Weingut Camigliano, Toskana

Der sanfte Charme des Brunello

Text: Christian Eder

  • Im Südwesten Montalcinos sorgen der Einfluss des Meeres und die charakteristischen Böden für einen ganz eigenen Ausdruck des Brunello di Montalcino.

Eleganz charakterisiert die Weine des Gutes Camigliano in Montalcino: Gualtiero und Isabella Ghezzi setzen dafür auf die Auswahl der richtigen Sangiovese-Klone, solide Handwerkskunst und Nachhaltigkeit.

Gualtiero Ghezzi bückt sich und nimmt eine Handvoll Erde in die Hand. Zwischen dem Sand und den Kalkstücken blinkt ein Muschelrest: ein jahrtausendealtes Fossil und eine Erinnerung, dass dieser Teil der Toskana einst unter der Oberfläche des Urmeeres lag. Nur die Spitze des Hügels von Montalcino, wo heute das mittelalterliche Städtchen liegt, befand sich als Insel über dem Wasserspiegel. Dementsprechend verschieden ist dort die Bodenstruktur: Muscheln wird man vergeblich suchen. 

Hier im Südwesten hingegen, in einer Höhe von 300 Metern und hingewandt zum Ombrone-Tal und zum Tyrrhenischen Meer, sind es tiefe Kalk- und Lehmböden, in denen die Sangiovese-Reben wurzeln, die Basis des Brunello di Montalcino. Hier liegt auch der Weiler Camigliano. Einst war das Örtchen mit seinen engen Gassen ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf dem Weg von Grosseto nach Norden, heute verliert er sich in der Landschaft, nur noch wenige Menschen leben hier. Aber noch bis vor kurzem gab es zumindest einen Pfarrer, der jeden Sonntag in der kleinen Kirche die Messe las. Aus Altersgründen ist er inzwischen im Ruhestand.

Im Kern von Camigliano liegt in einem gepflegten Garten ein alter Palazzo. Hier wohnt die Familie Ghezzi, wenn sie nicht gerade in Mailand ist. Vom Palazzo aus sind es auch nur ein paar Schritte in den Weinkeller, der erst vor wenigen Jahren in den Hang gebaut wurde. Denn Camigliano ist nicht nur ein Dorf, sondern auch ein Weingut, das seit 60 Jahren der Mailänder Unternehmerfamilie Ghezzi gehört. Zum Besitz gehören 530 Hektar fruchtbares Land, davon 92 Hektar Reben, davon sind wiederum 50 Hektar für Brunello di Montalcino reserviert. Brunello di Montalcino ist auch das Aushängeschild der Kellerei: Aus Sangiovese werden der Brunello Annata Camigliano und der Brunello Riserva Gualto gekeltert. 

Der Mailänder Ingenieur Gualtiero Ghezzi, der das Gut heute gemeinsam mit seiner Tochter Isabella führt, erwartet mich bereits. Vor dem Keller wolle er mir zuerst die Reben zeigen, meint er. Da gebe es zwei Alternativen: auf dem Pferderücken oder mit einem Geländewagen. Wir entscheiden uns für den Landrover. 

Mehr als ein Investment 

Es hat gerade geregnet, und der Allradwagen hat an manchen Steigungen Mühe, uns in der Spur zu halten. Würden wir hängenbleiben, wäre es ein langer Spaziergang zurück in die Kellerei. Die 92 Hektar Rebberge sind nämlich über verschiedene Positionen der sieben Poderi, Bauernhöfe der einstigen Pächter, verteilt. Es war die Zeit der Mezzadria, der Halbpacht, als das Weingut seine heutige Form erhielt, erzählt mir Gualtiero Ghezzi kurz darauf, den Landrover sicher durch den Schlamm manövrierend. Als sein Vater Walter Camigliano 1957 kaufte, sollte es ein Investment sein, ein Gut in der Toskana, auf das Ghezzi per Zufall gestossen war. «Es war eine klassische Mischwirtschaft mit Milchproduktion, Schafe gab es, Wein und natürlich Getreide», erzählt Gualtiero Ghezzi, «bis in die 1970er Jahre hat sich daran nicht viel geändert. Dann allerdings begann der Boom des Brunello, und auch der Wein gewann im Betrieb die Oberhand.» Getreide gibt es allerdings noch immer, auch Obst, Zucker und Tabak werden geerntet.

Aus dem einstigen Investment ist längst mehr geworden, erst recht, seit Gualtiero Ghezzi 1984 die Leitung des Betriebes übernommen hat. Obwohl er noch immer zwischen Mailand und der Toskana pendelt, wurde Camigliano damals sein Lebensmittelpunkt.

«Die Natur ist hier in Balance, die Reben haben ein perfektes Alter – ideale Bedingungen, um gute Weine zu keltern.»

Gualtiero Ghezzi Besitzer

Wir fahren an einem tiefen Einschnitt in der Landschaft vorbei: Calanche, Erdpyramiden, erheben sich unter uns inmitten immergrüner Macchia, kleine Wasserläufe plätschern durch Täler, später geht es durch dichten Laubwald, dann, ein paar Meter weiter, liegen wieder Rebberge vor uns. Gualtiero Ghezzi erklärt gerade, dass er nur die besten Lagen seines Besitzes für den Weinbau reserviert hat, Bodenproben und Versuchsvinifikationen haben bei der Entscheidung geholfen, welche Sangiovese-Klone wo angepflanzt werden und welche Lagen gar für weisse Trauben geeignet sind. Während des Vegetationsjahres wird regelmässig nach biologischen Kriterien interveniert, das konsequente Ausdünnen ist Standard. Die Trauben werden erst gelesen, wenn sie die optimale Reife erreicht haben, Sangiovese meist ab Mitte September. Die Erntemenge liegt bei 40 bis 50 Doppelzentnern pro Hektar. Gelesen wird per Hand.

Ghezzi hält seinen Landrover an: Auf einem Hügel knapp über 300 Meter Meereshöhe wachsen die Reben für seinen Spitzenwein, den Brunello Riserva Gualto, von dem gerade mal ein paar Tausend Flaschen produziert werden. Die Blätter der Reben glänzen in kraftvollem Grün, die Trauben gewinnen schon an Farbe. Gualtiero Ghezzi atmet tief durch, und ein breites Lächeln erhellt sein Gesicht, während er über die sanfte Landschaft blickt, in der sich Felder, Wälder, Olivenbäume und Reben abwechseln. Dann meint er: «Alles geht seinen Gang, schön langsam, so wie es sein soll. Die Natur ist in Balance, die Reben sind in der richtigen Position gepflanzt und haben ein perfektes Alter. Die Bedingungen sind ideal, um gute Weine zu keltern.»

Wir verkosten diese Weine im alten Keller, tief unter dem Weiler Camigliano. Einst wurde hier vinifiziert, inzwischen dient er vor allem als Lager für die besten Flaschen des Weinguts und für Degustationen. Ein neuer Produktionskeller wurde 2011 gleich daneben in die Landschaft integriert. Dort wird ebenfalls möglichst nach schonenden Kriterien gearbeitet. Unter anderem werden – unter der Ägide des Piemonteser Winemakers Beppe Caviola – ein fruchtiger, kompakter Rosso und ein frischer weisser Vermentino gekeltert. Und auch nicht zu vergessen der Poderuccio, der zeigt, dass durchaus auch Merlot und Cabernet in Montalcino ihre Berechtigung haben. Aber gerade der Gualto und der Brunello Camigliano sind Weine mit dem Goût de Terroir: Fruchtig-würzig und mit einer dezenten Noblesse sind sie eine gelungene Interpretation der Sangiovese im Südwesten Montalcinos. Und darauf kann Gualtiero Ghezzi stolz sein. 

Die Weine im Clubpaket

Rosso di Montalcino DOC 2015

Fruchtiger und kompakter Sangiovese-Klassiker: Die Reben stehen auf sandigen Mergelböden mit Fossilienanteil. Der Wein wird nach einer zehntägigen Mazeration bei kontrollierter Temperatur im Stahltank vergoren und reift sechs Monate im Fass, sechs Monate in der Flasche.

Rebsorte

100% Sangiovese

Trinkreife

2017 bis 2019

Mariage 

Passt hervorragend zu Pasta und leichten Fleischgerichten

 

Brunello di Montalcino DOCG Camigliano 2012

Finessenreicher Rotwein einer Selektion der besten Sangiovese-Lagen, gefällt mit seinem vielschichtigen Charakter und seiner Langlebigkeit. Nach der Lese Ende Oktober und sorgsamer Vinifikation bleibt der Most für 21 bis 25 Tage im Stahl und reift anschliessend noch 24 Monate im grossen Holz und weitere zwei Jahre in Stahl und Flasche.

Rebsorte

100% Sangiovese

Trinkreife

2019 bis 2025

Mariage

Perfekter Begleiter zu ge-bratenem Rindfleisch, Gänsebraten, würzigem Käse

 

Brunello di Montalcino DOCG Riserva Gualto 2011

Elegante Riserva, komplex und noch sehr jung, aus einer Selektion der besten Trauben des Weingutes. Die Trauben werden zwischen Ende September und Anfang Oktober gelesen. Der Wein mazeriert 15 bis 20 Tage in Stahl und kommt anschliessend für 36 Monate in grosses Holz, die Abrundung erfährt der Wein in der Flasche.

Rebsorte

100% Sangiovese

Trinkreife

2020 bis 2026

Mariage

Zu Wildgerichten, einem kräftigen Steak, aber auch zu gereiftem Käse