen bestehen und konkrete Problemlösungen für die Deutschschweizer Anbaubedingungen die Zukunft garantieren.» Ob es gelingt, das Projekt umzusetzen, wird sich bald zeigen. Bertschinger gibt sich (zweck-)optimistisch. Im Interesse des Deutschschweizer Weins ist sehr zu hoffen, dass das geplante Zentrum realisiert wird. Auch wenn es langfristig angelegte Projekte in unserer schnelllebigen Zeit ja bekanntlich schwer haben.

ZUR PERSON: BDW-GESCHÄFTSFÜHRER ROBIN HAUG

Robin Haug absolvierte seine Winzerlehre bei namhaften Schweizer Winzern, und zwar sowohl in der Deutschschweiz als auch in der Romandie. Danach liess er sich in Changins zum Önologen ausbilden. Mittlerweile arbeitet er auf dem elterlichen Weinbaubetrieb in Weiningen im Zürcher Limmattal, investiert aber mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit in den Branchenverband Deutschschweizer Wein, als dessen Geschäftsführer er amtet.

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