Auf dem Höhenflug

Weingut Kaufmann, Rheingau

Text: Rudolf Knoll; Fotos: Maria Anna Schmitt

Die Schweizer sind beim Genuss durchaus riesling-affin. Seit einigen Jahren ist, nach Daniel Vollenweider an der Mosel, der zweite Eidgenosse in Deutschland ein erfolgreicher Winzer. Er heisst Urban Kaufmann und setzt im Rheingau besondere Akzente.

Es klingt wie ein wahrgewordenes Märchen nach einem Roman von Hedwig Courts-Mahler. Hier der Schweizer Urban Kaufmann, 49, Produzent von hochwertigem Appenzeller Käse, der in Lömmenschwil in Bodensee-Nähe 14 Jahre lang täglich 6000 Liter Milch verarbeitet, nebenbei noch Brieftauben züchtet, zu einem Fan von Weinen aus dem Piemont wird, das anspruchsvolle WSET-Weiterbildungsprogramm absolviert, ein Wein-Praktikum beim namhaften Schlossweingut Bachtobel im Kanton Thurgau macht und sich danach intensiv Gedanken über einen beruflichen Umstieg hin zum Wein macht. Da die Tochter eines fränkischen Landwirts mit Hotelfachausbildung und Begeisterung für Wein, die beim Verband der Prädikatsweingüter (VDP) in die Szene einsteigt und hier schliesslich als dessen Geschäftsführerin Dirigentin von 200 ambitionierten Weingütern wird. Dadurch keimte bei Eva Raps der Wunsch auf, selbst in einem Betrieb mitzuwirken.

«Weingut mit Frau» gesucht

Glückliche Zufälle führten zu einer Lösung für beide. Der Schweizer dachte zunächst an einen Standort im Piemont, entschied sich dann aber wegen der Sprache und der verwandten Mentalität für eine Suche im deutschsprachigen Raum. 2012 landet er beim deutschen Weinguts-Makler Erhard Heitlinger und lässt ihn wissen, dass er auf der Suche nach einem «Weingut mit Frau» sei. Denn in der Schweizer Käse-Szene sei ein weiblicher Partner nicht zu finden gewesen. Beim Wein vermutete er grössere Chancen. Fühler zur Weinfrauen-Vereinigung Vinissima und dem Verband der Prädikatsweingüter (VDP) werden ausgestreckt. Die Suchanzeige landet auch bei Eva Raps. Sie findet die Anfrage spannend, nimmt Kontakt mit dem Schweizer auf, trifft ihn im Sommer 2012. Schnell merken die beiden, dass die Chemie stimmt, und sie beschliessen, für eine gemeinsame Zukunft auf Weingutsuche zu gehen. Einfach war die Suche nicht.

Dann plaudert sie auf der ProWein 2013 mit dem damals 64-jährigen VDP-Mitglied Hans Lang aus Hattenheim im Rheingau, der ihr eröffnet, dass er verkaufen will, weil die Tochter den Betrieb nicht übernimmt. Urban Kaufmann schaut sich ein paar Tage später das Gut an, fängt Feuer und entschliesst sich kurze Zeit später zum Kauf. «Der Rheingau stand ohnehin auf unserer Wunschliste oben», erzählt er. «Wir wollten zwar nicht gleich in einen 20-Hektar-
Betrieb einsteigen, aber diese vielleicht einmalige Chance mussten wir einfach nutzen.»

Erfolgreicher Einstieg

Am 1. November 2013 war Übergabe, der Jahrgang blubberte bereits im Keller. Ursprünglich sollte Verkäufer Lang drei Jahre beistehen. Aber es stellte sich bald heraus, dass der Seiteneinsteiger eigene Ansichten zur Weinstilistik hatte und sich auch sehr schnell im Metier zurechtfand. So machte er den Ausbau bald solo. Angst, zu scheitern, hatte er nie. «In der Mikrobiologie gibt es viel Ähnlichkeit zwischen Käse und Wein.» Bei seinem Praktikum hatte er zudem offenbar gut aufgepasst. Um im Rheingauer Keller alles im Griff zu haben, setzt er nicht, wie viele Winzer, auf Spontangärung, sondern arbeitet auch mit Reinzuchthefen, damit die Weine in der Gärung nicht steckenbleiben und unerwünschte Süsse am Ende nicht stört.

Das Duo Kaufmann/Raps war froh, dass sich Lang 2009 zur Umstellung auf Bio-Weinbau entschlossen hatte. Im regenreichen Jahrgang 2014 zahlte sich die Gesundheit der Reben besonders aus. «Mit einer Selektion bis zum Abwinken und dem Verzicht auf Botrytristrauben fuhren wir besser als viele Nachbarn», blickt Kaufmann zurück. Bald ging man noch einen Schritt weiter, stellte um auf biodynamischen Weinbau und setzt seitdem Hornkiesel und Hornmist, Pflanzenextrakte und Kräutertee in den Reben ein. 2017 wurde man von der Demeter-Organisation zertifiziert. «Wir wollen zu den Besten gehören. Wenn Biodynamie dabei hilft, ist das für uns eine tolle Motivation».

«Typische Schweizer Präzision»

In den ersten Jahren packte Eva Raps im Weinberg oft mit Feuereifer an. Sie bezeichnet es als «tolle Erfahrung, die Qualitätsphilosophie des VDP im eigenen Betrieb umzusetzen.» Im Grundbuch steht Kaufmann allein, aber das spielt in dieser schon gut erprobten Partnerschaft eine Nebenrolle. «Urban zahlt ein gutes Gehalt», lacht sie. Um die Weinberge in Toplagen von Hattenheim und Hallgarten kümmert sich nun ein erfahrenes Team. Zu Eva Raps’ Aufgabenbereich zählen mittlerweile Kundenpflege, Verkauf und Marketing.

Getan hat sich neben der bald vollzogenen Namensänderung des Weingutes von Lang zu Kaufmann mit einem grossen «K» vor dem Haus einiges. Im Gebäude selbst wurde eine modern ausgestattete Vinothek eingerichtet, mit einer Küche für längst beliebte Fondue-Abende mit Wein. In den Weinbergen hat Riesling einen Flächenanteil von etwa 75 Prozent. Weissburgunder und Chardonnay bereichern im kleinen Umfang das Feld. Dornfelder, Müller-Thurgau und Gewürztraminer wurden eliminiert, teilweise durch Aufpfropfen zu Gunsten von Pinot Noir, dessen Fläche auf gut drei Hektar verdoppelt wurde. «Die Sorte passt ideal in unsere Kollektion und findet im Rheingau ein einzigartiges Terroir vor», hat der Schweizer Rotweinfan längst festgestellt. Gekonnt und mit Fingerspitzengefühl setzt er dabei auch Barriques ein, während bei den Weissweinen Edelstahl dominiert. Aber auch hier spielen einige grosse Holzfässer eine Rolle. Eine Referenz an die Fränkin war der Anbau von Silvaner, der interzellular vergoren wurde (beim Rotwein als Macération Carbonique bekannt). Das Ergebnis ist etwas tanninbetonter, aber gut. «Typische Schweizer Präzision», lacht Kaufmann.

Ein bemerkenswerter Höhepunkt

Wenn er durch die Kellerräume spaziert (im niedrigen Holzfassbereich stehen noch Umbaumassnahmen an), wird er heimatlich flankiert von urig-heiteren Werbeplakaten mit Schweizer Bergbauern. Sein Weinstil hat viel Profil und Charakter. Der Riesling präsentiert sich betont herb, mit feiner Würze und sanftem Druck, im Aroma eher zurückhaltend mineralisch. Weisse Aushängeschilder sind das vielschichtige Grosse Gewächs aus dem Wisselbrunnen und der komplexe Riesling «Tell» sowie der burgundisch anmutende, tiefgründige Pinot Noir. Wenn sich Kaufmann an Fruchtsüsse wagt, dann gekonnt. Beispiele sind zwei brillante Kabinettweine und eine faszinierende Trockenbeerenauslese aus 2018. Vielleicht ein Symbol für den Erfolg sind die rund hundert sorgfältig gehüteten Brieftauben. Sie stehen für einen bemerkenswerten Höhenflug, der vermutlich noch nicht abgeschlossen ist.

Weine im Clubpaket

2018 Riesling Tell

2021 bis 2030

Eine Komposition der besten Weine eines Jahrgangs, benannt nach dem legendären Schweizer Freiheitskämpfer. Geschmacklich ein Volltreffer, mit feiner Würze im Duft, straff und komplex im Geschmack. Früher zugänglich als ein Grosses Gewächs.

Mariage: milde Käsesorten, Raclette, Wurst, Jakobsmuscheln, Kalbfleischgerichte.

 

2012 Hattenheimer Wisselbrunnen Riesling VDP.Grosses Gewächs

2021 bis 2028

Restbestand vom Vorgänger Hans Lang, der die Lagerfähigkeit auch von trockenem Riesling verdeutlicht. Fast jugendliche Frische, verspielt, ausgewogen, saftig, mit lebhafter Weinsäure
und einem pikanten Hauch Fruchtsüsse.

Mariage: Edelfisch, Hummer, Kaninchen, Kutteln, gebratenes Kalbfleisch.

 

2018 Hattenheimer Hassel Pinot Noir VDP.Grosses Gewächs

2021 bis 2035

Bedeutender Burgunder, 14 Monate gereift in überwiegend neuen kleinen Holzfässern, unfiltriert abgefüllt. Animierende Cassis, untermalt mit etwas Pfeffer, vielschichtig, elegant, zart-gliedrig, reife, angenehme Gerbstoffe, noch sehr jung.

Mariage: Wildgeflügel, Rehrücken, Rinderfilet, Ochsenschwanz, Barbecue, Pilzgerichte.